Schlüsselwörter
Netzhaut - Netzhautdegeneration - Photorezeptor - Transplantation - Stammzelle
Key words
retina - retinal degeneration - photoreceptor - transplantation - stem cell
Einleitung
Die Netzhaut des Auges erlaubt die Detektion von Licht und vermittelt damit die Fähigkeit,
die uns umgebende Welt visuell wahrzunehmen. Die lichtsensitiven Zellen der Netzhaut
– Stäbchen- und Zapfenphotorezeptoren – sind die erste Station der visuellen Wahrnehmung
und essenziell für den Sehprozess. Sie vermitteln die Umwandlung der physikalischen
Lichtsignale in veränderte Membranpotenziale, welche die Ausschüttung des Neurotransmitters
Glutamat an der Synapse regulieren. Verschiedene Erkrankungen, wie Retinitis pigmentosa
(RP), Leberʼsche kongenitale Amaurose (LCA) und die altersbedingte Makuladegeneration
(AMD) resultieren in der funktionellen Beeinträchtigung und dem Verlust von Photorezeptoren
und führen schlussendlich zu Blindheit. Sie stellen eine nicht zu unterschätzende
Belastung sowohl für Patienten und deren Angehörige als auch für das Gesundheitssystem
dar. Allein für die AMD wurde eine Prävalenz von 11,9 % AMD-Betroffener in einer deutschen
Kohorte (Alter 35–74 Jahre) ermittelt, wobei innerhalb dieser Gruppe 0,2 % mit dem
Spätstadium der AMD diagnostiziert wurden [1]. Bei über 75-Jährigen wächst danach der Anteil von Betroffenen mit fortgeschrittener
AMD signifikant auf mehr als 5 % an [2]. Mit weiter steigender Bevölkerungszahl und Lebenserwartung sind zudem immer mehr
Menschen dem Risiko ausgesetzt, an einer netzhautbedingten Sehbehinderung bis hin
zur Erblindung zu erkranken [3]. Diese Perspektiven haben zur Entwicklung verschiedener therapeutischer Strategien
geführt, wie z. B. der Neuroprotektion [4], Gentherapie [5], Antikörpertherapie [6], optogenetischen Ansätzen [7], retinalen Prothesen [8] sowie zellbasierten Therapien.
Einige dieser Behandlungsansätze zielen darauf ab, verbliebene Photorezeptoren zu
erhalten und zu reparieren und müssen somit in frühen Krankheitsstadien angewendet
werden (z. B. Gentherapie, Neuroprotektion). Therapeutische Ansätze in späten Krankheitsstadien,
in denen ein Großteil aller Photorezeptoren bereits verloren ist, müssen hingegen
neue lichtsensitive Hilfsmittel in die Netzhaut einbringen, um die Sehfähigkeit wiederherzustellen.
Kandidaten für einen solchen Ansatz sind z. B. die Transplantation von Photorezeptoren
([Abb. 1]), das Einbringen eines lichtsensitiven Chips oder eine Veränderung anderer Nervenzellen
der Netzhaut durch optogenetische Werkzeuge, sodass diese auf Licht reagieren können.
Diese müssen zur Signalweiterleitung auf die nach einer Photorezeptordegeneration
noch verbliebenen retinalen Zellschichten zurückgreifen. Von besonderer Wichtigkeit
ist dabei die innere nukleäre Schicht. Diese enthält neben Amakrinzellen und Müller-Zellen
insbesondere die den Photorezeptoren direkt synaptisch nachgeschalteten Bipolar- und
Horizontalzellen ([Abb. 1]). Interessanterweise bleibt diese Zellschicht auch lange nach einer Photorezeptordegeneration
weiter intakt, auch wenn es zu einem Rückzug dendritischer Fortsätze sowie einer Remodellierung
des verbleibenden Netzhautgewebes kommt [9], [10]. Tatsächlich haben künstliche lichtsensitive Sensoren, d. h. retinale Prothesen,
welche in die Netzhaut transplantiert werden und die Neuronen der inneren nukleären
Schicht mit elektrischen Signalen stimulieren, in ersten klinischen Anwendungen zur
Wiederherstellung einer generellen visuellen Wahrnehmungsfähigkeit bei betroffenen
Patienten geführt [11]. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass die für die Signalweiterleitung essenziellen
sekundären Neuronen in der inneren nukleären Schicht weiter intakt bleiben und sie
dadurch auch für Zellersatzstrategien zugänglich sein könnten. Mehrere Gründe unterstreichen
diesen vielversprechenden Ansatz: 1. Das Auge ist zum einen relativ gut operativ zugänglich
und modifizierbar und zum anderen ist durch seine separierte Lage, im Vergleich zu
anderen Organen, das Risiko etwaiger systemischer Nebenwirkungen nach Eingriffen geringer.
2. Photorezeptoren befinden sich angrenzend zu einer Epithelschicht – dem retinalen
Pigmentepithel (RPE). Der Kontakt zwischen dem RPE und den Außensegmenten der Photorezeptoren
ist relativ lose, was eine Injektion von Spenderzellen in den sog. subretinalen Spalt
begünstigt, da diese weniger traumatisch als Transplantationen in einen festen Gewebeverbund
ist. Bei noch vorhandenen endogenen Photorezeptoren kann es hier zu Schädigungen kommen,
die aber bei starken Degenerationsstadien, in denen der Großteil aller Photorezeptoren
bereits abgestorben ist, nur eine geringe Rolle spielen. 3. Das Auge repräsentiert
ein partiell immunprivilegiertes Organ, das in geringerem Maße zu Abstoßungsreaktionen
von Fremdmaterial neigt [12], [13]. Darüber hinaus müssten transplantierte Photorezeptoren ihre Axone auf der einen
Seite und endogene Horizontalzellen und Bipolarzellen ihre Dendriten auf der anderen
Seite nur wenige Mikrometer weit projizieren, um synaptische Verbindungen aufzubauen.
