Einleitung und Begriffsbestimmung
Die Bedeutung mehrerer Erkrankungen bei einer Person ist in der
Psychiatrie erst im Verlauf der Hinwendung zu kriterienorientierter und
operationalisierter Diagnostik in Forschung und Versorgung zunehmend erkannt
und berücksichtigt worden. Insbesondere die deutschsprachige Psychiatrie
war traditionell bemüht, im Sinne der von Schneider [1] und Jaspers [2] formulierten
Schichtenregel auf die Person bezogene hierarchische Beziehungen der sichtbaren
psychischen Symptome und Syndrome zu konstruieren. Der Interaktion zwischen
Suchterkrankungen und nichtsubstanzbezogenen Störungen wurde dabei kaum
Aufmerksamkeit geschenkt. Mit dem Komorbiditätskonzept, wie es
zunächst im Bereich der somatischen Medizin entwickelt wurde
[3], besteht die Möglichkeit, mehrere auf gleichem
methodischen Niveau erfasste psychische Störungen bzw. Diagnosen auf ihre
zeitliche Beziehung und auf ihre gegenseitige Einflussnahme hinsichtlich
Prognose, Verlauf, Behandlungsmotivation etc. zu untersuchen [[4]. Grundsätzlich kann hinsichtlich der zeitlichen
Dimension simultane Komorbidität (das
gleichzeitige Vorhandensein mehrerer Störungen) [5]
von sukzessiver Komorbidität (dem zu
unterschiedlichen Zeiten bei einer Person vorkommenden Auftreten verschiedener
Störungen) unterschieden werden. Eine weitere Differenzierung stellt die
Aufteilung in interne Komorbidität, bei der die
vorliegenden Störungen derselben diagnostischen Klasse angehören, und
externe Komorbidität, bei der Störungen aus
unterschiedlichen Klassen vorliegen, dar. Besondere Fragestellungen ergeben
sich aus der Einordnung von Persönlichkeitsstörungen in
psychiatrischen Klassifikationssystemen. Ordnet man diese im Sinne des DSM IV
[6] einer eigenen Achse (Achse 2) zu, ist es sinnvoll,
Komorbidität unterschiedlicher Störungen der Achse 1 untereinander
von Komorbidität einer Achse-1-Störung und einer
Persönlichkeitsstörung zu differenzieren. Grundsätzlich ist
Komorbidität nicht auf das Vorhandensein von zwei Störungen im Sinne
einer „Doppeldiagnose” begrenzt. Zunehmend wird vielmehr auf das
Vorhandensein multipler psychiatrischer Komorbidität hingewiesen, wobei
wiederum unterschiedliche Kombinationen aus interner/externer
Komorbidität und unterschiedliche zeitliche Zusammenhänge vorliegen
können.
Epidemiologie
Untersuchungen zur Komorbidität von Alkoholabhängigkeit
bzw. Alkoholmissbrauch und anderen psychischen Störungen beziehen sich
überwiegend auf stationär behandelte Patienten mit alkoholbezogenen
Problemen, in geringerem Umfang auf die Allgemeinbevölkerung oder
bestimmte Populationen. Gemessen wird dabei entweder die Aktualprävalenz
(meist in Form der 6-Monats- oder 12-Monats-Prävalenz) oder die
Lebenszeitprävalenz des Alkoholismus und der komorbiden psychischen
Störung oder beides [ [4]
[7]
[8]. Die erhebliche Spannweite der
gefundenen Prävalenzraten auch bei (fraglich) vergleichbaren Kollektiven
ergibt sich aus der unterschiedlichen Berücksichtigung folgender Faktoren
(Varianzquellen):
Es werden unterschiedliche diagnostische Instrumente verwendet.
-
Alkoholabhängigkeit und -missbrauch werden häufig
zusammengefasst (Alkoholismus).
-
Alkoholkranke und Drogenabhängige werden nicht
getrennt.
-
Zusätzlich zum Alkoholismus bestehende substanzbezogene
Störungen (interne Komorbidität z. B. mit drogenbezogenen
Störungen) werden nicht mit erfasst.
-
Die Untersuchungszeitpunkte stehen in unterschiedlicher
Beziehung zum Abschluss der Detoxifikation (die Bedeutung dieser Varianzquelle
ist allerdings nicht eindeutig).
