Das medulläre Karzinom der Niere ist ein seltener, aggressiver Tumor, der 1995 erstmals
am Armed Forces Institute of Pathology, Washington, DC, als eigenständige Tumorentität
definiert wurde (Davis et al., The American Journal of Surgical Pathology 1995; 19(1):1).
Der Tumor ist bisher mit einer Ausnahme bei jungen schwarzen Patienten mit Sichelzellanämie
diagnostiziert worden. Im Folgenden berichten wir über einen weiteren Fall eines medullären
Nierenkarzinoms bei einer weißen Patientin ohne Anhalt für eine Sichelzellanämie.
Fallbeschreibung
Fallbeschreibung
Im August 1999 erfolgte die stationäre Aufnahme einer 44jährigen Kaukasierin wegen
massiver Schmerzen im Bereich des linken Hüftgelenkes und proximalen Oberschenkels
nach einem Sturztrauma.
Röntgenologisch zeigte sich eine Osteodestruktion im Bereich des linken proximalen
Femurs mit pathologischer Fraktur, die mittels einer dynamischen Hüftschraube stabilisiert
wurde.
Das während der Operation entnommene Material aus dem Frakturbereich ergab histologisch
Anteile einer Knochenmetastase eines mäßig gut differenzierten Adenokarzinoms. Als
Lokalisation für den Primärtumor wurden Mamma oder Lunge angegeben, differentialdiagnostisch
kam von Seiten des Pathologen auch der Verdauungstrakt (z. B. Pankreas, Gallenwege,
etc.) in Betracht. Für ein klassisches Nierenzellkarzinom fanden sich anhand des Materials
keine Hinweise, ebenso wenig für ein Urothelkarzinom (Institut für Pathologie, Klinikum
Nürnberg, H 27619/99).
Daraufhin erfolgte ein umfangreiches Tumorstaging. Bei unauffälligem Tastbefund ergab
sich auch sonographisch und mammographisch kein Anhalt für ein Mammakarzinom. Die
Thoraxübersichtsaufnahme zeigte eine Verdichtungsstruktur im Bereich des linken Hilus,
die übrigen Lungenparenchymstrukturen waren regelrecht. Im Thorax-CT ließ sich eine
noduläre Veränderung im Bereich des linken Hilus nachweisen, die am ehesten einer
hilären Lymphadenopathie entsprach. Die übrigen Thoraxstrukturen kamen unauffällig
zur Abbildung. Die anschließend durchgeführte Bronchoskopie ergab keinen Hinweis auf
einen Bronchialtumor.
Im Abdomen-CT fand sich im mittleren Parenchymdrittel der linken Niere ein 4 cm großer,
expansiv wachsender, nativ inhomogener Tumor, der zu einer Vorwölbung der lateralen
Parenchymkontur führte und bis an die Faszia Gerota heranreichte. Nach Kontrastmittelgabe
demarkierte sich ein überwiegend nekrotischer, partiell unscharf begrenzter Tumor
mit randständig soliden Anteilen und peripherem Enhancement. Eine Infiltration des
Nierenhohlsystems war nicht nachweisbar. Lokoregionär und paraaortal fanden sich keine
vergrößerten Lymphknoten. Darüber hinaus stellte sich eine 5 cm große Osteodestruktion
mit Weichteilkomponente im Bereich des linken Osilium dar (Abb. [1 a] und b). Im i. v. Urogramm kam ein normalweites, regelrecht konfiguriertes Nierenbeckenkelchsystem
links ohne Hinweis auf eine Tumorinfiltration oder eine Abflussstörung zur Abbildung.
Die laterale Parenchymkontur im mittleren Drittel der linken Niere war nicht abgrenzbar
(Abb. [2]).
Ein F-18-FDG-Ganzkörper-PET zeigte multiple Foki mit vermehrter Tracerspeicherung
links supraclavikulär, im Bereich des linken Hilus, des bekannten Nierentumors links,
links parailiakal, der linken Beckenschaufel, des rechten Schenkelhalses und der inter-
und subtiochantären Region des linken proximalen Femurs (Abb. [3]).
Trotz der Diskrepanz zwischen histologischem Befund und radiologischer Verdachtsdiagnose
eines metastasierten Nierentumors erfolgte im September 1999 die Tumornephrektomie.
Die histologische Aufarbeitung des Resektates ergab ein 5,5 cm großes, wenig differenziertes
Nierenkarzinom, im Speziellen ein renales medulläres Karzinom, mit Infiltration in
das pararenale Fettgewebe ohne Durchbruch der Fascia Gerota mit Lymph- und Hämangiosis
carzinomatosa. Zusätzlich waren mehrere kleine, um den Haupttumor gruppierte Satellitentumoren
nachweisbar. In Zusammenschau mit den Vorbefunden wurde retrospektiv die bekannte
ossäre Metastase im Bereich des linken proximalen Femurs als Absiedelung dieses Tumors
eingestuft (Tumorklassifikation G3 , pT3a, L1,V1) (H33434/99).
Postoperativ wurden bei der Patientin inzwischen mehrfach palliative Strahlentherapien
verschiedener Lokalisationen im Skelettsystem durchgeführt.