Einen wichtigen Durchbruch für Zellersatzstrategien stellt außerdem die Differenzierung
von induzierten und embryonalen pluripotenten Stammzellen zu sog. retinalen Organoiden
dar, aus denen theoretisch unbegrenzt Spenderphotorezeptoren gewonnen werden können
[14], [15]. In Kombination mit Fortschritten der Geneditierung, wie z. B. der CRISPR-/Cas9-Technologie,
stellen insbesondere induzierte pluripotente Stammzellen (iPSZ) neue Möglichkeiten
einer individualisierten Medizin dar, bei der patienteneigene somatische Zellen reprogrammiert,
gentechnisch korrigiert und nach Differenzierung als Spenderzellen verwendet werden
([Abb. 2]), was mögliche Abstoßungsreaktionen vermindern, wenn nicht gar vollständig verhindern
könnte. Die Charakterisierung dieser potenziellen Spenderzellen und ihres regenerativen
Potenzials nach Transplantation wie auch die weitere Optimierung der notwendigen Zellkultursysteme
sind Gegenstand aktueller Untersuchungen.
Abb. 1 Subretinale Transplantation nach kompletter Photorezeptordegeneration. Transplantation
von primären (Maus) oder ESZ-/iPSZ-abgeleiteten (Human/Maus) Photorezeptoren (grün)
in den subretinalen Raum einer Netzhaut mit kompletter Photorezeptordegeneration.
RPE: retinales Pigmentepithel; ÄNS: äußere nukleäre Schicht; INS: innere nukleäre
Schicht; RGS: retinale Ganglienzellschicht.
Abb. 2 Generierung, Anreicherung und Transplantation von Photorezeptoren. Spenderphotorezeptoren
können aus mehreren Quellen gewonnen werden: Nagernetzhäuten, reprogrammierten somatischen
Zellen oder der inneren Zellmasse von Blastozysten, aus denen embryonale (ESZ) oder
induzierte pluripotente Stammzellen (iPSZ) entstehen. Expandierbare Zellquellen können
mithilfe der 3D-Technologie kultiviert werden, was in der Generierung von photorezeptorreichen
retinalen Organoiden resultiert. Nach der Selektion des geeigneten Entwicklungsalters
des primären Gewebes bzw. des Kultivierungstages bei retinalen Organoiden können die
Spenderzellen entweder über „fluorescent activated cell sorting“ (FACS) oder „magnetic
activated cell sorting“ (MACS) mithilfe von Reporterfluoreszenz oder Zelloberflächenmarkern
angereichert und anschließend transplantiert werden.
In diesem Übersichtsartikel fassen wir Ergebnisse der wichtigsten Studien zur Photorezeptortransplantation
der letzten Jahre und neuer Entwicklungen in diesem Forschungsfeld zusammen. Dabei
werden die Migration und Integration von Spenderzellen in die äußere nukleäre Schicht
als wichtiger Hinweis einer erfolgreichen Transplantation beschrieben. Diese bislang
allgemein angenommene Hypothese, die auf der Detektion von fluoreszierenden Reporterproteinen
innerhalb der Empfängernetzhaut beruhte, wurde kürzlich durch mehrere Studien infrage
gestellt. Demnach liegt dieser Beobachtung nicht die strukturelle Integration der
transplantierten Zellen zugrunde, sondern der Transfer von zytoplasmatischem Material,
somit auch fluoreszierender Reporterproteine, von Spender- zu Empfängerphotorezeptoren
([Abb. 3]) [16], [17], [18]. Wir werden aufgrund der historischen Perspektive in der Beschreibung früherer Arbeiten
weiterhin von „Integration“ bzw. generell von erfolgreicher Transplantation sprechen,
wenn reporterpositive Zellen innerhalb der Empfängernetzhaut aufgezeigt wurden. Eine
detaillierte Beschreibung des Transfers von zytoplasmatischem Material erfolgt dann
im Abschnitt „Zytoplasmatischer Materialtransfer vs. strukturelle Integration“.
Abb. 3 Paradigmenwechsel in der Photorezeptortransplantation. Nach subretinaler Transplantation
wurde die strukturelle Integration von Spenderphotorezeptoren als zugrunde liegender
Mechanismus für die Verbesserung von Sehfähigkeit in vorklinischen Studien angenommen.
Tatsächlich sind die Mehrheit der „integrierten“ Spenderzellen in der Photorezeptorschicht
der Empfängerretina endogene Photorezeptoren, die zytoplasmatisches Material mit im
subretinalen Raum befindlichen Spenderphotorezeptoren austauschen. Als möglicher Mechanismus
dieses Austauschs werden Zell-Zell-Kanäle, frei diffundierende Moleküle oder ein Mikrovesikeltransport
diskutiert. RPE: retinales Pigmentepithel; SRR: subretinaler Raum; AS/IS: Außensegmente/Innensegmente
der Photorezeptorzellen; ÄNS: äußere nukleäre Schicht.
