Schlüsselwörter
Beckenbodenfunktionsstörungen - Schwangerschaft - postpartal - Fragebogen
Einleitung
Beckenbodenfunktionstörungen wie Harninkontinenz und Deszensus haben häufig zunächst
nur geringe Auswirkungen auf die Lebensqualität und werden als der Lebensphase zugehörig
vorübergehend akzeptiert, z. B. in der Schwangerschaft oder kurz nach der Geburt.
Bei Persistenz und Progredienz können sie jedoch stark das hygienische und soziale
Wohlbefinden der Frauen beeinträchtigen [1], [2], [3] · Trotz der hohen Prävalenz von Harninkontinenz und Genitaldeszensus [4], [5] ist die Aufklärung über die Beckenbodenfunktionalität kein standardisierter präventiver
Prozess im deutschen Gesundheitswesen. Dies würde sich in der Schwangerschaft oder
direkt postpartal, also dem Zeitraum einer hohen Beanspruchung und häufigen Traumatisierung
des Beckenbodens, anbieten.
Eine systematische Erfassung von Beckenbodensymptomen und möglichen prädisponierenden
Faktoren in der Schwangerschaft oder postpartal wurde in Deutschland bisher nicht
publiziert. Dazu bedarf es validierter Erfassungsinstrumente, damit die Fragen gut
verstanden werden, zuverlässig die wirklich beabsichtigten Variablen erfasst werden
und der Fragebogen auch zwischen Frauen mit und ohne Problemen unterscheiden kann
[6]. Die psychometrische Testung eines Fragebogens beinhaltet nach Empfehlungen der
International Consultation on Incontinence (ICI) [6] die Prüfung der Reliabilität, Validität und der Reaktivität.
Validierte Beckenbodenfragebögen bieten die Möglichkeit, Beckenbodensymptome, deren
Frequenz und Stärke, den Verlauf und die Beeinträchtigung der Lebensqualität zu erfassen
[3], [4]. Ziel dieser Arbeit war es, einen bisher nicht für die Schwangerschaft und den postpartalen
Zeitraum verfügbaren Beckenbodenfragebogen zu entwickeln und zu validieren. Ein weiteres
Ziel war die Entwicklung einer Risikodomäne zur Erfassung von Risikofaktoren von Beckenbodenfunktionsstörungen
in der Schwangerschaft, peri- und postpartal. Da die emotionale Verarbeitung der Geburt
und eine postpartale Depression Angaben beeinflussen können [7], [8], sollte der Fragebogen hierzu Fragen enthalten.
Methoden
Aufbau des Fragebogens
Als Grundlage diente die auf deutsch validierte Version des Australian Pelvic Floor
Questionnaires (Deutscher Beckenbodenfragebogen) [9], [10], [11] mit 4 Domänen der Beckenbodenfunktionsbereiche, der Blasen-, Darm-, Halte- und Sexualfunktion.
Komplett neu entwickelt wurden die Domänen zu Risikofaktoren und zum Geburtsverlauf.
Die Entbindungsdomäne umfasste Fragen zum Geburtsverlauf, zur emotionalen Verarbeitung
der Geburt, assoziierter postpartaler Schmerzen und wurde von den Studienteilnehmerinnen
6 Wochen postpartal als Zusatzmodul beantwortet.
Zur Fragebogenanpassung an jüngere Frauen wurden die Fragen zur manuellen Reponierung
eines Deszensus zur Miktion und Defäkation herausgenommen. Neu aufgenommen wurden
Fragen zum Stuhlschmieren als Erweiterung des Bereichs der analen Inkontinenz und
Fragen zur Wahrnehmung der Blasen- bzw. Darmfüllung. Fragen zur Beeinflussung der
Lebensqualität, der Inkontinenzmenge und der Dauer der Symptomatik wurden eingebracht.
Es erfolgten Layoutveränderungen zur besseren Übersicht und Auswertbarkeit.
Validität
Zur Prüfung der Inhaltsvalidität wurden explorative Interviews mit Hebammen, Urogynäkologinnen und Physiotherapeutinnen
durchgeführt, um die Fragebogenkonstruktion und Frageformulierung zu überprüfen. Außerdem
erfolgten Interviews mit nicht urogynäkologisch geschulten Frauen aus den Bereichen
der Kommunikationswissenschaften und der Psychologie. Im Rahmen eines Pretestings
erfolgte die mehrfache Adaptation des Fragebogens an die sprachlichen und kognitiven
Anforderungen der Frauen. Fehlende Angaben im Fragebogen sollten pro Frage nicht mehr
als 4 % betragen, ein höherer Wert lässt auf unverständliche Fragen schließen [12].
