Handchir Mikrochir Plast Chir 2017; 49(05): 334-336
DOI: 10.1055/s-0043-115111
Der interessante Fall
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Karpometakarpale Luxationsfraktur aller Strahlen

Fracture dislocations of the first through fifth carpometacarpal joints
Martin Darowski
,
Robert Jäckel
Further Information

Publication History

03/08/2016

06/28/2017

Publication Date:
28 August 2017 (online)

Fallbericht

Ein 26-jähriger Mann wurde nach einem Motorradunfall durch den Rettungsdienst in unsere Notaufnahme eingeliefert. Er sei mit seinem Motorrad mit ca. 70 km/h auf einen vorrausfahrenden PKW aufgefahren und anschließend auf die rechte Seite gestürzt. Initial gab er Schmerzen an der linken Mittelhand und am rechten Sattelgelenk an. Am linken Handrücken fand sich eine starke Schwellung. Des Weiteren wurden Dysästhesien im Versorgungsgebiet des N. medianus bei intakter Durchblutung der Finger angegeben. Die weitere körperliche Untersuchung war bei stabilen Kreislaufwerten unauffällig.

Die Röntgenbilder der linken Hand in zwei Ebenen zeigten dorsale Luxationsfrakturen aller karpometakarpalen (CMC) Gelenke und des Gelenkes zwischen Skaphoid, Trapezium und Trapezoideum (STT-Gelenk) ([ Abb. 1a, b ]). Die Computertomographie verifizierte eine Sattelgelenksluxationsfraktur durch das Trapezium, eine dorsale Luxation im STT-Gelenk, eine dorsale CMC-3-Luxationsfraktur mit distaler Fraktur des Kapitatum sowie die dorsale Luxation der CMC-Gelenke 4. und 5. Den Verlauf der Schädigungslinie zeigt [ Abb. 2 ]. Zusätzlich bestand noch eine Luxation des rechten Daumensattelgelenkes.

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Abb. 1 Röntgenbilder der linken Hand; Röntgen a. p. und streng lateral. a und b Dorsale Luxationsfraktur aller Strahlen mit deutlich sichtbarer Stufenbildung. c und d postoperatives Röntgenbild mit K-Draht-Osteosynthese des Kapitatum, Trapezium sowie kapitato-lunärer Transfixation. e und f Röntgenkontrolle 41 Monate nach Trauma mit einer verplumpten Mittelhand und deutlicher subchondraler Sklerosierung der CMC-Gelenke und des STT-Gelenks.
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Abb. 2 Linke Hand von palmar mit Schädigungslinie

In der Notaufnahme erfolgte die geschlossene Reposition des rechten Daumensattelgelenks und Retention in einer Unterarm-Daumen-Gipsschiene. Eine geschlossene Reposition der CMC-Luxationsfrakturen an der linken Hand in Narkose war nicht möglich, sodass die offene Reposition in Intubationsnarkose und Oberarmblutleere erfolgte. Über einen dorsalen Zugang konnte das Kapitatum durch axialen Zug am Mittelfinger und Hebelwirkung mit einem Raspatorium reponiert werden. Durch dieses Manöver kam es gleichzeitig zur spontanen und stabilen Reposition der umgebenden Luxationsfrakturen. Eine Retention des Kapitatum und Trapezium sowie die Transfixation des Kapitatum mit dem Lunatum zur zusätzlichen Stabilisierung des Kapitatums erfolgte mit Kirschner-Drähten ([ Abb. 1c, d ]). Durch Retention der Handwurzelknochen kam es auch zu stabilen Verhältnissen der CMC-Gelenke 4 und 5, sodass eine weitere Transfixation nicht notwendig war. Abschließend erfolgte die Faszienspaltung des M. interosseus dorsalis I, der Thenarmuskulatur und die Spaltung des Retinaculum flexorum wegen eines sich entwickelnden Kompartment- und Karpaltunnelsyndromes. Die übrigen Kompartimente wurden durch Faszienspaltung über die bereits angelegten dorsalen Zugangswege entlastet. Postoperativ wurde die Hand in einer mittelhandumgreifenden palmaren Unterarmgipsschiene mit Einschluss des Daumengrundgliedes über insgesamt 6 Wochen gelagert. Im weiteren Verlauf waren die Dysästhesien über dem Versorgungsgebiet des N. medianus komplett rückläufig. Der Patient wurde am 6. postoperativen Tag in die ambulante Weiterbehandlung entlassen. Die Kirschner-Drähte wurden nach der 8. p.op. Woche entfernt und eine Krankengymnastik durchgeführt. Es bestand eine Arbeitsunfähigkeit für insgesamt 8 Wochen ([ Tab. 1 ]).

