Rofo 1999; 171(Bd.2/1): 83-85
DOI: 10.1055/s-1999-9878
DER INTERESSANTE FALL
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Chorionkarzinom der Niere beim Mann

A. Scherer, J. Berg
  • Düsseldorf
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Publication Date:
31 December 1999 (online)

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Chorionkarzinome sind seltene hochmaligne Keimzelltumoren, die am häufigsten nach der Schwangerschaft im Uterus auftreten. Grundsätzlich ist jedoch jeder Entstehungsort entlang des fetalen Migrationsweges der Keimzellen bei beiden Geschlechtern möglich. Es müssen somit neben den Gonaden auch andere Organe als Entstehungsort eines Chorionkarzinoms in Betracht gezogen werden. Das Chorionkarzinom der Niere ist eine Rarität und selten in der Literatur beschrieben. Nach unserem Kenntnisstand existiert bisher nur eine Fallbeschreibung eines primären Chorionkarzinoms der Niere beim Mann (Huang CH et al., J Formos Med Assoc 1992; 91[9]: 922). Da das Chorionkarzinom frühzeitig und häufig metastasiert, kann die Differenzierung zwischen Primärtumor und Metastasen - insbesondere bei okkultem Primarius - schwierig sein (Ogunbiyi OA et al. Afr J Med Sci 1986; 15: 93). Ziel dieser Fallbeschreibung ist es, die Einbeziehung der Tumorentität Chorionkarzinom in das differentialdiagnostische Spektrum eines unklaren Nierentumors zu diskutieren.

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Fallbericht

Ein 25 Jahre alter Mann stellte sich mit akut aufgetretenen rechtsseitigen Flankenschmerzen, Übelkeit und Erbrechen in der chirurgischen Poliklinik der Universitätsklinik Düsseldorf vor. Ein Trauma, relevante Vorerkrankungen oder Operationen lagen nicht vor. Die klinische Untersuchung ergab eine geringe Abwehrspannung und spärliche Darmgeräusche. Hämaturie oder Fieber waren nicht feststellbar. Die Abdomensonographie zeigte eine große Raumforderung im rechten Nierenlager, die bis ins kleine Becken reichte. Das Nierenparenchym war von der Raumforderung nicht abgrenzbar, so daß zunächst die Arbeitsdiagnose eines eingebluteten Nierentumors gestellt wurde. Die Laborwerte bestätigten den Tumorverdacht mit exzessiv erhöhten Markern: Alpha-Fetoproteinwert 158,7 µg/ml, Beta-Humanchoriongonadotropinspiegel 74949 U/ml. Weitere auffällige Laborwerte waren ein Hämoglobin von 12,9 g/l sowie ein Kreatinin von 1,8 mg/dl. Aufgrund der erhöhten Tumormarker und des jungen Alters des Patienten wurde eine sorgfältige Palpation und Sonographie der Hoden mit negativem Befund durchgeführt.

Die Computertomographie des Abdomens zeigte eine Tumorformation im oberen Organdrittel der rechten Niere, die nativ einzelne hyperdense Areale aufwies (Abb. [1 a]). Um den Tumor lag ein breiter, nativ hyperdenser Randsaum mit Ausdehnung bis ins kleine Becken, am ehesten einer tumorbedingten subkapsulären Hämorrhagie entsprechend. Nach Kontrastmittelgabe kam es zu einem inhomogenen Enhancement des Tumors mit besserer Abgrenzung zum erhaltenen Nierenparenchym (Abb. [1 b]). Die Tumorausdehnung betrug 3 × 3 × 4 cm, eine Invasion des Tumors in die Nierenvene stellte sich nicht dar. Die linke Niere sowie die Harnblase waren unauffällig. Computertomographisch abgrenzbare Metastasen lagen im Bereich der parenchymatösen Oberbauchorgane nicht vor. Bereits im Topogramm der Abdomen-CT zeigten sich rundliche Verschattungen der Lunge, so daß ergänzend eine CT des Thorax angefertigt wurde. Pulmonal zeigten sich beidseits multiple, bis zu 2 cm große Rundherde. Im oberen vorderen Mediastinum kam eine 5 × 6,5 × 6 cm große, z. T. einschmelzende, Kontrastmittel anreichernde Tumorformation zur Darstellung (Abb. [2]).

Zusammengefaßt ergaben sich folgende Befunde: 1) Nierentumor rechts mit ausgedehnter subkapsulärer Einblutung. 2) Tumorformation im oberen vorderen Mediastinum. 3) Multiple Lungenmetastasen. Die drei Tage später komplikationslos durchgeführte Nephrektomie bestätigte den CT-Befund eines maximal 4 cm großen Tumors mit begleitender Hämorrhagie, des fehlenden Tumoreinbruchs in die Nierenvene und einer palpatorisch metastasenfreien Leber. Die histologische Aufarbeitung des Operationspräparates ergab nach Anfertigung ergänzender immunhistochemischer Untersuchungen den Befund eines stark vaskularisierten, gering differenzierten Chorionkarzinoms.