Die Konstruktvalidität wurde getestet, um sicherzustellen, dass der Fragebogen signifikant zwischen Frauen
mit und ohne Beckenbodensymptomen diskriminieren kann [12]. Hierzu wurden die Domänenscores der Frauen mit und ohne Leidensdruck verglichen
und auf den bereits aus den Validierungsstudien bekannten differenzierenden Unterschied
von 1 („minimal important difference“) geprüft [11]. Der Leidensdruck wurde für die Blasen-, Darm-, Deszensus- und sexuellen Symptome
mit der Frage „Wie sehr stören Sie Ihre Blasensymptome/Darmsymptome/Senkungssymptome/sexuellen
Symptome?“ erfasst und konnten mit „nicht zutreffend – habe keine Symptome“, „überhaupt
nicht“, „ein wenig“, „ziemlich“ und „sehr“ beantwortet werden. Die Angabe von „ein
wenig“ wurde bereits als Leidensdruck bewertet und die Variable entsprechend dichotomisiert.
Reliabilität
Die Zuverlässigkeit der Ergebnisse aufgrund von Symptomausprägung und nicht von Messfehlern
wurde mit der internen Konsistenz und der Test-Retest-Analyse geprüft. Die interne Konsistenz – die Stärke der Beziehungen der einzelnen Faktoren jeder Domäne zueinander – wurde
mit Cronbachs Alpha geprüft [12], [13].
Die Test-Retest-Reliabilität zur Erfassung der Ergebnisstabilität des Fragebogens erfolgte im 3. Trimenon im Rahmen
des Pretestings. Aufgrund der schnellen körperlichen Veränderungen in der Schwangerschaft
wurde auf den sonst empfohlenen Zeitabstand von 2 Wochen verzichtet und die erneute
Befragung in deutlich kürzerem Abstand durchgeführt [12], [14]. Der Grad der Übereinstimmung wurde mit Cohens Kappa [15] geprüft. Zusätzlich erfolgte die Überprüfung der individuumsgebundenen absoluten
Übereinstimmung der Befragungsergebnisse im Test-Retest mittels Intraclass Correlation
Coefficient ICC [16], [17].
Reaktivität „sensitivity to change“
Die Sensitivität des Fragebogens, Veränderungen nach der Geburt und 1 Jahr postpartal
zu erfassen, wurde über „distribution-based“-Methoden getestet. Hierfür erfolgte die
Kalkulation von Effektgrößen über die mittlere Scoreveränderung und die Standardabweichung
des Ausgangsscores [13] bzw. die Kalkulation der standardisierten Reaktionsmittel über die mittlere Scoreveränderung
und die Standardabweichung der Veränderungen [18]. Es wurde somit überprüft, ob das Scoringsystem der Verlaufsbeurteilung dienen kann.
Frauenkollektiv und Anwendung der Fragebögen
Die Rekrutierung der Frauen erfolgte im Rahmen von präpartalen Sprechstunden und Geburtsvorbereitungskursen
in Berlin. Einschlusskriterien waren nullipare Frauen 18 Jahre oder älter und bisher
unkomplizierte Schwangerschaft. Zu den Ausschlusskriterien gehörten unzureichende
Deutschkenntnisse, Diabetes mellitus, neurologische Erkrankungen sowie fetale Fehlbildungen
und andere Erkrankungen, welche die Compliance für die Fragebogenvalidierung beeinträchtigen
könnten. Auf Basis der berechneten Effektgrößen bei der Validierung des „Deutschen
Beckenboden-Fragebogen“ erfolgte eine Power-Kalkulation bzw. Fallzahlkalkulation.
Mit einer Power von 80 % und einem α = 0,05 kann ab einer Stichprobengröße von n = 50
die Scoreveränderung in einer Domäne um 1 (minimal clinically important difference)
signifikant dargestellt werden [11].
