Einleitung
Unter dem Begriff nicht-melanozytärer Hautkrebs, auch: Nicht-Melanom-Hautkrebs (NMSC)
werden das Basalzellkarzinom (auch: Basaliom oder Basalzellepitheliom) und das Plattenepithelkarzinom
der Haut (auch: Spinaliom, Stachelzellkarzinom; griech. karkinos = Krebs) zusammengefasst.
Obwohl die Sterblichkeitsraten dieser Tumore niedrig sind, bestimmen die hohen Inzidenzraten
eine beträchtliche Anzahl von Todesfällen. NMSC ist die häufigste Art von Hautkrebs,
was etwa ⅓ aller Malignitäten, die weltweit jedes Jahr diagnostiziert werden, ausmacht.
Studien zeigen, dass Arsen bei der Entwicklung dieser Hautmalignome eine wichtige
Rolle spielen kann [1].
Nach geltendem Berufskrankheitenrecht bei Einhaltung der sozialrechtlichen Rahmenbedingungen
können nicht nur die Berufskrankheiten (BK) Nrn. 5102 und 5103, sondern u. a. auch
Hautkrebs oder zur Krebsbildung neigende Hautveränderungen nach einer Exposition gegenüber
Arsen oder seinen Verbindungen (BK Nr. 1108) als Berufskrankheit anerkannt und entschädigt
werden [2]. Im Jahr 2016 wurden insgesamt 46 Fälle mit Verdacht auf BK Nr. 1108 gemeldet, davon
wurden 5 Fälle als Berufskrankheit anerkannt [3].
Arsen kommt selten als reines chemisches Element in der Natur vor. Arsenverbindungen
kennt man schon seit dem Altertum und als mutagenes Klastogen können sie als Gift
wirken, welches Chromosomenaberrationen hervorrufen und somit auch kanzerogene Wirkung
besitzen kann [4]. Arsen kommt häufig in Verbindung mit Kobalt vor und bildet als Arsenkobalt das
häufigste Kobalterz, den Speiskobalt, bzw. in zusätzlicher Verbindung mit Schwefel
Glanzkobalt (Cobalit). Speiskobalt war ein wichtiges Kobalterz zur Blaufarbenbereitung
und wurde z. B. für die Bemalung von Porzellan und Keramik verwendet, wobei Nickel
und weißes Arsen(III)-oxid (Arsenik) als Nebenprodukt gewonnen wurden [5].
Kasuistik
Anamnese
Wir berichten über den Fall einer 78-jährigen Patientin, die seit 10 Jahren ein kleines
Knötchen am linken Handrücken bemerkt hatte. Dieser Knoten wurde dann seit ca. zwei
Monaten rasch deutlich größenprogredient und erosiv, sodass die Patientin bei uns
vorstellig wurde.
Die Patientin berichtete, von 1955 bis 1990 für ca. 35 Jahre in der oberfränkischen/oberpfälzer
Porzellanindustrie tätig gewesen zu sein. Dabei hätte sie Unterglasur-Porzellanbemalungen
mit kobalthaltigen blauen Farben durchgeführt. Daneben wurden u. a. auch Überglasurbemalungen
mit Goldfarben durchgeführt. Während der Arbeit wurden sehr selten Handschuhe getragen.
In ihrer Freizeit war die Patientin gelegentlich in ihrem Garten tätig. Auslandsaufenthalte,
v. a. in südlichen Ländern, werden nicht angegeben. Die Patientin war bis zum Zeitpunkt
des Auftretens der aktuellen Hauterscheinungen hautgesund, in der Familie seien keine
Hauterkrankungen bekannt.
Dermatologischer Befund
Am linken Handrücken zeigt sich ein ca. 3,5 cm durchmessender, breitbasig aufsitzender
Tumor mit unregelmäßiger, etwas papillomatöser, glänzender, nässend-erosiver Oberfläche
und vereinzelten ektatischen Blutgefäßen. In der Nachbarschaft waren noch zwei kleinere
aktinische Keratosen und Lentigo-artige Hyperpigmentierungen (Melanosen) zu sehen
([Abb. 1]). Die axillären Lymphknoten fanden sich palpatorisch frei. An der restlichen Haut,
insbesondere auch im Gesicht, waren keine pathologischen Befunde vorhanden. Im bakteriologischen
Abstrich des Tumors wurde vereinzelt Staphylococcus aureus nachgewiesen.
