Fallbeschreibung
40jähriger Patient mit ausgeprägter Neurofibromatose und schwergradiger Kyphoskoliose
seit der Geburt. Im Laufe des Lebens seien Neurofibrome mit einer Gesamtmasse von
35 kg operativ entfernt worden. Die stationäre Einweisung erfolgte zur Abklärung von
beidseitigen pulmonalen Rundherden (Abb. [1 ]). Subjektiv bestand lediglich eine geringe Belastungsdyspnoe.
Klinischer Untersuchungsbefund
Gewicht 58 kg, reduzierter Allgemeinzustand, Bewußtseinslage klar, Psyche unauffällig,
schwergradige Kyphoskoliose der Brust- und Lendenwirbelsäule mit ausgeprägter Thoraxdeformierung,
Beugekontrakturen beider Beine und ausgeprägte Atrophie der Muskulatur der unteren
Extremitäten. Am gesamten Integument zahlreiche Neurofibrome unterschiedlicher Größe
und zahlreiche Narben nach operativen Exstirpationen von Neurofibromen. Über beiden
Lungen reines Vesikuläratmen, keine Nebengeräusche, abgeschwächtes Atemgeräusch rechts
basal, Herzaktion rhythmisch, Herztöne rein, Herzfrequenz 98/min RR 125/80 mmHg, übriger
Status unauffällig.
Laborwerte
BSG 74/90 mm n. W., Ery 4,0/pl, Hb 6,6 mmol/l, Hkt 32 %, MCV 81,0 fl, Leuko 4,6/nl,
Thrombo 577/nl.
CrP 61,7 mg/l, AP 8,87 μmol/l, Protein 56,4 g/l, Serumelektrophorese: 17,9 % α2 -Globulin.
Blutgasanalyse: PaO2 75 mmHg, PaCO2 32,3 mmHg, pH 7,46, StBi 24,1 mmol/l, BE-1,4 mmol/l.
EKG: unauffällig
Lungenfunktionsuntersuchung (Spirometrie, Fluß-Volumen-Kurve)
VC 1,36 l (38,4 % Soll), FVC 1,32 l (38,7 % Soll), FEV1 1,08 l (34,4 % Soll), FEV1 /VC 79,8 % (92,1 % Soll), PEF 3,12 l/s (40,0 % Soll), MEF 50 0,79 l/s (18,9 % Soll),
MEF 25 0,28 l/s (17,6 % Soll) Beurteilung: schwere Restriktion.
Echokardiographie
Herzhöhlen regelrecht dimensioniert, kein Vitium, regelrechte linksventrikuläre Globalfunktion,
keine Hinweise auf eine pulmonale Hypertonie.
Röntgenuntersuchung der Thoraxorgane (Abb. [1 ])
Schwere Thoraxdeformität bei ausgeprägter Kyphoskoliose der Brustwirbelsäule, Zwerchfellkuppen
beidseits glatt, rechts höherstehend, Herz breitbasig aufliegend, in beiden Lungen
in Projektion auf die Hili Nachweis von glatt begrenzten Rundherden, rechts 3,5 cm,
links 4,5 cm und im rechten lateralen Mittelfeld von 3,8 cm.
Computertomographie des Thorax
Schwere Deformität des Thorax und der Brustwirbelsäule mit nahezu horizontalem Verlauf
und mit Auslenkung der Aorta nach links lateral. Tumoren von 5 × 4 × 4 cm im linken
Oberlappen sowie von 3 cm am rechten unteren Hiluspol. Pleuraständiger, glatt begrenzter
Tumor rechts von 3,5 cm Durchmesser. Multiple typische Neurofibrome im Mediastinum
und in der Rückenmuskulatur.
Bronchoskopie
Das gesamte Bronchialsystem ist hochgradig deformiert. Alle Lappen-, Segment- und
Subsegmentostien sind regelrecht angelegt und frei einsehbar, endobronchial makroskopisch
kein Tumornachweis, geringgradige Zeichen der chronischen Bronchitis.
Histologie und Zytologie einer PE/Feinnadelpunktion im linken OL
Kein Nachweis maligner Zellen.
