Schlüsselwörter
Kollaps - Schwangerschaft - Herz-Kreislauf-Stillstand - Notfallmaßnahmen - Prävention
- Therapie
Abkürzungen
AvD:
Arzt vom Dienst
AVPU:
Alert – Verbal Stimuli – Painful Stimuli – Unresponsive
DGGG:
Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe
MEOWS:
Modified Early Obstetric Warning Score
NEO:
Neonatologe
OEGGG:
Österreichische Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe
OAvD:
Oberarzt vom Dienst
PPH:
peripartale Hämorrhagie
RR:
Blutdruck
SGGG:
Schweizerische Gesellschaft für Geburtshilfe und Gynäkologie
Einführung
Mütterlicher Kollaps ist ein akutes Ereignis mit Beteiligung des kardiorespiratorischen
Systems und/oder des Gehirns und führt zu einem verminderten oder fehlenden Bewusstsein
in der Schwangerschaft oder im Wochenbett. Es handelt sich um ein seltenes Ereignis:
Die Inzidenz liegt zwischen 14 und 600/100 000 Geburten. Dennoch kann es Ausdruck
einer lebensbedrohlichen Erkrankung sein. Die maternale Sterblichkeitsrate liegt in
Europa bei 16 von 100 000 Lebendgeburten. Die mütterlichen und fetalen Outcomes sind
von der „Chain of Survival – Überlebenskette“ abhängig ([Abb. 1]):
-
Prävention und rasches Erkennen eines Herz-Kreislauf-Stillstandes
-
Hilfe rufen
-
frühe und effektive Reanimation
-
früher Einsatz automatischer Defibrillatoren
-
effiziente Ursachensuche
-
Einleitung entsprechender Therapiemaßnahmen [1], [2]
Merke
Ein Herz-Kreislauf-Stillstand kann einen epileptischen Anfall simulieren, daher sollte
ein Kreislaufstillstand bei vermutetem Anfallsereignis ausgeschlossen werden.
Abb. 1 Die Überlebenskette.(Quelle: Bittner S. Wie war das noch mit der Wiederbelebung?
Im OP 2017; 07: 203 – 208)
Die vorliegende Leitlinie geht nicht auf vasovagale Ereignisse oder Bewusstseinsstörungen
im Zusammenhang mit epileptischen Anfällen ein.
Physiologische und anatomische Veränderungen in der Schwangerschaft
Physiologische und anatomische Veränderungen in der Schwangerschaft
Die schwangere Frau unterliegt einer Vielzahl von physiologischen und anatomischen
Veränderungen, die die Entwicklung eines Kollapses begünstigen. Es ist daher von entscheidender
Bedeutung, dass diese Veränderungen dem Reanimationsteam bewusst sind.
Atemwege
Die Lungenfunktion ist verändert, zusätzlich erschwert ein Diaphragmahochstand die
Atmung. Der durch die Schwangerschaft erhöhte Sauerstoffverbrauch begünstigt die Entwicklung
einer Hypoxie.
Herz-Kreislauf-System
Mütterliche kardiovaskuläre Veränderungen und Anämie begünstigen die Kollapsneigung
und fördern einen schnellen Blutverlust.
Andere Faktoren
Aortokavale Kompression: verursacht durch Gebärmuttervergrößerung
Mageninhaltaspiration: durch reduzierte gastrische Motilität und relaxierten Speiseröhrensphinkter
Erschwerte Intubation und Beatmung: durch Gewichtszunahme und Blutvolumenzunahme
Allgemeine Ursachen des Kollapses
Allgemeine Ursachen des Kollapses
Die reversiblen Ursachen des Kollapses lassen sich einteilen in 4 H- und 4 K-Ursachen.
4 H-Ursachen:
-
Hypoxie
-
Hypovolämie
-
Hypo-/Hyperkaliämie
-
Hypothermie
4 T-Ursachen:
-
Thromboembolien (Fruchtwasserembolie, Lungenembolie, Luftembolie, Myokardinfarkt)
-
Toxizität (lokale Anästhesie, Magnesium, andere)
-
Tamponade/Perikarderguss
-
Tension durch Spannungspneumothorax/Trauma
Spezielle Ursachen des Kollapses
Spezielle Ursachen des Kollapses
Präexistente Erkrankungen und/oder schwangerschaftsspezifische Komplikationen erhöhen
das Kollapsrisiko:
-
kardiovaskuläre Erkrankungen (Hauptursachen: Myokardinfarkt, Aortendissektion, Kardiomyopathie)
-
Eklampsie und Präeklampsie
-
intrakranielle Blutungen
-
vasovagale Ursachen
-
Anaphylaxie
-
Sepsis
-
Hypoglykämie
Präventive Maßnahmen
Die schwangeren Patienten sollten in leichter Linksseitenlage von 15 – 30 Grad gelagert
werden, um eine aortokavale Kompression zu vermeiden.
