Zeitschrift für Komplementärmedizin 2017; 09(04): 21-23
DOI: 10.1055/s-0043-115918
Praxis
Ernährung
© Karl F. Haug Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG

Unruhe und Ernährung

Raymund Pothmann

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Publication Date:
23 August 2017 (online)

 

Zusammenfassung

Die Zusammensetzung der Nahrung kann bereits in der Säuglingsperiode zu gesundheitlichen Störungen mit Unruhe führen. Besonders Kuhmilch, Zucker und Zusatzstoffe in verarbeiteten Nahrungsmitteln können zu Gesundheitsstörungen führen, die mit Unruhe einhergehen.

Mit einer triggerarmen Ernährung können die Beschwerden speziell bei Migräne, Neurodermitis, Pruritus und Asthma, aber auch bei Hyperaktivität nichtmedikamentös gelindert werden. Bei belastenden, nicht oder nur schwer vermeidbaren Allergenen und Nahrungsmitteln bildet die akupunkturgestützte Toleranzsteigerung eine hilfreiche Option.


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Abb. 1 Unruhestifter Zucker: Die Zuckervermeidung spielt bei hyperaktiven Kindern die Hauptrolle. © EvgeniiAnd / Fotolia; nachgestellte Situation

Der Stellenwert der Nahrung bei unruhigem Verhalten sollte zurückhaltend beurteilt werden, um Überbewertungen zu vermeiden – In einem ganzheitlichen Behandlungskonzept kann eine triggerarme Ernährung aber dazu beitragen, unruhiges Verhalten zu stabilisieren

Ernährung als Basis des Lebens

Mit der Geburt beginnt die Umstellung auf die orale Nahrungsaufnahme. Damit verbunden sind auch Unruhe und Schreien des Säuglings als Lebensausdruck und Verlangen nach Nahrung bzw. Hunger. Dieses Verhalten ist überlebenswichtig und wird auch in der intensiven Beziehung zwischen Mutter und Kind als natürlich und stärkend für die Bindung verstanden.

Treten Störungen im Zusammenleben von Kind und Eltern auf, können die Signale des Kindes missverstanden werden und führen entweder zu Vernachlässigung oder Verwöhnung des Kindes. Beides ist mit einer Steigerung der Unruhe des Kindes verbunden. Füttern wird somit zum „Machtspiel“ zwischen Eltern und Kind. Hieraus ergeben sich dann Probleme, die losgelöst von der Nahrungsaufnahme eigenständig beratungsbedürftig sind.


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Qualität der Nahrung

Die Zusammensetzung der Nahrung kann schon sehr frühzeitig in der Säuglingsperiode zu gesundheitlichen Störungen mit Unruhe führen. Hier steht die Kuhmilchproteinintoleranz ganz im Vordergrund, die mit profusen Durchfällen eine erhebliche gesundheitliche Gefährdung mit ausgeprägter Unruhe bei Bauchschmerzen darstellt. In der Regel beruht die Behandlung auf Kuhmilchkarenz und Umstellung auf Sojamilch. Nach einem Jahr kann Kuhmilch in kleinen Portionen wieder eingeführt und toleriert werden [1].

Unabhängig von dieser definierten Störung ist jedoch Kuhmilch in ungesäuerter Form für Säuglinge und Kleinkinder ohnehin nicht erforderlich. Naturjoghurt ist das ideale Milch-Nahrungsmittel nach dem Stillen.

Darüber hinaus ist bei Fertignahrungsmitteln v. a. auf Zusatzstoffe, insbesondere Aromen wie künstliche Vanille, zu achten, die das weitere Leben nahezu suchtbildend prägen können [2].


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Zucker als Unruhestifter

Im Kleinkindalter erweist sich v. a. der Zuckeranteil der Nahrung in dieser Hinsicht als ausschlaggebend. Die Reduktion von Zucker kann gar nicht stark genug betont werden. Die inzwischen ja weitgehend überwundene Schnuller-Karies der Frontzähne stellt allerdings nur die Spitze des Eisbergs dar. Viel gravierender sind die Auswirkungen auf die Darmflora bis hin zur Adipositas mit ihren Langzeitfolgen sowie der Transfer in andere Suchtformen wie Alkoholmissbrauch.

Zusammenfassung

Die Zusammensetzung der Nahrung kann bereits in der Säuglingsperiode zu gesundheitlichen Störungen mit Unruhe führen. Besonders Kuhmilch, Zucker und Zusatzstoffe in verarbeiteten Nahrungsmitteln können zu Gesundheitsstörungen führen, die mit Unruhe einhergehen.