Tab. 1 [] Prävalenz komorbider Achse-I-Störungen
nach DSM III bzw. ICD 10 bei psychiatrisch-stationär behandelten Patienten
mit alkoholbezogenen Störungen. Angegeben ist die Aktualprävalenz in
% bzw. die Lebenszeitprävalenz in %
<TD VALIGN="TOP">
Autoren
</TD><TD VALIGN="TOP">
Hesselbrock et al. 1985 [9]
</TD><TD VALIGN="TOP">
Ross et al. 1988 [10]
</TD><TD VALIGN="TOP">
Herz et al. 1990 [11]
</TD><TD VALIGN="TOP">
Tómasson u. Vaglum 1995 [12]
</TD><TD VALIGN="TOP">
Driessen 1999
[4]
</TD><TD VALIGN="TOP">
Schneider et al. unveröff. [13]
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Klassifikation
Instrumente
</TD><TD VALIGN="TOP">
DSM-III
DIS
</TD><TD VALIGN="TOP">
DSM-III
DIS
</TD><TD VALIGN="TOP">
DSM-III
DIS
</TD><TD VALIGN="TOP">
DSM-III
DIS
</TD><TD VALIGN="TOP">
ICD-10
CIDI
</TD><TD VALIGN="TOP">
ICD-10
Mini-DIPS
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
n
</TD><TD VALIGN="TOP">
321
</TD><TD VALIGN="TOP">
501
</TD><TD VALIGN="TOP">
74
</TD><TD VALIGN="TOP">
240
</TD><TD VALIGN="TOP">
250
</TD><TD VALIGN="TOP">
556
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
psychoorganische Störung
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
3,2 ( 3,2)
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Schizophrenie
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
2,0 ( 2,4)
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
bipolare affektive Störung
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
0,4 ( 0,8)
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
depressive Episode
</TD><TD VALIGN="TOP">
23 (38)
</TD><TD VALIGN="TOP">
20 (24)
</TD><TD VALIGN="TOP">
(21)
</TD><TD VALIGN="TOP">
(15)
</TD><TD VALIGN="TOP">
6,8 ( 8,8)
</TD><TD VALIGN="TOP">
3,4
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
rezidiv. depressive Störung
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
6,8 ( 8,4)
</TD><TD VALIGN="TOP">
11,0
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Dysthymia
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
11 (17)
</TD><TD VALIGN="TOP">
(11)
</TD><TD VALIGN="TOP">
(15)
</TD><TD VALIGN="TOP">
7,6 (11,0)
</TD><TD VALIGN="TOP">
8,8
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
manische Störung
</TD><TD VALIGN="TOP">
2 ( 4)
</TD><TD VALIGN="TOP">
2 ( 2)
</TD><TD VALIGN="TOP">
( 3)
</TD><TD VALIGN="TOP">
( 3)
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Phobie
</TD><TD VALIGN="TOP">
18 (27)
</TD><TD VALIGN="TOP">
20 (34)
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Agoraphobie
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
(26/31)*
</TD><TD VALIGN="TOP">
4,8 ( 4,8)
</TD><TD VALIGN="TOP">
1,4
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
soziale Phobie
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
(24/33)*
</TD><TD VALIGN="TOP">
7,6 ( 8,8)
</TD><TD VALIGN="TOP">
13,7
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
spezifische Phobie
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
(21/29)*
</TD><TD VALIGN="TOP">
14,0 (17,0)
</TD><TD VALIGN="TOP">
18,5
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Panikstörung
</TD><TD VALIGN="TOP">
6 (10)
</TD><TD VALIGN="TOP">
9 (10)
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
( 4/13)*
</TD><TD VALIGN="TOP">
1,2 ( 2,0)
</TD><TD VALIGN="TOP">
5,2
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
generalisierte Angststörung Angststörung
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
26 (52)
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
(31/43)*
</TD><TD VALIGN="TOP">
2,8 ( 4,0)
</TD><TD VALIGN="TOP">
12,9
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
sonstige Angststörung
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
5,6 ( 7,6)
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Zwangsstörung
</TD><TD VALIGN="TOP">
5 (12)
</TD><TD VALIGN="TOP">
6 (10)
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
( 5/ 7)*
</TD><TD VALIGN="TOP">
1,6 ( 1,6)
</TD><TD VALIGN="TOP">
2,2
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
dissoziative Störung
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
2,0 ( 4,0)
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
somatoforme Störung
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
4,4 ( 6,8)
</TD><TD VALIGN="TOP">
3,4
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Anorexie
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
0
( 0,4)
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
akute Belastungsreaktion
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
0,2
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
posttraumat. Belastungsstörung
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
6,1
</TD>
<TD VALIGN="TOP" COLSPAN="7">
* Angaben getrennt für männl./weibl.