Entwicklung einer Photorezeptorersatztherapie: erste Schritte
Entwicklung einer Photorezeptorersatztherapie: erste Schritte
Erste vorklinische Studien zur Photorezeptortransplantation wurden bereits in den
80ern und frühen 90ern des letzten Jahrhunderts durch Del Cerro, Silvermann sowie
Hughes und Gouras in Mäusen und Ratten durchgeführt. Hierfür wurden primäre Netzhäute
von Versuchstieren dissoziiert und in Empfängeraugen transplantiert. Trotz technischer
Limitationen zu dieser Zeit wurden bereits Schlüsselideen, wie die Markierung der
Spenderzellen [19], [20], [21], [22], [23] oder deren Anreicherung (mittels Mikroaggregaten), [24] ausgearbeitet. Zur Markierung von Spenderphotorezeptoren wurde zum einen 3 H-Thymidin und später dann auch ein transgener Marker, d. h. Betagalaktosidase (LacZ),
genutzt. Das Potenzial eines Photorezeptorersatzes wurde bereits in diesen initialen
Studien durch histologische Untersuchungen deutlich, wobei maßgebliche morphologische
wie auch ultrastrukturelle Analysen durchgeführt wurden. Es wurde außerdem zum einen
das Überleben der Transplantate in Wildtypempfängern sowie Mausmodellen retinaler
Degeneration bis zum 9. Monat gezeigt und zum anderen die Ausbildung primitiver Photorezeptoraußensegmente
und Synapsen beschrieben, wobei weiterführende Untersuchungen zur Expression von Genen
oder der Funktion der Spenderzellen noch nicht gezeigt wurden [20], [21], [22], [24], [25].
Basierend auf diesen initialen Experimenten zielten einige Studien darauf ab, verlorene
Photorezeptoren durch expandierte retinale Vorläuferzellen, primäre Retinazellen oder
Photorezeptor-„Sheets“ zu ersetzen [26], [27], [28], [29]. Allerdings konnte dabei selten ein vollständiges Ausdifferenzieren der Spenderzellen
in reife Photorezeptoren mit komplett ausgebildeten Außensegmenten beobachtet und
nur limitierte Funktionsverbesserungen mittels Pupillometrie gezeigt werden, was für
die Notwendigkeit weiterer Verbesserungen dieser Ansätze spricht [30]. Interessanterweise wurde die Verwendung von in vitro expandierten retinalen Vorläufer-/Stammzellen
für den Photorezeptorersatz in anderen Studien infrage gestellt, da nur ein limitiertes
Differenzierungspotenzial dieser Zellen zu Photorezeptoren aufgezeigt werden konnte
[31], [32], [33], [34].
Transplantation von jungen Photorezeptoren
Transplantation von jungen Photorezeptoren
Ein bedeutender Durchbruch bei der Photorezeptortransplantation wurde erzielt, als
MacLaren und Kollegen [35] gefolgt von Bartsch et al. [36] das optimale Alter für Spenderphotorezeptoren identifizierten, welches in einer
höheren Überlebens- und Integrationsrate der Spenderzellen in die Empfängerretina
resultierte. Dabei wurden auch zum ersten Mal Spenderphotorezeptoren der stäbchenspezifischen
Reporterlinie NRL-GFP [35] verwendet, was die Anreicherung und das Lokalisieren der Zellen im Empfänger erheblich
vereinfachte. Diese Studien zeigten, dass junge postmitotische Photorezeptoren, isoliert
zum Höhepunkt der Stäbchengenese (d. h. in der Maus am postnatalen Tag [P] 4–6), die
höchste Integrationseffizienz in Wildtyp- und degenerierende Retinae aufweisen. Retinale
Zellen, die hingegen zu früheren oder späteren ontogenetischen Zeitpunkten isoliert
wurden (d. h. von Embryonaltag 11,5 bis adult), zeigten eine signifikant niedrigere
Integrationsrate. Nach der Transplantation waren die Zellkörper von GFP+-Zellen korrekt in der äußeren nukleären Schicht des Empfängers lokalisiert und besaßen
präsynaptische Endigungen und Außensegmente, die denen adulter Stäbchenphotorezeptoren
entsprachen [35], [36]. Mittels Pupillometrie und extrazellulären Feldpotenzialmessungen konnten dabei
auch erste Hinweise auf eine tatsächliche funktionale Verbesserung nach Transplantation
gesammelt werden [35]. Darüber hinaus generierten diese Spenderzellen die charakteristischen Photorezeptorsynapsenverbindungen
zu den Dendriten von Horizontalzellen und Bipolarzellen [37] und formten Außensegmente mit korrekt angeordneten, gestapelten Diskmembranen, was
durch korrelative Lichtelektronenmikroskopie visualisiert werden konnte [38]. Zudem konnten außensegmentähnliche Strukturen auch beobachtet werden, wenn primäre
Photorezeptoren in den subretinalen Spalt eines Degenerationsmausmodells für autosomal-dominante
RP im Endstadium (P347S Maus) [39] und somit einem praktisch vollständigen Photorezeptorverlust transplantiert wurden
[38].
Auch adulte Photorezeptoren zeigten das Potenzial zur Integration, allerdings mit
signifikant geringerer Integrationsrate als junge Photorezeptoren [40]. Dies könnte auf eine schlechtere Überlebensrate von adulten Photorezeptoren nach
mechanischer und enzymatischer Dissoziation des Netzhautgewebes zurückzuführen sein,
da dies zum Verlust der Außensegmente und axonalen Ausläufer und damit auch zu einem
beschleunigten Zelltod führen könnte [41].
