Schlüsselwörter
E-Zigarette - Risikominimierung - Tabakentwöhnung - Tabakkontrolle - Prävention
Key words
E-Cigarette - harm reduction - tobacco cessation - tobacco control - prevention
Präambel
Aufgrund der aktuellen Diskussion in Wissenschaft und klinischer Praxis um die elektrische
Zigarette (E-Zigarette), haben bereits mehrere nationale und internationale Institutionen,
Expertengruppen und Fachgesellschaften Empfehlungen für den Umgang mit E-Zigaretten
abgegeben. Bspw. hat bereits im Juni 2014 das Deutsche Krebsforschungszentrum (dkfz)
eine Stellungnahme zur kontroversen Diskussion um die E-Zigarette veröffentlicht [1] sowie die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e.V. (DHS) im September 2016 eine
Stellungnahme zu Nutzen und Schaden der E-Zigarette herausgegeben [2]. Darüber hinaus liegen u. a. Stellungnahmen zur E-Zigarette von der Deutschen Gesellschaft
für Pneumologie und Beatmungsmedizin e.V. [3] sowie vom britischen National Center for Smoking Cessation and Training [4] vor.
Das vorliegende Positionspapier der Dachgesellschaft Sucht (Deutsche Suchtgesellschaft
– Dachverband der Suchtfachgesellschaften (DSG)) soll keine kontroverse Position zu
den bereits veröffentlichten Stellungsnahmen beziehen, sondern einige Punkte in der
aktuellen Diskussion um die E-Zigarette besonders hervorheben. Hier seien v. a. der
Einsatz in der Tabakentwöhnung zur gesundheitlichen Schadensminderung und den Regelungen
zum Jugendschutz sowie zur Tabakkontrollpolitik genannt. Der Konsum anderer psychoaktiver
Substanzen als Nikotin (z. B. Cannabis, Metamphetamine usw.) mithilfe der E-Zigarette,
E-Shisha oder verwandter Produkte ist nicht Gegenstand des vorliegenden Positionspapiers.
Ausgangslage
Tabakrauchen ist mit geschätzten 6 Millionen tabakassoziierten Todesfällen pro Jahr
die häufigste vermeidbare Todesursache weltweit [5]. In Deutschland wird die Zahl der auf das Rauchen zurückzuführenden Sterbefälle
auf bis zu 140000 pro Jahr geschätzt [6]. Daraus resultiert eine direkte finanzielle Belastung des Gesundheitswesens in Höhe
von 25,41 Mrd. € [7]. Studien zeigen, dass die Mehrheit der Raucher (65%) mit ihrem Rauchstatus unzufrieden
ist und mind. 1-mal in ihrem Leben ernsthaft versucht hat, mit dem Rauchen aufzuhören.
Gleichzeitig werden etablierte und evidenzbasierte Behandlungsmöglichkeiten wie z. B.
verhaltenstherapeutische Entwöhnungsprogramme oder first-line Medikationen wie Nikotinersatzpräparate
nur von einer Minderheit der Raucher für einen Rauchstopp in Anspruch genommen [8].
Die E-Zigarette erfreut sich in den letzten Jahren einer immer größer werdenden Zahl
an Anwendern und es zeichnet sich eine zunehmende Verbreitung von elektrischen Zigaretten
in allen Bevölkerungsschichten ab. Seit 2006 sind E-Zigaretten, zunächst hauptsächlich
via Internet-Vertrieb, mittlerweile u. a. auch in Supermärkten, Kiosken und Tankstellen
frei verkäuflich [7]. Die Mehrzahl der E-Zigaretten-User verwendet diese, um weniger zu rauchen oder
mit dem Rauchen ganz aufzuhören [7]
[9].
Bei der Behandlung von stoffgebundenen Suchterkrankungen wie z. B. der Alkoholabhängigkeit
oder Opiatabhängigkeit ist das Prinzip der „Harm Reduction“ (Schadensminimierung durch
Konsumreduktion oder Substitution) bereits gut etabliert [10]
[11]. Sollte das Aerosol von E-Zigaretten sich im Vergleich zum Tabakrauchen als nahezu
unschädlich erweisen, könnte die E-Zigarette im Rahmen der Raucherentwöhnung oder
Risikoreduktion verwendet werden. Die E-Zigarette könnte dann eine Möglichkeit für
die Substitution von Nikotin darstellen, das als solches im Vergleich zum inhalierten
Tabakrauch ein eher geringes Schädigungspotenzial besitzt.
Vor dem Hintergrund ihres potenziellen Nutzens in der Schadensreduzierung und Behandlung
der Tabakabhängigkeit wird die E-Zigarette in Großbritannien bereits offiziell vom
National Centre for Smoking Cessation and Training (NCSCT) für den Einsatz im Rahmen
der Tabakentwöhnung empfohlen [4].