Weiterführende diagnostische Maßnahmen lehnte der Patient ab, so daß er auf eigenen
Wunsch aus der stationären Behandlung entlassen wurde. Nach 10 Wochen erfolgte die
erneute stationäre Einweisung wegen Verschlechterung des Allgemeinzustandes, Gewichtsverlust
und Ruhedyspnoe.
Röntgenuntersuchung der Thoraxorgane nach 10 Wochen
Im Vergleich zur Voruntersuchung erhebliche Größenzunahme der Raumforderungen auf
9,5 cm links und 5,2 cm rechts sowie des Rundherdes im rechten lateralen Mittelfeld
auf 5,5 cm, jetzt mit unregelmäßiger und z. T. unscharfer Berandung, Pleuraerguß rechts.
Transthorakale Sonographie
Rechts ausgedehnter liquider Pleuraerguß und Nachweis eines großen inhomogenen thoraxwandnahen
Tumors, aufgehobene Zwerchfellbeweglichkeit, links ebenfalls eingeschränkte Zwerchfellbeweglichkeit,
jedoch kein Erguß.
Pleurapunktion
Bernsteinfarbenes Exudat, zytologisch kein Nachweis von Tumorzellen
Computertomographie der Thoraxorgane (HR-CT) (Abb. [2 ], [3 ])
Massive Größenzunahme der Tumoren beidseits, rechts auf 4,5 cm Durchmesser, links
auf 9 × 7 × 7 cm, sowie des Tumors rechts lateral auf 7 cm Durchmesser, Größenzunahme
und malignitätssuspekte Kontrastmittelanflutung der Neurofibrome der Rückenmuskulatur,
Pleuraerguß rechts.
Bronchoskopie
Im Gegensatz zur Voruntersuchung ist der linke Oberlappenbronchus jetzt durch einen
glatt begrenzten Tumor verschlossen. Der übrige Befund ist unverändert.
Histologie einer Biopsie aus dem Tumor
Nachweis eines malignen Nervenscheidentumors (Neurofibrosarkom) mit hoher Proliferationstendenz.
Im weiteren Verlauf verstarb der Patient an dem rasch progredienten Tumorleiden.
Abb. 1 Röntgenuntersuchung der Thoraxorgane (a. p.) zum Zeitpunkt der Erstuntersuchung.
Abb. 2 Computertomographie der Thoraxorgane nach 10wöchigem Verlauf (Lungenfenster).
Abb. 3 Computertomographie der Thoraxorgane nach 10wöchigem Verlauf (Mediastinalfenster).
Obduktionsbefund
In Nachbarschaft (lateral, dorsal) der stark skoliotisch deformierten Wirbelsäule
finden sich ausgedehnte Massen konfluierender weißlicher Tumorknoten (Abb. [4 ]). Im gesamten Bauchraum sind multiple konfluierende Tumorherde vorhanden. Die Tumormassen
verdrängen die kaudalen Rippen nach kranial und engen die untere Thoraxapertur ein.
In beiden Lungen finden sich mehrere Tumorknoten mit einer maximalen Größe von 8 cm
im rechten Oberlappen, die einen landkartenartigen nekrotischen Zerfall im Zentrum
zeigen. Weitere Tumorknoten finden sich in der Leber und in der linken Niere. Nachweis
eines derben, unscharf begrenzten weißlichen Herdes in der linken Kleinhirnhemisphäre.
Das Rückenmark ist im mittleren Brustbereich durch derbe knotige Wucherungen subtotal
zerstört. Das Herz ist altersentsprechend unauffällig mit einer mäßiggradigen Rechtsherzhypertrophie
und -dilatation.
Histologie
In zahlreichen Knoten aus dem Bauchraum und aus den Lungen finden sich gleichartige
histologische Veränderungen. Neben wenigen zellarmen und z. T. hyalinisierten Neurofibromen
ist der Hauptteil der Tumormassen einschließlich der Lungenherde sehr zellreich, wobei
die polymorphen und z. T. recht großen spindeligen Kerne in sich durchflechtenden
Strömen angeordnet sind. Herdförmig zahlreiche atypische Mitosen (Abb. [5 ]). Es liegt ein maligner Nervenscheidentumor (Neurofibrosarkom, Malignitätsgrad 2
bis 3 nach Coindre) vor.
