Diabetes aktuell 2017; 15(04): 142-144
DOI: 10.1055/s-0043-0043-112651
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© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Blutzucker, Blutdruck und Blutfette

Brauchen wir neue Zielwerte?
Stephanie Schikora
1   Heidelberg
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Publication Date:
18 July 2017 (online)

 

Noch immer sind kardiovaskuläre Komplikationen bei Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 die Morbiditäts- und Mortalitätsursache Nummer 1. Dementsprechend wichtig ist es, das kardiovaskuläre Risiko dieser Patienten konsequent zu verringern – und zwar erstens mit einer Statintherapie zur Reduktion der Blutfettwerte, zweitens mit einer antihypertensiven Therapie zur Blutdruckkontrolle und drittens über eine Senkung des Blutzuckers mithilfe von blutzuckersenkenden Substanzen.


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Am wirkungsvollsten lässt sich das kardiovaskuläre Risiko von Patienten mit Typ-2-Diabetes sicherlich über die leitliniengerechte, statinbasierte Reduktion der LDL-Cholesterinspiegel positiv beeinflussen. Dafür gibt es nach Meinung der Experten auch die beste Evidenz. An zweiter Stelle folgt eine konsequente, nicht zu niedrige Blutdruckeinstellung. Die prognostisch geringste Bedeutung hat die Blutzuckerkontrolle selbst, allerdings stehen inzwischen neue blutzuckersenkende Wirkstoffe zur Verfügung, die ebenfalls einen Effekt auf das kardiovaskuläre Risiko haben.

Würden Sie jedoch ihre Patienten fragen, würden diese am liebsten auf das Statin verzichten, dann die Blutdruckmedikation absetzen und erst zuletzt das Antidiabetikum, berichtete Prof. Stefan Jacob, Villingen-Schwenningen. Hier sind seiner Meinung nach die Behandler gefordert: „Wir müssen unseren Patienten klar machen, wo die Evidenz ist – und wo wir tatsächlich die Prognose verbessern können!“

LDL-Cholesterin – je niedriger, desto besser

„The lower the better“ – zumindest bezüglich der Senkung der Blutfettwerte scheint es spätestens mit der Präsentation der FOURIER[ 1 ]-Studie für dieses Prinzip keine Zweifel mehr zu geben: Trotz bereits relativ niedriger LDL-Cholesterinausgangswerte von im Mittel rund 90 mg/dl unter einer Statintherapie sanken im Verlauf des 2-jährigen Beobachtungszeitraums unter der Applikation des PCSK9-Inhibitors Evolocumab (PCSK9 = Proproteinkonvertase Subtilisin/Kexin Typ 9) die LDL-Cholesterinwerte deutlich, und das kardiovaskuläre Risiko bei den kardialen Hochrisikopatienten verringerte sich um relative 20 % [[1]]. Mit einem medianen LDL-Cholesterinwert von 30 mg/dl war dabei in der Evolocumabgruppe ein bisher fast unvorstellbarer Wert erreicht worden.


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Je höher das Ausgangsrisiko eines Patienten ist, desto mehr profitiert er von einer Reduktion seiner Lipidwerte [[2]], erklärte Prof. Klaus Parhofer, München. Bei der Bestimmung dieses Ausgangsrisikos gebe es jedoch noch Optimierungsbedarf. „Wir brauchen bessere Algorithmen, um die Patienten mit hohem Risiko frühzeitig herauszufiltern“, erklärte Parhofer.

Leitlinien zur Lipidsenkung unzureichend umgesetzt

Während die Europäische Gesellschaft für Kardiologie (ESC) und die Europäische Atherosklerosegesellschaft (EAS) für Patienten mit sehr hohem Risiko in ihren Leitlinien aus dem Jahr 2016 einen LDL-Cholesterinwert unter 70 mg/dl oder alternativ eine mindestens 50 %ige Absenkung vom Ausgangswert als Therapieziel definieren [[3]], geht die „American Association of Clinical Endocrinology“ in ihren aktuellen Leitlinien aus diesem Jahr noch weiter: Sie fordert bei Patienten mit einem extremen Risiko einen LDL-Cholesterinzielwert unter 55 mg/dl [[4]]. Parhofer schloss nicht aus, dass auch in den hiesigen Leitlinien in Zukunft ähnliche Empfehlungen aufgenommen werden.

