Sprache · Stimme · Gehör 2017; 41(04): 172
DOI: 10.1055/s-0043-120393
Hören - Erkennen - Verstehen
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Progressive supranukleäre Blickparese – PSP

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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
06. Dezember 2017 (online)

 

Eine im sprachtherapeutischen Alltag wenig bekannte degenerative Erkrankung des Gehirns ist die progressive supranukleäre Blickparese (PSP). Die PSP wird mit anderen Parkinson-ähnlichen Erkrankungen unter dem Begriff „atypische Parkinson-Syndrome“ oder „Parkinson-plus“ zusammengefasst.


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Beschrieben wurde sie erstmals 1964 von Steele, Richardson und Olszewski [1]. Im präfrontalen Kortex, in den Basalganglien (u. a. Substantia nigra), im Subthalamus, in Teilen des Zerebellums und der Medulla oblongata finden sich Ablagerungen von Tau-Proteinen. Die Prävalenz wird mit etwa 6 – 7 pro 100 000 angegeben, wobei Männer und Frauen in etwa gleich häufig betroffen sind. Das mittlere Erkrankungsalter liegt bei 60 – 65 Jahren. Die Patienten klagen häufig über Gang- und Standunsicherheiten mit Stürzen nach hinten. Willkürliche Augenbewegungen sind aufgrund einer vertikalen, später auch horizontalen Blickparese zunehmend eingeschränkt, sodass die Patienten bei Blickwendungen den Kopf und den Oberkörper insgesamt drehen müssen. Beim Lesen fällt es Menschen mit PSP schwer, die Augen über die Zeilen zu bewegen und den Zeilensprung zu realisieren. Manche Patienten klagen auch über Doppelbilder [2]. Eine Dysarthrophonie – die in ihrer Symptomatik der von Parkinson-Patienten gleicht – sowie im späteren Stadium der Erkrankung auch eine Dysphagie führen die Betroffenen in die logopädische Behandlung. Im Spätstadium sind die meisten Betroffenen auf einen Rollstuhl angewiesen und zeigen kognitive und Persönlichkeitsveränderungen [3].

Bei der 60-jährigen Patientin unserer Audioaufnahme begannen die Sehstörungen vor etwa 3 Jahren. Jetzt klagt sie über zunehmende Schluckbeschwerden mit häufigen und heftigen Aspirationen. Außerdem spreche sie langsamer und leiser, sodass sie von Angehörigen kaum noch zu verstehen sei. Deshalb zöge sie sich zunehmend aus Unterhaltungen zurück. Die logopädische Untersuchung von Tonhaltedauer und Stimmumfang zeigte normale Werte bei einer Lautstärke von über 80 dB. Beim Lesen von Alltagsphrasen und in der Kommunikation über vertraute Themen sank die Lautstärke jedoch auf unter 65 dB ab (jeweils gemessen mit dem LSVT Companion). Die Artikulation wurde zudem mit abnehmender Lautstärke zunehmend verwaschen.

Gemeinsam mit der Patientin beschlossen wir einen Therapieversuch nach den Prinzipien der LSVT LOUD-Therapie, wobei die Schwerpunkte der Therapie auf einer „angemessenen“ Lautstärke ohne übermäßigen Druck sowie auf dem Übertrag der realisierbaren Lautstärke auf Kommunikationssituationen lag. Bereits nach 2 Wochen Intensivtherapie (4× pro Woche je 60 min) erhält die Patientin aus der gesamten Familie positive Rückmeldung zur Verbesserung ihrer Kommunikationsfähigkeit. Sie werde besser verstanden und beteilige sich wieder aktiv an der Kommunikation. Zudem habe sie wieder „besser gegessen“ und es sei keine Aspiration mehr aufgetreten. Die Therapie wurde nach der Aufnahme 2 Wochen weitergeführt und dann eine Pause von 3 Monaten vereinbart. Anschließend kann der Therapieerfolg ggf. mit wenigen Therapieeinheiten stabilisiert werden. Bei fortschreitender Erkrankung wird die logopädische Therapie jedoch auf ein umgekehrt-symptomorientiertes Training (USOT) mit Anpassung an die noch vorhandenen Fähigkeiten (z. B. Anpassung der Nahrungskonsistenz an die Schluckfähigkeiten oder Unterstütze Kommunikation) umgestellt werden müssen [4]. Neben der Therapie zur Aufrechterhaltung der körperlichen Fähigkeiten wird die (kommunikative) Teilhabe insbesondere an der direkten Lebensumgebung immer ein Hauptziel der sprachtherapeutischen Intervention darstellen.

Thomas Brauer, Mainz

Literatur

[1] Steele JC, Richardson JC, Olszewski J. Progressive supranuclear palsy: a heterogeneous degeneration involving the brain stem, basal ganglia and cerebellum with vertical gaze and pseudobulbar palsy, nuchal dystonia and dementia. Archives of Neurology 1964, 10: 333 – 359

[2] Deutsche PSP-Gesellschaft e.V. – Informationen für Betroffene und Angehörige, von Prof. Dr. Stefan Lorenzl. Im Internet: https://www.psp-gesellschaft.de; Stand: 25.09.2017

[3] Thümler R. Die Parkinson-Krankheit, Mehr wissen – besser verstehen. 3. Auflage. Stuttgart: TRIAS; 2006

[4] Heidler MD. Demenz: Einteilung, Diagnostik und therapeutisches Management. Idstein: Schulz-Kirchner Verlag GmbH; 2015

Audiopodcast

Audio: Symptomatik und Auswirkungen der Therapie bei einer PSP-Patientin. Aufnahme: Thomas Brauer, Lehrlogopäde, Universitätsmedizin Mainz.
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