Probanden
DIS = Diagnostic Interview Schedule
Mini-DIPS = Kurzfassung des
diagnostischen Interviews bei psychischen Störungen
</TD>
Tab. [1] zeigt die Ergebnisse
ausgewählter umfassender Prävalenzstudien zur Komorbidität im
Bereich der Achse-1-Erkrankungen im Sinne des DSM-Systems (III, III-R, IV) aus
dem psychiatrisch-stationären Bereich [4]
[9]
[10], [ 11]
[12]
[13]. Deutlich wird v. a. der erhebliche Anteil von
affektiven Störungen und Angststörungen bei zur Behandlung des
Alkoholismus aufgenommenen Patienten. Bei internistisch oder chirurgisch
behandelten Allgemeinkrankenhauspatienten fanden sich psychoorganische
Störungen in einem erheblich höheren Ausmaß: Die
Aktualprävalenz betrug in einer Untersuchung [14]
20 % bei aktueller Diagnose einer Alkoholabhängigkeit und
16 % bei den Patienten, die irgendwann während ihres Lebens
die Kriterien für die Diagnose einer Alkoholabhängigkeit erfüllt
hatten. Angststörungen und affektive Störungen unter den
alkoholabhängigen Patienten fanden sich dagegen seltener als in
vergleichbaren Untersuchungen an psychiatrisch behandelten Patienten
(13,3 % bei aktueller Alkoholabhängigkeit).
Prävalenzwerte zur psychiatrischen Komorbidität bei
Alkoholabhängigen in der Allgemeinbevölkerung wurden u. a. in
dem nordamerikanischen National Comorbidity Survey (NCS) bei 8098 Personen
zwischen 15 und 54 Jahren zu Hause erhoben [ [15].
Dabei fand sich eine 12-Monats-Prävalenz für Alkoholabhängigkeit
von 4,4 % bei einer Lebenszeitprävalenz von
14,1 %. Die Lebenszeitprävalenz für irgendeine
zusätzliche psychische Störung nach DSM-III-R betrug für
Männer, die irgendwann im Leben eine Alkoholabhängigkeit entwickelt
hatten, 78,3 %, für Frauen 86 %, wobei andere
substanzbezogene Störungen eingeschlossen sind. Für
Angststörungen (inklusive der posttraumatischen Belastungsstörung)
ergab sich bezogen auf die Lebenszeitprävalenz eine Komorbiditätsrate
von 35,8 % bei den Männern mit Alkoholabhängigkeit und
60,7 % bei den Frauen, für affektive Störungen eine
Rate von 28,1 % bei den Männern und 53,5 % bei
den Frauen. Auch aus der Oberbayern-Studie [[16]
lassen sich Hinweise auf zusätzliche psychiatrische Diagnosen (nach ICD-8)
bei als alkoholkrank eingestuften Probanden finden. Danach betrug die
Prävalenz komorbider Hauptdiagnosen 40,7 %. In der
Verlaufsuntersuchung [ [17] fanden sich bei den
Probanden mit Alkoholmissbrauch und -abhängigkeit (einschließlich
der nicht behandlungsbedürftigen Probanden) in 9,5 % der
Fälle zusätzlich neurotische Störungen, in 5,6 %
der Fälle psychosomatische Erkrankungen, in 3,2 % der
Fälle funktionelle Psychosen und in 3,2 % der Fälle
Hinweise auf Hirnschädigungen.
Auch die Untersuchungen zur Prävalenz von
Persönlichkeitsstörungen bei behandelten Patienten mit
Alkoholmissbrauch bzw. Alkoholabhängigkeit zeigen gegenüber der
Allgemeinbevölkerung erheblich erhöhte Prävalenzraten. In drei
zwischen 1991 und 1993 publizierten Untersuchungen fanden sich
Lebenszeitprävalenzen von 57 - 78 % für
Persönlichkeitsstörungen nach DSM-III bzw. DSM-III-R
[18], [19],[ 20]. In der auf alkoholabhängige Patienten
ohne zusätzliche Substanzabhängigkeit beschränkten Lübecker
Untersuchung [4] fanden sich bei 17,6 %
sichere und in weiteren 16,0 % wahrscheinliche
Persönlichkeitsstörungen. Tab.[ 2]
zeigt die Befunde der vier Studien differenziert nach den Clustern A, B und C.
