Seit Jahren werden Patienten mit Lungenkrebs identifiziert, die spezielle molekulare
Strukturen haben und die aufgrund dieser Situation hervorragend auf zielgerichtete
Substanzen ansprechen („Personalisierte Medizin“). Die häufigste Mutation ist dabei
mit etwa 10 % die des EGF-Rezeptors. Nach einer Erstlinienbehandlung mit Gefitinib,
Erlotinib oder Afatinib entwickelt ein Großteil der Patienten eine Resistenzmutation.
Dann wirken diese Medikamente nicht mehr. Eine Erfolg versprechende Behandlung mit
dem Nachfolgemedikament Osimertinib (Tagrisso) ist möglich. Damit sind erneut sehr
gute Remissionen und Langzeitkontrollen des Lungenkrebses erreichbar, ohne dass relevante
Nebenwirkungen auftreten. Die Zulassungsbehörden der Europäischen Union, der USA und
Kanada haben die Zulassung bereits anhand von überzeugenden Ergebnissen von Studien
aus der frühen Entwicklungsphase von Osimertinib („Phase 2“-Studien) vorläufig erteilt,
um an Lungenkrebs erkrankte Patienten mit der entsprechenden molekularen Struktur
sofort behandeln zu können. Die alternative klassische, Platin-basierte Chemotherapie
ist weniger wirksam und geht mit viel mehr Nebenwirkungen einher.
Anhand eines IQWIG-Gutachtens entschied entsprechend der geltenden Gesetzeslage am
15. September 2016 der Gemeinsame Bundesausschuss, dass mangels entsprechender („Phase
3“) Studienergebnisse ein Zusatznutzen für Osimertinib nicht ausgewiesen werden könne.
Dies führt dazu, dass der Hersteller Osimertinib am 1. 12. 2016 vom deutschen Markt
nehmen wird. Bereits mit Erfolg anbehandelte Patienten müssten die Therapie abbrechen;
neue Patienten, die diese Behandlung dringend benötigen, können nicht darauf eingestellt
werden.
Die Experten der Deutschen Atemwegsliga e. V. möchten mit ihrer Stellungnahme aufgrund
dieses Falles – mit dramatischen Auswirkungen auf einige unserer Lungenkrebspatienten
– auf eine offensichtlich gewordene Verfahrenslücke im gesetzlichen System der Begutachtung
neu zugelassener Medikamente hinweisen. Einige Medikamente kommen in der Frühphase
der Entwicklung mit besonderer Zulassung auf den Markt, da keine Alternativbehandlung
zur Verfügung steht und die vorliegenden Daten die Experten der Zulassungsbehörden
überzeugen. In diesen Fällen kann die gesetzliche Sechsmonatsfrist für die Begutachtung
durch IQWIG nicht eingehalten werden. Es dauert offenbar ein ganzes Jahr länger, bis
entsprechende Daten aus klassischen („Phase 3“) Zulassungsstudien vom Hersteller vorgelegt
werden können, die die Beurteilung des Zusatznutzens nach dem bewährtem Verfahren
erlauben. In anderen Ländern mit vergleichbarem Bewertungssystem gibt es geeignete
Regelungen. Zur gleichen Zeit als der G-BA seinen Beschluss gefasst hat, entschied
die mit IQWIG und G-BA vergleichbare Institution im Vereinigten Königreich (NICE),
dass Osimertinib für den „National Health Service“ weiterhin zur Verfügung stehen
wird. (s. NICE approves osimertinib for advanced lung cancer [1].