Schau, eine Frau!
Stellen wir uns einmal diesen gar nicht außergewöhnlichen Fall vor: Eine Frau kommt
zur Behandlung.
Bis jetzt wird in medizinischen wie osteopathischen Ausbildungen meist am Modell Mann
gelehrt, diese „andere“ Anatomie, Physiologie der Frau wird nur in Bezug zu primären
und sekundären Geschlechtsmerkmalen vermittelt. Doch es ist wichtig, soziokulturelle
Überlegungen und gendermedizinische Forschungsergebnisse in unsere osteopathischen
Arbeitsweisen einzubeziehen. Vielleicht können wir so unseren Händen erklären, was
diese schon lange spüren: Frau spürt sich anders an als Mann. Was ist also eine Frau?
Und wie holen wir unsere Patientin am besten ab?
Wir müssen Frau in ihrem Frau-Sein begreifen – als einen Menschen mit biologischer
Grundausstattung in einem sozialen Umfeld. Frau hat also ein Sex, ein biologisches Geschlecht (beruhend auf Genetik, Anatomie, Physiologie und allem Körperlichen) und Frau hat
ein Gender, d. h. ein soziokulturelles Geschlecht (Einflüsse kultureller und sozialer gesellschaftlicher Gegebenheiten auf die Geschlechterrolle
und die Positionierung in der Gesellschaft), das sich auch potenziell stets weiter
verändert.
Biologisch werden gemeinhin 2 Geschlechter unterschieden: weiblich und männlich. Westliche
Gesellschaften erkennen auch nur 2 soziale Rollen an, nämlich Mann und Frau. Lässt
sich keine Zuordnung zu einem der beiden Geschlechter vornehmen (als Kind), gibt es
inzwischen in mehreren Ländern die Möglichkeit, ein unbestimmtes Geschlecht einzutragen
(u. a. in Malta, Deutschland, Dänemark, Neuseeland, Indien, Australien, Argentinien).
Manche Gesellschaften haben 3 Gender – Männer, Frauen und Berdachen (oder Hirjas oder
Xanith) oder kennen den Gender-Status Frauen mit Männerherz, nämlich biologische Frauen,
die als weibliche Männer leben, aber sich nicht so verhalten oder kleiden [1], [2].
Frau hat ihr biologisches Geschlecht (kein Mann oder Hermaphrodit), ihre Sexualität
(hetero-, homo-, bi- oder transsexuell) und ihr Gender (Mädchen, Frau, Männerrolle,
Transvestit, Greisin). Im Alltag ist uns Gender so vertraut, dass die Erwartungen,
wie Frauen und Männer sich verhalten sollen, gewöhnlich erst bewusst durchbrochen
werden müssen, damit wir merken, wie sich Gender konstituiert. Beim Individuum beginnt
die Gender-Konstruktion damit, dass es je nachdem, wie die Genitalien bei der Geburt
aussehen, einer bestimmten Sex-Kategorie zugeordnet wird (und zweideutige Genitalien
werden chirurgisch leider oftmals zu früh weiblich oder männlich vereindeutigt [1]. Aus einer Sex-Kategorie wird durch Namen, Kleidung und andere Gender-Marker ein
Gender-Status. Ist ein Gender einmal offensichtlich, sind auch die Umweltreaktionen
(inner- und außerfamiliär) beim einen Gender anders als beim anderen, und auch das
Kind reagiert auf die unterschiedliche Behandlung, indem es sich anders fühlt und
ein anderes Verhalten zeigt. Alle Lebenserfahrungen prägen und erzeugen unterschiedliche
Gefühle, unterschiedliches Bewusstsein, unterschiedliche Beziehungen, unterschiedliche
Fähigkeiten – eben die Seinsweisen, die wir als weiblich oder männlich bezeichnen
– und aus denen die soziale Konstruktion Gender besteht [1]. Jede Frau hat ihr Sex und ihr Gender und kann ihre Biologie und ihr Rollenbild
als kongruent erleben oder als widerstreitend. Wie Frau sich selbst in ihrer Geschlechtlichkeit
erlebt, biologisch wie soziokulturell, ist entscheidend für ihr Sein, ihren individuellen
Gesundheitsbegriff und ihren Lebensplan.
Nun können wir Frau dort, wo sie in diesem Moment ist und sich gesund fühlt, osteopathisch
abholen – und nur so können wir uns von einem rein biologischen Zugang erfolgreich
abwenden und Frau in ihrem Menschsein begreifen.