Zusammenhang zwischen Alkoholismus und komorbiden psychischen
Störungen
Der Zusammenhang zwischen komorbiden Störungen kann
grundsätzlich unter unterschiedlichen theoretischen Gesichtspunkten
betrachtet werden [4]. Zunächst können zwei
Störungen völlig unabhängig voneinander bei derselben Person
auftreten (Zufallsmodell), was für jede beliebige
Kombination von Störungen in einem bestimmten Ausmaß zu erwarten
ist. Bei überzufällig häufigem gemeinsamen Auftreten kann nach
gemeinsamen zugrunde liegenden Faktoren, vor allem im Sinne von
hereditären Faktoren, gesucht werden. Beide Störungen wären dann
Auswirkungen eines gemeinsamen zugrunde liegenden Prozesses (phänomenologisches Modell). Ferner können im
Sinne eines ätiopathogenetischen Modells bzw. Risikofaktormodells Kausalzusammenhänge zwischen dem
Auftreten der primär manifest werdenden Störung und dem Auftreten der
sekundären Störung bestehen. Schließlich kann ein Zusammenhang
auch ausschließlich die einseitige oder gegenseitige
Verlaufsbeeinflussung zweier (oder mehrerer) komorbider Störungen im Sinne
eines interaktionellen Modells betreffen.
In Bezug auf das Verhältnis zwischen Alkoholismus und
komorbiden psychischen Störungen besteht seit dem Ende des
19. Jahrhunderts ein ständiger Wechsel zwischen der Annahme einer
völligen Unabhängigkeit einerseits und der Hypothese einer
gemeinsamen zugrunde liegenden Grundstörung andererseits
[21]. Zunehmend werden jedoch in der Literatur
differenziertere Modelle für das Verständnis unterschiedlicher
Gruppen komorbider Alkoholkranker im Sinne der oben angegebenen Sichtweisen
angenommen.
Hereditäre Faktoren - phänomenologisches
Modell
Ein genereller genetischer Komorbiditätsfaktor als gemeinsame
hereditäre oder genetische Grundlage für das Auftreten einer
alkoholbezogenen Störung und irgendeiner komorbiden psychischen
Störung scheint nach derzeitigem Forschungsstand unwahrscheinlich. Ebenso
wenig gesichert ist die Annahme genetischer Faktoren für
störungsspezifische Komorbiditätsmuster. Die Ergebnisse
entsprechender Familien- und Zwillingsstudien sind widersprüchlich [
[22]
[23],
[24]
[25],
[26],[ 27],
[ 28]
[29]. Die Bedeutung eines
angenommenen genetischen Faktors reduzierte sich vor allem immer dann, wenn die
Ergebnisse auf familiäre bzw. individuumsspezifische Umgebungsfaktoren hin
kontrolliert wurden.
Risikofaktormodell
Im Rahmen dieses Ansatzes kann, bezogen auf verschiedene komorbide
Störungen, zumindest nach der zeitlichen Abfolge des erstmaligen
Auftretens der jeweiligen Störung ein primärer Alkoholismus, der als
Risikofaktor für eine sekundäre psychische Störung zu sehen ist,
von einem sekundären Alkoholismus als Folge einer primären anderen
psychiatrischen Erkrankung differenziert werden. Dieses Modell hat besondere
Bedeutung für das Verständnis des Alkoholismus bei schizophrenen
Patienten, der überwiegend als sekundäre Störung aufgefasst
werden kann, während bei primärem Auftreten der
Alkoholabhängigkeit diese bisher nicht als eigenständiger
Risikofaktor für das sekundäre Auftreten einer schizophrenen
Erkrankung identifiziert werden konnte [[10]
[30].
Alkoholabhängigkeit als unmittelbarer Risikofaktor ist
hingegen für das Auftreten einer komorbiden depressiven Störung zu
diskutieren. So kann sich z. B. eine sekundäre Dysthymia als Folge
gelernter Hilflosigkeit angesichts der Ohnmacht gegenüber der
Unkontrollierbarkeit der Abhängigkeit entwickeln, während
dysphorische Syndrome eher als Intoxikationsfolge bzw. in der frühen
Entzugsphase auftreten und als psychoorganisches Syndrom verstanden werden
können [[31]
[32], [33]. Schuckit et al.
[ [34] fassen alle sekundären Depressionen
grundsätzlich als alkohol- bzw. alkoholismusinduziert auf. Über ein
andererseits möglicherweise erhöhtes Alkoholismusrisiko bei
primären depressiven Störungen ist wenig bekannt. Gezeigt werden
konnte jedoch, dass Frauen mit Alkoholismus und depressiver Störung
häufiger primär unter der depressiven Störung litten, bei den
komorbid erkrankten Männern dagegen der überwiegende Teil den
Alkoholismus primär entwickelte [35].
