Zunächst scheint eine Begriffsklärung notwendig: „Sektorübergreifende Versorgung“
wird zum einen in der akuten Krankenversorgung im SGB-V-Bereich verwendet und dabei
auf die Sektoren ambulante, teilstationäre und stationäre Behandlung bezogen. Zum
anderen beschreibt der Begriff weitergehend den Sektor der psychiatrischen Behandlung
plus die Sektoren Eingliederungshilfe, Rehabilitation, Pflege, Arbeitsunterstützung
usw.
Im SGB-V-Bereich gibt es bereits vielfältige Erfahrungen mit privaten Anbietern. Nahezu
alle privaten Klinikbetreiber halten stationäre, teilstationäre und ambulante (PIA)
Angebote vor, manche betreiben ein MVZ und sind damit Teil der ambulanten Regelversorgung.
Sie unterscheiden sich diesbezüglich nicht von kommunalen, öffentlich-rechtlichen
oder Trägern aus der freien Wohlfahrtspflege. Ergänzt werden diese klinischen Angebote
durch die ambulanten Behandlungsangebote der ebenfalls privatwirtschaftlich tätigen
niedergelassenen Psychiater und Psychotherapeuten.
Die Qualität der sektorübergreifenden Arbeit im SGB-V-Bereich und in der SGB-übergreifenden
Zusammenarbeit hängt von den rechtlichen Rahmenbedingungen ab, die im Wesentlichen
auf Bundesebene gesetzt werden. Ebenso haben länderspezifische Modifikationen und
Gestaltungsversuche durch die Kommunen und die Beteiligten vor Ort Einfluss auf die
Qualität. Die genannten Rahmenbedingungen sind für private wie öffentliche/gemeinnützige
Träger in gleicher Weise gültig. Ein Qualitätsunterschied zwischen den verschiedenen
Trägern bezüglich der sektorübergreifenden Versorgung ist aus den rechtlichen Rahmenbedingungen
deshalb nicht grundsätzlich abzuleiten.
Der Unterschied macht sich an der Zielsetzung der beteiligten Unternehmen fest: Öffentlich-rechtliche
und frei-gemeinnützige Organisationen wurden gegründet, um Menschen in Not, in diesem
Fall psychisch kranke Menschen, zu unterstützen, zu behandeln, zu versorgen. Die hierdurch
erwirtschafteten Gelder werden i. d. R. unmittelbar wieder für diese Zielsetzung investiert.
Dies ist bei privaten Anbietern grundsätzlich anders. Sie müssen aus der Vergütung
ihrer Leistungen Gelder an die Investoren, Besitzer oder privaten Eigner abzweigen
und deren Interessen befriedigen. Dafür wurden sie primär gegründet, von wenigen Ausnahmen
philanthropischer Eigner einmal abgesehen. Daraus resultiert eine andere Gesamtinteressenlage.
Privatunternehmen sind i. d. R. genauso lange an ihrer Tätigkeit interessiert, wie
sich mit ihrem Engagement Geld verdienen lässt. Wenn keine angemessene Rendite zu
erwarten ist, ziehen sich die Investoren zurück, das „Produkt“ wird eingestellt. Oder
man verlegt sich auf neue, verwandte Produkte, die Gewinn versprechen. So wie einzelne
Unternehmen der pharmazeutischen Industrie nun das Gesundheitsmanagement entdecken,
weil der Markt für Psychopharmaka alleine derzeit wenig lukrativ erscheint [1].
Nicht im Interesse marktorientierter Unternehmen liegt auch die zunächst nicht unmittelbar
„unternehmensnützige“ Beteiligung an Vernetzungsstrukturen, ohne die aber eine gute
psychiatrische Versorgung nicht auskommt.
Wo gemeinnützige Träger selbstverständlicher Teil von Gemeindepsychiatrischen Verbünden,
Suchthilfenetzwerken usw. sind, ist dies bei privatwirtschaftlich betriebenen Unternehmen
häufig fraglich. Bekannt ist dieses Problem aus der Beteiligung der niedergelassenen
Fachärzte, die in vielen Regionen kaum gelingt. Es ist kaum möglich, verbindliche
Vereinbarungen mit den Niedergelassenen einer Versorgungsregion zu treffen, da diese
als Einzelunternehmer unabhängig sind und jeweils nur für sich selbst reden und entscheiden
können. Dadurch wird sogar der für die Kassenärzte theoretisch verpflichtende Sicherstellungsauftrag
in manchen Versorgungsbereichen nicht mehr realisiert (z. B. die Substitutionsbehandlung
Drogenabhängiger oder Regelpsychotherapie).