Aber natürlich ist und hat Frau, unsere Patientin, auch einen Körper. Die seit Jahrzehnten
betriebene medizinisch-geschlechtsspezifische Forschung zeigt hier immer mehr Unterschiede
auf, sie geht zum Teil weit über das tradierte Bild der Frau als eine zur Reproduktion
fähige und deshalb auf diese Organe reduzierbare östrogenreiche Variante Mensch hinaus.
Denn nur manche Frauen sind schwanger und auch dann nur eine gewisse Zeit, manche
Frauen haben keine Gebärmutter oder keine Eierstöcke, bei manchen Frauen setzt die
Menstruation zeitweise aus und andere sind in den Wechseljahren [1] – und doch sind alle Frauen! Menstruation, Milchbildung und Schwangerschaft sind
individuelle Erfahrungen des Frauseins [3], nicht aber Determinanten.
Relevantes aus der Forschung
Relevantes aus der Forschung
Einige osteopathisch sehr relevante Ergebnisse der Forschungen, wie hormonelle Zusammenhänge,
neurologische Outputs, immunologische Interaktionen, Besonderheiten des Bewegungsapparats
und kardiale Fakten, sollen exemplarisch aufgezeigt werden und sind selbstverständlich
auf dem Hintergrund einer soziokulturellen Interpretation interessanter zu lesen.
Hormonelle Situation
Die spezifische hormonelle Situation von Frauen macht sie zu potenziell flexibleren Menschen, die mit größeren Risiken,
stärkeren Belastungen und länger währenden Einschränkungen besser umgehen können.
Sexualsteroide haben diverse extragenitale Funktionen (Haut, Lungen, Knochen). Östrogene
modulieren Hunderte von Proteinen. Exemplarisch sei die Interaktion zwischen weiblichen
Sexualsteroiden und dem Herz-Kreislauf-System erwähnt [4].
Die Hormone der Frau schützen ihr Herz. Dieser kurative Effekt ist vor der Menopause
gegeben. Östrogene senken den Cholesterinspiegel durch Upregulation der LDL-Rezeptoren
und bewirken eine Upregulation der endothelialen Stickstoffmonoxidsynthase, unterdrücken
Endothelin und haben einen kalziumantagonistischen Effekt. Dadurch besteht bei der
Frau eine ganz andere hämodynamische Situation als beim Mann – eine protektive Vasodilatation
während Menstruationzyklus und Schwangerschaft und ein modulierender Einfluss auf
den Blutdruck (Schutz vor Hypertonie) und auf die Herzfrequenz (Reduktion von Palpitationen)
[5].
Muskel-Ligament-Skelett-System
Das weibliche Muskel-Ligament-Skelett-System ist mit dem männlichen nicht vergleichbar. Zwar sind die anatomischen Substrate an
Zahl identisch, aber nicht in Form und nicht in Funktion, d. h. Artikulationsflächen,
biomechanische Achsen und Winkel und somit Funktionsgrade sind für Frauen neu zu bestimmen.
Neueste Forschungen fordern ein Umdenken, da quasi kein Knochen auf dem anderen bleibt.
Bereits bei der Geburt ist das weibliche Skelett leichter, obwohl es weiter entwickelt
ist, und bleibt auch im Durchschnitt um 25% leichter als das männliche. Dieser leichtere Knochenbau kommt besonders dadurch zustande, dass der Strebenbau der Röhrenknochen zarter ist.
Die Rumpfbetonung von Frauen ist mit 38% der gesamten Körperlänge um 2% größer als die des Mannes,
die Extremitätenbetonung also geringer. Aber nicht nur die Rumpflänge verändert die
Körperproportionen, sondern auch die größere Hüftbreite, die kompensatorisch zu einer X-Bein-Stellung führt. Dies bewirkt eine Verlagerung
des Körperschwerpunkts nach unten, zudem ist die Pronation des Fußes durch ihre breitere Hüftstellung stärker. Bekannt ist auch, dass sich die tägliche
Anpassung des Knochenmetabolismus ebenso unterscheidet wie der Zeitpunkt der höchsten Knochendichte [6]. Am Knie
[7], [8], [9], [10], [11] besteht ein signifikant größerer Quadrizeps-Winkel zwischen Tuberositas tibiae und
Patella. Dadurch läuft die Patella-Führungslinie eher in Valgusform auf die Mittellinie
der Kondylen zu, bedingt durch die bei Frauen vermehrt beobachtete Antetorsion des
Schenkelhalses. Ferner sind die Femurkondylen mehr trapezförmig und die Vorderseite
ist schmäler. Beim Azetabulum weiß man, dass Frauen eine mehr nach anterior orientierte Pfanne haben [12].