Mit einer triggerarmen Ernährung können die Beschwerden speziell bei Migräne, Neurodermitis, Pruritus und Asthma, aber auch bei Hyperaktivität nichtmedikamentös gelindert werden. Bei belastenden, nicht oder nur schwer vermeidbaren Allergenen und Nahrungsmitteln bildet die akupunkturgestützte Toleranzsteigerung eine hilfreiche Option.

Gerade auch die TCM weist in ihren Wandlungsphasen auf die zerstörerische Wirkung von übermäßigem Süßen (Milz) auf die Nierenfunktion (Knochen, Zähne) hin. In der Folge kommt es aber auch zu einem mangelhaften Energietransfer zur „Leber“, die bei einem daraus resultierenden geschwächten „Leber-Yin“ zu einem vermehrten Aufsteigen von „Leber-Yang“ führt. Dies kann dann bei Kindern mit einer ohnehin schwachen Nieren-Essenz eine Zunahme von Unruhe, ja sogar Hyperaktivität hervorrufen. Anders als bei anderen Störungsbildern wie „Schleimerkrankungen“, die auch durch Umstellung auf gesäuerte Milchprodukte verbessert werden können, spielt Zuckervermeidung bei hyperaktiven Kindern die Hauptrolle [1], [2], [3], [4].

Das Vermeiden von Zucker sollte bei hyperaktiven Kindern die Hauptrolle spielen.


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Schmerzen – Pruritus – Allergien

Die ansteigende Häufigkeit kindlicher Kopfschmerzen in den letzten 30 Jahren geht neben einer allgemeinen Zunahme von Allergien auch mit einer weiten Verbreitung von vorgefertigten Nahrungs- und Genussmitteln einher, die zu ihrer Herstellung eine Vielzahl von Zusatzstoffen benötigen. Bereits im Kleinkindalter bietet sich deshalb durch eine triggerarme Ernährung die Chance einer nichtmedikamentösen Linderung speziell bei Migräne [5], Neurodermitis, Pruritus und Asthma, aber auch bei Hyperaktivität an. Etwa 60 % der Kinder profitieren innerhalb der ersten 4–6 Wochen und können ihre Symptomatik um mindestens die Hälfte vermindern [6].


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Glutenfreie Ernährung?

In den letzten Jahren ist es zu einer beunruhigenden Zunahme von Glutenunverträglichkeiten gekommen, die weit über die Häufigkeit der Zöliakie hinausgeht. Dieses Phänomen wird auf eine Gliadinintoleranz zurückgeführt, bedingt durch eine veränderte Weizenproteinstruktur. Begründet wird dies durch eine schwierig zu interpretierende Labordiagnostik (IgG), die z. T. inflationär zum Einsatz kommt. In der Konsequenz werden zunehmend Kinder ohne solide diagnostische Basis auf eine stark einschränkende glutenfreie Nahrung umgestellt. Nur zu oft bessert sich die klinische Symptomatik dadurch nicht überzeugend [1], [2].


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Nahrungstoleranzsteigerung mit Laserakupunktur

Eine akupunkturgestützte Toleranzsteigerung kommt v. a. für belastende sowie nicht oder nur schwer vermeidbare Allergene oder Nahrungsmittel infrage [7]. Es sind insbesondere solche Allergene interessant, die typischerweise für eine klassische Hyposensibilisierung nicht in Betracht kommen wie komplex zusammengesetzte Nahrungsmittel (z. B. Brot) oder solche mit akuter anaphylaktischer Reaktion.

Der oder die betreffenden Stoffe werden auf die Bauchhaut gelegt und währenddessen die Anfangs- und Endpunkte der Meridiane des ersten Umlaufs beidseits in beliebiger Reihenfolge gereizt: Lu 1 und 11, Di 1 und 20, Ma 2 und 45, Mi 1 und 21.

Die Yuan-Punkte der genannten Umläufe eignen sich ebenfalls [8].

Die Stimulation erfolgte am schnellsten (1 sec / Punkt) mit Infrarot-Pseudomoxibustion (Infrarotsimulator (IRS) oder mit einem Softlaser (10 sec / Punkt; 20–50mWs). Gleichzeitig können mehrere unverträglich Nahrungsproben appliziert werden (speziell Kernobst).

