Grundlagen
Prinzip
Die Videolaryngoskopie ist ein vergleichsweise neues Verfahren zur Darstellung des
Kehlkopfeingangs beim Atemwegsmanagement und damit zur endotrachealen Intubation.
Grundprinzip ist ein im Laryngoskopspatel integriertes Kameramodul, dessen Bild auf
einem Videobildschirm in Echtzeit angezeigt wird. So kann eine endotracheale Intubation
unter Sicht auf den Kehlkopfeingang auch ohne direkte Sicht von außen erfolgen.
Konstruktion
Die Sicht auf den Kehlkopfeingang unabhängig von einer direkten Sichtachse stellt
den entscheidenden Vorteil der Videolaryngoskopie im Vergleich zu der konventionellen,
direkten Laryngoskopie dar. Unterschieden werden dabei verschiedenen Konstruktionsmuster
der Videolaryngoskopie, was in unterschiedlichen Einsatzmöglichkeiten resultiert:
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Die Videolaryngoskopie ist integriert in einen MacIntosh-Spatel (z. B. Storz C-Mac).
Sie kann sowohl zur direkten Sicht auf den Kehlkopf als auch zur videogestützten Intubation
verwendet werden – das Videobild ähnelt der direkten Sicht. Diese Geräte sind optimal
für Ausbildungszwecke, da mehrere Personen einen konventionellen Intubationsvorgang
beobachten können.
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Die Videolaryngoskopie verwendet einen Spatel mit ausschließlich indirekter Sicht
über den
Videomonitor. Diese Geräte haben alle einen stärker gekrümmten Spatel, der Kehlkopfeingang
kann
nur noch über den Monitor eingesehen werden, eine direkte Sichtachse gibt es nicht
mehr ([Abb. 1], [Abb. 2]). Dadurch entfallen auch die für den Erhalt der direkten Sichtachse notwendigen
Manöver wie Reklination des Kopfes oder Anheben des Zungengrundes. Bei dieser Gerätephilosophie
werden 2 Spateltypen unterschieden. Zum einen sind Systeme verfügbar, bei denen im
Spatel eine Führung für den Tubus integriert ist, mit deren Hilfe der Tubus eingeführt
wird (z. B. Pentax AWS). Die andere Bauform besteht nur aus einem stärker gekrümmten
Spatel, der ohne Tubus positioniert wird. Für die Intubation ist dann zwingend ein
Führungsstab für eine verstärkte Vorkrümmung des Tubus erforderlich (z. B. GlideScope,
McGrath). Die Trennung von indirekter Laryngoskopie und Tubuseinführung ermöglicht
beim letztgenannten Typ die vielseitigste Einsetzbarkeit. Im Folgenden wird deshalb
im Detail auf die Indikation und Technik der Videolaryngoskopie mit diesem Baumuster
eingegangen.
Abb. 1 Funktionsprinzip der Videolaryngoskopie mit indirektem Blick.
Abb. 2 Vergleich Situs bei Sicht auf Mundöffnung (a) und gleichzeitiger Kamerablick bei indirekter Videolaryngoskopie (b).
Indikation
Indikation für die Videolaryngoskopie ist grundsätzlich die endotracheale Intubation
per se.
Aufgrund der verbesserten Sichtachsen besonders bei anatomisch erschwerter oder unmöglicher
direkter Laryngoskopie hat sich die Videolaryngoskopie in den vergangenen Jahren als
beliebte Rückfallebene im anästhesiologischen Routinebetrieb etabliert [1]. Zahlreiche Daten belegen die höheren Intubations-Erfolgsraten mit der Videolaryngoskopie.
Welches Baumuster hierbei zu bevorzugen ist, kann mit der bisherigen Datenlage nicht
abschließend beantwortet werden [2].
Vorteile
In der Notfallmedizin bei oft unbekannter Patientenvorgeschichte bietet die Videolaryngoskopie
neben der höheren Erfolgsrate weitere mögliche Vorteile:
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Die Reklination der Halswirbelsäule (HWS) ist unter Videolaryngoskopie geringer als
bei direkter
Laryngoskopie, was beim unerkannten HWS-Trauma vorteilhaft sein kann [3]
[4].
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Die Sichtachse Kamera-Kehlkopfeingang unterliegt unter laufender Thoraxkompression
bei der Reanimation nur geringsten Schwankungen, weshalb in den meisten Fällen für
die Intubation keine Unterbrechung der Thoraxkompression mehr erforderlich ist.
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Bei eingeklemmten Patienten (z. B. in PKWs) wird keine direkte Sichtachse in Verlängerung
der
Körperlängsachse benötigt, sondern es kann mit Blick auf den Videomonitor auch von
untypischen Positionen aus intubiert werden [5].
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Die fehlende Notwendigkeit zur mechanischen Begradigung der Sichtachse (Reklination
des Kopfes und Anheben des Zungengrunds) ermöglicht die Laryngoskopie auch unter Einsatz
geringerer Dosen von Sedativa und ohne Relaxation und erleichtert eine Intubation
unter Spontanatmung.
Einsatzrechtfertigung
In vielen Fällen erfolgt heute die Intubation in der Notfallmedizin bei vorbestehender
Hypoxie und zusätzlich ungünstigen Rahmenbedingungen. Daten weisen darauf hin, dass
in der
Methode erfahrene Personen mit der Videolaryngoskopie sicher und mit höherem Erfolg
intubieren können [6]. Aufgrund der oft fehlenden Reserven für wiederholte Intubationsversuche bei kritischen
Notfallpatienten ist der primäre Einsatz der Videolaryngoskopie in der Notfallmedizin
als „First-Line-Device“ heute trotz des noch hohen Gerätepreises gerechtfertigt und
sinnvoll [7].