Abb. 1 Breitbasig-gestielt aufsitzender Tumor mit unregelmäßiger, etwas papillomatöser,
glänzender, nässend-erosiver Oberfläche und vereinzelten Gefäßektasien am linken Handrücken
der Patientin. In der Umgebung Lentigo-artige Hyperpigmentierungen (Melanosis).
Histopathologischer Befund
Mikroskopisch zeigte sich oberflächlich mehrschichtig verhornendes Plattenepithel
mit Anschnitten von Hautanhangsgebilden mit Anteilen der papillären und tieferen Dermis
sowie zentral-invasiv wachsende Infiltrate eines malignen epithelialen Tumors in plattenepithelialer
Konfiguration. Fokal zeigte sich ein Verhornungsphänomen in 20 % der Tumorzellen.
Es konnte die Diagnose eines mäßig differenzierten, fokal verhornenden Plattenepithelkarzinoms,
das auf dem Boden eines plattenepithelialen Carcinoma in situ (so genannter Morbus
Bowen) entstanden ist, gestellt werden ([Abb. 2]). Nach apparativem Staging wurde das Tumorstadium mit pT2 N0 M0, Grading G2, Stadium
II nach UICC bestimmt.
Abb. 2 Histologie des Tumors, HE-gefärbt mit einer Vergrößerung von 12,5 ×: Oberflächlich
mehrschichtig verhornendes Plattenepithel mit Anschnitten von Hautanhangsgebilden
mit Anteilen der papillären und tieferen Dermis sowie zentral Infiltrate eines malignen
epithelialen Tumors in plattenepithelialer Konfiguration mit umgebender Schichtungsstörung.
Diagnose: mäßig differenziertes (Grading: G2), fokal verhornendes Plattenepithelkarzinom,
das auf dem Boden eines plattenepithelialen Carcinoma in situ (so genannter Morbus
Bowen) entstanden ist.
Therapie und Verlauf
Es erfolgten die vollständige, mehrzeitige, mikrografisch kontrollierte, operative
Entfernung des Plattenepithelkarzinoms am linken Handrücken sowie der Verschluss mittels
Dehnungsplastik. Aufgrund der positiven Anamnese für eine langjährige, weitgehend
ungeschützte Arbeit mit höchstwahrscheinlich arsenhaltigen Kobalt-Porzellanfarben
erfolgte die ärztliche Anzeige bei Verdacht auf die Berufskrankheit Nr. 1108. Insgesamt
ergab sich ein plausibler Zusammenhang zwischen der langjährigen Arsen-Exposition
der Haut an den Händen und dem entstandenen Plattenepithelkarzinom. Zur Zeit des klinischen
Aufenthaltes existierte der Porzellanbetrieb, in dem die Patientin tätig war, seit
ca. 22 Jahren nicht mehr. Wir konnten daher keine weiteren Information bezüglich des
genauen Arbeitsprozesses und der Menge und Art der verwendeten Porzellanfarben erhalten.
Der technische Dienst/Präventionsdienst der zuständigen Berufsgenossenschaft ist aufgefordert,
weitere diesbezügliche Ermittlungen und Bewertungen vorzunehmen.
Diskussion
Plattenepithelkarzinome der Haut sind epitheliale Tumoren und gehen von den Keratinozyten
der Epidermis aus. Sie haben häufig ein Ausgangs- oder Vorläuferstadium, wachsen destruktiv
und können metastasieren. Die epidemiologisch mit Abstand relevantesten Vorläuferläsionen
kutaner Plattenepithelkarzinome sind die aktinischen Keratosen. Die überwiegende Mehrzahl
der epithelialen Hauttumoren in der Bevölkerung wird durch Exposition gegenüber natürlichen
UV-Strahlen erworben, bei einem Teil dieser Tumoren können auch beruflich bedingt
vermehrte UV-Expositionen eine wichtige Rolle bei der Kanzerogenese spielen (BK Nr. 5103).