In [Abb. 1] ist der Ablauf der Studie mit Fragebogenentwicklung, Pretesting, eingeschlossenen
Frauen sowie fehlenden Daten grafisch dargestellt. Der Fragebogen wurde im 3. Trimenon
und dann 6 Wochen sowie 1 Jahr postpartal beantwortet. Für die Befragung 1 Jahr nach
der Geburt wurde der Fragebogen per E-Mail verschickt. Alle Interviews und Fragebogenausgaben
erfolgten durch die Erstautorin (MM).
Abb. 1 Studienverlauf und Rekrutierung.
Risikofaktoren und Komorbidität
Die Beckenbodensymptomverläufe, Komorbiditäten und der Einfluss von Risikofaktoren
wurden mit dem Mann-Whitney-U-Test, Kreuztabellen, binär logistischer und in einer
multivariaten Regression auf Unabhängigkeit hin ausgewertet.
Ergebnisse
Initial wurden 233 Frauen im 3. Trimenon rekrutiert. Sie waren im Median 31 (19–46)
Jahre alt. Für die Befragung 6 Wochen nach der Geburt standen 148/233 (64 %) Frauen
zur Verfügung. Von diesen 148 Frauen gebaren spontan vaginal 63 % (94/148), vaginal
operativ 15 % (22/148) und 22 % (32/148) wurden per sectionem entbunden. Nach einem
Jahr beantworteten 120/148 (62 %) Frauen den Fragebogen online oder per Post. Insgesamt
füllten 109 Frauen den Fragebogen zu allen 3 Terminen aus. [Abb. 1] zeigt den Studienverlauf. Die meisten nicht mehr teilnehmenden Frauen waren nicht
kontaktierbar oder füllten den Fragebogen nicht aus. Die im 1. Fragebogen angegebenen
Beckenbodensymptome unterschieden sich nicht signifikant bei Frauen, die weiterhin
teilnahmen, und denen, die nicht teilnahmen (Prävalenz von Harninkontinenz 46 vs.
51 %, anale Inkontinenz 24 und 24 %, Deszensussymptome 30 vs. 21 %, sexuelle Dysfunktion
69 vs. 64 %). Auch das mediane Alter und der BMI war nicht verschieden (31 Jahre sowie
26 und 27 kg/m2 im 3. Trimenon).
In [Abb. 2] sind die Prävalenzen von ausgesuchten typischen Beckenbodensymptomen in den 4 Domänen
über die Befragungszeiträume zusammengefasst. Im 3. Trimenon gaben 49 % der Frauen
eine Harninkontinenz an, vorrangig eine Belastungs- bzw. Mischinkontinenz (45 %).
Aufgrund des Rückgangs der Belastungsinkontinenz im Wochenbett reduzierte sich die
Harninkontinenz auf 36 %. Ein Jahr postpartal trat bei mehr als der Hälfte der Frauen
eine Harninkontinenz auf.
Abb. 2 Prävalenzen (%) der Beckenbodenfunktionsstörungen zu den einzelnen Befragungszeitpunkten.
Reliabilität – interne Konsistenz
Es zeigten sich gute bis sehr gute Werte für Cronbachs Alpha ([Tab. 1]). Da bei weniger als 10 Items in einer Domäne Cronbachs Alpha einen niedrigen Wert
annehmen kann, wurden zusätzlich zur Bestimmung der Homogenität in der Domäne der
Sexualfunktion die Mittelwerte für die Inter-Item-Korrelation berechnet, die mit 0,24
und 0,20 für die Befragungszeitpunkte in der Schwangerschaft und postpartal in einem
sehr guten Bereich von 0,2 bis 0,4 lagen [6]. Cronbachs Alpha für die Entbindungsdomäne war 0,64 mit einem Mittelwert für die
Inter-Item-Korrelation bei weniger als 10 Items von 0,29.
Tab. 1 Reliabilität – interne Konsistenz. Cronbachs-Alpha-Werte der jeweiligen Beckenbodendomäne
für den Fragebogen für schwangere und den für postpartale Frauen.
|
Blasenfunktion
|
Darmfunktion
|
Haltefunktion
|
Sexualfunktion
|
Entbindung
|
3. Trimenon
|
0,78
|
0,79
|
0,77
|
0,65
|
–
|
6 Wochen postpartal
|
0,77
|
0,60
|
0,72
|
0,61
|
0,64
|
Test-Retest-Reliabilität
Die Prüfung der Messstabilität des Fragebogens erfolgte in der Pretesting-Phase mit
47 Frauen, die den Fragebogen im 3. Trimenon der Schwangerschaft ausgefüllt hatten.
In [Tab. 2] sind Cohens Kappa-Werte als Übereinstimmungskoeffizient und der ICC mit einem Konfidenzintervall
von 95 % unter Angabe der unteren und oberen Werte für die jeweiligen Items in der
absoluten Übereinstimmung und als Gesamtwert für den jeweiligen Funktionsbereich dargestellt.