Angststörungen, insbesondere Phobien, scheinen zum
überwiegenden Teil primär aufzutreten [4], [9]
[10], [ 36].
Verständlich wird dies durch die anxiolytische Wirkung des Alkohols bzw.
die subjektive Erwartung einer solchen Wirkung [37].
Andererseits scheint der Langzeiteffekt des Alkohols eher in einer Steigerung
des Angstniveaus zu liegen [38], was mit metabolischen
Folgen der chronischen Alkoholintoxikation und mit wiederholter Erfahrung
angstbesetzter Entzugssyndrome in Verbindung gebracht werden kann [[39]. Die komplexe Interaktion zwischen
Alkoholabhängigkeit, Alkoholentzugssituation und Angststörung kommt
in einer Untersuchung von Roberts et al. [40] zum
Ausdruck, bei der der Anteil der alkoholabhängigen Patienten, die aktuell
(Punktprävalenz) die formalen Kriterien für eine Angststörung
nach DSM-IV erfüllten, von 22 % während der
stationären Entgiftung auf 10 % nach drei bis vier Wochen
Abstinenz abfiel. Andererseits berichten alkoholabhängige Patienten mit
komorbiden Angststörungen drei bis sieben Wochen nach Abstinenzbeginn
immer noch deutlich mehr Angstsymptome als Alkoholabhängige ohne komorbide
Störung [41, eigene unveröffentlichte Ergebnisse].
Für eine erhebliche Wechselwirkung zwischen
Angststörungen und Alkoholabhängigkeit im Sinne eines
Risikofaktormodells sprechen auch die Ergebnisse einer umfangreichen
prospektiven Studie von Kushner et al. [42]. Dabei
wurden Studenten im Jahr ihres Studienbeginns sowie nach vier und sieben Jahren
auf die 12-Monats-Prävalenz von Angststörungen und
Alkoholabhängigkeit bzw. Alkoholmissbrauch nach DSM-IV-Kriterien hin
untersucht. Das Risiko, im Untersuchungszeitraum eine Alkoholabhängigkeit
zu entwickeln, war bei den Untersuchten mit Vorhandensein einer
Angststörung im Jahr 1 oder 4 etwa viermal so hoch wie bei den Probanden
ohne Angststörung. Umgekehrt führte das Vorhandensein einer
Alkoholabhängigkeit im Jahr 1 oder 4 zum 3,5- bis 5fachen Risiko für
die Entwicklung einer Angststörung.
Bei den Achse-II-Störungen ist insbesondere die antisoziale
Persönlichkeitsstörung (ASP) in ihrer Beziehung zum Alkoholismus
häufig untersucht worden. Viele Autoren sehen bei Alkoholabhängigen
mit ASP eine rasche und früh einsetzende Abhängigkeitsentwicklung,
was die ASP als einen Risikofaktor für die Entwicklung einer bei dieser
Patientengruppe häufig anzutreffende atypische bzw.
Typ-2-Alkoholabhängigkeit ausweisen könnte [
[11]
[43],
[44],[ 45],
[46]
[47],
[48]
[49],
[50],[ 51],
[52]. Entsprechende Hinweise für das frühere
Auftreten der Alkoholabhängigkeit finden sich auch für die
Borderline-Persönlichkeitsstörung, allerdings nur für Frauen
[53]. Andere spezifische
Persönlichkeitsstörungen sind in dieser Hinsicht nicht ausreichend
untersucht worden.
Besondere Bedeutung hat die Frage nach der gegenseitigen Beziehung
von Alkoholismus, Achse-I-Störungen und
Achse-II-Persönlichkeitsstörungen. In der Lübecker
Komorbiditätsstudie konnte gezeigt werden, dass die Prävalenz der
affektiven Störungen und der Angststörungen nur noch halb so hoch
war, wenn die Patienten mit zusätzlichen
Persönlichkeitsstörungen ausgeschlossen würden.
Persönlichkeitsstörungen könnten daher als grundsätzlicher
Risikofaktor für das Auftreten einer komorbiden Achse-I-Störung bei
Alkoholismus angesehen werden [4].