Um das Überleben von Spenderphotorezeptoren zu verbessern, wurde in einer ersten Studie
ein antiapoptotischer Faktor, das „X-linked inhibitor of apoptosis protein“ (XIAP),
in den Spenderzellen zusätzlich exprimiert [42], wodurch es in Langzeitexperimenten (bis zu 8 Monate nach Transplantation) zu einem
signifikant verbesserten Überleben der Spenderstäbchen kam. Trotz des verbesserten
Überlebens variierten die Integrationsraten in Abhängigkeit vom Alter des Empfängers:
Ältere Empfänger waren zugänglicher für Zellintegrationen verglichen mit jüngeren
Vergleichsgruppen, was auf einen Einfluss des Empfängermilieus für den Erfolg einer
Transplantation hinweist.
Dagegen beobachteten Barber und Kollegen [43], dass die Integrationseffizienz von Spenderstäbchen mit steigendem Alter leicht
abnahm. Allerdings ist ein direkter Vergleich der Resultate dieser Studien aufgrund
von Unterschieden in der Methodik schwierig. Das bedeutet, dass die Abhängigkeit des
Überlebens und der Integration von Spenderphotorezeptoren vom Alter des Empfängers
noch nicht exakt evaluiert ist und dass das Wissen hinsichtlich der potenziellen Mechanismen,
welche die Migration von Photorezeptoren in die äußere nukleäre Schicht bestimmen,
noch weiter untersucht werden muss.
Anreicherung von Spenderphotorezeptoren
Anreicherung von Spenderphotorezeptoren
In den ersten Studien, in denen vollständige Netzhäute dissoziiert und zur Transplantation
verwendet wurden, war die beschriebene Anzahl an integrierten Spenderphotorezeptoren
gering (ca. 2000–3000 Zellen) [35], [36]. Zur Herstellung homogenerer Suspensionen und Vermeidung kontaminierender Zellen
wurden Spenderzellen aus Suspensionen ganzer Retinae durch „fluorescence activated
cell sorting“ (FACS) oder „magnetic-activated cell sorting“ (MACS) angereichert ([Abb. 2]). Durch Verwendung transgener Mäuse mit einer stäbchenspezifischen Expression von
GFP konnte der Anteil an Spenderphotorezeptoren in der Injektionssuspension auf über
95 % durch FACS angereichert werden, was zu einer signifikant erhöhten Anzahl integrierter
Photorezeptoren nach Transplantation führte [35], [37], [43], [44], [45].
Alternativ wurden Verfahren entwickelt, Stäbchenphotorezeptoren mittels Zelloberflächenmarkern
anzureichern, da man dadurch die Notwendigkeit fluoreszierender Spenderzellen umgeht.
Eine Sortierung basierend auf Oberflächenmarkern hat den Vorteil einer leichteren
Etablierung in der klinischen Anwendung, da Methoden wie das MACS bereits unter Reinraumbedingungen
etabliert wurden. Unter anderem wurde CD73 (ecto-5'-nucleotidase) als ein Marker für
Stäbchenphotorezeptoren identifiziert und entweder allein [46] oder in Kombination mit CD24 [44] für die Anreicherung vor der Transplantation genutzt, was zu einem signifikanten
Anstieg der Zahl integrierter Stäbchen in die adulte Mausretina im Vergleich zu nicht
angereicherten Zellfraktionen führte. Eine ähnliche Herangehensweise wurde mit aus
embryonalen Mausstammzellen gewonnenen Stäbchen (siehe unten) angewandt, wobei eine
Kombination von Antikörpern identifiziert wurde (CD73+/CD133+/CD24+/CD47+/CD15−, „photoreceptor precursor panel [PPr]“ genannt), die spezifisch transplantationskompetente
Stäbchen markieren. PPr-positive Stäbchen waren danach in der Lage, in einem höheren
Maß, verglichen mit nicht angereicherten oder PPr-negativen Zellfraktionen, zu integrieren
[47]. Weitere spezifische Zelloberflächenmarker, wie z. B. Cacna2d4, Kcnv2 und Cnga1,
wurden identifiziert, die potenziell dazu genutzt werden könnten, um Stäbchenphotorezeptoren
anzureichern, wobei das Fehlen zuverlässiger Antikörper ihre Verwendung bisher einschränkt
[48], [49]. Bislang wurden noch keine spezifischen Oberflächenmarker oder Markerkombinationen
für die Sortierung und Anreicherung von Zapfen veröffentlicht.
Transplantation in Mausmodelle retinaler Degeneration
Transplantation in Mausmodelle retinaler Degeneration
Ein Großteil der Studien zur Photorezeptortransplantation wurde an Mausmodellen retinaler
Degeneration durchgeführt. Durch das Vorhandensein spezifischer Modelle, die entweder
Stäbchen- oder Zapfendegeneration oder beides aufweisen, können Zellersatztherapien
unter verschiedenen degenerativen Bedingungen der Netzhaut untersucht und entwickelt
werden.
Transplantation in Stäbchendegenerationsmodelle
Da in den mit Abstand meisten Transplantationsstudien Mausmodelle Verwendung fanden,
liegen die meisten Daten zur Photorezeptortransplantation derzeit für Stäbchen vor.
Die Maus als nachtaktives Lebewesen enthält in der Netzhaut zum überwiegenden Teil
Stäbchen (97 %) und nur 3 % Zapfen [50]. Somit konnten ausreichende Mengen an Spenderzellen aus der Netzhaut von Reportermäusen,
insbesondere der stäbchenspezifischen Reporterlinie NRL-GFP [51], isoliert und für Transplantationsstudien in Mausmodellen mit Stäbchendegeneration
genutzt werden [37], [43].