Die Werte lagen zwischen 0,43 als moderate Übereinstimmung und 0,96 als fast vollkommene
Übereinstimmung. In der Blasendomäne lag der ICC zwischen 0,709 und 0,951, in der
Darmdomäne zwischen 0,797 und 0,982, in der Haltefunktionsdomäne zwischen 0,658 und
0,883 und in der Sexualdomäne zwischen 0,644 bis 0,793 im akzeptablen Bereich.
Tab. 2 Test-Retest-Reliabilität. Cohens κ-Werte und Intra-Class-Correlation (ICC) mit Angabe
des Konfidenzintervalls (KI) von 95 %.
Domäne/Frage
|
Kappa einzelne Fragen
|
ICC (95 %-KI) Domänenscores
|
p
|
Blasenfunktion
|
0,43–0,85
|
0,818 (0,709–0,951)
|
< 0,001
|
Darmfunktion
|
0,50–0,96
|
0,874 (0,797–0,982)
|
< 0,001
|
Haltefunktion
|
0,49–0,70
|
0,801 (0,658–0,883)
|
< 0,001
|
Sexualfunktion
|
0,47–0,64
|
0,732 (0,644–0,793)
|
< 0,001
|
familiäre Prädisposition
|
0,88
|
–
|
< 0,001
|
Nikotin
|
0,70
|
–
|
< 0,001
|
Beckenbodenkontraktion
|
0,67
|
–
|
< 0,001
|
perinealer Schmerz
|
0,80
|
–
|
< 0,001
|
Konstruktvalidität
Der Fragebogen diskriminierte über die jeweiligen Domänen-Symptomscores sowohl prä-
als auch postpartal signifikant (p < 0,05) zwischen Frauen mit und ohne Leidensdruck
([Tab. 3]). Bei Frauen mit Leidensdruck sind die Symptomscores in der Blasen-Darm- und Deszensusdomäne
um einen Scorepunkt signifikant höher als bei Frauen ohne Leidensdruck, was dem bereits
etablierten minimal-bedeutsamen Unterschied (minimal important difference) entspricht
[11].
Tab. 3 Konstruktvalidität. Symptom-Score-Unterschiede (Mann-Whitney-U-Test) zwischen Frauen
mit und ohne Leidensdruck.
|
|
Leidensdruck
|
n
|
Scorepunkte Median (Range)
|
p
|
Blasenfunktion
|
3. Trimenon
|
nein
|
160
|
1,5 (0,0–4,4)
|
< 0,001
|
|
|
ja
|
72
|
2,5 (0,6–6,4)
|
|
|
postpartal
|
nein
|
129
|
0,8 (0,0–3,3)
|
< 0,001
|
|
|
ja
|
16
|
1,9 (0,8–5,0)
|
|
Darmfunktion
|
3. Trimenon
|
nein
|
171
|
1,7 (0,0–4,4)
|
< 0,001
|
|
|
ja
|
60
|
2,8 (1,7–5,0)
|
|
|
postpartal
|
nein
|
113
|
1,7 (0,6–3,9)
|
0,037
|
|
|
ja
|
34
|
2,2 (0,6–5,0)
|
|
Haltefunktion
|
3. Trimenon
|
nein
|
210
|
0,0 (0,0–5,0)
|
< 0,001
|
|
|
ja
|
22
|
3,3 (0,0–6,7)
|
|
|
postpartal
|
nein
|
118
|
0,0 (0,0–5,0)
|
< 0,001
|
|
|
ja
|
22
|
3,3 (1,7–6,7)
|
|
Sexualfunktion
|
3. Trimenon
|
nein
|
105
|
0,7 (0,0–4,3)
|
0,045
|
|
|
ja
|
29
|
1,4 (0,7–4,3)
|
|
|
postpartal
|
nein
|
70
|
0,0 (0,0–3,6)
|
< 0,001
|
|
|
ja
|
24
|
1,4 (0,7–3,6)
|
|
Inhaltsvalidität
Für keine der Fragen im endgültigen Fragebogen für schwangere und postpartale Frauen
überstiegen fehlende Antworten 4 %.