Toxizität
Das Aerosol der E-Zigarette enthält Propylenglykol, Aromen, Nikotin, Flüssigkeitspartikel
sowie häufig auch krebserzeugende Substanzen wie z. B. Formaldehyd und Acetaldehyd
(für eine ausführliche Beschreibung sei auf die Stellungnahme der DHS [2], den Tabakatlas 2015 [7] oder die Übersichtsarbeit von Nowak, Jorres and Rüther [12] verwiesen). Als per se unschädlich kann das Inhalat der E-Zigarette demnach nicht
eingeschätzt werden, es fehlen aktuell Langzeitstudien, welche die Gesundheitsrisiken
durch die Inhalation dieser Stoffe genau beziffern. Insgesamt wird die Toxizität des
Dampfes von E-Zigaretten jedoch um den Faktor 9 bis zum Faktor 450 geringer eingeschätzt
als konventioneller Tabakrauch [13], was als Schadensreduktion angesehen werden kann [12]. Bei einem dualen Gebrauch von E-Zigaretten und konventionellen Zigaretten muss
jedoch von einer anderen Toxizität ausgegangen werden als beim alleinigen Gebrauch
von E-Zigaretten [14].
Bezüglich des kardiovaskulären Risikos beim Gebrauch einer E-Zigarette konnte eine
aktuelle Studie zeigen, dass regelmäßige Dampfer von E-Zigaretten eine Störung der
Herzfrequenzvariabilität sowie eine erhöhte Oxidation von Lipoproteinen aufweisen.
Auf Dauer könnte dies das Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöhen [15]. Anzumerken ist, dass die Stichprobe der Studie sehr klein ist. Um validere Daten
zu erhalten, ist es dringend erforderlich, hierzu mit größeren Fallzahlen zu forschen.
Entwöhnungspotenzial und Hinweise zur gesundheitlichen Schadensminimierung
Aus medizinischer Sicht ist der vollständige Rauchstopp für Raucher selbstverständlich
das Mittel der Wahl um tabakassoziierten Erkrankungen und Folgeschäden vorzubeugen
oder deren Verlauf günstig zu beeinflussen. Aus diesem Grund stehen gemäß der aktuellen
S3-Leitlinie in der Behandlung der Tabakabhängigkeit Interventionen an erster Stelle,
die den Rauchstopp und die vollständige Abstinenz unter Rauchern fördern [16]. Studien zeigen jedoch, dass zu einem beliebigen Zeitpunkt nur 10% aller Raucher
zu einem Rauchstopp bereit sind [17]. Sollte für nicht-abstinenzorientierte Raucher die psychologisch unterstützte oder
medikamentengestützte (z. B. mithilfe von Nikotinersatzpräparaten, Bupropion oder
Vareniclin) Rauchreduktion keine Option darstellen, kann der Wechsel auf die E-Zigarette
eine sinnvolle Alternative zum unveränderten Weiterrauchen darstellen. Die E-Zigarette
könnte Raucher, welche durch andere Konzepte eventuell nicht zu erreichen sind, zu
einer Änderung ihres Rauchverhaltens motivieren.
Die E-Zigarette als Hilfsmittel zum Rauchstopp und zur Rauchreduktion wird aktuell
kontrovers diskutiert und widersprüchliche Studienergebnisse machen eine eindeutige
Schlussfolgerung oder Behandlungsempfehlungen nicht leicht [18]
[19]
[20]
[21]
[22]
[23]. Es zeichnen sich jedoch (wenngleich auch mit einem als „gering“ eingeschätzten
wissenschaftlichen Qualitätsstandard) Effekte ab, dass die E-Zigarette mit dem Rauchstopp
und der Rauchreduktion assoziiert ist [18]
[23].
Hierbei deuten aktuelle Meta-Analysen darauf hin, dass nikotinhaltige E-Zigaretten
mit einer größeren Wahrscheinlichkeit zu einer Abstinenz führen als nicht-nikotinhaltige
(Placebo) E-Zigaretten [23].
Verschiedene Studien zeigen auch, dass Raucher, welche komplett auf den Gebrauch von
E-Zigaretten wechseln, nach einem Jahr ihren systolischen Blutdruck [24] positiv beeinflussen und ihre respiratorischen Maße (FeNo, eCO, FEF25–75%)) verbessern [24]
[25]. Ebenso konnten Asthmatiker hinsichtlich einer Verbesserung der Lungenfunktion und
Reduktion respiratorischer Symptome bei einem vollständigen Wechsel auf die E-Zigarette
und somit einer Abstinenz von konventionellen Zigaretten profitieren [26].
Gleichzeitig gilt zu beachten, dass bisher nur Aussagen über die kurzfristigen Effekte
des E-Zigaretten-Gebrauch möglich sind. Die langfristige Wirksamkeit oder Schädlichkeit
von E-Zigaretten kann zum aktuellen Zeitpunkt aufgrund mangelnder Studienlage nicht
eingeschätzt werden.