Pearson et al. nutzten für ihre Transplantationsstudien eine „knock-out“-Maus, in
der das Gen für die „guanine nucleotide-binding protein G subunit alpha-1“ ausgeschaltet
wurde (Gnat1−/−-Maus) [37]. Da dieses Protein spezifisch in ausgereiften Stäbchen exprimiert wird, führt dessen
Fehlen zu einer beeinträchtigten Stäbchenfunktion und in deren Folge zu Nachtblindheit.
Hier zeigten die Spenderzellen ein Überleben für mehrere Wochen, entwickelten die
Morphologie reifer Photorezeptoren und exprimierten essenzielle Proteine der Lichttransduktionskaskade
[37]. Durch eine Verbesserung der Injektionsmethode, bei der Spenderzellen an zwei unterschiedliche
Stellen des subretinalen Spaltes in einer Transplantationsrunde eingebracht wurden,
konnte die Anzahl von GFP+-Zellen innerhalb der äußeren nukleären Schicht des Empfängers auf mehr als 20 000
erhöht werden. Tatsächlich konnten die Autoren nachweisen, dass Gnat1−/−-Empfängertiere mit erhöhter Anzahl an GFP+-Zellen eine Funktionsverbesserung der visuellen Wahrnehmung aufwiesen. Dabei wurden
die Funktionsverbesserungen mithilfe von Einzelzellelektrophysiologie, optokinetischem
Tracking, funktionaler kortikaler Bildgebung und einem „water-maze“-Test auf zellulärer,
retinaler, kortikaler und der Verhaltensebene validiert [37]. Trotz allem konnten keine Verbesserungen des Visus der transplantierten Gnat1−/−-Mäuse mittels Ganzfeld-ERG nachgewiesen werden. Dies wurde von den Autoren aber damit
erklärt, dass das Ganzfeld-ERG einen Durchschnittswert über die gesamte Netzhaut hinweg
ermittelt und die Anzahl funktional verbundener Spenderphotorezeptoren in der Empfängerretina
noch zu gering und lokal begrenzt sei. Durch ein elegantes Experiment, bei dem Gnat1
mittels eines gentherapeutischen Ansatzes über adenoassoziierte Viren (AAV) in die
Photorezeptoren von Gnat1−/−-Mäusen transfiziert wurde, konnten die Autoren zeigen, dass eine Funktionsverbesserung,
die durch Ganzfeld-ERG messbar ist, mindestens 150 000 funktionale Stäbchen erfordert
[37].
Transplantation in Zapfendegenerationsmodelle
Im Gegensatz zur nachtaktiven Maus ist das menschliche Sehen in deutlich stärkerem
Maße von Zapfen abhängig, die Tageslicht- und Farbsehen vermitteln und durch ihre
Konzentration in der Makula eine hohe Sehschärfe ermöglichen. Durch die geringe Zahl
an Zapfen in der Mausretina liegen bislang nur wenige Studien zur Transplantation
von Zapfen vor.
Lakowski et al. nutzten zur Transplantation von Zapfen eine generelle, also sowohl
Stäbchen als auch Zapfen markierende Photorezeptorreportermaus (cone-rod-homeobox-[Crx]-GFP-Maus)
[52]. Da Zapfen sich während der Entwicklung früher differenzieren als Stäbchen, können
Photorezeptorsuspensionen mit erhöhtem Zapfenanteil am Embryonaltag 15,5 isoliert
und zur Transplantation genutzt werden. Tatsächlich konnten in dieser Studie GFP+-Zellen mit Expression spezifischer Zapfenmarker in der Netzhaut von Empfängermäusen
nachgewiesen werden [52].
Um das Problem der geringen Verfügbarkeit von Zapfen zu umgehen, hat unsere Arbeitsgruppe
die Nrl−/−-Maus als Photorezeptorquelle für Transplantationen etabliert. Durch die Defizienz
des stäbchendeterminierenden Transkriptionsfaktors Nrl werden in Netzhäuten von Nrl−/−-Mäusen ausschließlich Zapfen bzw. zapfenähnliche Photorezeptoren statt Stäbchen gebildet
[53]. Durch die Kreuzung der Nrl−/−- mit GFP-Reportermäusen [54] konnten genügend Photorezeptoren, die Tageslichtaktivität zeigen, isoliert und zur
Transplantation in das Zapfendegenerationsmodell CPFL1 („cone photoreceptor function
loss 1“) [55], [56] genutzt werden [57]. Hier zeigten die zapfenähnlichen Spenderphotorezeptoren eine reife Photorezeptormorphologie,
einschließlich der Bildung von Außensegmenten und der Expression von zapfenspezifischen
Markern. Insbesondere konnte durch die Verwendung von Mikro-Elektroden-Assays (MEA),
welche elektrophysiologisch die Aktivität hunderter retinaler Ganglienzellen simultan
ermitteln, eine Wiederherstellung von photorezeptorvermittelter Wahrnehmung von Lichtreizen
mit Tageslichtintensität nachgewiesen werden [57]. Diese Ergebnisse lassen zum einen auf die Funktionalität transplantierter zapfenähnlicher
Photorezeptoren für Tageslichtstimuli schließen und zum anderen eine korrekte Verbindung
von Spenderzellen zum retinalen neuronalen Netzwerk des Empfängers vermuten.
