physiopraxis 2018; 16(02): 6-9
DOI: 10.1055/s-0043-121802
Profession
© Georg Thieme Verlag Stuttgart – New York

Gesprächsstoff

Eileen Schneider
,
Andrea Pötting

Subject Editor:
Further Information

Publication History

Publication Date:
16 February 2018 (online)

Übertherapie wird geahndet – Aufsehen im Medizinrecht

„Leidensverlängerung durch Übertherapie verurteilt!“

Eine übermäßige Therapie von Patienten am Lebensende ist leider keine Seltenheit. Sie hat meist kein Therapieziel, sondern fügt den Patienten Leiden zu und erhält sie künstlich am Leben. Dass dies nun ernsthafte Konsequenzen nach sich ziehen kann, zeigt ein Fall am Oberlandesgericht München: Erstmals wurde in Deutschland ein Arzt wegen Leidensverlängerung durch Übertherapie zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von 40.000 Euro verurteilt.

Im Fall geht es um einen 82-jährigen Patienten, der aufgrund einer Demenz schwer pflegebedürftig in einem Pflegeheim wohnte. Obwohl man seinen Willen nicht mehr ermitteln konnte, wurde ihm während eines Klinikaufenthaltes als lebenserhaltende Maßnahme eine PEG-Magensonde gelegt – dies entschied ein Berufsbetreuer. Sein Zustand verschlechterte sich zunehmend: Er litt über Jahre hinweg an Atembeschwerden, Nackenrigor, Zahnfäule und vielem mehr. Im November 2011 verstarb er.

Sein Sohn verklagte daraufhin den Hausarzt wegen nicht angebrachter künstlicher Ernährung und hat nun bei Gericht Recht bekommen. Das Gericht sieht einen eindeutigen Fehler in der Behandlung. Der Arzt habe seine Pflicht verletzt, Maßnahmen in Hinblick auf den Gesamtzustand des Patienten zu ergreifen. Die Zuführung von Nährstoffen durch eine PEG-Sonde sei ohne Therapieziel erfolgt und sei bei Patienten, die selbst ohne Hilfestellung keine Nahrung mehr zu sich nehmen können, ein widernatürlicher Eingriff in den Verlauf des Lebens – zu dem eben auch das Sterben gehöre. Das Urteil verdeutlicht das bestehende Problem der Übertherapie am Lebensende.

Dieser Fall ist nach Erfahrung von Dr. Matthias Thöns, Facharzt für Anästhesiologie und Palliativmedizin, kein Randproblem. Denn oftmals verlängern auch Chemotherapie, Bestrahlung oder nutzlose Medikation das Leiden der Patienten. „Dagegen erfolgt Palliativversorgung nur in sechs Prozent am Lebensende, obgleich seit Jahren belegt ist, dass sie die Lebensqualität bessert und die Lebenszeit verlängert“, sagt Thöns.

Abgeschlossen ist der Fall noch nicht: Sowohl der Mandant als auch der Arzt wollen in Revision gegen das Urteil gehen – der Fall landet somit vor dem Bundesgerichtshof.

dll

Palliativversorgung
ist die einzige Revolution, die das Leben verbessert und verlängert.
Dr. Matthias Thöns