Jugendschutz
Es ist wichtig anzumerken, dass die E-Zigarette unter Jugendlichen mit einer erhöhten
Rauchintention von konventionellen Tabakprodukten assoziiert sein könnte [27]. Gleichzeitig ist die Intention zu Rauchen nicht mit dem eigentlichen Rauchverhalten
gleichzusetzen. Ein background paper der WHO resümiert, dass zwar der Anteil der nichtrauchenden
Jugendlichen unter den E-Zigaretten Nutzern sehr gering sei, trotzdem sei von einem
kleinen jedoch signifikanten Zusammenhang zwischen dem Gebrauch von E-Zigaretten und
einem späteren Gebrauch von Tabakzigaretten auszugehen [28]. In jedem Fall ist dem Jugendschutz ein besonderes Augenmerk zukommen zu lassen,
welches mit dem Verbot des Erwerbs und Konsums von E-Zigaretten unter Kindern und
Jugendlichen durch das Jugendschutzgesetz 2016 in einem ersten Schritt realisiert
wurde. Erforderlich sind weitere präventive Maßnahmen wie bspw. bundesweite Aufklärungskampagnen
in Schulen zur E-Zigarette und E-Shisha, um den Schutz von Kindern und Jugendlichen
bestmöglich zu erreichen, ohne die Chancen der E-Zigarette in der Tabakentwöhnung
erwachsener Raucher zu versäumen.
Tabakkontrollpolitik
Manchem Raucher ermöglicht die E-Zigarette das Inhalieren in ehemals komplett rauchfreien
Zonen (z. B. innerhalb von öffentlichen Gebäuden) und stellt dadurch eine mögliche
Gefährdung Dritter durch das E-Zigarettenaerosol in der Raumluft dar. Ebenso macht
die E-Zigarette evtl. das Rauchen wieder „salonfähig“, was entgegen dem Gesundheitsziel
steht, die Raucherprävalenzen in Deutschland zu senken. Jegliche Bemühungen der Tabakkontrollpolitik
dürfen durch die E-Zigarette nicht untergraben werden. Daher sollen sämtliche Auflagen
(hoffentlich bald eintretendes vollständiges Werbeverbot, Rauchverbot in öffentlichen
Gebäuden, Preissteigerungen usw.) ebenso für die elektrische Zigarette gelten. Darüber
hinaus ist zu fordern, dass die Kennzeichnungspflicht und Produktüberprüfung von E-Zigaretten
strengen Auflagen unterliegen und deren Einhaltung konsequent überprüft wird, um das
Produkt für den Anwender so sicher wie möglich zu machen.
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In Relation zum konventionellen Zigarettenrauch ist die Schädlichkeit des Aerosols
der E-Zigarette um ein Vielfaches geringer. Das Gefährdungspotenzial von E-Zigaretten
muss jedoch weiter erforscht werden.
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Die E-Zigarette weist zum aktuellen Zeitpunkt einen (geringen) potenziellen Nutzen
zur Raucherentwöhnung sowie positive kurzfristige und sehr wahrscheinlich langfristige
Effekte zur Schadensreduzierung auf. Rauchern, welche nicht für einen Rauchstopp mithilfe
von Beratung, psychotherapeutischen Verfahren und/oder first-line Medikationen zu
gewinnen sind, kann geraten werden, nach Möglichkeit vollständig auf elektrische Zigaretten
umsteigen. Von dual use ist abzuraten.
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Nach der aktuellen Datenlage ist es noch zu früh, eine abschließende Entscheidung
für oder gegen die E-Zigarette zu treffen. Weitere Studien zur langfristigen Effektivität
in der Raucherentwöhnung sowie bzgl. des Gesundheitsrisikos sind nötig, um eine differenzierte
Abwägung im Vergleich zu den alternativen Behandlungsoptionen vorzunehmen.
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Die E-Zigarette wird in der Bevölkerung angenommen. Die Chance, welche sich hierdurch
für die Tabakentwöhnung bietet, sollte nicht durch eine zu umfassende Regulierung
des Produkts zunichte gemacht werden. Für die E-Zigarette sollen die analogen Tabakkontrollmaßnahmen
gelten wie für die konventionelle Zigarette (Jugendschutz, Werbeverbot, Kennzeichnungspflicht
usw.)
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Präventive Maßnahmen zum Jugendschutz jenseits von Verboten sollten weiter ausgebaut
werden, um einem – wenn auch seltenen – Einstieg in das Tabakrauchen über die E-Zigarette
vorzubeugen.
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Die Datenlage zu den in diesem Positionspapier aufgeführten Punkten ist zum aktuellen
Zeitpunkt als schwach zu bezeichnen. Weitere öffentlich geförderte Forschungsarbeiten
und Studien sind dringend notwendig, um die verschiedenen Aspekte hinsichtlich der
E-Zigarette solide beurteilen zu können.