Zur Risikoeinschätzung und -eingrenzung wird der geburtshilfliche Frühwarnungsscore
MEOWS empfohlen ([Tab. 1]) [3], [5]. Unterscores bewerten dabei Vitalparameter und den neurologischen Zustand.
Bei erhöhtem oder hohem Kollapsrisiko sind entsprechende Maßnahmen zu ergreifen.
Tab. 1 MEOW-Unterscores [3], [5].
Score
|
3
|
2
|
1
|
0
|
1
|
2
|
3
|
Σ
|
Temperatur (°C)
|
|
< 35
|
|
35 – 37,4
|
|
37,5 – 39
|
> 39
|
|
systolischer RR
|
≤ 70
|
71 – 79
|
81 – 89
|
90 – 139
|
140 – 149
|
150 – 159
|
≥ 160
|
|
diastolischer RR
|
|
|
≤ 45
|
46 – 89
|
90 – 99
|
100 – 109
|
≥ 110
|
|
Pulsrate
|
|
≤ 40
|
40 – 50
|
51 – 100
|
101 – 110
|
111 – 129
|
≥ 130
|
|
Atemfrequenz
|
|
≤ 8
|
|
9 – 14
|
15 – 20
|
21 – 29
|
≥ 30
|
|
AVPU-Score
|
|
|
|
wach
|
reagiert Stimme
|
reagiert Schmerz
|
teilnahmslos
|
|
Urinproduktion (ml/h)
|
< 10
|
< 30
|
|
nicht gemessen
|
|
|
|
|
Wenn die Pulsrate höher ist als der systolische Blutdruck: Score 2 für Puls. Von allen genannten Punkten ist die Atemfrequenz die sensitivste.
|
Tab. 2 AVPU-Score [11].
neurologischer Zustand
|
|
Score
|
A – Alert
|
Patient ist wach und bei Bewusstsein
|
0
|
V – Verbal Stimuli
|
Patient reagiert auf verbale Stimuli
|
1
|
P – Painful Stimuli
|
Patient reagiert auf Schmerzen
|
2
|
U – Unresponsive
|
Patient ist teilnahmslos, reagiert nicht auf Stimuli, Bewusstlosigkeit
|
3
|
Allgemeines Management und Behandlung
Allgemeines Management und Behandlung
Praxis
Alarm-Kaskade MEOWS
MEOWS („Modified Early Obstetric Warning Score“): Einschätzung der Dringlichkeit einer
Behandlung geburtshilflicher Patientinnen als modifiziertes Frühwarnsystem [5].
MEOWS ≤ 2
MEOWS = 3
MEOWS ≥ 4 oder MEOWS 3 in einem Parameter
-
Hebamme informieren, Befunde kontrollieren
-
Parallel Info an AvD
-
Falls innerhalb von 30 min eine Untersuchung nicht möglich ist: Info an OAvD
Notfall: MEOWS = 6
-
Hebamme informieren, Befunde kontrollieren
-
Parallel Info an AvD und OAvD
-
notfallmäßige Untersuchung indiziert
-
Falls OAvD nicht verfügbar ist: Ruf an Anästhesie und Hinter-Hintergrunddienst holen!
Notfallnummern bereithalten:
-
Notfall-Buzzer
-
Geburtshilfe AvD
-
OP-Moderator
-
Anästhesie AvD
-
Neonatologie AvD
Befunde:
Erwägen:
-
fetales Monitoring (Dauer-CTG/Doppler)!
-
Linksseitenlage, falls schwanger!
-
Untersuchungsintervall verkürzen!
-
Sauerstoffsättigung messen!
-
O2-Therapie beginnen
-
i. v. Zugang (2!) legen
-
Labor: kl. HELLP + CRP, ggf. Procalcitonin, Kreuzblut, Abstriche/Blutkultur
-
Flüssigkeitsgabe
-
Urinkatheter legen
-
Schmerztherapie
-
EKG
-
auf Intensivstation verlegen
Merke
Erste Schritte: Sicherheit, Bewusstseinskontrolle, Hilferuf!
-
Umgebung inspizieren, Eigenschutz und Absicherung! Lautes deutliches Ansprechen und Körperkontakt!
-
Zusätzliche Hilfe rufen!