Nervensystem
In der Hirnforschung zeigen Studien, dass Frauen mit beiden Hemisphären ausgeglichen (bilateral) denken
und hören. Auch das Sprachzentrum ist rechts- und linksseitig ausgeprägt und nicht
nur linksseitig wie bei Männern, wie aktuelle Studien über das Wiedererlernen der
Sprache nach apoplektischem Insult belegen. Eine Studie zeigt die gesteigerte Symmetrie
in weiblichen Gehirnen, v. a. der grauen Substanz, und hier wiederum von Thalamus,
Kleinhirn und sprachassoziierten Regionen [13].
Die nach außen sichtbaren und analysierbaren Outputs des Nervensystems haben auch
eine innere Komponente. Die Entwicklung und Differenzierung von Zellen kann sowohl
durch zellintrinsische (zellautonome) als auch durch extrinsische Signale aus der
Umgebung reguliert werden, und bestimmte Hirnregionen zeigen geschlechtsspezifische
Besonderheiten, insbesondere Basalganglien, limbisches System und Neokortex, wo Motorik,
Emotionen oder kognitive Funktionen gesteuert werden.
Bei der Untersuchung der geschlechtsspezifischen Differenzierung verschiedener spezifischer
Nervenzelltypen, wie der dopaminergen Neuronen aus dem Mittelhirn und dem Hypothalamus,
wurde gezeigt, dass diese Neurone morphologische und funktionelle Geschlechtsunterschiede
entwickeln. Daraus wurde die Hypothese entwickelt, dass Neurone ihr genetisches Geschlecht
auch zellautonom realisieren können; die geschlechtsspezifische Differenzierung des
Gehirns wäre so als Ergebnis einer Interaktion von zellextrinsischer Regulation durch
Steroidhormone und zellintrinsischer Genaktivierung zu verstehen [14]. Weitere neuroanatomische Besonderheiten weisen die Strukturen auf, in denen eine
Steroidgenese (Progesteron und Metaboliten) stattfindet: Amygdala, Hippokampus, Retina
und Neuronen in Bulbus olfactorius, Thalamus, Hypothalamus und Corpus striatum [15].
Immunsystem
Ein wesentlicher Unterschied des weiblichen Immunsystems zum männlichen ist seine Flexibilität. Die Immunsituation verändert sich zyklusbedingt
(Ovulation) wie auch durch Schwangerschaft und nach der Menopause. Östradiol hat eine
hemmende und stimulierende Wirkung auf das immunologische Netzwerk, Progesteron wirkt
stark immunmodulierend. Prä- und periovulatorisch kommt es – östrogenbedingt – zu
einer enormen Steigerung der immunologischen Aktivität, die in der Lutealphase – progesterondominiert
– rasch wieder sinkt. Diese immunregulativen Mechanismen kommen nicht nur im Endometrium
zum Tragen, sondern spielen sich im gesamten weiblichen Körper, im besonderen aber
im Bereich der Schleimhäute, ab. Die immunologische Potenz einer Frau ist also in
der 1. Zyklusphase größer als in der 2. [16]. Während einer Schwangerschaft entwickelt sich das Immunsystem weg von der zellmediierten
Immunität und hin zu mehr humoral induzierter Immunität.
In den Wechseljahren bzw. nach dem Eintritt der Menopause, sobald die Östrogenproduktion
reduziert ist oder sistiert (auch bei künstlicher Menopause), verringert sich die
Menge an zirkulierenden Antikörpern und die Immunantwort wird langsamer. Diese immunologische
Alterung lässt Frauen trotzdem im Alter gesünder sein und ihre Lebenserwartung ist
länger.
Die Haut z. B. moduliert durch das komplexe Zusammenspiel von Östrogenen und Androgenen
das Immunsystem, die Dicke der Epidermis und Dermis. So verändern sich u. a. der pH-Wert,
die Qualität der Wundheilung und die Wahrscheinlichkeit eine Autoimmunerkrankung zu
entwickeln [17]. Das gesamte Mikrobiom des Darms und damit das Immunsystem ist geschlechtsspezifisch
[18].
Die Diagnose-Diva©
Frau-Sein allein (das wissen Sie jetzt) ist nicht der Grund für den Besuch bei der
Osteopathin und es ist auch keine Diagnose. Als Osteopathinnen begreifen wir unser
Gegenüber als Ganzes, versuchen Frau in ihrem Lebenskontext zu verstehen und zu erfassen,
um sie wertschätzend dort abholen zu können, wo sie steht oder wo sie hinstrebt. Die
besondere Herausforderung besteht darin, ein Gleichgewicht zwischen allgemeinen und
frauenspezifischen Befunden zu finden, ohne den Menschen aus den Augen zu verlieren,
d. h. ohne auf frauenspezifische und Gender-Merkmale im Übermaß oder reduktionistisch
einzugehen. Wir wollen also einen Menschen osteopathisch behandeln, eine Frau kennen-
und verstehen lernen und letztlich auch diagnostizieren, eine Frau, die mit spezifischen,
aber nicht unbedingt frauenspezifischen Anliegen zu uns kommt.