Gegenseitige Verlaufsbeeinflussung - Interaktionales
Modell
Schizophrene Störungen verlaufen ungünstiger,
führen zu häufigeren Hospitalisierungen und damit mehr Kosten und
gehen mit erhöhter Suizidalität einher, wenn eine zusätzliche
alkoholbezogene Störung (und häufig auch zusätzlicher
pathologischer Drogengebrauch) vorhanden ist. Dahingegen liegen über den
Verlauf einer Alkoholabhängigkeit bei Vorliegen einer zusätzlichen
schizophrenen Störung weniger sichere Erkenntnisse vor [
[54]
[55], [ 56]
[57]
[58], [ 59]
[60].
Depressive Störungen scheinen bei gleichzeitigem Alkoholismus
hinsichtlich einer geringeren Remissionsneigung ungünstiger zu verlaufen,
zumindest verbessert eine Remission der Alkoholkrankheit die Verlaufsprognose
einer gleichzeitig bestehenden Depression [ [61].
Ein klinisch erheblich relevantes Problem bei Alkoholismus und komorbiden
psychischen Störungen, insbesondere bei depressiven Störungen, ist
die erhöhte Suizidalität. Murphy et al. [62]
fanden unter 50 suizidierten Alkoholikern bei 68 % die Kriterien
einer Major Depression nach DSM-III-R erfüllt. Für die
Suizidversuchsrate bei Alkoholikern fanden Biro et al. [63] einen Anstieg von 9,5 auf 17,3 %, wenn
eine zusätzliche depressive Störung vorlag, Roy et al. [[35] konnten einen Anstieg von 12 auf 32 %
darstellen. Parallel dazu lässt sich auch zeigen, dass das Vorliegen einer
Alkoholabhängigkeit bei Patienten mit einer depressiven Störung zu
einem erheblich größeren Ausmaß von Suizidalität und
negativem Selbsterleben führt [64]. Sowohl
für die Suizidrate als auch für die Suizidversuchsrate scheint
außerdem das Vorliegen einer antisozialen
Persönlichkeitsstörung einen zusätzlichen Risikofaktor
darzustellen [[65]. Außer depressiven
Störungen scheinen auch Angststörungen das Risiko suizidaler Krisen
erheblich zu erhöhen und insbesondere eine multiple Komorbidität
(Angststörung und depressive Störung bzw. Achse-I-Störung und
Achse-II-Störung im Sinne des DSM-Systems) mit dem größten
Suizidrisiko einherzugehen [66]. Pirkola et al.
[67] konnten zeigen, dass sich Suizidanten der
Altersgruppe 13 bis 22 Jahre, bei denen eine alkoholbezogene Störung
retrospektiv angenommen werden konnte, von den Suizidanten ohne alkoholbezogene
Störung durch zusätzliche psychiatrische Komorbidität,
antisoziale Verhaltensmuster, zerrüttete Familienverhältnisse,
belastende Lebensereignisse und ernsthafte psychosoziale Defizite
unterschieden.
Tab. 2 [] Lebenszeitprävalenz spezifischer
Persönlichkeitsstörungen bei Alkohomissbrauch und -abhängigkeit
in %
<TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
Nace et al. 1991 [18]
</TD><TD VALIGN="TOP">
Smyth 1993 [19] a
</TD><TD VALIGN="TOP">
DeJong et al. 1993 [20] b
</TD><TD VALIGN="TOP">
Driessen 1999 [4]
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Klassifikation
Instrumente
</TD><TD VALIGN="TOP">
DSM-III-R
SCID-II
</TD><TD VALIGN="TOP">
DSM-III-R
SCID-II
</TD><TD VALIGN="TOP">
DSM- III
SIDP
</TD><TD VALIGN="TOP">
DSM-III-R
IPDE
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
n
</TD><TD VALIGN="TOP">
100
</TD><TD VALIGN="TOP">
50
</TD><TD VALIGN="TOP">
178
</TD><TD VALIGN="TOP">
250
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Cluster A
paranoid
schizoid
Schizotyp
</TD><TD VALIGN="TOP">
7
0
0
</TD><TD VALIGN="TOP">
34 ( 6)
2 ( 0)
6 ( 2)
</TD><TD VALIGN="TOP">
14 (16)
4 (14)
17 ( 7)
</TD><TD VALIGN="TOP">
1,2
4,3
0,8
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Cluster B
antisozial
Borderline
histrionisch
narzisstisch
</TD><TD VALIGN="TOP">
3
17
6
4
</TD><TD VALIGN="TOP">
14 ( 8)
32 (20)
34 (23)
7 (25)
</TD><TD VALIGN="TOP">
5 ( 0)
17 ( 7)
34 (23)
7 (25)
</TD><TD VALIGN="TOP">
4,4
3,2
0,8
0,4
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Cluster C
selbstunsicher
abhängig
zwanghaft
passiv-aggressiv
</TD><TD VALIGN="TOP">
2
4
2
5
</TD><TD VALIGN="TOP">
32 (10)
14 ( 6)
12 ( 4)
20 ( 2)
</TD><TD VALIGN="TOP">
19 (12)
29 (23)
19 (18)
14 ( 8)
</TD><TD VALIGN="TOP">
5,2
2,4
0,8
0
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
selbstschädigend
nicht spezifisch
</TD><TD VALIGN="TOP">
5
2
</TD><TD VALIGN="TOP">
-
2 ( 2)
</TD><TD VALIGN="TOP">
-
-
</TD><TD VALIGN="TOP">
16,8
</TD>
<TD VALIGN="TOP" COLSPAN="5">
a Hauptdiagnose in ()
b Anteil ohne weitere
Persönlichkeitsstörung in ()
SCID-II = Structured Clinical
Interview for DSM
SIDP = ???