Beim oralen Allergiesyndrom (OAS) kann direkt im Anschluss an die Laser- / Infrarottherapie eine Essprobe erfolgen, um die gesteigerte Toleranz zu demonstrieren. In der Regel sind dabei selten noch geringere lokale Reaktionen wie ein leichtes Kribbeln an den Lippen wahrzunehmen. Die Toleranz ist – auch schon nach einer Behandlung – in der Regel anhaltend. Erdnüsse eignen sich nicht für dieses Verfahren [8].

Die akupunkturgestützte Toleranzsteigerung kommt v. a. für belastende sowie schwer vermeidbare Allergene und Nahrungsmittel infrage.


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Grundeinstellungen und Rahmenbedingungen

Bei Kindern ist eine gesunde Ernährung für Körper und Seele auch im höheren Alter wichtig. Das Verdauungssystem (Mittlerer Erwärmer) ist physiologisch noch schwach und benötigt deshalb neutrale bis leicht wärmende Nahrungsmittel von süßem Geschmack wie Reis, Hirse, Möhren, Fenchel, Apfel, Honig, Rosinen. Kühle Nahrung und scharfe Gewürze, Zucker und Milchprodukte im Übermaß sowie fette Speisen stören die Milz / Magenfunktion.

Freude am Essen in ruhiger Atmosphäre ist eine wichtige Voraussetzung für eine optimale Nahrungsaufnahme und -verwertung. Anstrengende Diskussionen, Grübeln, Sorgen, Ärger und Ablenkung z. B. durch Fernsehen belasten die Verdauungsfunktion (Milz). Das Milz-Qi kann hierdurch schon kurzfristig blockiert und geschwächt werden, Appetitlosigkeit und Völlegefühl sind dann die Folge. Chronische emotionale Belastungen führen zu Verdauungs- und Essstörungen (z. B. Adipositas i. S. von Kummerspeck).

Empfehlenswert sind frische, natürlich gewachsene und unbelastete Nahrungsmittel mit hohem Getreideanteil, gekochtes Gemüse, ein geringer Fleisch- und Fischanteil (10 %) sowie ergänzende Rohkost (Salate, Obst: 5 %). Grundsätzlich sind warm zubereitete Speisen zu bevorzugen, um das Milz-Qi des mittleren Erwärmers nicht unnötig zu belasten.

Optimal sind thermisch ausgewogene saisonale Nahrungsmittel, die bioklimatisch und konstitutionell angepasst sind.

Gesundes Essverhalten umfasst weiter:

  • regelmäßig essen: 3- bis 5-mal pro Tag, davon mindestens eine warme Mahlzeit,

  • gut kauen: sättigt schneller und beugt Übergewicht vor,

  • während des Essens wenig trinken, um die Verdauungssäfte nicht zu verdünnen,

  • aufhören, wenn es am besten schmeckt, eine Pause machen.


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Spezielle TCM-Aspekte

Bestimmte Nahrungsmittel eignen sich, den Mittleren Erwärmer („Mitte“) zu stärken ([ Tab. 1 ]).

Tab. 1

Die Mitte stärkende Nahrungsmittel

Getreide

Gemüse

Fleisch

Fisch

Rohkost

Getränke

Reis

Hafer

Hirse

Mais

Karotten, Fenchel

Kartoffeln

Kohl

Erbsen

Sojabohnen

Kürbis

Rind, Kalb

Huhn, Ente

Schaf, Wild

Hering, Makrele

Barsch

(süßer) Apfel

Feige, Datteln

Kokosnuss

Trauben

Fencheltee (speziell für junge Kinder)

Traubensaft

Nahrungsmittel, die die Funktion des Mittleren Erwärmers schwächen:

  • kühle / kalte Speisen, Tiefkühlkost, viel Rohkost (Salat, Obst),

  • Übermaß an Milchprodukten: energetisch kühl und zusätzlichen Schleim verursachend,

  • Übermaß an Süßem und fette Nahrungsmittel: fördern die Schleimproduktion [3], [4].


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Fazit

Bei der Beurteilung des Stellenwertes der Nahrung für unruhiges Störverhalten ist grundsätzlich Zurückhaltung geboten. Nur zu schnell kommt es zu einer unglücklichen Überbewertung und nahezu ideologisch geführten Auseinandersetzung zwischen Vertretern verschiedener Lager, aber auch innerhalb einer Familie. Eingebettet in ein gesamtheitliches Konzept kann jedoch eine triggerarme Ernährung dazu beitragen, unruhiges Verhalten im Zusammenhang mit Pruritus, Neurodermitis, Allergien, Schmerzen, Schlafstörung oder Hyperaktivität zu stabilisieren.