Reaktivität und Scoringsystem
In [Tab. 4] sind die Mittelwerte der Domänenscores und der Scoreveränderungen, die Effektgrößen
und die standardisierten Reaktionsmittel aufgeführt. Der Fragebogen zeigte sich reaktiv
gegenüber Veränderungen in der Schwangerschaft und postpartal mit statistisch signifikanten
Scoreveränderungen (p < 0,01), insbesondere bei der Blasenfunktion.
Tab. 4 Reaktivität. Domänenscores, Effektgrößen und standardisiertes Reaktionsmittel (± Standardabweichung)
zur Darstellung der Veränderungen über die verschiedenen Befragungszeitpunkte Schwangerschaft
(SchS) sowie 6 Wochen (6 Wo pp) und 1 Jahr (1 a pp) postpartal (T-Test für gepaarte
Stichproben; T = Zeitpunkt, MW = Mittelwert, Desz. = Deszensus).
Domänenscores
|
MW Score T1
|
MW Score T2
|
MW Scoreänderung
|
Effektgrößen
|
standardisiertes Reaktionsmittel
|
p
|
Blase – SchS – 6 Wo pp
|
2,02 ± 1,1
|
0,93 ± 0,84
|
− 1,09 ± 0,31
|
1,00
|
1,14
|
0,000
|
Blase – 6 Wo pp- 1 a pp
|
0,93 ± 0,84
|
1,07 ± 0,80
|
0,14 ± 0,68
|
0,16
|
0,21
|
0,072
|
Darm – SchS – 6 Wo pp
|
2,03 ± 0,98
|
1,98 ± 1,06
|
− 0,06 ± 1,06
|
0,06
|
0,05
|
0,624
|
Darm – 6 Wo pp – 1 a pp
|
1,98 ± 1,06
|
1,58 ± 1,05
|
− 0,39 ± 0,90
|
0,44
|
0,43
|
0,000
|
Desz. – SchS – 6 Wo pp
|
0,44 ± 1,02
|
0,76 ± 1,31
|
0,32 ± 1,54
|
0,30
|
0,23
|
0,023
|
Desz. – 6 Wo pp – 1 a pp
|
0,76 ± 1,31
|
0,86 ± 1,41
|
0,10 ± 1,42
|
0,07
|
0,07
|
0,482
|
Sex – SchS – 6 Wo pp
|
0,94 ± 1,0
|
1,53 ± 1,1
|
0,59 ± 1,36
|
0,58
|
0,42
|
0,001
|
Sex – 6 Wo pp – 1a pp
|
1,53 ± 1,1
|
0,84 ± 0,97
|
− 0,69 ± 1,17
|
0,60
|
0,59
|
0,000
|
Risikofaktoren
In der univariablen Analyse konnten die familiäre Prädisposition, ein Alter über 35
Lebensjahren, ein BMI ab 25, Nikotinabusus und die subjektive Unfähigkeit, den Beckenboden
willentlich zu kontrahieren, zu verschiedenen Befragungszeitpunkten als Risikofaktoren
eruiert werden. In der Schwangerschaft erwies sich häufiger als 3-mal Sport pro Woche
als ein protektiver Faktor gegenüber der analen Inkontinenz. Rückenschmerzen, schweres
Heben, langes Sitzen und chronischer Husten waren dagegen keine Risikofaktoren.
Geburtsparameter wie Geburtsmodus, Geburtsverletzungen, Episiotomie, Naht, Wundschmerz,
Geburtsgewicht, Stillen, die Teilnahme an einem Rückbildungskurs und deren Assoziation
zu Symptomen der Beckenbodendysfunktion wurden analysiert. Bei einer vaginalen Geburt
war gegenüber einer Sectio das Risiko, 6 Wochen post partum Harninkontinenzsymptome
zu entwickeln, 3-fach erhöht (OR 2,7 [1,0–7,1]), 1 Jahr postpartal war jedoch kein
erhöhtes Risiko mehr zu verzeichnen. Bei Deszensussymptomen erhöhte sich allerdings
1 Jahr nach der vaginalen Geburt das Risiko von OR 5,1 (1,1–23,2) 6 Wochen postpartal
auf OR 8,2 (1,9–36,2). Die Ergebnisse der multivariablen logistischen Regression sind
in [Tab. 5] zusammengefasst.