Ein Vorteil durch private Anbieter in der Krankenversorgung ist für mich nicht erkennbar.
Gutes Unternehmensmanagement beherrschen die öffentlich-rechtlichen und gemeinnützigen
Unternehmen auch. Manche mehr, manche weniger, es besteht diesbezüglich kein Unterschied
zu den Privaten.
Für die o. g. Sektoren, Eingliederungshilfe, Pflege und Rehabilitation gilt Ähnliches
wie für den Geltungsbereich des SGB V. Hier sind ebenfalls private Anbieter unterwegs
(ambulante Pflegedienste, private Pflegeheime, private Reha-Kliniken usw.) und leisten
am einzelnen Klienten/Patienten oft gute Arbeit. Sie in verpflichtende Versorgungsstrukturen
einzubinden, erweist sich jedoch in vielen Regionen als äußerst schwierig, da es häufig
kein wirklich gemeinsames Interesse an der Gesamtversorgung gibt.
Im Grunde ist die Frage, ob Privatinvestoren oder öffentliche/gemeinnützige Unternehmen
geeigneter sind, die sektorübergreifende Versorgung zu gestalten, aber nicht die zentrale,
entscheidende Fragestellung. Diese liegt dahinter: Sollen Gesundheitsversorgung, Wiedereingliederung
und Rehabilitation psychisch kranker Menschen als eine Frage der Versorgung im Sinne
der staatlichen Daseinsfürsorge betrachtet werden oder als ein Marktgeschehen in einer
kapitalistischen Gesellschaft? Betreiben wir eine Gesundheitswirtschaft und bieten
unsere Produkte auf einem Gesundheitsmarkt an oder sichern wir eine qualifizierte
Gesundheitsversorgung für die schwer psychisch Kranken in unserer Bevölkerung?
Nachdem die Krankenversorgung im somatischen Bereich durch die marktorientierten „DRGs“
zunehmend bedroht ist und die Verhältnisse in den Kliniken immer schlechter werden,
gibt es in dieser Debatte einen Hoffnungsschimmer durch das PsychVVG.
Mit der hier erkennbaren Orientierung an Qualität und damit verbundener geregelter
Personalausstattung, unter Berücksichtigung regionaler Besonderheiten und der Möglichkeit,
strukturelle und qualitative Versorgungsaspekte mit in die Pflegesatzverhandlungen
einzubringen, wird ein neuer Weg beschritten. Dies macht Hoffnung auch für die Somatik.
Nachdem lange Zeit die Gleichstellung der Psychiatrie mit der Somatik gefordert wurde,
dreht sich das Verhältnis nun um: Wir hoffen, dass irgendwann die Finanzierung der
somatischen Krankenversorgung der in der Psychiatrie gleichgestellt wird.
Dann könnte es allerdings geschehen, dass – angesichts verbindlicher Personalausstattung
– die Möglichkeit, durch Einsparungen bei den Personalkosten die notwendige Rendite
zu erwirtschaften, deutlich erschwert wird – und der „Markt“ für die privaten Klinikanbieter
weniger attraktiv wird.
Pointiert könnte man sagen: Wo der Markt regiert, wird Gesundheit zum Produktionsziel,
die Fürsorge für den kranken Menschen zum Produkt und die Steuerung des Geschehens
erfolgt über den zu erzielenden Preis. Eine gute, umfassende, regionale Versorgung
auch der aufwendigen, schwer kranken Personen mit komplexem Hilfebedarf, mit denen
wir es in den psychiatrischen Kliniken und Ambulanzen, den betreuten Wohnangeboten
und den Rehabilitationseinrichtungen häufig zu tun haben, wird dadurch gefährdet.
Eine gewisse Sicherheit, dass dies nicht geschieht, bieten öffentliche und frei gemeinnützige
Träger. Dies ist ihre Stärke, deshalb sollten sie gestärkt werden.