Interessenkonflikt: Der Autor erklärt, dass keine wirtschaftlichen oder persönlichen Verbindungen bestehen.

Online zu finden unter http://dx.doi.org/10.1055/s-0043-115918


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Dr. med. Raymund Pothmann

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Zentrum Integrative Kinderschmerztherapie
Alsterdorfer Markt
8 22297 Hamburg

pothmann@aol.com


Raymund Pothmann ist Facharzt für Kinderheilkunde mit Spezialisierungen in Kinderneurologie, Schmerztherapie und Akupunktur. 1994–2003 leitender Arzt des kinderneurologischen Zentrums in Oberhausen; 2003 Gründung des Zentrums für Integrative Kinderschmerztherapie Hamburg; seit 2003 Versorgung des Kinderhospiz Sternenbrücke; Koordinator der ersten Leitlinien zur Kopfschmerztherapie bei Kindern; Autor zahlreicher Bücher u. a. zu den Themen Kinder-, Laserakupunktur, TENS.

  • Literatur

  • 1 Elmadfa I, Leitzmann C. Ernährung des Menschen. 4. Aufl.. Stuttgart: Eugen Ulmer; 2004
  • 2 Siedentopp U, Hecker HU. Praxishandbuch Chinesische Diätetik. Kassel: Siedentopp & Hecker GbR; 2009
  • 3 Pothmann R, Meng ACL. Akupunktur in der Kinderheilkunde. 2. Aufl.. Stuttgart: Hippokrates; 2003
  • 4 Bohlayer R. Hrsg. Chinesische Medizin für Kinder und Jugendliche. Stuttgart: Hippokrates; 2008
  • 5 Egger J, Carter CM, Wilson J. et al. Is migraine food allergy?. A doubleblind-controlled trial of oligoantigenic diet treatment. Lancet 1983; 2 8355 865-869
  • 6 Pothmann R, von Frankenberg S, Lüdtke R. et al. Ernährungsmedizinische Therapie bei Kindern mit Kopfschmerzen – Ein randomisierter Vergleich. Neuropädiatrie 2005; 4: 86-91
  • 7 Scott J, Goss K. Allergien und der Weg, sich in wenigen Minuten davon zu befreien. Freiburg Brsg.: VAK Verlag für angewandte Kinesiologie; 1993
  • 8 Pothmann R. TCM-gestützte Ernährungstherapie und Hyposensibilisierung bei Nahrungsmittelintoleranz. Akupunktur-Theorie und Praxis 1996; 24 (01) 6-10

  • Literatur

  • 1 Elmadfa I, Leitzmann C. Ernährung des Menschen. 4. Aufl.. Stuttgart: Eugen Ulmer; 2004
  • 2 Siedentopp U, Hecker HU. Praxishandbuch Chinesische Diätetik. Kassel: Siedentopp & Hecker GbR; 2009
  • 3 Pothmann R, Meng ACL. Akupunktur in der Kinderheilkunde. 2. Aufl.. Stuttgart: Hippokrates; 2003
  • 4 Bohlayer R. Hrsg. Chinesische Medizin für Kinder und Jugendliche. Stuttgart: Hippokrates; 2008
  • 5 Egger J, Carter CM, Wilson J. et al. Is migraine food allergy?. A doubleblind-controlled trial of oligoantigenic diet treatment. Lancet 1983; 2 8355 865-869
  • 6 Pothmann R, von Frankenberg S, Lüdtke R. et al. Ernährungsmedizinische Therapie bei Kindern mit Kopfschmerzen – Ein randomisierter Vergleich. Neuropädiatrie 2005; 4: 86-91
  • 7 Scott J, Goss K. Allergien und der Weg, sich in wenigen Minuten davon zu befreien. Freiburg Brsg.: VAK Verlag für angewandte Kinesiologie; 1993
  • 8 Pothmann R. TCM-gestützte Ernährungstherapie und Hyposensibilisierung bei Nahrungsmittelintoleranz. Akupunktur-Theorie und Praxis 1996; 24 (01) 6-10

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Abb. 1 Unruhestifter Zucker: Die Zuckervermeidung spielt bei hyperaktiven Kindern die Hauptrolle. © EvgeniiAnd / Fotolia; nachgestellte Situation