IPDE = International Personality
Disorder Examination
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Aus den Befunden lässt sich ein Modell ableiten, in dem
primäre oder sekundäre komorbide depressive Störungen die
Hauptrisikofaktoren für Suizidalität bei Alkoholismus sind. Dem
Alkoholismus (und dessen psychosozialen Folgen) sowie (durch den Alkoholismus
begünstigten) belastenden Lebensereignissen und interpersonalen Konflikten
käme damit eher eine modifizierende Funktion z. B. im Sinne der
forcierten Umsetzung suizidaler Impulse zu [4].
Untersuchungen über den Verlauf der Alkoholabhängigkeit
selbst bei gleichzeitigem Vorliegen einer depressiven Störung sind
uneinheitlich. Während mehrere Studien keine relevanten Unterschiede im
Vergleich zu nicht depressiven Patienten fanden [ [4]
[9]
[ 68], ergaben sich in anderen Untersuchungen
Hinweise auf einen ungünstigeren Verlauf der Suchterkrankung bzw. auf
schwerere suchtbezogene Symptome bei männlichen Alkoholkranken mit einer
zusätzlichen depressiven Störung [49]
[69]. Andererseits berichten Kranzler et al.
[70] sogar über einen günstigeren Verlauf des
Alkoholismus bei Vorliegen einer Major Depression. Über den
Krankheitsverlauf der einzelnen Störungen beim komorbiden Auftreten von
Alkoholabhängigkeit und Angststörungen gibt es bisher nur wenige
Ergebnisse. Thomas et al. [71] konnten zeigen, dass
alkoholabhängige Patienten mit sozialer Phobie sich von
Alkoholabhängigen ohne soziale Phobie unter anderem durch ihre Trinkmuster
und durch erhöhte Depressivität unterscheiden, jedoch nicht durch
stärkeren Alkoholkonsum. Tomasson und Vaglum [72]
berichten über eine deutlich höhere Frequenz stationärer
Wiederaufnahmen von Alkoholikern bei zusätzlicher Agoraphobie oder
Panikstörung. Bei antisozialen Persönlichkeitsstörungen wird ein
ungünstigerer Verlauf der Abhängigkeitserkrankung beschrieben
[11]
[43]
[44] [45]
[46]
[47]
[
48]
[49]
[50]
[51]
[70]
[73], ebenso bei
Borderline-Persönlichkeitsstörungen [53]. Zu
anderen spezifischen Persönlichkeitsstörungen liegen kaum
Verlaufsuntersuchungen vor. Für Persönlichkeitsstörungen
insgesamt konnte jedoch in der Lübecker Komorbiditätsstudie ein
deutlich schlechterer Verlauf der Abhängigkeitserkrankung sowohl im
Vergleich zur Gruppe der nicht-komorbiden Patienten als auch im Vergleich zur
Gruppe der Patienten mit ausschließlicher Achse-I-Komorbidität
gezeigt werden. Dies galt jedoch nicht für die Untergruppe der
Cluster-C-Persönlichkeitsstörungen. Der Verlauf bei den Patienten mit
komorbider Achse-I-Störung ohne zusätzliche
Persönlichkeitsstörung ließ sich dagegen praktisch nicht vom
Verlauf bei den Patienten ohne komorbide Störung unterscheiden. Damit
ergibt sich ein deutlicher Hinweis für die erhebliche prognostische
Bedeutung von Persönlichkeitsstörungen, insbesondere der Cluster A
und B [4].
