Einleitung
Einleitung
Die laufenden Diskussionen über Kosten, Quantität und Qualität und die sich stark
verändernden Rahmenbedingungen im Gesundheitswesen verlangen auch von der Ärzteschaft,
dass die Arbeit quantitativ und qualitativ mit statistischen Daten belegt wird. Die
Bedeutung der Erfassung von Daten betreffend klinisch therapeutischer Handlungen nimmt
deshalb zu. Die wichtigsten Zwecke der Datenerfassung sind in Tab. [1 ] dargestellt. Die Verfügbarkeit statistischer Daten ist eine Grundvoraussetzung,
um zielgerichtete und effiziente Verbesserungen einleiten zu können.
Die Lungenliga Schweiz, LLS (vormals Schweizerische Vereinigung gegen Tuberkulose
und Lungenkrankheiten SVTL) hat Ende der 80er Jahre gemeinsam mit der Schweizerischen
Gesellschaft für Pneumologie SGP ein System der zentralen Datenerfassung etabliert.
Dabei sollen sämtliche apparative Verordnungen für Sauerstoff-Langzeittherapie (OX),
Behandlung von Schlaf-Apnoe-Syndromen (SA) sowie der Heimventilationen (HV), die innerhalb
des SGP/Lungenligen-Wirkungskreises erfolgen, erfasst werden. Alle drei Therapiearten
basieren auf dem Einsatz relativ teurer Apparate, wobei insbesondere OX und HV eine
Alternative zur noch kostenintensiveren stationären Langzeitbehandlung darstellen.
Die LLS hat gemeinsam mit der SGP Richtlinien [[1 ], [2 ]] respektive Empfehlungen [[3 ]] für die Verordnung dieser Therapien herausgegeben. Die wichtigsten Grundlagen dieser
Therapien sind im Anhang zusammengefasst. Das Erfassungssystem für OX, SA und HV wurde
kontinuierlich modernisiert und verbessert.
Unabhängig vom Erfassungssystem führen die Lungenligen aus administrativen Gründen
Buch über die Anzahl betreuter Patientinnen und Patienten. Diese Zahlen werden jeweils
in den LLS Jahresstatistiken zusammengefasst.
Die vorliegende Arbeit will zwei Aspekte dieser Therapien darstellen: Im ersten Teil
werden erstmals die wichtigsten Daten all jener Patienten beschrieben, für welche
ab 1990 bis Ende 1996 ein LLS-Verordnungsformular zentral erfasst wurde. Dabei soll
auch die Frage der Vollständigkeit der Erfassung diskutiert werden, da der Nutzen
der erhobenen Daten letztlich von der Qualität der Datenerfassung abhängt. Im zweiten
Teil wird die Verordnungsdichte (pro 100 000 Einwohner) dieser Therapien analysiert
und interkantonal verglichen. Für OX und SA beruht die Berechnung der Verordnungsdichte
auf den Daten der LLS-Jahresstatistiken, da, wie wir zeigen werden, in einigen Kantonen
noch nicht für alle betreuten Patienten ein Verordnungsformular zur Erfassung eingereicht
wird.
Tab. 1 Wichtigste Anwendungszwecke eines Erfassungssystems von Verordnungen
Planungsinstrument (Trends, Kontrollen, Mengen)
Leistungsausweis
Interessenvertretung
Qualitätskontrolle (Richtlinien)
Hinweise auf Auswirkungen der Anpassung von Richtlinien
Formulierung von wissenschaftlichen Hypothesen
Ausgangsbasis für Forschungsprojekte
Methode
Methode
Die Routineerfassung sämtlicher Verordnungen von OX, SA und HV wurde ab 1989 eingeführt.
Das Erfassungssystem besteht nicht nur aus einer zentralen Datenerfassung sondern
einer Serie von Handlungseinheiten. Die wichtigsten Bestandteile sind in Abb. [1 ] schematisch dargestellt. Änderungen auf jeder Ebene wirken sich jeweils auf das
gesamte System aus. Beispielsweise erfordern Veränderungen der Richtlinien in der
Regel eine Adaption im Erfassungsformular. Andererseits bestimmt die Wahl des Eingabesystems
Möglichkeiten und Effizienz späterer Auswertungen. Die Auswertungen sollen wiederum
auf Entscheide der wissenschaftlichen Fachgruppen zurückwirken. Die Gesamtqualität
der Datenerfassung hängt von der Qualität jedes einzelnen Gliedes ab.