Risiken
Wesentliches Risiko der Videolaryngoskopie ist die Kontamination der Kameralinse mit
Blut oder Sekreten, wenn der Spatel zu schnell ohne Blick auf den Monitor eingeführt
wird. Deshalb sollte immer ein gebogenes Absaugrohr verfügbar sein. Mit einfachen
Absaugkathetern kann unter Umständen aufgrund der Spatelkrümmung der Sichtbereich
nicht erreicht werden.
Umgebungsfaktoren
Bei hellem Umgebungslicht im präklinischen Einsatz kann es erforderlich sein, den
Videomonitor im Schatten zu platzieren – hier sind Geräte mit vom Spatel getrennten
Monitor vorteilhaft. Bei kühlen Außentemperaturen muss das Gerät mindestens eine Minute
vor Intubation eingeschaltet werden, damit die Kamera beim Einführen nicht beschlägt.
Vorgehen
Die Videolaryngoskopie unterscheidet sich in 2 zentralen Punkten von der konventionellen,
direkten Laryngoskopie, die unbedingt beachtet werden müssen, um die Technik erfolgreich
anzuwenden. Zum einen muss der Spatel in der Mittelachse eingeführt werden, ohne die
Zunge wie sonst üblich nach links wegzudrängen. Zum anderen muss ab dem Eintritt des
Spatels in den Mund jede Maßnahme unter Monitorsicht erfolgen, um den Spatel nicht
zu tief oder in Flüssigkeitsseen hinein einzuführen. Besonders die Arbeit am Monitor
ohne direkte Sicht, also die Trennung von Hand und Auge, bereitet einigen in der konventionellen
Intubation Geübten anfänglich Probleme und erfordert schlichtweg ein wenig Übung unter
nicht zeitkritischen Bedingungen.
Schritt für Schritt
Die Videolaryngoskopie umfasst folgende Arbeitsschritte:
Schritt 2 Einführen des Spatels
Der Spatel wird mit Blick auf den Mund mittig eingeführt ([Abb. 3]).
Abb. 3 Direkte Sicht bei eingeführtem Videolaryngoskopspatel (a) und Bildschirmansicht zu Beginn des Einführens des Videolaryngoskopspatels (b).
Schritt 3 Vorschieben des Spatels
Mit Blick auf den Monitor in der Mittelachse entlang der Zunge in die Tiefe gleiten,
bis Epiglottis und Kehlkopfeingang sichtbar sind (ggf. Druck auf Kehlkopf durch Assistenzperson).
Wenn nötig, muss parallel Sekret/Blut abgesaugt werden ([Abb. 4]).
Abb. 4 Bildschirmansicht beim Vorschieben des Videolaryngoskopspatels in der Mittelachse
bis zum Erreichen der Sicht auf die Glottisebene (a – c).
Schritt 4 Einführen des Tubus
Mit Blick auf den Mund wird der Tubus von rechts in den Mund und dann in den Kehlkopfeingang
eingeführt. Je nach Starre des Führungsstabs kann es notwendig sein, gleichzeitig
den Führungsstab zurückzuziehen ([Abb. 5]).
Abb. 5 Bildschirmansicht beim Einführen des Tubus (a u. b).
Schritt 5 Blocken des Tubus und Überprüfen der Lage
Der Tubus wird geblockt und die Lage zusätzlich visuell, auskultatorisch und kapnografisch
überprüft.
Gelegentlich kann es hilfreich sein, einen Kunststoff-Führungsstab – wie auch bei
erschwerter konventioneller Intubation üblich – etwa 2 cm aus dem Tubusende herausragen
zu lassen, um bei auch unter Videolaryngoskopie gelegentlich eingeschränkter Sicht
auf den Kehlkopfeingang den Tubus besser einführen zu können. Manchmal ist nach Platzierung
der Tubusspitze eine leichte Drehbewegung hilfreich, um den Tubus vorschieben zu können.
Video
Das [Video 1] zeigt das Vorgehen bei der Videolaryngoskopie Schritt für Schritt.
Video 1: Videolaryngoskopie.
Anwendungsbeispiele
Fall 1
Patient 76 Jahre, kardiogener Schock, Lungenodem, SpO2 72 %, RR 70/40 mmHg,
videolaryngoskopische Intubation unter Analgosedierung und Spontanatmung ([Abb. 6], [Abb. 7], [Video 2]).
Abb. 6 Notfallintubation eines Patienten mit Lungenödem und kardiogenem Schock unter Spontanatmung.
Abb. 7 Kehlkopfeingang des Patienten nach Absaugung des Sekrets.
Video 2: Videolaryngoskopie Fall 1.
Fall 2
Patient 62 Jahre, beobachteter Kreislaufstillstand mit Kammerflimmern, Intubation
unter
unterbrechungsfreier Thoraxkompression ([Abb. 8], [Video 3]).
Abb. 8 Videolaryngoskopischer Blick unter Reanimation.
Video 3: Videolaryngoskopie Fall 2.
Fall 3
Patientin 25 Jahre, Z. n. Verkehrsunfall mit schwerem SHT, Intubation unter HWS-Immobilisation
([Abb. 9], [Abb. 10], [Video 4]).
Abb. 9 Patientin nach Verkehrsunfall mit schwerem SHT vor Intubation.
Video 4: Videolaryngoskopie Fall 3.
Abb. 10 Videolaryngoskopie der Patientin mit Blutung in den Hypopharynx.
Erstveröffentlichung
M. Bernhard und J.-T. Gräsner. Notfalltechniken Schritt für Schritt. Stuttgart: Thieme;
2016: 33–43