Nogueira RG.
et al.
Thrombectomy 6 to 24 Hours after Stroke with a Mismatch between Deficit and Infarct.
N Engl J Med 2018;
378: 11-21
Bei einem ischämischen Schlaganfall sollte eine Thrombektomie so früh wie möglich
erfolgen. Studien belegen einen Nutzen für die ersten 6 Stunden nach Symptombeginn.
Was aber, wenn mehr als 6 Stunden vergangen sind oder nicht bekannt ist, wann die
ersten Symptome auftraten? Die DAWN-Studie hat untersucht, ob Patienten mit einer
starken Diskrepanz zwischen klinischen Symptomen und Infarktgröße auch von einer späteren
Intervention profitieren.
Wann ging es dem Patienten zuletzt gut? Dieser Zeitpunkt wird in der Regel für die
Festlegung verwendet, wie lange der Schlaganfall zurückliegt. Wenn der Patient mit
Schlaganfallsymptomen aus dem Schlaf erwacht oder erkrankt aufgefunden wird, überschätzt
diese Methode aber möglicherweise die Dauer der Symptome. Auch Patienten mit ischämischem
Hirngewebe, das noch nicht abgestorben ist, könnten profitieren, wenn die 6-Stunden-Regel
nicht streng eingehalten wird. Letzterer Fall liegt dann vor, wenn die klinischen
Symptome einen deutlich größeren Schaden vermuten lassen, als er im Hirnscan sichtbar
ist. Auf diese Patienten konzentriert sich die prospektive, randomisierte Multizenter-Studie
DAWN (DWI or CTP Assessment with Clinical Mismatch in the Triage of Wake-Up and Late
Presenting Strokes Undergoing Neurointervention with Trevo).
206 Patienten mit Verschluss der intrakranialen A. carotis interna oder der proximalen
A. cerebri media, denen es zuletzt 6–24 Stunden vor Aufnahme in die Studie gut ging,
bekamen randomisiert entweder eine Thrombektomie plus die Standardversorgung oder
nur die Standardversorgung (Kontrollgruppe). Endpunkte waren der Grad der Behinderung
auf der nutzengewichteten modifizierten Rankin-Skala (von 0 = Tod bis 10 = keine Symptome
oder Behinderung) und die funktionelle Unabhängigkeit (Grad 0, 1 oder 2 auf der modifizierten
Rankin-Skala von 0 bis 6, wobei höhere Werte eine größere Einschränkung bedeuten).
Jede(r) Zweite erreicht funktionelle Unabhängigkeit
Nach 90 Tagen war der mittlere Wert auf der nutzengewichteten modifizierten Rankin-Skala
5,5 in der Thrombektomie-Gruppe und 3,4 in der Kontrollgruppe. Funktionelle Unabhängigkeit
erreichten 49 % der Patienten in der Thrombektomie-Gruppe, aber nur 13 % in der Kontrollgruppe.
Symptomatische Hirnblutungen waren in beiden Gruppen ähnlich häufig (6 % vs. 3 %,
P = 0,50), auch die 90-Tage-Mortalität unterschied sich nicht wesentlich (19 % vs.
18 %, P = 1,00).
Diese Ergebnisse sind eindrucksvoll. Eine Zwischenanalyse der Studie führte dazu,
dass die Rekrutierung neuer Patienten nach 31 Monaten gestoppt wurde. Für 2 Patienten,
die einer Thrombektomie unterzogen wurden, hatte 1 Patient mehr nach 90 Tagen einen
besseren Wert bei der Beurteilung der Einschränkungen. Für 2,8 thrombektomierte Patienten
hatte einer mehr nach 90 Tagen funktionelle Unabhängigkeit, konnte sich also im Alltag
selbst versorgen. Der Anteil der Patienten mit funktioneller Unabhängigkeit in der
Thrombektomie-Gruppe war ähnlich hoch wie in Studien mit früher Thrombektomie.
Nach den Ergebnissen dieser Studie könnten viele Schlaganfallpatienten auch nach dem
6-Stunden-Zeitfenster von einer Thrombektomie profitieren. In retrospektiven Studien
erfüllte etwa ein Drittel aller Patienten mit Verschluss eines vorderen Hirngefäßes,
die sich zwischen 6 und 24 Stunden nach Symptombeginn vorstellen, die Einschlusskriterien,
die für die DAWN-Studie verwendet wurden.
Dr. Nina Drexelius, Hamburg