Erfassungskonzept
Die Erfassung beruht darauf, dass die Ärzteschaft ihre Verordnungen auf den offiziellen
Formularen der LLS festhalten und dem Ligenarzt respektive den lokalen Lungenligen
weiterleiten. Neben soziodemographischen Grunddaten werden Hauptdiagnosen, Raucherstatus,
funktionelle Basisdaten (Spirometrie, Blutgasanalysen) sowie die Verordnungen (Therapieplan)
festgehalten. Während für OX und SA der als Ligenarzt tätige lokale Pneumologe die
Verordnung begutachtet, besteht für HV ein zentrales nationales Expertensystem. Dieses
umfasst einerseits die Überprüfung der Indikation durch zwei unabhängige Pneumologen
der SGP sowie andererseits eine Kostengutsprache seitens des SVK (Schweizerischer
Verband für Gemeinschaftsaufgaben der Krankenversicherer). Diese Expertise ist eine
Voraussetzung der Kostenübernahme für die Heimventilation. Die Verordnungsformulare
von OX, SA und HV werden an die LLS zur Erfassung weitergeleitet, wobei das kantonale
Ligenpersonal in der Regel bei OX und SA therapeutisch-technische Angaben auf den
Formularen ergänzt. Die Zentrale erfasst die Formulare auf dem lokalen Rechner.
Qualität der vorliegenden Formulare
Verbesserungen und Vereinfachungen des Erfassungssystems der LLS erfolgten seit seiner
Einführung in mehreren Schritten. Als einfacher Parameter für die Datenqualität werden
in den nachfolgenden Resultaten jeweils die Häufigkeiten von fehlenden Angaben zu
den einzelnen Fragen des Verordnungsblattes vermerkt. Das Maß der Übereinstimmung
zwischen den einzelnen Angaben in den Formularen und den tatsächlichen Umständen (Validität)
wurde bisher nicht untersucht.
Beurteilung der Meldeverlässlichkeit
Die Meldetätigkeit, das heißt das Einsenden eines Verordnungsformulares an die zentrale
Geschäftsstelle der LLS, kann bisher für OX und SA als freiwillige Zusammenarbeit
von Pneumologen, kantonalen Lungenligen und Dachverband bezeichnet werden. Im vorliegenden
Bericht wird diese freiwillige Meldeverlässlichkeit abgeschätzt, indem die Anzahl
vorhandener Verordnungsformulare mit der Anzahl der in der LLS-Jahresstatistik aufgeführten
Patienten verglichen wird. Die LLS-Jahresstatistik basiert auf einer jährlichen schriftlichen
Befragung aller Ligen. Diese einfache Erhebung ist administrativ und logistisch von
der Erfassung der Verordnungsformulare unabhängig. Es werden lediglich summarische
statistische Grundinformationen gesammelt. In der LLS-Jahresstatistik wird die Anzahl
„neu- und wiederaufgenommene Patienten” genannt. Im Prinzip sollte für alle neu aufgenommenen
Patienten von OX, SA und HV ein Verordnungsformular an die LLS geschickt werden. Ein
Vergleich dieser beiden Mengen ergibt somit einen Hinweis auf die Verlässlichkeit
der Ligen in der Überweisung von Verordnungsformularen. Bei der Berechnung der Verlässlichkeit
wurden lediglich die Angaben von 1994 - 1996 verwendet, da jedes Meldesystem in der
Aufbauphase unvollständig ist und auch die als Vergleichsgröße benutzte LLS-Jahresstatistik
in den letzten Jahren verbessert wurde.
Berechnung der kantonalen Verordnungsdichte
Die kantonale Verordnungsdichte wurde als die mittlere Anzahl jährlicher Neuverordnungen
(d. h. der Inzidenz) von 1994 - 1996 pro 100 000 Einwohner gemäß statistischem Jahrbuch
der Schweiz berechnet.