Tab. 5 Signifikante relevante Risikofaktoren für Beckenbodenfunktionsstörungen: Odds Ratios
in der multivariablen Analyse (OR = Odds Ratio, 95 %-KI; BBK = Beckenbodenkontraktion).
|
Befragungszeitpunkt
|
Risikofaktoren
|
Regressionskoeffizient B
|
p
|
OR (KI)
|
Harninkontinenz
|
3. Trimenon
|
Unfähigkeit BBK
|
1,554
|
0,032
|
4,7 (1,1–19,6)
|
|
|
fam. Prädisposition
|
0,748
|
0,049
|
2,1 (1,0–4,5)
|
|
|
BMI 25+
|
0,671
|
0,022
|
2,0 (1,1–3,5)
|
|
6 Wochen postpartal
|
BMI 25+
|
1,111
|
0,008
|
3,0 (1,3–6,9)
|
|
1 Jahr postpartal
|
fam. Prädisposition
|
1,207
|
0,036
|
3,3 (1,1–10,3)
|
|
|
Alter 35+
|
1,323
|
0,022
|
3,8 (1,2–11,6)
|
anale Inkontinenz
|
3. Trimenon
|
Unfähigkeit BBK
|
1,554
|
0,022
|
4,7 (1,2–18,0)
|
|
|
fam. Prädisposition
|
0,865
|
0,026
|
2,4 (1,1–5,1)
|
|
|
Sport > 3×/Woche
|
− 0,685
|
0,040
|
0,5 (0,3–1,0)
|
|
1 Jahr postpartal
|
Alter 35+
|
1,029
|
0,020
|
2,8 (1,2–6,6)
|
|
|
Unfähigkeit BBK
|
1,125
|
0,015
|
3,1 (1,2–7,6)
|
Deszensus
|
6 Wochen postpartal
|
Nikotinabusus
|
0,719
|
0,049
|
2,1 (1,0–4,2)
|
|
1 Jahr postpartal
|
fam. Prädisposition
|
1,181
|
0,016
|
3,3 (1,3–8,5)
|
sexuelle Dysfunktion
|
3. Trimenon
|
Unfähigkeit BBK
|
0,920
|
0,012
|
2,5 (1,2–5,1)
|
|
|
Nikotinabusus
|
0,951
|
0,008
|
2,6 (1,3–5,2)
|
Diskussion
Der speziell für schwangere und postpartale Frauen modifizierte selbstadministrierte
Beckenbodenfragebogen zeigte sich zuverlässig, valide und reaktiv. Der hier entwickelte
Fragebogen ist eine adaptierte Version des an urogynäkologischen Patientinnen validierten
Deutschen Beckenbodenfragebogens [9], [11]. Der Deutsche Beckenbodenfragebogen wurde als Grundlage gewählt, da er selbstadministriert
in 42 Fragen mit separaten Skalen Symptome aller Beckenbodenfunktionsbereiche, unterer
Harntrakt-, Darm-, Halte-, und Sexualfunktion mit Schweregrad, Häufigkeit und jeweils
die Beeinflussung der Lebensqualität erfasst. Weitere deutschsprachige validierte
Fragebögen, die alle Bereiche der Beckenbodendysfunktion erfassen oder hinsichtlich
Schwangerschaft und Geburt psychometrisch getestet wurden, existierten nicht. Auch
in der internationalen Literatur wurden trotz einer Vielzahl von validierten Fragebögen
zur jeweiligen Erfassung von Harn- oder Stuhlinkontinenz, Deszensussymptomen oder
sexueller Dysfunktion keine Instrumente gefunden, die für schwangere oder postpartale
Frauen entwickelt wurden.