Die Diagnose-Diva©
([Abb. 1]) zeigt die Komplexität der Diagnose auf und stellt eine Übersicht der diagnostischen
Kriterien dar. Die unten gewählte Reihenfolge ist nicht nach Wichtigkeit geordnet
und veränderbar.
Abb. 1 Diagnose-Diva©.(aus: [19]
)
Hormonelles Gleichgewicht
Wie ist das hormonelle Gleichgewicht? Wie reagiert das Gewebe auf die Hormone? Sind
die einzelnen Organe miteinander in Kommunikation? Gibt es Restriktionen in der Hormonachse?
Man prüft also die Motilität der angesprochenen Strukturen, auch ihre Mobilität und
die Gewebequalität sowie die Responsibilität des Gewebes auf Inputs und die Kapazität
der Outputs.
Nervensystem
Ist das Nervensystem in seinen Bewegungen frei? Hat es einen Fokus? Wie ist seine
neurotrophe Gewichtung? Reagiert es im gleichen Maße auf innen und außen? Wie ist
das Gleichgewicht zwischen Sympathikus und Parasympathikus?
Immunsystem
In welcher Situation befindet sich das Immunsystem gerade? Zeigt es eine Abwehr von
Infektionen, Hyperaktivität, Restriktionen? Sind die immunologischen Organe in Kommunikation
untereinander? Sind die Lymphwege frei? Ist das Immunsystem des Darms aktiv? In die
Überprüfung des Immunsystems sollten neben der Überprüfung der Motilität von Milz,
Thymus, der Evaluierung des Waldeyer-Rachenringes, der Peyer-Plaques und der Cysterna
chyli auch die Prüfung der großen Lymphbahnen und Lymphknoten miteingeschlossen sein.
Die Gesamtsituation, z. B. allergene Disposition, Unverträglichkeiten, akute oder
chronische Infektion, autoimmunologische Prozesse, Tumorerkrankungen, medikamentöse
Immunsuppression, sollte die Ausgangsbasis für weitere Diagnose- wie Behandlungsschritte
sein.
Interner Informationsaustausch
Sind das Hormon-, das Immun- und das Nervensystem im Gleichgewicht und in Kommunikation
miteinander? Reagiert das eine System adäquat auf die Informationen der anderen?
Vaskuläres System
Wie ist die Versorgung, die Vitalität des Körpers? Ist das Kreislaufsystem belastbar?
Besteht ein Gleichgewicht zwischen sympathikotoner und parasympathikotoner Beeinflussung?
Gibt es lokale Permeabilitätsstörungen? Bilden das arterielle und das venöse System
eine Einheit [20]?
Stoffwechsellage
Ist die Stoffwechsellage anabol oder katabol? Gibt es diabetische oder andere den
Stoffwechsel bestimmende Tendenzen? Die allgemeine Stoffwechselsituation gibt Aufschluss
über etwaige bereits oben erwähnte Einflüsse bzw. Zustände (Nerven-, Immun-, Hormonsystem)
und zeigt die potenzielle Tendenz momentaner therapeutischer Wirkungen auf.
Zeitfenster
Bei jeder Behandlung öffnet sich das Fenster neu. In welchem Lebensabschnitt befindet
sich Frau? Wie alt ist sie biologisch? Wie alt fühlt sie sich? Welche Ziele hatte
sie und welche hat sie? Wo ist Frau im Zyklus? Hat Frau Zyklus? Welche Zeitparameter
hat ihr Zyklus? Ist sie in der Menopause? Ist sie schwanger?
Sex – Gender
Kann ich mein Gegenüber überhaupt begreifen, ohne sie nicht kennenzulernen?
Kleines Becken
Das kleine Becken bildet und begrenzt den Rahmen, in dem sich Ausscheidungs- und Fortpflanzungsstrukturen
befinden und mit dem Außen in Kontakt kommen. Der Diagnostik dieser Organe sollte
immer zuerst eine Beurteilung des Rahmens vorangehen. Wie ist der Raum beschaffen,
in dem diese Organe wohnen? Wie elastisch kann der Rahmen sein? Die Gesamtheit des
Rahmens kann in seinem fluiden Anteil, in seinem Potenzial zur Flexibilät, also Anpassung
an intraabdominale Druckschwankungen, Veränderungen der inneren Gegebenheiten, Positionsänderungen,
diagnostiziert werden.