Da die Meldeverlässlichkeit für OX und SA kantonal unterschiedlich ist (siehe Resultate),
wurden für die Berechnung der Verordnungsdichte von OX und SA die Angaben der kantonalen
Lungenliga zu Händen der LLS Jahresstatistik verwendet („neu- und wiederaufgenommene
Patienten”). Diese statistischen Eckdaten enthalten keine näheren Patienteninformationen,
werden jedoch zuverlässig übermittelt. Somit wird die berechnete Verordnungsdichte
nicht durch Unterschiede in der Verlässlichkeit der Übermittlung von Verordnungsformularen
verfälscht.
Die Verordnungsdichte für HV beruht auf den an die LLS übermittelten Verordnungsformularen
(LLS-Erfassungssystem). Wegen der obligatorischen Kostengutsprache und Expertise,
organisiert durch den Dachverband, liegen die entsprechenden Formulare sehr vollständig
vor.
Die Untersuchung von Einflussfaktoren auf die kantonale Verordnungsdichte erfolgte
mittels multipler linearer Regression. Als potentiell erklärende Faktoren für die
Unterschiede in der Verordnungsdichte wurden die kantonale Pneumologendichte, die
Anzahl Einwohner, die Sprachregion, das Vorhandensein einer Universitätsklinik sowie
die rohe kantonale Mortalitätsrate für chronisch obstruktive Lungenerkrankungen der
Jahre 1988 - 90 verwendet [[4 ]]. Es wurden die Statistikprogramme STATA und SAS benutzt [[5 ], [6 ]].
Abb. 1 Elemente des Erfassungssystems von apparativen Verordnungen für Sauerstoff-Langzeittherapie,
Behandlung der Schlaf-Apnoe sowie von Heimventilation. Lungenliga Schweiz (LLS).
Resultate 1989 - 1996
Resultate 1989 - 1996
Patientenkollektive
Tab. [2 ] zeigt die Verteilung der 4731 Verordnungsformulare nach Jahr und Therapiegruppe.
Es handelt sich um insgesamt 4689 Patienten für die Jahre 1989 - 1996. Insgesamt 42
Patienten erhielten kombinierte Therapien. Mit 62 % ist die Sauerstoff-Langzeittherapie
die größte Gruppe. Ein Drittel (1531) betreffen Schlaf-Apnoe-Behandlungen, während
bis Ende 1996 270 Verordnungen für Heimventilation erfasst wurden.
Tab. [3 ] beschreibt für jede Therapiegruppe die wichtigsten soziodemographischen Daten. Die
Verteilung der Diagnosen ist in Tab. [4 ] dargestellt, während Tab. [5 ] die Resultate der Blutgasanalysen wiedergibt. Der Anteil an Formularen mit fehlender
Information ist hierbei hoch.
Zwei Drittel des OX-Kollektivs sind im Pensionsalter. Es wurden in fast 90 % der OX-Fälle
Sauerstoff-Konzentratoren verordnet. Die verordnete Therapiedauer beträgt pro Tag
durchschnittlich 16,1 Stunden. Bei 77 % werden mehr als 15 Stunden täglich empfohlen.
Knapp 2 Liter Sauerstoff pro Minute werden durchschnittlich verordnet, wobei die Angabe
in 38 % der Formulare fehlt.
Das SA-Kollektiv besteht vorwiegend aus Männern im berufstätigen Alter. Erwartungsgemäß
ist diese Gruppe im Durchschnitt übergewichtig (d. h. BMI > 27 kg/m2 ) (Tab. [3 ]). Bisher wurden zu 98 % CPAP-Geräte verordnet. Der verordnete Druck betrug durchschnittlich
9,2 (SD 1,9) cm H2 O.
Die HV-Verordnungen werden insbesondere wegen restriktiven, vor allem Kyphoskoliosen
(19 %), und neuromuskulären Lungenerkrankungen (23 %) verordnet (Tab. [4 ]). Bei Frauen beträgt der Anteil restriktiver Lungenerkrankungen 38 % (Männer: 25
%).
Die Labor-Untersuchungsresultate fehlen in mehr als 25 % der Formulare, obwohl sämtliche
Angaben in den Patientenakten vorhanden wären, da die Untersuchungen eine Voraussetzung
sind für die Abklärung der HV-Kostengutsprache im Rahmen der SGP-Expertise [[1 ]].
In 76 % der HV-Fälle werden Volumen gesteuerte Ventilatoren eingesetzt. Auf BiPAP-Geräte
entfallen 24 %. Die verordnete tägliche Ventilationsdauer liegt im Durchschnitt bei
9,2 Stunden, wobei die Angaben auf dem Formular mehrheitlich fehlen.