Tab. 1

Kraftmessung

Kraft (kg)

rechts

links

Faustgriff

40

30

Schlüsselgriff

5

2,5

Die Nachuntersuchung des Patienten erfolgte 41 Monate nach Trauma. Hier fand sich eine geringe Schwellung der Mittelhand. Der Bewegungsumfang des linken Handgelenks mit einer Extension/Flexion von 60–0–80° (rechts 80–0–90°), einer Ulnar-/Radialduktion von 60–0–10 (rechts 60–0–20) und einer Pro-/Supination von 70–0–90 (rechts 90–0–90) war im Seitenvergleich vermindert. Die Kraftmessungen des Faust- und Schlüsselgriffs erfolgten mit Hilfe des Hydraulic Hand Dynamometer und des Hydraulic Pinch Gauge (Saehan Corp., [Korea]). Bei der Messung der Faustgriffkraft (links 30 kg, rechts 40 kg) und der Schlüsselgriffkraft (links 2,5 kg, rechts 5 kg) zeigte sich eine Kraftminderung der linken Hand. Der Faustschluss war vollständig möglich. In Ruhe gab der Patient keine Schmerzen an. Beim Arbeiten als Schweißer und nach starker Beanspruchung der Hand wurden Schmerzen über der Mittelhand von 3/10 auf der numerischen Ratingskala angegeben. Der DASH-Score betrug 21 Punkte. Die Röntgenbilder der linken Hand 41 Monate nach Trauma zeigten eine regelrechte Artikulation der CMC-Gelenke mit deutlicher Arthrose der CMC-Gelenke 1–3 und im STT-Gelenk mit ausgeheilten Handwurzelfrakturen ([ Abb. 1e, f ]). Der Patient war mit dem Ergebnis sehr zufrieden. Als Gründe nannte er die problemlose Wiedereingliederung in seinen Beruf als Schweißer und die Wiederaufnahme des Motorradfahrens.

 
  • Literatur

  • 1 Yoshida R, Shah MA, Patterson RM. et al. Anatomy and pathomechanics of ring and small finger carpometacarpal joint injuries. The Journal of hand surgery 2003; 28: 1035-1043
  • 2 Eichhorn-Sens J, Katzer A, Meenen NM. et al. Karpometakarpale Luxationsverletzungen. Handchir Mikrochir Plast Chir 2001; 33: 189
  • 3 Reznick SM, Greene TL, Roeser W. Simultaneous dislocation of the five carpometacarpal joints. CORR 1985; 210-214
  • 4 Amon K. Gemeinsame dorsale karpometakarpale Luxation II-V mit Kompartmentsyndrom. Unfallchirurg 1988; 91: 469-472
  • 5 Henderson JJ, Arafa MA. Carpometacarpal dislocation. An easily missed diagnosis. J Bone Joint Surgery 1987; 69-B 212-214
  • 6 Gehrmann SV, Grassmann J-P, Schneppendahl J. et al. Behandlungsstrategie bei karpometakarpalen Luxationsfrakturen. Unfallchirurg 2011; 114: 559-564