-
Notarzt im ambulanten/häuslichen Bereich
-
geburtshilfliches Notfallteam
-
geburtshilflicher Arzt/Hebamme
-
Intensivmediziner/Anästhesist
-
OP-Team
-
eine in der Neugeborenenversorgung erfahrene Person
-
vollständige Erstuntersuchung
-
lebensbedrohliche Probleme zuerst behandeln
-
Kommunizieren Sie effizient, nutzen Sie das SBAR-Schema [10] ([Tab. 3]).
-
alle zur Verfügung stehenden Teammitglieder und Ressourcen nutzen
-
Reanimation nach den ABCDE-Regeln ([Tab. 4])
-
Reevaluation der Situation. Beobachtung der Auswirkungen eingeleiteter Maßnahmen
Merke
Ziel: Patientin stabilisieren, Zeit für Diagnostik und weitere Maßnahmen gewinnen.
Tab. 3 SBAR-Schema zur Kommunikation [10].
Bereich
|
Inhalt
|
S – Situation (Situation)
|
Eigene und Patientenidentität. Hauptproblem, was ist passiert?
|
B – Background (Hintergrund)
|
Was ist Hintergrund oder Vorgeschichte?
|
A – Assessment (Einschätzung)
|
Was ist vermutlich das Problem? Spezielle Beobachtungen und Vitalzeichen anhand des
ABCDE-Schemas ([Tab. 4]).
|
R – Recommendation (Empfehlung)
|
Was ist zu tun? Eigenen Plan klar darstellen, gewünschte Hilfe deutlich anfordern.
|
Tab. 4 ABCDE-Regeln zur Reanimation [3].
Bereich
|
Maßnahmen
|
A – Airways – Atmungswege
|
Atemwege freimachen, Überstrecken des Kopfes in den Nacken oder Esmarch-Handgriff.
Wenn angezeigt: Ringknorpel eindrücken, um Mageninhaltaspiration zu vermeiden.
|
B – Breathing – Atmung
|
Messung und Überwachung der Atemfrequenz.
Sofern vorhanden: Pulsoxymeter anbringen, 100% O2 (15 l/min), sobald möglich über Maske.
|
C – Circulation – Kreislauf
|
Lagerung der schwangeren Patienten auf einer festen Oberfläche in leichter Linksseitenlage
von 15 – 30 Grad, um eine aortokavale Kompression zu vermeiden. Alternativ: 2. Helfer
verlagert den Uterus manuell möglichst weit nach kranial und links.
Carotispuls nicht tastbar? Fehlende Reaktion und langsame schnarchende Atmung? Verdacht
auf Kreislaufstillstand!
Sofort Beginn einer effektiven Herzdruckmassage mit einer Kompressionsrate von 100 – 120
pro Minute!
Sobald Hilfe anwesend: 2 großlumige i. v. Zugänge legen, Blutentnahme für Labor und
Blutzucker. Volumen verabreichen, initial und rasch 1000 ml Ringer-Lösung oder 0,9%
NaCl (Kompressionsmanschette verwenden).
Falls möglich: Beatmung über Maske im Rhythmus 30 : 2, alternativ wird lediglich die
kontinuierliche Herzdruckmassage ohne Unterbrechung fortgeführt.
Monitoring, z. B. Puls, Blutdruck, O2-Sättigung
Automatischen Defibrillator anschließen und Anweisungen folgen.
|
D – Disability – neurologische Defizite
|
Pupillen prüfen, Bewusstsein mittels AVPU-Score einstufen ([Tab. 2]), Blutzucker messen, Lagerung in Seitenlage
|
E – Exposure – erweiterte Untersuchung und umgebende Faktoren
|
Aufdecken/Ausziehen und körperliche Untersuchung – auch im Genitalbereich. Urinkatheter
legen, Ausscheidung bilanzieren. EKG, Abdomen Ultraschall inkl. inneres Genitale.
Zentraler Venenkatheter. Fremdanamnese.
Nach Ursachen suchen: 4 Hs + 4 Ts
|
Spezielle Maßnahmen
Eklampsie und Präeklampsie
-
Kann auch noch Tage nach der Entbindung auftreten und zu einem lebensbedrohlichen
Krankheitsbild führen.
-
Die Behandlung erfolgt nach Empfehlungen der DGGG-Leitlinie [6].
-
Erstmaßnahmen bei kardialem Arrest entsprechen den allgemeinen Reanimationsrichtlinien.
-
Krampfneigung und hypertensive Krise
-
Magnesiumsulfat intravenös initial 4 – 6 g über 20 min, Erhaltungsdosis 1 g/h.
