physiopraxis 2018; 16(02): 30-34
DOI: 10.1055/s-0043-125176
Therapie
© Georg Thieme Verlag Stuttgart – New York

Das SIG als Schmerzquelle identifizieren – SIGnalwirkung

Arne Vielitz

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Publikationsdatum:
16. Februar 2018 (online)

 

Tests, die das Sakroiliakalgelenk untersuchen, gibt es viele. Doch keiner ist alleine aussagekräftig genug, um das Gelenk zuverlässig als Schmerzquelle zu identifizieren. Daher empfehlen Experten, verschiedene Schmerzprovokationstests für das SIG zu kombinieren. manuelletherapie-Herausgeber Arne Vielitz stellt sie vor.


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Arne Vielitz, B.A. aus Lübeck, arbeitet in Eutin in einer als „Certified McKenzie Clinics“ zertifizierten Praxis. Er studierte berufsbegleitend in den Niederlanden (PT B.A.), macht derzeit seinen Master in Osnabrück und ist Herausgeber der „manuelletherapie“. Die Frage nach einer aussagekräftigen Testung am SIG begleitet ihn schon seit der Ausbildung, als er den Vor- und Rücklauftest kennenlernte. Seither interessiert er sich für die aktuellen Erkenntnisse zum SIG.

Rückenschmerzen haben diverse Ursachen. Die Herausforderung für Physiotherapeuten ist es, diese zu erkennen, um sie gezielt therapieren zu können. Spezifische Ursachen wie Bandscheibenvorfälle, Spinalkanalstenosen, entzündliche Kreuzschmerzen, Osteoporose, Frakturen, Infektionen, Tumore und Spondylolisthesis sind mit fünf bis zehn Prozent relativ selten [7, 11]. Überwiegend handelt es sich also um unspezifische Rückenschmerzen. Diese lassen sich nach verschiedenen Klassifikationsmodellen unterteilen. Eine Möglichkeit ist es, zwischen mechanischem und nicht mechanischem Rückenschmerz zu differenzieren [4].

Ursachen für einen nicht mechanischen unspezifischen Rückenschmerz sind beispielsweise psychosoziale Faktoren. Sie gelten als Risikofaktoren für eine Chronifizierung, und Therapeuten sollten sie als Yellow Flags in der physiotherapeutischen Diagnostik beachten und entsprechend therapieren. Aufklärung über die Schmerzentstehung und aktive Therapien sind die Mittel der Wahl. Passive Therapieformen wie Massage, Faszien- oder Elektrotherapie fördern hingegen das Chronifizierungsrisiko [7].

Häufiger aber handelt es sich um mechanische Rückenschmerzen, die haltungs- bzw. bewegungsabhängig sind. Mechanisch ist jedoch nicht gleich mechanisch. Als Ursache für die Schmerzen kommen neben dem Rücken selbst auch das Hüftgelenk oder das Sakroiliakalgelenk (SIG oder ISG) in Betracht. Um zielgerichtet behandeln zu können, muss man eruieren, welche Region vermutlich für die Beschwerden des Patienten verantwortlich ist. Die Wahrscheinlichkeit, dass das SIG die Schmerzquelle ist, liegt bei circa 20 Prozent [1]. Um diese 20 Prozent zuverlässig zu entdecken, sollte der Therapeut wie folgt vorgehen:

Über Anamnese SIG-Problematik ausschließen

Einen ersten Hinweis erhält der Therapeut womöglich schon in der Anamnese. Prädisponierende Faktoren für ein SIG-Problem sind [1]:

  • fortgeschrittenes Alter,

  • Wirbelsäulenversteifung in der Vorgeschichte,

  • entzündliche Arthritis als Nebenerkrankung,

  • anatomische oder funktionelle Beinlängendifferenz und

  • ein konkreter Auslöser, zum Beispiel ein Trauma.

Die Schmerzen, die das SIG verursachen kann, sind extrem variabel und überschneiden sich mit den Ausstrahlungsgebieten von LWS und Hüfte. Die Schmerzen können in die Leiste, das Bein und sogar bis in den Fuß ausstrahlen [6, 12] und geben daher keinen konkreten Hinweis auf ein SIG-Problem. Es ist aufgrund der Schmerzanamnese eher möglich, das SIG über das Ausstrahlungsgebiet auszuschließen. Denn als unilaterale Struktur verursacht es in aller Regel nur einseitige Schmerzen unterhalb von L 5.