Transplantation in Degenerationsmodelle mit vollständigem Photorezeptorverlust
In den meisten Studien zur Transplantation von Stäbchen- und Zapfenphotorezeptoren
wurden Mausmodelle genutzt, in denen noch eine signifikante Anzahl von endogenen Photorezeptoren
vorhanden war, und es wurde vermutet, dass diese Umgebung die Spenderzellintegration
und Polarisation begünstigt. Diese Interpretation ist hinsichtlich der Beobachtung
des Transfers von zytoplasmatischem Material zwischen Spender- und Empfängerphotorezeptoren
fraglich (siehe unten). Zudem dürften eher Patienten mit terminaler Degeneration und
somit einem kompletten Verlust der Photorezeptoren die ersten Probanden in künftigen
klinischen Studien darstellen ([Abb. 1]).
Erste Studien zur Transplantation von Photorezeptoren in Mausmodelle mit starker Degeneration
und somit vollständigem Verlust der Photorezeptoren zeigten, dass Spenderzellen im
subretinalen Spalt für mehrere Wochen überleben und Zellaggregate in direkter Nachbarschaft
zu endogenen Bipolar- und Horizontalzellen bildeten, ohne in das Empfängergewebe strukturell
zu integrieren [38], [58]. Die Spenderphotorezeptoren wiesen zwar nicht die gestreckte Morphologie mit apikal-basaler
Orientierung auf, zeigten aber ansonsten typische Zeichen einer Photorezeptorreifung,
wie z. B. die Expression von Markern der Phototransduktionskaskade und die Bildung
von Außensegmenten. Auf eine Funktionalität der transplantierten Photorezeptoren deuten
zum einen die lichtabhängige Translokation von Transducin [38] als auch die Ergebnisse mehrerer funktionaler Tests, wie der Light-Dark-Box, Pupillometrie
und „laser speckle cortical imaging“ hin [58]. In welchem Maße die transplantierten Photorezeptoren korrekte synaptische Verbindungen
zu endogenen Bipolarzellen aufbauen, muss noch in weiteren Studien untersucht werden.
Die von den Spenderzellen geformten Aggregate im subretinalen Raum zeigten nicht die
typische Polarisation oder Organisation einer äußeren nukleären Schicht, d. h. apikale
Außensegmente in Kontakt mit RPE-Zellen und basale Axonenden in der äußeren plexiformen
Schicht des Empfängers. Detaillierte Untersuchungen zeigten aber, dass die Außensegmente
der Spenderstäbchen in rd1-Empfängermäusen präferenziell in Richtung des Empfänger-RPEs
orientiert waren, was wiederum eine teilweise korrekte Polarisierung nahelegt [58].
Generierung von Photorezeptoren aus stammzellabgeleiteten Netzhautorganoiden
Generierung von Photorezeptoren aus stammzellabgeleiteten Netzhautorganoiden
Für eine mögliche klinische Anwendung müssen Zellquellen etabliert werden, die eine
ausreichende Anzahl von Spenderphotorezeptoren bereitstellen können. In der Maus zeigten
junge Photorezeptoren, isoliert am postnatalen Tag 4/5, den besten Transplantationserfolg
(siehe oben), was in der humanen Entwicklung mit einem Stadium im 2. Trimester der
Schwangerschaft korrespondiert. Insofern wäre eine Nutzung von primären Photorezeptoren
für eine Photorezeptorersatztherapie mit einer Vielzahl ethischer und logistischer
Probleme verbunden.
In den letzten Jahren wurden verschiedene Protokolle zur Generierung von Photorezeptoren
aus pluripotenten Stammzellen (PSZ) entwickelt. Insbesondere der Wechsel von 2D- zu
3D-Kultursystemen, bei denen sog. Netzhautorganoide in vitro differenziert werden,
haben entscheidend dazu beigetragen, dass neben Maus- nun auch menschliche Photorezeptoren
in großer Anzahl für Transplantationsexperimente zur Verfügung stehen ([Abb. 2]) [14], [15], [59], [60].
Erste Studien, in denen Stäbchen aus embryonalen Stammzellen (ESZ) der Maus gewonnen
und in Wildtyp-Mäuse als auch Netzhautdegenerationsmodelle transplantiert wurden,
zeigten ein vergleichbares Überlebens- und Differenzierungspotenzial wie transplantierte
primäre Photorezeptoren. Die Spenderzellen entwickelten eine typische Morphologie
vergleichbar mit derjenigen von reifen Photorezeptoren und exprimierten essenzielle
Proteine der Phototransduktionskaskade [61], [62], [63], [64]. Allerdings liegen derzeit noch keine eindeutigen Daten zur Funktionalität und somit
dem Potenzial von stammzellabgeleiteten Photorezeptoren zur Verbesserung der visuellen
Verarbeitung vor.
Des Weiteren wurden bislang nur wenige Studien zur Transplantation von humanen (h)
ESZ-/iPSZ-abgeleiteten Photorezeptoren veröffentlicht [65], [66], insbesondere im Hinblick auf aus Netzhautorganoiden isolierten Photorezeptoren.
Mit der Generierung von photorezeptorspezifischen humanen ESZ-Reporterlinien [48], der Optimierung von Protokollen für die Herstellung retinaler Organoide aus hiPSZ/hESZ
[59], [67] und in Anbetracht der großen Zahl an Arbeitsgruppen, die momentan an diesem Thema
arbeiten, ist von der Veröffentlichung mehrerer Publikationen zu dieser Thematik in
der näheren Zukunft auszugehen. Besondere Herausforderungen stellen dabei sowohl die
langen Zeiträume für die Generierung von humanen Zapfen (min. 60–80 Tage) oder Stäbchen
(min. 120–200 Tage) als auch die noch hohe Variabilität im Differenzierungsprozess
dar. Dadurch bedingt sind ebenfalls ein deutlich höherer Aufwand für Experimental-
und Analysedesign sowie hohe Zellkulturkosten im Vergleich zum Maussystem.