Die interne Konsistenz – also die Stärke der Beziehungen der einzelnen Faktoren jeder
Domäne zueinander – wurde mittels Cronbachs Alpha erfasst. Es zeigten sich akzeptable
bis gute Werte. Für die Sexualfunktion und die Entbindungsdomäne wurden zusätzlich
die Mittelwerte für die Inter-Item-Korrelation berechnet, da bei einer Itemzahl < 10
Cronbachs Alpha einen niedrigen Wert annehmen kann. Die Inter-Item-Korrelationen lagen
zwischen 0,20 und 0,29 und damit im Optimalbereich von 0,2 bis 0,4. Der Gesamtwert
des Fragebogens für Cronbachs Alpha lag mit 0,69 im Bereich für empfehlenswerte Befragungsinstrumente
[12], [13]. Eine Überprüfung der Domäne der Risikofaktoren erfolgte nicht, da keine Beziehungen
der sehr unterschiedlichen Punkte (Beckenboden-Willkürkontraktion, familiäre Prädisposition,
Nikotinabusus) zu erwarten waren. Des Weiteren wurden die objektivierbaren Risikofaktoren
BMI und Alter keiner Reliabilitätsprüfung unterzogen.
Für die Anwendung eines Fragebogens in einer longitudinalen Studie ist die Stabilität
des Befragungsinstruments von Bedeutung. Mangelnde Stabilität kann zu einer Fehlinterpretation
der Symptomfluktuation durch Progress und Remission sowie Ausprägung der Symptomstärke
und -frequenz führen. Aufgrund des zu erwartenden starken Einflusses von Schwangerschaft
und Geburt erfolgte die Überprüfung der Kurzzeit-Test-Retest-Reliabilität nicht im
Befragungsabstand von 14 Tagen, sondern mit einem Zeitabstand von einem Tag. Die Werte
der Übereinstimmungskoeffizienten der Test-Retest-Befragung ergaben mit 0,43 bis 0,96
eine moderate bis fast vollkommene Übereinstimmung. Die Intraclass-Correlation-Coefficients
lagen für die Domänenscores über 0,7 im akzeptablen bis exzellenten Bereich.
Die Konstruktvalidität konnte über signifikante Unterschiede zwischen den Domänen-Symptomscores
bei Frauen mit und ohne Leidensdruck gezeigt werden. Bei Frauen mit Leidensdruck ist
der Symptomscore der Blasenfunktion 1,0–1,1 Scorepunkte (Schwangerschaft und postpartal)
signifikant höher als bei Frauen ohne Leidensdruck, bei der Darmfunktion 0,5–1,1 Scorepunkte,
bei der Haltefunktion 3,3 Scorepunkte und bei der Sexualfunktion 0,7–1,4 Scorepunkte.
Diese Scoreunterschiede stimmen mit den Angaben der Minimal important Difference in
den einzelnen Domänen überein [11]. Generell erscheint die Erfassung des Leidensdrucks ein gutes Mittel zu sein, um
symptomatische Frauen einer Behandlung zuzuführen. Ein bestimmter Dysfunktionsscore
im Fragebogen muss hierfür nicht erreicht werden.
Die Konstruktvalidität und die interne Konsistenz wurden für den Fragebogen 6 Wochen,
aber nicht mehr 1 Jahr postpartal angegeben. Der postpartale Fragebogen wurde so zusammengestellt,
dass er auch 3 oder 12 Monate nach der Geburt angewendet werden kann. Zu diskutieren
wäre im weiteren Verlauf nach einer Geburt dann die Anwendung eines für die allgemeine
Bevölkerung oder für urogynäkologische Patientinnen validierten Instruments.
Auf die Testung der konvergenten Validität wurde für diesen Fragebogen verzichtet,
da kein anderer auf Deutsch validierter Fragebogen zum Vergleich herangezogen werden
konnte. Für den Deutschen Beckenbodenfragebogen für urogynäkologische Patientinnen
konnte die konvergente Validität über die Prüfung der abgefragten Symptome und der
klinischen Einschätzung des Deszensus nach IUGA/ICS-Standardisierung sowie mit den
Ergebnissen von Stresstest und Urodynamik gezeigt werden [9].
Die Inhaltsvalidität konnte durch eine Beantwortungsrate von mehr als 96 % der jeweiligen
Fragen bestätigt werden. Des Weiteren wurden im Vorfeld die Identifizierung von Symptomen,
die Überprüfung des Fragebogens als Konstrukt und die fundierte Formulierung der Items
über Experteninterviews vorgenommen.