Die Wahrscheinlichkeit, dass bei mechanischen Rückenschmerzen das SIG die Schmerzquelle ist, liegt bei circa 20 Prozent [1].


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Mit Ausschlussdiagnostik von LWS und Hüfte beginnen

Damit sich Physiotherapeuten nicht durch falsch positive oder falsch negative Tests auf eine falsche Fährte locken lassen, sollten sie andere Schmerzquellen ausschließen. Um die Lendenwirbelsäule als Schmerzquelle zu identifizieren bzw. auszuschließen, ist beispielsweise eine Untersuchung mithilfe der von Robin McKenzie entwickelten Methode zur Mechanischen Diagnose und Therapie (MDT) hilfreich. Findet man durch wiederholte Bewegungen bzw. gehaltene Positionen eine Zentralisation der Schmerzen – das heißt eine Verlagerung des am weitesten distal gelegenen Schmerzes nach proximal bzw. zentral (zum Beispiel vom Knie zum Gesäß oder vom Gesäß zur Mitte der LWS) – und bleibt der Schmerz auch nach einer Veränderung der Position dort, kann man ziemlich sicher von einem LWS-Problem ausgehen [15]. Wenn das SIG die Schmerzen verursacht, zeigt sich dieses Phänomen nicht. Das Gleiche gilt für die Peripheralisation, also einer Verlagerung der Symptome nach distal.

Um das Hüftgelenk als Schmerzquelle auszuschließen, empfiehlt es sich, dieses neben aktiven und passiven Bewegungen und Widerstandstests auch mithilfe von funktionellen Tests wie der tiefen Hocke und Ausfallschritten zu screenen. Die Mulligan-Methode kann hier mit ihrer Kombination aus passiven Zusatzbewegungen und aktiven Bewegungen als Probebehandlung sehr aufschlussreich sein. Aber egal mit welchen Mitteln untersucht wird, es gilt: Verändern sich die Symptome bei der Untersuchung der Hüftregion, empfiehlt es sich in jedem Fall zuerst auf dieser Fährte zu bleiben.


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Palpationstests kann man sich sparen

Gibt die Anamnese Hinweise auf ein SIG-Problem und wurden andere mögliche Schmerzquellen ausgeschlossen, stellt sich die Frage nach den besten Tests für das SIG. Hier gibt es aufgrund der vielen, teils umfangreichen und komplizierten Konstrukte in den verschiedenen Konzepten über 50 Tests zur Auswahl. Grundsätzlich unterscheidet man Palpationstests der Position bzw. der Bewegung und Schmerzprovokationstests. Von Palpationstests am SIG raten viele Experten aufgrund ihrer geringen Aussagekraft ab [2, 3, 9]. Denn die individuelle Anatomie der Patienten erschwert es dem Therapeuten extrem, zu wissen, was er bei der Palpation erwarten soll. Unterschiede bestehen sowohl zwischen verschiedenen Patienten als auch beim einzelnen Patient im Seitenvergleich [1]. Hinzu kommt, dass das SIG tief sitzt und dort per se sehr schwer exakt zu palpieren ist. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die sehr geringe Bewegungsamplitude des SIG von nur wenigen Grad bzw. Millimetern [13]. Das alles macht die Palpationstests am SIG wenig reliabel. Führen also zwei Untersucher beim gleichen Patienten die Tests aus, ist die Chance nicht sehr hoch, dass sie zum gleichen Ergebnis kommen [10].


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Sieben Schmerzprovokationstests kombinieren

Wissenschaftlich fundiert und allgemein empfohlen ist dagegen die Untersuchung des SIG mittels Schmerzprovokationstests [1, 8]. Allerdings reicht ein einzelner Test nicht aus [10, 16–19]. Erst wenn der Therapeut die folgenden Tests kombiniert, erreicht er eine klinisch nützliche Validität und eine akzeptable Reliabilität [5]:

  • Thigh Thrust Test

  • Distraktionstest

  • FABER-Test

  • Kompressionstest

  • Gaenslen’s Test

  • Sacral Thrust Test (S. 32–33)

Sind drei oder mehr dieser Tests positiv, kann man von einer SIG-Problematik ausgehen [8]. Wie der Name bereits sagt, geht es bei den Tests darum, den Schmerz zu provozieren und zu testen, ob man den typischen Schmerz auslöst. Zusätzlich empfehlen verschiedene Autoren den Drop-Test (S. 34). Da hier die Dosierung jedoch nicht durch den Therapeuten geschieht, sondern durch den Patienten selbst, besteht die Gefahr eines falsch negativen Tests. Ist er jedoch positiv, gilt auch er als zuverlässiger Indikator für ein SIG-Problem [5, 10].