Auch beruflich bedingte Hautkontakte zu Ruß, Rohparaffin, Teer, Anthrazen, Pech oder
ähnlichen Stoffen können hierbei eine wichtige Rolle spielen (BK Nr. 5102). Es ist
darüber hinaus bekannt, dass Berufstätige, die in relevantem Umfang u. a. Arsen (BK
Nr. 1108) und ionisierenden Strahlen (BK Nr. 2402) exponiert waren, ein erheblich
höheres Risiko haben, an einer Hautkrebserkrankung, insbesondere an einem Basaliom
oder Spinaliom, zu erkranken als die übrige Bevölkerung [6].
Eine Berufskrankheit ist eine arbeitsbedingte Erkrankung, die ein Beschäftigter durch
seine berufliche Tätigkeit erleidet, indem er, nach dem Kenntnisstand der Medizin,
besonderen Einwirkungen (z. B. bestimmten chemischen Stoffen) in erheblich höherem
Maß ausgesetzt ist als die übrige Bevölkerung. Man unterscheidet u. a. durch chemische
Einwirkungen verursachte Krankheiten, Krankheiten ausgelöst durch physikalische Einwirkungen,
durch Infektionserreger oder Parasiten verursachte Erkrankungen, Erkrankungen der
Atemwege und der Lungen sowie Hautkrankheiten. Die Berufskrankheiten sind in der Berufskrankheiten-Verordnung
(BKV) verzeichnet [8].
Unmittelbar nachdem es auch in Europa gelang, Porzellan herzustellen (zuerst in Meißen,
1708), wurde dieses auch glasiert und farbig bemalt. Die Dekore wurden vom Porzellanmaler
im manuellen oder teilmechanisierten Verfahren aufgebracht und im Brennofen eingebrannt.
Schon seit mehreren Jahrhunderten wurden die Kobalterze benutzt, um dem Porzellan
eine blaue Farbe zu erteilen. Kobalt ist ein seltenes Element und zählt zu den Schwermetallen.
Das Kobalt wurde zuerst von Brandt 1733 als ein eigentümliches Metall beschrieben
und kommt hauptsächlich in Verbindungen mit Arsen vor. Arsen gehört zu den Halbmetallen
und seine Kanzerogenität ist gut untersucht [7].
In der Porzellanindustrie erfolgte in der Vergangenheit die Produktion von Porzellantellern
durch eine spezielle Technik. Eine besondere Unterglasurbemalung (mit kobaltblauer
Farbe), die der intensiven Hitze der zweiten Porzellanfeuerung widerstehen kann, wurde
entwickelt. Die Kobaltblau-Unterglasurfarben wurden durch Schmelzen bestimmter Mischungen
hergestellt. Die Mischung entsteht aus Metallsalzen, die meisten davon sind Zinkoxid,
Kobalt-Zinksilikat, Arsen und Siliziumoxid. Nachdem das amorphe Glasmaterial pulverisiert
wurde, wird das Pulver zusammen mit Kaolin, Borax, Glycerin und Wasser gemischt. Ein
Teller wird zwei- oder dreimal mit dieser Mischung Kobaltblau-Unterglasurfarbe bemalt.
Nach jedem Lackiervorgang werden die Teller getrocknet und die überschüssige Farbe
wird mittels Bürste entfernt. Die Plattenmalerei sollte in einem Rauchabzugsschrank
durchgeführt werden [9]
[10]. In welche Mengen dabei Arsen abgegeben worden ist, bleibt unklar.
Es ist bekannt, dass Kobalt(-chlorid) lokal eine allergische Kontaktdermatitis hervorrufen
kann. Orale Aufnahme kann zu Verätzungen im Verdauungstrakt führen und nach Inhalation
kann es zum toxischen Lungenödem kommen [11].