„Doch wir setzen schon heute die Leitlinienempfehlungen nicht ausreichend um“, so Parhofer. Beispielsweise hatte in Euroaspire IV nur jeder 5. KHK-Patient einen LDL-Cholesterinwert unter 70 mg/dl.

Außerdem forderte Parhofer, sich insbesondere bei Menschen mit Diabetes und hohen Triglyzeriden nicht nur auf die LDL-Cholesterinwerte zu konzentrieren. Auch der hohe Anteil an Remnants im typischen diabetischen Lipidprofil mit hohen Triglyzeriden bedürfe einer Reduktion, um das Risiko der Patienten zu senken – und zwar laut den ESC/EAS-Leitlinien bei Patienten mit sehr hohem bzw. hohem Risiko auf Werte von unter 100 bzw. 130 mg/dl [[4]]. „Prinzipiell ist dies mit Fibraten möglich, die Evidenzlage aus Endpunktstudien ist für diese Präparate allerdings nicht besonders gut“, so Parhofer. „Generell sollte jedoch das Statin immer der erste Schritt sein.“


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Moderate Blutdruckziele bleiben bestehen

Die Präsentation der Daten aus der SPRINT[ 2 ]-Studie [[5]] war es, die im September 2015 die Diskussion um die Blutdruckziele wieder angeheizt hat: Schlagworte wie „120 ist das neue 140“ waren in der Folge zu hören. „Für Diabetiker hat diese Studie jedoch keine Aussagekraft“, betonte Prof. Peter Trenkwalder, Starnberg. „Patienten mit Typ-2-Diabetes waren explizit von der Studie ausgeschlossen!“ Für sie gilt nach der aktuellen Leitlinie der Deutschen Hochdruckliga 2015 bzw. der deutschen Nationalen Versorgungsleitlinie 2014 weiterhin ein Blutdruckziel von 140/85 bzw. 140/80 mmHg.

Zurück gehen diese Blutdruckziele auf die Ergebnisse der ACCORD[ 3 ]-Studie, in der eine intensive Blutdruckreduktion auf Werte unter 120 mmHg systolisch keinen signifikanten Benefit auf den primären kombinierten Endpunkt aus Herzinfarkten Schlaganfällen und kardiovaskulärem Tod gebracht hat, die Rate an Nebenwirkungen jedoch ansteigen ließ [[6]]. Dies bestätigten erst kürzlich 2 aktuelle Metaanalysen [[7], [8]]: Patienten mit Diabetes und einem systolischen Blutdruck über dem Grenzwert von 140 mmHg profitierten signifikant von einer Reduktion ihres Blutdrucks, insbesondere traten deutlich weniger Schlaganfälle auf. Eine weitere Blutdrucksenkung dagegen war mit einem erhöhten Risiko assoziiert, einen kardiovaskulären Tod zu erleiden.

In den Jahren vor ACCORD hatte man in der UKPDS[ 4 ] [[9]], der HOT[ 5 ]- [[10]] und der ADVANCE[ 6 ]-Studie einen positiven Effekt der Blutdruckreduktion gesehen. In ADVANCE war eine Blutdruckreduktion von im Schnitt 5,8 mmHg auf 134,7 mmHg mit einer um 14 % reduzierten Gesamtsterblichkeit assoziiert [[11]]. Nach weiteren 10 Jahren blieb mit einer Reduktion der Gesamtsterblichkeit von 9 % eine signifikante Senkung der Mortalitätsrate erhalten [[12]]. Die erreichten Blutdruckwerte lagen allerdings in allen 3 Studien mehr oder weniger deutlich über einem Grenzwert von 130 mmHg.

„Die aktuellen Leitlinien bilden die Datenlage gut ab“, schloss Trenkwalder. „Für die Mehrzahl der Typ-2-Diabetiker gilt damit ein Zielblutdruck unter Werten von 140/85 mmHg mit einem ‚Korridor‘ von 130–139/75–84 mmgHg.“ Trenkwalder sieht jedoch auch 2 Patientengruppen, die möglicherweise von einer intensiveren Blutdruckkontrolle profitieren können. Dazu zählen zum einen Patienten, die einer intensiveren Schlaganfallprävention bedürfen, zum anderen sind dies Patienten mit Typ-2-Diabetes ohne Endorganschäden oder Komplikationen. Denn einer aktuellen landesweiten schwedischen Registerauswertung zufolge ergab sich für diese relativ gesunde Patientenpopulation ein signifikanter positiver Effekt der intensiveren Blutdruckkontrolle auf die Rate tödlicher und nicht tödlicher Herzinfarkte und Schlaganfälle [[13]].