Doch auch Schmerzprovokationstests bieten Therapeuten keine absolute Sicherheit. Der Patient könnte zu den circa zehn Prozent gehören, bei denen diese Testkombination nicht aussagekräftig ist.


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Thigh Thrust Test

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Abb.: K. Oborny, Thieme Gruppe

ASTE: Die Patientin liegt auf dem Rücken. Der Therapeut steht auf der nicht zu testenden Seite und flektiert das Hüftgelenk der zu testenden rechten Seite um 90 Grad.

Durchführung: Als Widerlager platziert der Therapeut seine linke Hand unter dem Sakrum. Die rechte Hand legt er auf das rechte Knie der Patientin und appliziert einen Druck entlang der Längsachse des Femurs.

Dosierung: Wiederholter Druck (mit steigender Intensität, wenn kein Schmerz ausgelöst wird). Zum Schluss gibt der Therapeut ggf. einen intensiveren Impuls/Überdruck.

Interpretation: Der Test gilt als positiv, wenn der Druck den bekannten Schmerz auslöst.


Qualität:


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Distraktionstest

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Abb.: K. Oborny, Thieme Gruppe

ASTE: Die Patientin liegt auf dem Rücken, ihre Beine sind gestreckt. Der Therapeut steht seitlich.

Durchführung: Der Therapeut platziert seine Handballen auf den SIAS der Patientin. Der Druck über die Handballen erfolgt mit beiden Händen gleichzeitig nach dorsolateral.

Dosierung: Wiederholter Druck (mit steigender Intensität, wenn kein Schmerz ausgelöst wird). Zum Schluss gibt der Therapeut ggf. einen intensiveren Impuls/Überdruck.

Interpretation: Der Test gilt als positiv, wenn der Druck den bekannten Schmerz auslöst.

Variationen: Die Position der Hände kann sowohl gekreuzt als auch ungekreuzt sein. Bei der gekreuzten Variante ist es jedoch in der Regel leichter, den nötigen Druck aufzubringen.

Wichtig: Den Druck durch die Handballen des Therapeuten empfinden Patienten fast immer als sehr unangenehm. Es ist sinnvoll, darüber im Vorhinein zu informieren und exakt nachzufragen, ob es sich um den typischen Schmerz handelt.


Qualität:


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FABER-Test

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Abb.: K. Oborny, Thieme Gruppe

ASTE: Die Patientin liegt auf dem Rücken. Der Therapeut steht auf der zu testenden Seite. Die Patientin bringt das Bein der zu testenden linken Seite in Flexion, Abduktion und Außenrotation (engl.: External Rotation). Sie erhält dafür den Auftrag, das linke Sprunggelenk auf das rechte Knie zu legen.

Durchführung: Als Widerlager platziert der Therapeut seine rechte Hand auf der SIAS der kontralateralen Seite, die linke Hand liegt auf dem Knie der zu testenden Seite und führt einen Schub nach dorsal aus.

Dosierung: Wiederholter Druck (mit steigender Intensität, wenn kein Schmerz ausgelöst wird). Zum Schluss gibt der Therapeut ggf. einen intensiveren Impuls/Überdruck.

Interpretation: Der Test gilt als positiv, wenn der Druck den bekannten Schmerz auslöst.


Qualität:


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Kompressionstest

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Abb.: K. Oborny, Thieme Gruppe

ASTE: Die Patientin liegt mit leicht gebeugten Beinen auf der Seite. Der Therapeut steht hinter ihr oder kniet hinter ihr auf der Behandlungsbank.

Durchführung: Der Therapeut platziert seine übereinander gelegten Handballen auf dem oberen (anterolateralen) Anteil der Crista iliaca und führt einen Schub nach medial aus.

Dosierung: Wiederholter Druck (mit steigender Intensität, wenn kein Schmerz ausgelöst wird). Zum Schluss gibt der Therapeut ggf. einen intensiveren Impuls/Überdruck.