Bei der beruflichen Exposition gegenüber Arsen oder Arsenverbindungen ist bekannt,
dass aktinische Keratosen, Plattenepithelkarzinome sowie Morbus Bowen (die in unserem
Fall ebenso wie Melanosen an den Handrücken vorlagen) und Basalzellkarzinome auftreten
können [12]. Die Aufnahme von Arsen in den Körper erfolgt in Form von Staub, Dampf oder Gas
über die Atemwege, über den Magen-Darm-Trakt und über die Haut. Eine erhöhte Inzidenz
von Plattenepithelkarzinomen ist weitgehend dokumentiert in Gebieten, wo das Wasser
natürlich mit Arsen angereichert ist [13]. Bereits geringste Arsenmengen sind in der Lage, die Signaltransduktion in Zellen
zu beeinflussen. Erhöhte Frequenzen von Chromosomenaberrationen, Induktion von oxidativem
Stress, Wechselwirkung mit Sulfhydrylgruppen, Modulation der Stickstoffmonoxidbildung,
Änderungen im Methylierungsgrad von Genen und Interferenzen mit DNS-Reparaturmechanismen
durch anorganische Arsenverbindungen konnten im Tierversuch und bei exponierten Arbeitern
nachgewiesen werden [14]. Vom Pharmakologen John Paris stammt aus dem Jahre 1820 die Erstbeschreibung sogenannter
Arsen-Karzinome sowohl bei Menschen als auch beim Tier. Ihm waren bei Arbeitern und
Zugpferden in den Zinngießereien und Kupferschmelzhütten von Cornwall/England, in
denen arsenhaltiges Erz verarbeitet wurde, schwere, teilweise ulzeröse, zerfallende
Hautveränderungen aufgefallen [15]. Latenzzeiten zwischen Exposition und Erkrankungsmanifestation können Jahre bis
Jahrzehnte dauern. Für Morbus Bowen und Basalzellkarzinome sind Latenzzeiten von durchschnittlich
17,8 Jahren und für Plattenepithelkarzinome von durchschnittlich 19,7 Jahren nach
Erstkontakt zu Arsen publiziert. Mit der Länge der Exposition steigt das Karzinomrisiko
[16].
Der Mensch kommt auf unterschiedliche Wege mit Arsen in Kontakt, auch über das Trinkwasser,
Lebensmittel oder im Beruf. Erhöhte Arsenexposition ist bekannt in der Halbleiterfertigung,
in der Kupfer- und Bleiproduktion und in der metallverarbeitenden Industrie. Als Gefahrquellen
sind Verhüttung und Rösten arsenhaltiger Mineralien, Herstellung von Arsenik, Verwendung
arsenhaltiger Ausgangsstoffe in der Pharmazie, in der chemischen, keramischen und
Glasindustrie zu nennen. Dies gilt auch für Gerbereien, Kürschnereien, zoologische
Handlungen und für die vereinzelt noch in der Bundesrepublik Deutschland vorkommende
Herstellung und Verwendung arsenhaltiger Schädlingsbekämpfungsmittel, die in der Vergangenheit
oft von Winzern verwendet worden seien [17].
Auch eine mögliche Synkanzerogenese [18] durch Arsen- und UV-Einwirkungen wäre im vorliegenden Fall denkbar, jedoch gab die
Patientin keine besondere private UV-Exposition an.
Die bekanntesten dermatologischen Krankheitsbilder in der Porzellanindustrie sind
v. a. das irritative Kontaktekzem aufgrund von Arbeiten im feuchten Milieu und das
allergische Kontaktekzem aufgrund der Hautexposition gegenüber einer Vielzahl von
chemischen Elementen und Verbindungen, die in Glasuren und bei der Dekoration von
Porzellan verwendet werden. Andere kutane Nebenwirkungen und v. a. die Entwicklung
eines Plattenepithelkarzinoms nach der Arsenexposition in der Porzellanindustrie wurden
in der Literatur unseres Wissens nach bisher nicht oder kaum beschrieben.
In unserem Fall werden wir leider durch das Fehlen genauerer Information über die
Malmethodik, Farbverwendung und jeweiligen Expositionsdauern der Patientin in unserer
Beurteilung begrenzt, da der Betrieb seine Geschäftstätigkeit und Produktion vor ca.
22 Jahren einstellte. Der technische Dienst/Präventionsdienst der zuständigen Berufsgenossenschaft
ist aufgefordert, weitere diesbezügliche Ermittlungen und Bewertungen vorzunehmen.