Therapie von Alkoholismus und Komorbidität
Patienten mit substanzbezogenen Erkrankungen und komorbiden
psychischen Störungen nehmen häufiger allgemeinmedizinische,
psychiatrische und suchttherapeutische Hilfen in Anspruch und verursachen
dadurch mehr Kosten als abhängige Patienten ohne zusätzliche
Störungen und auch als Patienten mit psychischen Störungen ohne
Abhängigkeit [74]
[75].
Angesichts dieser Situation sind die Entwicklung und Evaluation
spezifischer Therapieprogramme dringend notwendig. Tatsächlich hat die
Wahrnehmung der Problemlage durch die Kliniker insbesondere in
Fachkrankenhäusern für Abhängigkeitserkrankungen in Deutschland
und in angloamerikanischen Einrichtungen zur Implementierung von
therapeutischen Angeboten z. B. für komorbide Angst- oder
depressive Patienten geführt. Diesen pragmatischen Lösungen steht
allerdings kaum empirisch abgesichertes Wissen gegenüber. Moggi et al.
[76]
[77] definierten auf der
Grundlage früherer Befunde solche Behandlungsprogramme als förderlich
für Doppeldiagnosepatienten („dual diagnosis treatment
climate”), die durch Anteilnahme, eine supportive Atmosphäre,
praktische Orientierung, ein hohes Maß an Ordnung und Organisation und
Klarheit des Programms gekennzeichnet waren. Sie fanden allerdings nur einen
mäßigen positiven Zusammenhang zwischen diesen
Therapieprogrammmerkmalen einerseits und substanzspezifischen Copingmustern der
Patienten, Reduzierung der psychiatrischen Symptombelastung und
Beschäftigungsrate 12 Monate nach Entlassung andererseits. Diese und
andere Untersuchungen geben zwar allgemeine Hinweise auf eine mögliche
Wirksamkeit von Komorbiditäts- oder Doppeldiagnoseprogrammen, sie sind
aber in mehrfacher Hinsicht nicht ausreichend, um Aussagen über bestimmte
Therapieformen für komorbide Alkoholabhängige im Vergleich zu
konventionellen Alkoholismustherapien zu treffen: So wurden z. B.
Alkohol- und Drogenabhängige bzw. polyvalent Abhängige einerseits und
schizophrene und „neurotische” Patientengruppen andererseits
gemeinsam untersucht.
In psychopharmakologischen Studien bei Alkoholabhängigen wurde
wiederholt die Wirksamkeit von trizyklischen Antidepressiva,
Serotonin-Wiederaufnahmehemmern und Buspiron zur Frage der Reduktion von
Depressivität und Angst in den ersten Wochen nach Entzugsbehandlung
untersucht. Die Ergebnisse sind widersprüchlich, so dass von einer
eindeutigen Überlegenheit gegenüber Plazebo generell nicht
ausgegangen werden kann [78, 79, [80]
[81]. Ebenso wenig lässt
sich die Frage nach der Wirksamkeit entsprechender pharmakologischer
Interventionen auf günstigere alkoholbezogene Verhaltensweisen oder gar
Abstinenz beantworten [79]
[82]
[83]
[84], [85]. Unglücklicherweise
wurden bei diesen Studien komorbide Störungen nicht explizit erfasst, so
dass offen bleibt, ob Patienten mit einer aktuellen bzw. früheren Diagnose
einer depressiven oder Angststörung oder Patienten mit ausgeprägter
Depressivität bzw. Angst auch nach Abschluss der Detoxifikation nicht doch
von psychopharmakologischen und/oder gezielten psychotherapeutischen
Interventionen profitieren können.
Perspektiven
Während die epidemiologischen Daten zur Komorbidität des
Alkoholismus vorläufig ausreichend empirisch abgesichert sind, fehlen zur
Zeit trotz der z. T. verwirrenden Vielfalt von Einzelbefunden
spezifische Kenntnisse zum Zusammenhang von Alkoholismus und Komorbidität.
Allerdings sind hier in nächster Zeit insbesondere aus der Stressforschung
neue Ergebnisse zu erwarten, die den Zusammenhang von Angst und
alkoholbezogenem Verhalten - möglicherweise diagnosenunspezifisch
- besser verständlich machen. Die größte Unklarheit
besteht allerdings nach wie vor zur Frage der Art, Organisation,
Effektivität und Effizienz von komorbiditätsspezifischen
Therapiemodellen.