Um die Organe letztendlich diagnostizieren zu können, ist es wichtig, sich zu veranschaulichen,
dass die Organe des kleinen Beckens nicht nur in diesem Rahmen, sondern auch in kleinen
Extrazimmern wohnen, die ihnen Raum geben, ihre Mobilität zu den Nachbarstrukturen
ermöglichen und ihre Ausdehnungsvariationen erleichtern. Diese Zwischenräume entstehen meist durch Peritonealfalten. Ein wichtiges diagnostisches Kriterium ist
die freie Bewegung und Verschieblichkeit der einzelnen Räume bzw. die Bewegungsfreiheit
der Bindegewebszüge. Mit einem anterior-posterioren Händekontakt kann man sowohl die
4 transversalen als auch die 3 sagittalen Räume prüfen – auf Mobilität, Elastizität,
Raumschaffung, Raumerhaltung und Spannung.
(Geschlechts-)spezifische Organe
Die Gebärmutter ist ein extrem flexibles, mobiles Organ, das mehr in seinen Aufhängungen schwebt
als sich abstützt. Die Diagnostik betrifft also wieder den Raum, in dem der Uterus
wohnt und wie er darin gehalten wird. Wie ein Schmetterling schwebt die Gebärmutter,
ihren Korpus mit der Zervix auf die Vagina abstützend, mittels ihrer Flügel zwischen
den Beckenwänden.
Beim Ovar ist zu beachten, dass eines stets anders aussieht als das andere und es unterschiedlich
groß ist. Zuerst ist es klein und glatt, ab der Menarche wird es größer und bleibt
groß bis zur Menopause. Durch die Eisprünge wird es zunehmend vernarbt. Zyklusabhängig
ist es mehr oder weniger stark durchblutet. Nach der Menopause verkleinert es sich
wieder, bis es nach dem Klimakterium nur mehr sehr klein ist. Demzufolge braucht es
unterschiedlich viel Raum und der Spannungszustand der Ligamente ist veränderlich.
Das Zusammenwirken mit den Fimbrien der Tube ist ein wichtiger diagnostischer Hinweis
bei unerfülltem Kinderwunsch und wiederholten Eileiterschwangerschaften. Die gleichzeitige
Diagnostik des rechten und linken Ovars macht funktionale Läsionen deutlich.
Die Mesosalpinx, eine Bauchfellduplikatur aus beiden Blättern des Lig. latum uteri, die zur Beckenwand
zieht und zwischen Lig. teres uteri und Lig. ovarium propium liegt, geht um die gesamte
Tuba uterina, deren Kriterium ihrer Beweglichkeit eben die spannungsfreie Mesosalpinx ist.
Bei der Diagnostik der weiblichen Brust ist es wichtig, zwischen den elementaren Bestandteilen – Milchgänge, Endknospen,
im Gangsystem liegenden wachstumsbereiten undifferenzierten embryonalen Zellen, die
neue Endknospen bei Schwangerschaften bilden können – und dem konstituierendem Fettgewebe
zu unterscheiden. In der Pubertät entwickeln sich durch die weiblichen Steroidhormone
infolge des Wachstums des subkutanen Fettgewebes die Brüste. In jedem Zyklus kommt
es zu einem Wachstumsschub im Gangsystem durch Östrogene. Progesteron induziert eine
abortive Differenzierung der Endknospen. Eine Diagnose der Brüste muss immer den momentanen
Zyklus, eine mögliche Schwangerschaft, vorbestehende Schwangerschaften oder Hormontherapien
miteinbeziehen.
Schau, schau!
Stellen wir uns den spannenden Fall vor: Eine Frau kommt zur Behandlung. Zurecht sind
sie aufgeregt: Wie erlebt sich diese Frau, wie wurde diese Frau zu so einer Frau,
wo befindet sie sich, wohin will sie? Ein Meer an Vielfalt tut sich auf. Vor diesem
soziokulturellen Hintergrund entdecken Sie Ihre Patientin und treffen sie in ihrem
gesunden Potenzial. Und so offenbart sich dann auch Ihren osteopathischen Händen ihr
Körper mit allʼ seinen Geheimnissen, geschlechtsspezifischen wie allgemein menschlichen.
Und am Ende der Behandlung können Sie sich hoffentlich staunend zurücklehnen und denken:
Schau, schau – eine Frau!