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Diskussion

Es wird der seltene Fall eines Chorionkarzinoms der Niere bei einem männlichen Patienten vorgestellt. Klinisch unterteilt man diesen hochmalignen Tumor in zwei Gruppen: eine bei Frauen nach der Schwangerschaft auftretende Form (Gestational-Typ) und eine unabhängig von einer Schwangerschaft bei beiden Geschlechtern auftretende Form (Nicht-Gestational-Typ). Unterschiede zwischen beiden Tumortypen liegen neben der Häufigkeit und dem Entstehungsort vor allem in einem besseren Ansprechen des schwangerschaftassozierten Typs auf eine systemische Chemotherapie. Von allen metastasierenden soliden Tumoren, die chemotherapeutisch traktabel sind, hat der Gestationaltyp die höchste Heilungsrate. Auch beim Nicht-Gestationaltyp ist eine initiale Chemotherapie die Behandlungsmethode der Wahl (McDonald TW et al., Obstet Gynecol Surg 1983; 38: 67). Um eine unnötige Nephrektomie zu vermeiden, bedarf es also der exakten diagnostischen Zuordnung eines unklaren Nierentumors (z. B. durch eine Feinnadelpunktion). Bei dem Patienten bestand aufgrund der massiven Kapseleinblutung eine eindeutige Operationsindikation.

Typischerweise stellt sich das Chorionkarzinom als akutes renales Problem dar und nicht als chronischer Prozeß (Patrick CE et al., J Urol 1967; 97[3]: 444). Neben den klassischen Symptomen eines Nierentumors werden in anderen Fallbeschreibungen beim Chorionkarzinom noch Fieber, Makrohämaturie, Gynäkomastie und Nierensteine erwähnt. Der Zusammenhang zwischen Nierensteinen und der Entstehung eines Chorionkarzinoms wurde in anderen Arbeiten diskutiert, blieb jedoch unklar (Huang CH et al., J Formos Med Assoc 1992; 91[9]: 922). Im beschriebenen Fall wurden keine Konkremente nachgewiesen.

Der histopathologische Befund konnte nicht klären, ob es sich bei dem beschriebenen Patienten um ein primäres Chorionkarzinom oder einen metastatischen Befall der Niere handelte. Da die Hoden des Patienten nicht histologisch untersucht wurden, ist ein okkulter Hodentumor nicht mit letzter Sicherheit auszuschließen, obgleich im Zeitraum von 9 Monaten postoperativ die Hoden unauffällig blieben. Dies kann nicht als Beweis eines fehlenden Primarius gewertet werden, da in ca. 50 % der Fälle eines metastasierenden Chorionkarzinoms kein Primärtumor in den Gonaden gefunden wird (Jarrett DD et al., Arch Pathol Lab Med 1984; 108[5}: 356). Ursächlich hierfür ist laut den Autoren am ehesten eine spontane Rückbildung des Tumors nach bereits erfolgter hämatogener Metastasierung. Bei Chorionkarzinomen ist eine hohe Inzidenz von Nierenmetastasen bekannt. Weitere häufige Zielorgane für Metastasen sind in absteigender Reihenfolge Lunge, Gehirn, Leber, Milz und Dünndarm. Knochenmetastasen sind hingegen extrem selten (McDonald TW et al., Gynecol Surg 1983; 38: 67).

Die in der Computertomographie abgebildete Tumorhämorrhagie mit begleitender subkapsulärer Einblutung wurde intraoperativ bestätigt und für dieses Neoplasma vorbeschrieben (Patrick CE et al., J Urol 1967; 97[3]: 444; Jarrett DD et al., Arch Pathol Lab Med 1984; 108[5}: 356). Bei Chorionkarzinomen handelt es sich , wie auch im vorliegenden Fall, um stark vaskularisierte Tumoren mit zentral irregulären Gefäßen und einer avaskulären, oft nekrotischen Randzone (Huang CH et al., J Formos Med Assoc 1992; 91[9]: 922). Histologisch wurden auch bei unserem Präparat regressive Veränderungen mit Nekrosen und Einblutungen gefunden. Da keine Angiographie durchgeführt wurde, können zur genauen Tumorgefäßarchitektur, wie sie in anderen Arbeiten beschrieben ist, keine Aussagen getroffen werden. In der Literatur wird auch der atypische Fall eines avaskulären Chorionkarzinoms beschrieben (Patrick CE et al., J Urol 1967; 97[3]: 444).

Patienten mit anderen malignen Tumoren der Niere können einen erhöhten β-HCG-Spiegel im 24 Stunden Sammelurin haben, der β-HCG-Wert im Serum ist aber hier immer normal (Huang CH et al., J Formos Med Assoc 1992; 91[9]: 922). Eine Erhöhung des Serum-β-HCG, wie im beschriebenen Fall, spricht stark für das Vorliegen eines Chorionkarzinoms und kann als Verlaufsparameter der Therapie genutzt werden.

A. Scherer, J. Berg, Düsseldorf

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Abb. 1 aNative CT: Eingeblutetes Chorionkarzinom der rechten Niere (→). Umgebende subkapsuläre Blutung (▸).

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Abb. 1 bKM-Spiral-CT: Inhomogenes Tumorenhancement (→). Homogen anreicherndes Nierenparenchym (▸).

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Abb. 2KM-Spiral-CT: Kontrastmittelaufnehmende Raumforderung im vorderen Mediastinum (→) bei Chorionkarzinom der Niere.

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Abb. 1 aNative CT: Eingeblutetes Chorionkarzinom der rechten Niere (→). Umgebende subkapsuläre Blutung (▸).

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Abb. 1 bKM-Spiral-CT: Inhomogenes Tumorenhancement (→). Homogen anreicherndes Nierenparenchym (▸).

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Abb. 2KM-Spiral-CT: Kontrastmittelaufnehmende Raumforderung im vorderen Mediastinum (→) bei Chorionkarzinom der Niere.