Dtsch Med Wochenschr 2017; 142(02): 84
DOI: 10.1055/s-0042-121953
Aktuell publiziert
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Zu niedrige Blutdruckwerte bei koronarer Herzkrankheit schädlich

Katharina Franke
Vidal-Petiot E et al.
Cardiovascular event rates and mortality according to achieved systolic and diastolic blood pressure in patients with stable coronary artery disease: an international cohort study.

Lancet 2016;
388: 2142-2152
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Publication History

Publication Date:
23 January 2017 (online)

 

    Patienten mit koronarer Herzkrankheit profitieren von der Senkung hypertensiver Blutdruckwerte in den Normalbereich. Manche Experten vermuten allerdings, dass auch zu niedrige Blutdruckwerte, z. B. durch eine Verminderung des koronaren Perfusionsdrucks, schädlich sein könnten und bezeichnen dies als so genanntes J-Kurven-Phänomen. Neue Evidenz für diese Hypothese ergibt sich aus einer großen Registerstudie.


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    In die Analysen gingen die Daten von insgesamt 22 672 Patienten mit stabiler koronarer Herzkrankheit und medikamentös behandelter arterieller Hypertonie ein, die zwischen 2009 und 2010 in das CLARIFY-Register aufgenommen worden waren. Als kombinierten primären Endpunkt definierten die Autoren das Auftreten kardiovaskulärer Todesfälle, Myokardinfarkte oder zerebraler Insulte. Eine Regulierung der Blutdruckwerte war im Rahmen der Beobachtungs-Studie nicht vorgesehen und erfolgte jeweils durch die behandelnden Ärzte.

    Insgesamt erreichten 9,3 % der Patienten innerhalb von 5 Jahren den primären Endpunkt. Schwerwiegende kardiovaskuläre Ereignisse wurden sowohl bei erhöhten als auch bei verringerten mittleren Blutdruckwerten verzeichnet: Es ergab sich eine steile J-Kurve. Patienten mit Werten ≥ 140 mmHg hatten ein 1,5 bis 2,5-fach erhöhtes Risiko, den primären Endpunkt zu erreichen. Lagen die RR-Werte systolisch < 120 mmHg, war das Risiko für schwerwiegende kardiovaskuläre Ereignisse 1,6-fach erhöht. Diastolische Messwerte ≥ 80 mmHg waren mit einem 1,4 bis 3,7-fach erhöhten Risiko assoziiert; diastolische Werte < 70 mmHg führten zu einer 1,4 bis 2-fachen Risikoerhöhung. Darüber hinaus fanden sich separate Risikoerhöhungen für

    • kardiovaskuläre Todesfälle,

    • die Gesamtmortalität,

    • Myokardinfarkte bzw.

    • stationäre Klinikaufnahmen.

    Der J-Kurven-Effekt zeigte sich stabil nach Adjustierung im Hinblick auf mögliche Confounder.

    In der Subkohorte der > 75-jährigen Patienten war eine Verschiebung der J-Kurve des systolischen Blutdrucks nach rechts zu verzeichnen, was laut den Autoren im Einklang mit Empfehlungen steht, die Blutdruckwerte bei älteren Personen etwas höher einzustellen.

    Fazit

    Nicht nur zu hohe, sondern auch zu niedrige Blutdruckwerte (systolisch < 120 mmHg, diastolisch < 70 mmHg) sind bei Patienten mit stabiler koronarer Herzkrankheit jeweils mit einer Verschlechterung der kardiovaskulären Prognose vergesellschaftet. Die Daten sprechen dafür, dass hier ein J-Kurvenphänomen existiert. Die Einstellung einer arteriellen Hypertonie sollte deshalb bei Patienten mit koronarer Herzkrankheit vorsichtig erfolgen, so die Autoren.

    Zoom Image
    Obwohl eine Blutdrucksenkung das kardiovaskuläre Risiko bei Patienten mit Bluthochdruck nachgewiesenermaßen mindert, ist der optimale Zielblutdruck immer noch unklar.
    Bildnachweis: Regina Friedle / Thieme Verlagsgruppe

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    Obwohl eine Blutdrucksenkung das kardiovaskuläre Risiko bei Patienten mit Bluthochdruck nachgewiesenermaßen mindert, ist der optimale Zielblutdruck immer noch unklar.
    Bildnachweis: Regina Friedle / Thieme Verlagsgruppe