Zytoplasmatischer Materialtransfer vs. strukturelle Integration
Zytoplasmatischer Materialtransfer vs. strukturelle Integration
Im Feld der Photorezeptortransplantation wurde bislang davon ausgegangen, dass Spenderphotorezeptoren
bei noch vorhandener äußerer nukleärer Schicht strukturell in das Netzhautgewebe des
Empfängers migrieren und integrieren. Diese Hypothese wurde kürzlich von drei unabhängigen
Studien infrage gestellt [16], [17], [18]. Diese zeigten, dass stattdessen die Spenderphotorezeptoren nach Transplantation
im subretinalen Spalt verbleiben und zytoplasmatisches Material mit Empfängerphotorezeptoren
austauschen ([Abb. 3]). Es handelt sich bei diesem Vorgang aber nicht um eine vollständige Fusion von
Spender- und Empfängerzelle, da es zu keiner Translokation des Zellkerns kommt, d. h.
es entstehen keine zweikernigen Perikarya, wie sie nach Transplantation von Knochenmarkvorläuferzellen
mit verschiedenen Zellen des Empfängers beobachtet wurde [68]. Stattdessen werden als potenzieller Transfermechanismus Zell-Zell-Kanäle, vesikulärer
Transport oder die direkte Abgabe und Aufnahme von Molekülen vermutet.
Der beobachtete Transfer von zytoplasmatischem Material erfordert eine Neubewertung
bisheriger Studien zur Photorezeptortransplantation. Insbesondere müssen das Migrationspotenzial
und die Neuformation von Synapsen durch Spenderphotorezeptoren reanalysiert werden.
Des Weiteren könnten Mausmodelle mit komplettem Verlust der Photorezeptoren als Standardmodelle
für Photorezeptorersatztherapien Verwendung finden, da ein Transfer von zytoplasmatischem
Material zwischen Spenderphotorezeptoren und den hier direkt angrenzenden endogenen
Bipolar- oder Horizontalzellen bislang nicht beobachtet wurde [38], [58].
Die Möglichkeit eines Transfers von zytoplasmatischem Material zwischen Spender- und
Empfängerphotorezeptoren könnte auch zur Entwicklung neuer Therapieoptionen für degenerative
Erkrankungen der Netzhaut beitragen. Die funktionalen Verbesserungen, die nach Transplantation
von Stäbchen in Mausmodelle mit dysfunktionalen Stäbchen [37] bzw. Transplantation von zapfenähnlichen Photorezeptoren in Zapfendegenerationsmodelle
[57] beobachtet wurden, könnten auf diesen Mechanismus zurückgeführt werden. Neben eines
Zellersatzes könnten Photorezeptortransplantationen somit auch in Form einer „Zellunterstützungstherapie“
eingesetzt werden, bei der Spenderzellen „gesunde“ Komponenten zu kranken Empfängerphotorezeptoren
transferieren, um so eine funktionale Reparatur herbeizuführen.
Ausblick
Zelltransplantationen in die Netzhaut stellen eine vielversprechende Strategie zur
Behandlung von retinalen Degenerationserkrankungen dar. Innerhalb der letzten Dekade
wurden hier signifikante Fortschritte in vorklinischen Studien erzielt. Derzeit stellen
junge Photorezeptoren die vielversprechendste Spenderzellpopulation zur Transplantation
dar, da weder Stamm-/Vorläuferzellen noch reife Photorezeptoren ähnliche Ergebnisse
hinsichtlich des Überlebens und der Differenzierung in funktionale Photorezeptoren
innerhalb der Empfängernetzhaut von Mausmodellen zeigten. Des Weiteren erlauben Methoden
zur Anreicherung von Spenderphotorezeptoren mittels Fluoreszenzreportern oder Oberflächenmarkern
einen verbesserten Transplantationsausgang. Insbesondere die Nutzung von Oberflächenmarkern
zur Anreicherung von Stäbchen durch MACS stellt eine wichtige Voraussetzung für eine
zukünftige klinische Anwendung dar, da diese Technologie unter Reinraumbedingungen
genutzt werden kann, wie dies bereits für andere Zellarten etabliert wurde [69]. Als nächster Schritt müssen nun Oberflächenmarker entwickelt werden, die spezifisch
die Anreicherung von Zapfen erlauben, um den jeweils benötigten Photorezeptortyp in
hoher Konzentration bereitstellen zu können.
Einen wichtigen Durchbruch stellen Technologien zur Differenzierung retinaler Organoide
aus pluripotenten Stammzellen dar. Diese erlauben die Produktion ausreichender Mengen
an Photorezeptoren in der Zellkulturschale, die für Transplantationsexperimente zur
Verfügung stehen. Diese Techniken müssen nun weiter in Richtung einer robusten Transplantatproduktion
unter Reinraumbedingungen entwickelt werden, um Spenderphotorezeptoren zur klinischen
Anwendung generieren zu können [70]. Insbesondere die Verwendung von iPSZ-abgeleiteten Photorezeptoren eröffnet neue
Wege für den Zellersatz und die individualisierte Medizin. Prinzipiell können patientenspezifische
iPSZ-Linien generiert und zur Produktion von Spenderphotorezeptoren genutzt werden.