Abb. 4 Obduktionsbefund. Nachweis multipler Tumorknoten intraabdominell in unmittelbarer
Nachbarschaft der deformierten Wirbelsäule.
Abb. 5 Histologische Untersuchung. Nachweis eines malignen Nervenscheidentumors. V. Gieson,
1280fach, Ölimmersion.
Diskussion
Die Neurofibromatose ist eine relativ häufige hereditäre Erkrankung, die durch multiple
Neurofibrome charakterisiert wird. Es werden zwei genetisch und klinisch distinkte
Formen unterschieden. Bei dem häufigeren Typ 1 (periphere Neurofibromatose, Inzidenz
1 : 3500) stehen Cafè-au-lait-Flecken der Haut und kutane Neurofibrome im Vordergrund.
Der Typ 2 (zentrale Neurofibromatose) ist 10- bis 30mal seltener. Hier bestimmen intrakranielle,
vorwiegend beidseitige Akustikusneurinome und intraspinale Neurinome und Neurofibrome
das klinische Bild [[5 ], [20 ]].
Die thorakalen Manifestationen der Neurofibromatose sind vielfältig (Tab. [1 ]) und können sowohl die Lungen, als auch die Pleura und die Thoraxwand betreffen.
Zahlreiche Verbildungen des Skelettsystems wurden beschrieben - scharfwinklige Kyphoskoliosen,
vornehmlich der Zervikothorakalregion, dorsale Exkavation der Wirbelkörper, Ausbuchtungen
der Foramina intervertebralia sowie Osteoporose und Osteomalazie kennzeichnen die
Wirbelsäulenveränderungen [[28 ]]. Bei unserem Patienten bestand eine extreme Kyphoskoliose mit Abknickung und nahezu
horizontalem Verlauf der Brustwirbelsäule und eine ausgeprägte Deformierung des knöchernen
Thorax. Zusätzlich war eine Destruktion des Rückenmarks durch Neurofibrome nachweisbar.
Dies ist ein relativ seltener Befund [[22 ]]. Weiterhin wurde das Zwerchfell nach kranial verdrängt und die untere Thoraxapertur
durch die Tumormassen eingeengt. Die funktionellen Konsequenzen dieser Veränderungen
konnten nur während des ersten stationären Aufenthalts gemessen werden, wobei die
Durchführung einer Bodyplethymographie nicht möglich war. Es bestand eine schwergradige
restriktive Ventilationsstörung, die jedoch hinsichtlich des Gasaustausches in Ruhe
und bei Raumluft kompensiert war. Bei beiden stationären Aufenthalte bestanden eine
Normoxämie und Normokapnie.
Bei 7 - 10 % der Patienten mit einer Neurofibromatose entwickelt sich im Erwachsenenalter
eine interstitielle Lungenerkrankung. Im Frühstadium bestehen interstitielle und intraalveoläre
Infiltrationen mit Monozyten und Makrophagen. Das histologische Bild ähnelt einer
DIP (desquamative interstitial pneumonitis) nach Liebow. Im Verlauf kann sich eine
alveolarseptale Lungenfibrose mit symmetrischem Befall vorwiegend der Unterlappen
entwickeln [[3 ], [15 ], [16 ], [17 ], [24 ], [25 ], [27 ]].
In einem Fall wurde bei einem Kind mit einer Neurofibromatose röntgenologisch ein
feinnoduläres Beherdungsmuster über beiden Lungen beschrieben und histologisch multiple
papilläre Adenome der Pneumozyten II nachgewiesen. Im klinischen Verlauf kam es über
viele Jahre nicht zu funktionellen Einschränkungen [[12 ]].
Zusätzlich oder als alleiniger pulmonaler Befall können bullöse oder fibrozystische
Lungenveränderungen auftreten, die meist asymmetrisch verteilt sind [[14 ], [17 ], [26 ]]. Ähnliche bullöse und zystische Veränderungen werden beim M. Bechterew beobachtet.