Diskussion
Diskussion
Das medulläre Nierenkarzinom ist ein seltener, aggressiver Tumor, der bislang mit
einer Ausnahme bei jüngeren schwarzen Patienten im Alter zwischen 11 und 39 Jahren
mit Sichelzellanämie beschrieben wurde (Herring et al.; The Journal of Urology 1997;
157: 2246).
Das biologische Verhalten des Tumors ist durch ein lokal infiltratives Wachstum und
eine frühe Metastasierung in Lymphknoten, Leber und Lunge charakterisiert (Avery et
al., Cancer 1996; 78: 128). Die von Davis et al. analysierten 33 Patienten hatten
bereits zum Zeitpunkt der Diagnosestellung extrarenale Tumormanifestationen bei einer
mittleren Überlebenszeit von drei Monaten. Therapieversuche mit verschiedenen Chemotherapieschemata
konnten bislang keine Verbesserung der infausten Prognose herbeiführen.
Als wahrscheinlicher Entstehungsort des Tumors wird das Epithel innerhalb oder in
Nachbarschaft einer Nierenpapille diskutiert.
Das makroskopische Bild entspricht einem unscharf begrenzten, das Nierenparenchym
infiltrierenden Tumor mit Hämorrhagien und Nekrosen. Bei der Mehrzahl der publizierten
Fälle wurden eine Tumorausdehnung in das Nierenbeckenkelchsystem mit Ektasie sowie
kleine Satellitenknoten in der Nierenrinde beschrieben. Der durchschnittliche Tumordurchmesser
betrug ca. 6 cm.
Histologisch imponiert eine dottersackähnliche Morphologie mit adenoid-zystischen
Veränderungen. Bei ausgeprägter desmoplastischer Stromareaktion finden sich meist
gering differenzierte Tumorzellen mit großen, hellen Kernen. Daneben werden in variabler
Ausprägung polymorphkernige Leukozyten im Tumorkern und Lymphozytensäume an den Tumorrändern,
auch der Satellitenknoten, vorgefunden.
Die bildgebenden Verfahren zeigen typischerweise einen zentral infiltrativ wachsenden,
überwiegend nekrotischen, tumorösen Prozess mit Ausdehnung in den Nierensinus und
die -rinde. Nach KM-Applikation kommt es zu einem peripheren Enhancement mit zentraler
Hypodensität. Im fortgeschrittenen Stadium überschreitet der Tumor die Organgrenzen,
wobei die Niere ihre ursprüngliche Form beibehält. Differentialdiagnostisch ist das
medulläre Nierenkarzinom vom häufigeren Nierenzellkarzinom, das charakteristischerweise
in der Nierenrinde lokalisiert ist und eine expansive (vs. infiltrative) Wachstumsform
aufweist, vom Urothelkarzinom im Bereich des Nierenbeckenkelchsystems, vom Lymphom
und von Metastasen z. B. eines Plattenepithelkarzinoms, abzugrenzen (Davidson AJ,
Hartmann DS (eds.). Radiology of the kidney and urinary tract. Philadelphia: Saunders
1994).
In unserem Falle wurde das medulläre Nierenkarzinom nicht in die Differentialdiagnose
mit einbezogen, da die bildmorphologischen Befunde wie expansives Tumorwachstum und
ossäre Metastasierung auf ein primäres Nierenzellkarzinom hinwiesen.
Die F-18-FDG-Ganzkörper-PET ist aufgrund des gesteigerten Glukosemetabolismus ein
sensitives Verfahren für den Nachweis von malignen Tumoren und deren Metastasen. In
unserem Fall wird zum ersten Mal über den Einsatz der F-18-FDG-PET beim medullären
Nierenkarzinom berichtet und die in der Literatur beschriebene, frühe lymphogene und
hämatogene Metastasierung des Tumors bestätigt.
Nach unseren Literaturrecherchen handelt es sich hier um den 2. Fall eines medullären
Nierenkarzinoms bei einem nicht negroiden Patienten ohne Hinweis auf eine Sichelzellanämie.
In Übereinstimmung mit Kalyanpur et al. unterstützt dies die Hypothese, dass das medulläre
Nierenkarzinom sowohl als genetisch assoziierte als auch sporadische Verlaufsform
vorkommen kann (Kalyanpur et al.; AJR 1997, 169: 1037).
B. Glas, F. J. Ferstl, Nürnberg
Abb. 1 Abdomen-CT. (a) Nativ inhomogen strukturierter, expansiv wachsender Tumor im mittleren Parenchymdrittel
der linken Niere mit Vorwölbung der Nierenkontur. (b) Nach Kontrastmittelgabe überwiegend hypovaskularisierter, partiell unscharf begrenzter
Tumor mit peripherem Enhancement. Ausdehnung bis zur Faszia Gerota, keine Infiltration
des Nierenhohlsystems.
Abb. 2i. v. Urogramm. Unauffällige Darstellung des Nierenbeckenkelchsystems beidseits ohne
Abflussstörung. Laterale Kontur der linken Niere nicht abgrenzbar.
Abb. 3F-18-FDG-Ganzkörper-PET. Multiple Mehrspeicherungen links supraclaviculär, im Bereich
des linken Hilus, der linken Niere, links parailiakal, der linken Beckenschaufel,
des rechten Schenkelhalses sowie der inter- und subtrochantären Region des linken
proximalen Femurs.