Die Reaktivität des Fragebogens (Sensitivität gegenüber Veränderungen) zeigte sich
vom Befragungszeitpunkt im 3. Trimenon gegenüber allen folgenden Befragungen 6 Wochen
und 1 Jahr postpartal in allen Domänen. Die prospektiv erhobenen longitudinalen Daten
über Beckenbodensymptome weisen den aus internationalen Studien bekannten Symptomverlauf
auf [19], [20], [21]. Bei der Blasenfunktion ergaben sich die stärksten Scoreveränderungen, sowohl aufgrund
der Häufigkeit in der Schwangerschaft als auch aufgrund des Symptomrückgangs post
partum. Die Rate an Frauen, die nicht teilnahmen, war relativ hoch (25 % 6 Wochen
und 38 % 1 Jahr postpartal), was jedoch nicht selten ist bei Fragebogenerhebungen
[22], [23]. Die Analyse der demografischen Daten und der Beckenbodensymptome beim initialen
Befragungszeitpunkt in der Schwangerschaft zeigte für weiterhin teilnehmende und nicht
teilnehmende Frauen keine signifikanten Unterschiede. Dies kann sicher als Schwäche
dieser Studie gewertet werden, obwohl die eigentliche Fragebogenvalidierung davon
nicht abhängig ist.
Die für postmenopausale Frauen etablierten Risikofaktoren zeigten auch in der Schwangerschaft
und post partum eine signifikante Assoziation mit dem Auftreten von Beckenbodendysfunktionen:
familiäre Prädisposition, ein Alter von über 35 Lebensjahren bei der Geburt, ein BMI
ab 25 und Nikotinabusus. Zusätzlich war die subjektive Unfähigkeit, den Beckenboden
willentlich zu kontrahieren, mit Beckenbodenproblemen vergesellschaftet. Als protektiver
Faktor erwies sich Sport häufiger als 3-mal pro Woche. Ein Teil dieser Faktoren ist
modifizierbar und hierin liegt die Bedeutung des Risikomoduls. Frauen können gezielt
über ihr erhöhtes Risiko aufgeklärt werden. Und wenn sie übergewichtig sind, rauchen
oder den Beckenboden nicht gezielt anspannen können, können entsprechende Maßnahmen
ergriffen werden. Neben der Eigenverantwortung der Frauen für ihren Lebensstil sollten
die betreuenden Frauenärztinnen und -ärzte ggf. eine spezifische Beckenbodenrehabilitation
verschreiben. Interessanterweise erhöhte die vaginale Geburt nur bei der Befragung
6 Wochen post partum das Risiko für eine Harninkontinenz, nicht mehr 1 Jahr postpartal.
Bei den Teilnehmerinnen dieser Studie konnten keine Geburtsparameter als Risikofaktoren
eruiert werden bis auf den postpartalen Wundschmerz, dessen Bedeutung in unserem Setting
ungeklärt ist. Hier scheint es 1 Jahr nach der Geburt eher um die emotionale Verarbeitung
der Schmerzen peripartal zu gehen.
Eine Stärke dieser Studie ist das relativ homogene Frauenkollektiv, was zugleich eine
Schwäche ist, da der Fragebogen hier nur bei primiparen Frauen angewendet wurde. Primiparae
wurden gewählt, um die Symptomveränderungen und mögliche Risikofaktoren darstellen
zu können. Im postpartalen Modul des endgültigen Fragebogens wird jedoch auf vorangegangene
Geburten eingegangen, damit der Fragebogen für alle Frauen anwendbar ist. Eine weitere
Stärke der Studie ist, dass das Kollektiv von einer Person befragt wurde, sodass unterschiedliche
Fragetechniken z. B. bei der initialen Fragebogenentwicklung keine Rolle spielten.
Obwohl für die Reliabilitätsprüfung des Fragebogens nur 50 Frauen notwendig waren,
sind deutlich mehr Frauen rekrutiert worden, da ein weiteres Ziel die Erhebung von
Risikofaktoren war und eine hohe Ausfallrate eingerechnet wurde.
Schlussfolgerung
Ein validierter Fragebogen für die Erfassung von Risikofaktoren und Symptomen einer
Beckenbodenfunktionsstörung, deren Häufigkeit, Stärke und Beeinflussung der Lebensqualität
in der Schwangerschaft und postpartal steht nun zur Verfügung. Das Scoringsystem ermöglicht
die Verlaufsbeurteilung. Der Einfluss von Risikofaktoren wurde analysiert und in einer
neu entwickelten Risikodomäne zusammengefasst.