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HbA1c-Wert bleibt wichtigster Blutzuckerparameter

Am Zielkorridor für den HbA1c-Wert ändert sich nichts, so Prof. Monika Kellerer, Stuttgart. Der HbA1c-Wert werde auch in Zukunft der relevante Parameter für die Leitlinien sein, an dem die Therapie ausgerichtet wird – auch wenn es so sein mag, dass der postprandiale Blutzucker bei niedrigeren HbA1c-Werten mehr Gewicht hat, der Nüchternblutzucker bei höheren Werten.

Für die meisten Patienten ist ein HbA1c-Wert zwischen 6,5 und 7,5 % ein sinnvolles Therapieziel – „aber eben kein absolutes Muss“, so Kellerer. Basis dieser Empfehlung ist noch immer die inzwischen 20 Jahre alte UKPDS: Hier hatte die Reduktion des HbA1c-Werts von 7,9 auf 7,0 % die mikrovaskulären Folgekomplikationen signifikant reduzieren können, etwas weniger ausgeprägt war der Effekt auf makrovaskuläre Folgeerkrankungen – auch im Langzeitverlauf [[14]]. Eine frühe und konsequente Einstellung des Blutzuckers sei also durchaus wichtig, um die Auswirkungen erhöhter Blutzuckerwerte möglichst gering zu halten.

Nicht sinnvoll ist es jedoch, die HbA1c-Werte „um jeden Preis“ unter 6,5 % zu senken. Eine hohe Zahl an Hypoglykämien und die deutliche Gewichtszunahme in ACCORD [[15]], ADVANCE [[16]] und VADT[ 7 ] [[17]] habe das Konzept einer strengen und schnellen Reduktion der Blutzuckerwerte infrage gestellt. Beides hat sich wahrscheinlich negativ auf das kardiovaskuläre Risiko der Patienten ausgewirkt: In ACCORD sank der HbA1c-Wert von 8,3 auf 6,4 %, die Gesamtmortalität stieg allerdings um 22 % (p = 0,04) an. „Wichtig ist demnach der Weg zur und die Art der Blutzuckersenkung und nicht das Ziel selbst“, fasste Kellerer zusammen.


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Substanzspezifische Effekte

Dies unterstreichen auch die neuen kardiovaskulären Endpunktstudien EMPA-REG Outcome[ 8 ] [[18]], LEADER[ 9 ] [[19]] oder SUSTAIN[ 10 ] [[20]], in denen Empagliflozin, Liraglutid und Semaglutid das kardiovaskuläre Risiko von Typ-2-Diabetikern signifikant um 13–26 % senken konnten [[18]–[20]]. Dabei waren die Studien nicht auf eine Blutzuckerreduktion ausgelegt, die Differenz im HbA1c-Wert betrug je nach Studie nur zwischen 0,2 und 0,4 Prozentpunkte. Jedoch war die Therapie nicht mit einem erhöhten Hypoglykämierisiko assoziiert und hatte zudem positive Effekte auf das Körpergewicht, den Blutdruck sowie die Nierenfunktion. Diese substanzspezifischen Effekte gilt es zu nutzen, so Kellerer und schloss: „Wahrscheinlich müssen wir mehr über Patientengruppen reden.“

Quelle: Symposium „CVOTs in der Diabetologie – Ändern sich die Zielwerte?“ auf dem Diabetes Kongress 2017 am 25.05.2017 in Hamburg.


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1 Further cardiovascular OUtcomes Research with PCSK9 Inhibition in subjects with Elevated Risk


2 Systolic blood PRessure INtervention Trial


3 Action to Control CardiOvascular Risk in Diabetes


4 United Kingdom Prospective Diabetes Study


5 Hypertension Optimal Treatment


6 Action in Diabetes and VAscular disease: Preterax and DiamicroN-MR Controlled Evaluation


7 Veterans Affairs Diabetes Trial


8 Empagliflozin Cardiovascular Outcome Event Trial in Type 2 Diabetes Mellitus Patients


9 Liraglutide Effect and Action in Diabetes: Evaluation of cardiovascular outcome Results


10 Trial to Evaluate Cardiovascular and Other Long-term Outcomes With Semaglutide in Subjects With Type 2 Diabetes