Diabetes aktuell 2017; 15(04): 139
DOI: 10.1055/s-0043-0043-111400
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Warum soll ich Diabetologe werden?

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Publication Date:
18 July 2017 (online)

Im Rahmen des Stipendiatenprogramms auf dem Kongress der Deutschen Diabetesgesellschaft in den letzten Tagen in Hamburg fragte mich eine Studentin: „Warum soll ich Diabetologin werden?“ Die Studentin war eine von etwa 100 Stipendiaten, die an dem Kongress teilnehmen konnten und für die es einen speziellen Nachwuchstag, aber auch empfohlene Sitzungen gab – beispielsweise eine Session, um wissenschaftliches Schreiben und Präsentieren zu erlernen.

Meine spontane Reaktion auf die Frage der Stipendiatin war: „Weil wir Sie brauchen“ und „Weil es wichtig ist“, was nach Standardantworten und eher unattraktiv klingen muss. Warum fällt es uns so schwer, diese einfache Frage kurz, knapp und motivierend zu beantworten? Ist Diabetologie nicht „sexy“?

Haben Sie auch schon festgestellt, dass es nicht immer leicht fällt, Vorbild zu sein und auf die Frage nach der Motivation „richtig“ zu antworten? Nicht nur die Diabetologie hat sich in den letzten Jahren völlig verändert, auch unsere Patienten haben sich geändert und zeigen mehr Selbstbestimmtheit. Sie bemühen häufig zunächst einmal „Dr. Google“, was für die Behandler oft keine kleine Herausforderung ist. Macht dies die Diabetologie unattraktiv?

Vor 30 oder 40 Jahren war die Diabetologie ein Abenteuerfeld in Aufbruchstimmung. Schulungsprogramme wurden entwickelt, und einen Patienten gut zu schulen, hatte einen enormen Gewinn für die Behandlung des Diabetes mellitus. Die sprechende Medizin, die Hinwendung zum Patienten hatte direkt messbare Effekte auf die Stoffwechselsituation unserer Patienten – und das war befriedigend.

Heute geht die Anzahl Schulungen sukzessive zurück. Studiendaten zufolge glauben wir mitunter selbst nicht mehr an die Erfolge der Schulung. Zudem erreichen unsere Schulungen zum Teil gar nicht die messbaren Indikatoren, die wir selbst gesetzt haben. Gleichzeitig dominieren viele neue Medikamente unseren Behandlungsalltag, wobei viele Wirkstoffe im Hinblick auf die Blutzuckersenkung aber nur gleich gut sind. Was ist also passiert? Wie konnte der Diabetologe vom Abenteurer zum Phlegmatiker werden?

Eine Aufbruchstimmung, wie wir sie vor einigen Jahrzehnten erlebt haben, gibt es derzeit in manchen arabischen Ländern. Kürzlich sagte ein führender Diabetologe im Rahmen einer Vortragsreise zu mir: „We have to touch the life of our patients“, wir müssen das Leben unserer Patienten berühren. Vielleicht ist dies eine Antwort. Wir tauchen heute nicht mehr ausreichend in das Leben unserer Patienten ein. Die Technisierung der Dokumentation und des Qualitätsmanagements stiehlt Zeit, die uns für die Kommunikation mit unseren Patienten fehlt. Darüber hinaus erzeugt die Zunahme der Zahl an Patienten ebenso unternehmerischen Druck wie die Kostendiskussion. Das tatsächliche „Miteinander“ geht dabei schnell verloren.

Viele von uns ziehen ihre Befriedigung daraus, unseren Patienten etwas messbar Gutes zu tun. Sollten wir uns nicht wieder darauf konzentrieren? Sollten die Abenteurer in der Diabetologie nicht zurückkehren?

Die eigentliche Innovation in unserem Fachgebiet käme aus der Rückbesinnung auf das, was uns früher bewegt hat: für den Patienten messbar Gutes zu tun. Neben all den notwendigen Diskussionen über die Veränderung unseres Arbeitsalltags sollten wir uns wieder darauf besinnen, was uns eigentlich groß gemacht hat: das Gespräch mit unseren Patienten, ihre Schulung und ihre Begleitung in einen gesünderen Alltag.

Diese Vorstellung ist sexy, und wäre es nicht toll, wenn wir unserer studentischen Kollegin antworten könnten: „Because you will touch the life of your patients“!