Die Zerebrotendinöse Xanthomatose ist eine autosomal rezessive Erkrankung, die sich
meist in der Pubertät klinisch manifestiert. Katarakt und Xanthome der Achillessehne
sind die ersten klinischen Hinweise auf die Erkrankung. Später folgen, wenn die Patienten
nicht suffizient therapiert werden, Bewegungsstörungen und Persönlichkeitsveränderungen.
Durch die orale Gabe von Gallensäuren kann die Ausbildung neurologischer und psychiatrischer
Symptome verhindert werden.
Fallbericht
Eine 12-jährige Patientin mit Minderwuchs (127,5 cm) und pathologisch erniedrigtem
Wachstumshormonanstieg im Insulin-Hypoglykämie-Test wurde in der endokrinologischen
Ambulanz der Universitätskinderklink vorgestellt. Das Kind wurde als erster Zwilling
in der 33. Schwangerschaftswoche nach einem vorzeitigen Blasensprung geboren. Die
Zwillingsschwester hat mit 140 cm eine normale Körperlänge. Der neurologische Untersuchungsbefund
war unauffällig, es lag keine Sehstörung vor. Außer der Beeinträchtigung durch den
Kleinwuchs und dem fehlenden Pubertätsbeginn gab die Patientin keine subjektiven Beschwerden
an. Zum Ausschluß eines Hypophysentumors wurde das Kind zur MRT vorgestellt.
Die kraniale Kernspintomographie wurde an einem 0,5 Tesla Gyroscan (Fa. Philips, Best,
Niederlande) mit einer Kopfspule durchgeführt. Es wurden transversale T1- und T2-gewichtete Aufnahmen des gesamten Neurokraniums angefertigt. Sagittale und koronare
T1-gewichtete Aufnahmen der Sella mit 3 mm Schichtdicke wurden vor und nach Kontrastmittelgabe
erstellt. Zusätzlich wurde eine transversale Fluid attenuated inversion recovery (FLAIR)-Sequenz
des gesamten Neurokraniums angefertigt.
Die Kernspintomographie zeigt in der Sella eine schmächtige Hypophyse. Der Hypophysenstiel
ist vollständig angelegt und im kranialen Anteil verdickt. Weder in der Sella noch
an dem verdickten Hypophysenstiel zeigt sich das für die Neurohypophyse in nativen
Aufnahmen typische hyperintense Signal. Die Neurohypophyse ist somit weder ektop noch
orthotop nachweisbar. Die Nuclei dentati zeigen symmetrisch ausgeprägte, in T2-gewichteten Aufnahmen und in der FLAIR-Sequenz erkennbare (Abb. [1]) Signalsteigerungen. In T1-gewichteten Aufnahmen sind sie hypointens. Die Kaudatuskerne sind beidseits in T1-gew. Aufnahmen hyperintens (Abb. [2]) und zeigen ein hyperintenses Signal im FLAIR-Bild. Die symmetrischen Signalveränderungen
der Kaudatus- und Dentatus-Kerne weisen auf eine systemisch wirksame Stoffwechsel-
oder Speichererkrankung hin. Die Kombination von Kaudatus- und Dentatusbefall macht
eine zerebrotendinöse Xanthomatose wahrscheinlich. Bei einer erneuten eingehenden
körperlichen Untersuchung fanden sich Sehnenxanthome, wie sie für die Erkrankung typisch
sind.
Die zerebrotendinöse Xanthomatose beruht auf einem mitochondrialen Stoffwechseldefekt
der 27-Hydroxylase, der zu einem gestörten Abbau von Cholesterin zu Gallensäuren führt.
Es handelt sich um einen autosomal rezessiven Erbgang. Die gesteigerte Speicherung
von Cholesterin und Cholestanol in Sehnen manifestiert sich in Xanthomen. Im zentralen
und peripheren Nervensystem werden Cholesterin und Cholesterol in den Zell- und Zellorganellmembranen
gespeichert. Die deutlichsten Veränderungen finden sich im Kleinhirn. Eine Demyelinisierung
insbesondere der efferenten Fasern des Nucleus Dentatus im oberen Kleinhirnstiel ist
in der MRT nachweisbar. In manchen Fällen wird die weiße Substanz des Kleinhirns nahezu
vollständig durch Xanthome ersetzt.
Die peripheren Nerven lassen die Zeichen einer segmentalen Demyelinisierung mit partieller
Remyelinisierung erkennen. Einige Patienten weisen auch Zeichen einer primären Axondegeneration
auf. Bereits in der Kindheit haben die meisten Patienten eine verminderte Intelligenz.
In der Pubertät manifestieren sich Xanthome an den Achillessehnen, den Quadrizeps-
und Trizepssehnen sowie an den Fingerextensoren. Neurologische Symptome treten in
der zweiten und dritten Lebensdekade in den Vordergrund. Zerebelläre Ataxie, spastische
Para- und Tetraparesen und Dysästhesien als Zeichen einer peripheren Neuropathie beeinträchtigen
die Patienten. Die Degeneration der Rückenmarkshinterstränge führt zu einem Verlust
der Propriozeption und des Vibrationsempfindens. Bei 40 % der Patienten treten im
Krankheitsverlauf generalisierte Krampfanfälle auf. In der dritten Dekade kommt es
zu Persönlichkeitsveränderungen bis hin zur Demenz.
Für die Patienten ist eine frühe Diagnose ihrer Stoffwechselstörung entscheidend.
Der Regulationsmechanismus, welcher bei einem Mangel an Gallensäuren über einen fehlenden
negativen Feedback-Mechanismus zu einer gesteigerten Cholesterolsynthese führt, kann
durch orale Zufuhr von Gallensäuren unterbrochen werden. Diese Therapie kann die fortschreitende
Nervenschädigung verhindern oder verzögern. Über eine sich bessernde Motorik sowie
eine Rückbildung dementieller Symptome wird berichtet (van Heijst et al. Eur. J. Pediatr.
1998; 157: 313 - 316).
J. B. Fiebach, R. Wunsch, Heidelberg
Abb. 1Beidseits zeigen die Nuclei dentati ein gesteigertes Signal in der FLAIR-Aufnahme.
Dieser symmetrische Befall ist für die zerebrotendinöse Xanthomatose typisch.
Abb. 2Als Zeichen des Befalls durch die Xanthomatose weisen die Nuclei caudati ein gesteigertes
Signal in T1-gew. Aufnahmen auf.