Einleitung: Viele heranwachsende Mädchen streben eine schlanke Figur an. Doch die Annahme, niedriges
Körpergewicht gehe mit höherer Körperzufriedenheit und Selbstwertgefühl einher, scheint
auf Jugendliche mit Anorexia nervosa (AN), die trotz Untergewichts hohe Körperunzufriedenheit und geringes Selbstwertgefühl aufweisen, nicht zuzutreffen. Negative
kognitive Verzerrungen – sogenannte kognitive Bias – bezüglich körperbezogener Informationen
könnten diese Entkopplung erklären. Die vorliegende Studie untersucht Zusammenhänge
zwischen tatsächlichem Gewicht, kognitiven Bias und Körperunzufriedenheit/Selbstwertgefühl
bei Jugendlichen mit AN und ohne psychische Erkrankungen.
Methoden: Gewicht (BMI-SDS), Interpretations-Bias, Körperunzufriedenheit und Selbstwertgefühl
wurden bei n=40 12-18-jährigen Mädchen mit AN und n=40 Mädchen ohne psychische Erkrankungen erfasst. Anhand hierarchischer Regressionsanalysen
wurde untersucht, ob Gewicht und/oder Interpretations-Bias Körperunzufriedenheit und
Selbstwertgefühl vorhersagen.
Ergebnisse: Bei Jugendlichen mit AN waren negative Interpretations-Bias Prädiktor für Körperunzufriedenheit
(positiv) und Selbstwertgefühl (negativ), während Körpergewicht mit keinem der Outcomes
zusammenhing. Bei Jugendlichen ohne psychische Erkrankungen waren sowohl Gewicht als
auch Interpretations-Bias Prädiktoren für Körperunzufriedenheit und Selbstwertgefühl.
Schlussfolgerung: Die Ergebnisse bestätigen die Entkopplung von Körpergewicht und Körper(un)zufriedenheit/Selbstwertgefühl
bei Jugendlichen mit AN und unterstreichen die Bedeutung von negativen kognitiven
Bias. Die verzerrte Verarbeitung körperbezogener Informationen könnte die Wahrnehmung
des Körpers als unzureichend schlank trotz deutlichen Untergewichts bestätigen. Die
Ergebnisse unterstreichen die Notwendigkeit, verzerrte körperbezogene Kognitionen
in der Behandlung der AN zu adressieren.