-
Falls MgSO4 nicht verfügbar: Phenytoin oder Diazepam
-
antihypertensive Therapie bei anhaltenden Blutdruckwerten über 150/100 mmHg
-
Nifidepin 5 mg per os
-
Urapidil initial über 2 min 6,25 mg intravenös, danach 3 – 24 mg/h
-
Dihydralazin initial über 2 min 5 mg intravenös, danach 2 – 20 mg/h
Septischer Schock
-
Häufigste Erreger sind Streptokokken, Pneumokokken und Escherichia coli.
-
Eine rasche und zielgerichtete Therapie beeinflusst das Outcome.
-
Hypotonie, niedrige Körpertemperatur, Leuko- und Thrombozytenabfall können Zeichen
für einen dramatischen septischen Verlauf sein!
-
Behandlungsschwerpunkte [1]:
-
Aerobe und anaerobe Blutkulturen (je 1 Set an 2 verschiedenen Abnahmeorten)
-
Aggressive Volumensubstitution. Ziel: mittlerer arterieller Blutdruck über 65 mmHg
und zentraler Venendruck von mindestens 8 mmHg (oder über 12 mmHg, wenn die Patientin
beatmetet ist), stabile Sauerstoffsättigung.
-
Beginn einer antibiotischen Therapie mit Breitbandantibiotikum. Die Antibiotikatherapie
sollte innerhalb einer Stunde nach Diagnose begonnen werden.
-
Ggf. Einsatz von Glukokortikoiden.
-
Bei Hb < 7 g/dl Transfusion von Erythrozytenkonzentraten.
Blutungen
-
Volumen ersetzen, Transfusion von Erythrozytenkonzentraten
-
Präpartal: Entbindung und ggf. anschließend Therapie der peripartalen Hämorrhagie
(PPH)
-
Postpartal: Therapie der PPH nach Empfehlungen der S2k-Leitlinie der DGGG/OEGGG/SGGG
[7]
-
Akute Erstmaßnahme sind Halten und Massage des Uterus
-
Uterotonika verabreichen
-
Gerinnung optimieren
Intoxikation
-
Die Erstmaßnahmen bei Vergiftung entsprechen den allgemeinen Notfallmaßnahmen zur
Sicherung der Vitalfunktionen. Die Therapie wird ggf. symptomorientiert durch intensivmedizinische
Maßnahmen ergänzt.
-
Medikamentenverwechslung/-dosierungsfehler erwägen.
-
Eigen- und Fremdanamnese.
-
Asservieren von Medikamenten/Verpackungen, Speiseresten, Erbrochenem und anderen Produkten,
die Auslöser sein können.
-
Falls vorhanden: Gegengift verabreichen.
-
Absorptionsmindernde Maßnahmen.
Cave
Aspirationsrisiko → Intubation.
Merke
Giftinformationszentren sind für ein effizientes Vergiftungsmanagement bedeutsam [8].
Anaphylaxie
Intrakranielle Blutungen
Perimortaler Kaiserschnitt
Perimortaler Kaiserschnitt
-
Rasche und adäquate Wiederbelebungsmaßnahmen können in frühen Schwangerschaftswochen
(SSW) eine suffiziente Perfusion etablieren und bei erfolgreicher Reanimation die
Fortführung der Schwangerschaft ermöglichen.
-
Wenn trotz korrekt durchgeführter Reanimationsmaßnahme innerhalb von 4 Minuten nach
mütterlichem Herzstillstand keine Wiederbelebung erreicht werden konnte, sollte ein
perimortaler Kaiserschnitt in Erwägung gezogen werden.
-
Entscheidungsfindung:
-
Unter 20 SSW ist eine Kompromittierung des mütterlichen kardialen Outputs durch den
Uterus unwahrscheinlich, ein Kaiserschnitt verbessert das Outcome nicht.
-
Zwischen 20 und 23 SSW Notfallkaiserschnitt, um Reanimationsbedingungen zu verbessern,
hierbei wird das Nichtüberleben des Fetus in Kauf genommen.
-
> 23 SSW Durchführung eines Notfallkaiserschnitts, um das Leben von Mutter und Kind
zu retten.
Beendigung der Reanimationsmaßnahmen
Beendigung der Reanimationsmaßnahmen
Wiederbelebungsmaßnahmen werden so lange fortgesetzt, bis eine Entscheidung im Konsens
mit geburtshilflichem Arzt, Intensivmediziner und dem Reanimationsteam gefällt wird.
Maßnahmen nach Reanimation
Maßnahmen nach Reanimation
-
Verlegung auf Intensivstation zur Überwachung
-
Einbeziehen der Angehörigen
-
Nachbesprechung des Ereignisses mit allen Beteiligten
-
Dokumentation
Cave
Das Risiko eines erneuten Kreislaufstillstandes ist hoch!