Die Entstehung eines nichtkleinzelligen Bronchialkarzinoms in einer derartigen Bulla
[[23 ]] und das Auftreten von Bronchialkarzinomen bei Patienten mit Neurofibromatose wurde
beschrieben [[4 ], [10 ]], wobei die Frage gegenwärtig unbeantwortet bleibt, ob eine Koinzidenz oder eine
pathogenetische Assoziation vorliegt. Weiterhin liegen Einzelbeobachtungen über tracheobronchiale
Neurofibrome mit Stenosierung der zentralen Atemwege [[6 ]] und über pleurale Fibrosierungen [[24 ]] vor. Bei unserem Patienten ließen sich keine der genannten bronchopulmonalen oder
pleuralen Veränderungen weder makroskopisch noch mikroskopisch nachweisen.
Unter den intrathorakalen Geschwülsten stellen Tumoren neurogenen Ursprungs (benigne
Schwannome und Neurofibrome, maligne neurogene Sarkome oder maligne Schwannome) einen
sehr geringen Anteil. Ihre intrapulmonale Lokalisation ist eine Rarität. Bei 25 bis
40 % der Patienten mit Nervenscheidenzelltumoren besteht eine Neurofibromatose [[19 ]]. In einer Untersuchung an 260 pädiatrischen Patienten mit Neurofibromatose Typ
1 wurden bei 9 (3,5 %) extrapleurale intrathorakale Tumoren diagnostiziert, wobei
1 Neurofibrosarkom nachgewiesen wurde [[21 ]]. Eine extreme, tumorös imponierende intrapulmonale Neurofibromatose ohne Anhalt
für Malignität trat bei einem HIV-positiven jungen Mann auf [[8 ]].
Die Angaben zur Häufigkeit einer sarkomatösen Entartung bei einer Neurofibromatose
schwanken von 5 bis 20 % [[19 ], [20 ]]. Das Auftreten einer multifokalen Malignisierung ist ein seltenes, aber bekanntes
Ereignis [[9 ]]. Mutationen des p53 Tumorsuppressorgens werden als Mitursachen von neurofibromatoseassoziierten
malignen Erkrankungen diskutiert [[7 ], [9 ], [13 ]]. Bei unserem Patienten lag ein weit fortgeschrittenes multilokuläres Wachstum eines
malignen Nervenscheidentumors vor. Aufgrund der multiplen intraabdominellen und paravertebralen
Tumoren vermuten wir eine multifokale Malignisierung. Es ist anhand der klinischen
und pathologischen Befunde jedoch nicht zu entscheiden, ob die pulmonalen Tumoren
Metastasen darstellen oder Folge einer malignen Transformation primär pulmonaler Neurofibrome
sind. Ein primär pulmonaler maligner Nervenscheidentumor (malignes Schwannom) ohne
Anhalt für eine generalisierte Neurofibromatose wurde bisher lediglich einmal beschrieben
[[11 ]]. Hingegen zeigen intrathorakale maligne Schwannome, die vorwiegend vom Mediastinum
ausgehen, gehäuft pulmonale Metastasen [[18 ]], so daß die Metastasierung wahrscheinlicher erscheint.
Die Therapie der Neurofibromatose ist symptomorientiert. Beim Auftreten einer multifokalen
malignen Transformation ist die Prognose infaust. Es finden sich vereinzelte Berichte
über eine erfolgreiche kombinierte Radio-Chemotherapie bei lokalisierten sarkomatösen
Entartungen [[2 ]]. Ein derartiger Therapieversuch war bei unserem Patienten aufgrund des multifokalen
Geschehens und des schnellen Tumorprogresses mit hochgradiger Einschränkung des Allgemeinzustandes
nicht mehr möglich.
Tab. 1 Thorakale Manifestationen der Neurofibromatose: (Teschler 1995).
Brustwand:
- kutane Café-au-lait-Flecken
- subkutane, interkostale und subpleurale Neurinome
- Neurofibrome und Fibrome mit/ohne Rippenusuren
- Kyphoskoliose
Mediastinum:
- Meningozelen
- Neurinome und Schwannome des N. vagus + recurrens
- Phäochromozytome
Lungenparenchym:
- Lungenfibrose
- fibrozystische, bullöse Destruktion
- Narbenkarzinom
- Neurofibrome und Sarkome