Bei einem vorliegenden und bekannten genetischen Defekt könnten diese Zellen durch
eine Ex-vivo-Gentherapie, z. B. durch „Gene Editing“ mittels CRISPR/Cas9, behandelt
und danach zur Transplantation genutzt werden, was die Gefahr einer Immunantwort und
damit einer Abstoßung des Transplantats deutlich verringert. Auch wenn es sich beim
Auge um ein sog. immunprivilegiertes Organ handelt, könnte ein passender Haplotyp
von entscheidender Bedeutung für das Überleben von Spenderphotorezeptoren sein, worauf
Studien, in denen immunologisch passende und unpassende iPSZ-abgeleitete RPE-Zellen
in Affenmodelle retinaler Degeneration transplantiert wurden, hinweisen [71]. Allerdings stehen einer individualisierten Anwendung von iPSZ-Linien derzeit noch
hohe Kosten und lange Vorlaufzeiten zur Herstellung eines Transplantats entgegen.
Einen anderen Ansatz stellt der Aufbau von iPSZ-Banken dar, in denen Zelllinien mit
unterschiedlichen Haplotypen generiert und eingelagert werden. Abhängig von der Heterogenität
der Bevölkerung eines Landes könnte mit einigen Hundert iPSZ-Linien ein Großteil der
Patienten immunologisch „abgebildet“ werden [72], [73] und somit getestete Spenderzellquellen direkt zur Verfügung stehen. Standardisierte
und rigorose Qualitätskontrollen stellen bei der Produktion von iPSZ-Linien und davon
abgeleiteten Spenderzellen/-geweben eine entscheidende Voraussetzung zur sicheren
klinischen Anwendung dar, da in ersten größeren Vergleichsstudien Mutationen und genetische
Veränderungen in einigen iPSZ-Linien beschrieben wurden [74].
Das ultimative Ziel einer Photorezeptortransplantation ist die Wiederherstellung visueller
Funktionen. Neben dem Nachweis einer verbesserten Funktionalität auf zellulärer und
retinaler Ebene durch elektrophysiologische oder reflexbedingte Messmethoden müssen
in weiteren Studien vermehrt Untersuchungen durchgeführt werden, welche die Wiederherstellung
höherer visueller Informationsverarbeitung nachweisen. Hierfür sind insbesondere visusabhängige
Verhaltenstests erforderlich, wie z. B. das von der Sehfähigkeit abhängige Morris-Wasserlabyrinth
[37] oder der „Shuttle-Avoidence-Test“ [75]. Die Effektivität einer Photorezeptorersatztherapie wird hier insbesondere von der
Menge an Spenderzellen abhängen, die korrekte und funktionale synaptische Verbindungen
mit endogenen Nervenzellen aufbauen.
In späten Stadien von Netzhautdegenerationskrankheiten, bei denen bereits ein Großteil
bzw. alle Photorezeptoren verloren sind, würde ein kompletter Photorezeptorersatz
zum Tragen kommen, um Lichtsensitivität wiederzuerlangen. Interessanterweise könnten
einige der funktionalen Verbesserungen, die nach Photorezeptortransplantation in Mausmodellen
mit noch verbleibenden Photorezeptoren beobachtet wurden, über einen anderen Mechanismus
erklärt werden: der Transfer von zytoplasmatischem Material von Spender- zu Empfängerphotorezeptoren
statt struktureller Migration und Integration der transplantierten Zellen, was eine
Neuinterpretation einiger früherer Studien zur Photorezeptortransplantation erfordert.
Andererseits stellt die unerwartete Beobachtung eines Zell-Zell-Austauschs von Biomaterialien,
durch den möglicherweise dysfunktionale Photorezeptoren unterstützt werden können,
einen neuen Ansatz zur Behandlung retinaler Degenerationserkrankungen dar. Daraus
ergeben sich für die Photorezeptortransplantation zwei mögliche Therapieansätze: Zellunterstützung
und Zellersatz. Bei einem Vorhandensein von signifikanten Mengen an endogenen, aber
dysfunktionalen Photorezeptoren könnten Spenderzellen einen direkten Einfluss auf
die Funktion und das Überleben von endogenen Photorezeptoren haben. In wieweit dieser
Ansatz zu einer möglichen therapeutischen Anwendung entwickelt werden kann, ist derzeit
noch unklar, da dabei noch viele offene Fragen vorliegen. Insbesondere ist noch nicht
bekannt, durch welchen Mechanismus zytoplasmatisches Material zwischen Spender- und
Empfängerphotorezeptoren ausgetauscht wird, wie effektiv diese Unterstützung ist und
ob sie moduliert und somit erhöht werden kann.
Die Klärung der o. g. Punkte stellt eine wichtige Voraussetzung für die Translation
der Photorezeptortransplantation hin zu ersten klinischen Studien dar. Hierbei werden
die Erfahrungen, die bei der Entwicklung von hESZ- bzw. hiPSZ-abgeleiteten RPE-Transplantaten
in der klinischen Anwendung gewonnen wurden, von großer Hilfe sein. Die Ergebnisse
dieser ersten Phase-I/II-Studien deuten darauf hin, dass die Transplantation von aus
pluripotenten Stammzellen abgeleiteten RPE-Spenderzellen ins Auge keine signifikanten
Nebenwirkungen hervorruft und sicher ist [76]. Die Transplantation von stammzellabgeleiteten Photorezeptoren stellt somit ein
hochdynamisches Forschungsfeld dar, in dem in den letzten Jahren signifikante Fortschritte,
insbesondere in Mausmodellen retinaler Degeneration, erzielt werden konnten. Diese
zeigen zum einen das hohe Potenzial wie auch die noch zu überwindenden Hindernisse,
um einen Photorezeptorersatz erfolgreich hin zur klinischen Anwendung zu entwickeln.