Interpretation: Der Test gilt als positiv, wenn der Druck den bekannten Schmerz auslöst.

Variationen: Kann die Patientin nicht auf der Seite liegen, ist der Test auch in Rückenlage durchführbar. Hierfür legt der Untersucher seine Hände rechts und links an die Cristae, der Schub erfolgt von beiden Seiten gleichmäßig nach medial.


Qualität:


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Gaenslen’s Test

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Abb.: K. Oborny, Thieme Gruppe

ASTE: Die Patientin liegt auf dem Rücken. Sie umgreift das rechte Bein und zieht es maximal zu sich heran, um Hüft- und Kniegelenk maximal zu flektieren. Der Therapeut steht auf der zu testenden linken Seite und bringt das Bein in den seitlichen Überhang.

Durchführung: Der Therapeut fixiert mit der rechten Hand das flektierte Knie, die linke Hand platziert er auf dem Knie der zu testenden linken Seite und gibt einen gleichmäßigen Druck auf beide Knie nach dorsal. Es entsteht eine Verwringung des Beckens.

Dosierung: Wiederholter Druck (mit steigender Intensität, wenn kein Schmerz ausgelöst wird). Zum Schluss gibt der Therapeut ggf. einen intensiveren Impuls/Überdruck.

Interpretation: Der Test gilt als positiv, wenn der Druck den bekannten Schmerz auslöst.


Qualität:


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Sacral Thrust Test

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Abb.: K. Oborny, Thieme Gruppe

ASTE: Die Patientin liegt auf dem Bauch. Der Therapeut steht seitlich.

Durchführung: Der Therapeut platziert eine seiner Handkanten mittig auf dem Sakrum und führt dann einen Druck nach ventral aus. Seine zweite Hand unterstützt die Bewegungsrichtung.

Dosierung: Wiederholter Druck (mit steigender Intensität, wenn kein Schmerz ausgelöst wird). Zum Schluss gibt der Therapeut ggf. einen intensiveren Impuls/Überdruck.

Interpretation: Der Test gilt als positiv, wenn der Druck den bekannten Schmerz auslöst.


Qualität:


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Drop-Test

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Abb.: K. Oborny, Thieme Gruppe
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Abb.: K. Oborny, Thieme Gruppe

ASTE: Die Patientin steht zu Beginn auf beiden Beinen. Der Therapeut gibt ihr zur Erleichterung seine Hände.

Durchführung: Die Patientin stellt sich auf der zu testeten rechten Seite in den Zehenspitzenstand und hebt die Ferse so weit wie möglich vom Boden. Dann soll sie die Ferse mit gestrecktem Knie auf den Boden zurückfallen lassen.

Dosierung: Je Seite zwei- bis drei Mal mit maximaler Wucht auf die Ferse fallen lassen.

Interpretation: Der Test gilt als positiv, wenn der bekannte Schmerz ausgelöst wird.


Qualität:

Schmerzprovokationstests am SIG

Das gilt es zu beachten

Finden Sie bei Patienten mit unteren Rückenschmerzen in der Anamnese Hinweise auf ein durch das SIG ausgelöstes Problem und konnten Sie LWS und Hüfte als mögliche Schmerzquellen ausschließen, empfiehlt es sich, das SIG mit den gezeigten sieben Tests zu untersuchen. Dabei gilt für alle Tests:

  • Führen Sie die Tests immer beidseits aus.

  • Die Kraft, mit der Sie die Tests ausführen, muss ausreichend groß sein, um falsch negative Tests zu vermeiden.

  • Zu Beginn drücken Sie mit geringer Intensität. Löst dies keinen Schmerz aus, testen Sie wiederholt und mit steigender Intensität. Werden auch hierbei keine Symptome reproduziert, geben Sie am Ende einen Überdruck.

  • Lösen Sie den für den Patienten typischen Schmerz aus, gilt der Test als positiv.

  • Erst wenn drei der Tests positiv ausfallen, können Sie von einer SIG-Problematik auszugehen.


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Abb.: K. Oborny, Thieme Gruppe
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Abb.: K. Oborny, Thieme Gruppe
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Abb.: K. Oborny, Thieme Gruppe
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Abb.: K. Oborny, Thieme Gruppe