Meldeverlässlichkeit
Beim Vergleich der Anzahl „neu- und wiederaufgenommener Patienten” (gemäß Angaben
der kantonalen Lungenligen zu Händen der Jahresstatistik) mit der Anzahl übermittelter
Verordnungsformulare zeigen sich bei OX und SA erhebliche kantonale Unterschiede.
Aus manchen Kantonen liegen deutlich weniger als ein Drittel der zu erwartenden Formulare
vor. Für 11 (OX) respektive 13 (SA) Kantone wurden weniger als zwei Drittel der Verordnungen
an die Zentrale gemeldet. Da es sich dabei auch um große Kantone handelt, ist die
Anzahl nicht erfasster Patienten groß. So liegen für die Jahre 1994 - 96 insgesamt
1420 OX-Formulare vor, während gemäß LLS-Jahresstatistik im selben Zeitraum 2528 OX-Patienten
als „neu- und wiederaufgenommen” angegeben wurden. Für SA ist die Melderate mit 59
% ähnlich (1259 von 2128 für 1994 - 96).
Für HV ist infolge der obligatorischen Kostengutsprache die Erfassung vollständig.
Kantonale Verordnungsdichte
Tab. [6 ] zeigt die deutlichen Unterschiede in der kantonalen Verordnungsdichte. Für OX und
SA variiert die Rate etwa um das 6-Fache. Aus drei kleineren Kantonen liegen keine
HV-Verordnungen vor. Ansonsten variiert hier die Rate um den Faktor zehn. In linearen
Regressionen wurde der Einfluss der Pneumologendichte, der Sprachregion (deutsche
Schweiz versus übrige), der Einwohnerzahl, des Vorhandenseins eines Universitätsspitals
sowie die COPD-Mortalitätsraten (Indikator der Erkrankungs- sowie der Raucherhäufigkeit)
auf die Verordnungsrate berechnet.
Für OX ließen sich in diesen Modellen maximal 29 % der Varianz in der Verordnungsdichte
erklären. Keiner der Faktoren war allein genommen (bivariate Modelle) ein signifikanter
Prädiktor. In der multivariaten Analyse zeigte sich, dass einerseits pro zusätzlichen
Pneumologen (pro 100 000 Einw.) die Verordnungsdichte um 1,34 OX/100 000 Einwohner
(95 % Cl: - 0,5 - + 2,7; p = 0,06) ansteigt, während andererseits in Kantonen mit
Universitätskliniken die OX-Rate um 5,7 (0,1 - 11,2) tiefer lag als in den übrigen
Kantonen. Zudem bestand ein Trend zu höherer Verordnungsdichte mit zunehmender COPD-Sterberate
(p = 0,06).
Bei der SA-Verordnungsdichte ließen sich 63 % der kantonalen Varianz erklären. In
bivariaten Modellen waren die Raten in Kantonen mit Universitätskliniken um 6,1 (2,5
- 9,7)/100 000 höher (p = 0.002) respektive nahmen pro Pneumologe um 1,2 (0,2 - 2,1;
p = 0,02) zu (pro 100 000). Im multivariaten Modell waren das Vorhandensein einer
Universitätsklinik respektive eines Zentrumspitals signifikante Prädiktoren der Verordnungsdichte.
Mit zunehmender Einwohnerzahl nahm die SA-Dichte dabei ab (p = 0,04). Die positive
Korrelation der SA-Rate mit der Pneumologendichte war bei gleichzeitiger Berücksichtigung
des Faktors „Uniklinik” nicht mehr signifikant.
Bei der HV-Verordnungsdichte konnten max. 48 % der kantonalen Varianz statistisch
erklärt werden. In univariaten Analysen war lediglich das Vorhandensein einer Uniklinik
signifikant prädiktiv für höhere Verordnungsdichte. Im multivariaten Modell blieb
dieser Faktor wichtig (+ 4,6 [2,0 - 7,2] p = 0,001 pro 100 000 Einw.), wobei wiederum
mit steigender Einwohnerzahl abnehmende HV-Verordnungsdichte beobachtet wurde (p =
0,002).
In einem letzten Schritt wurden die Prädiktoren der gesamten Verordnungsdichte aller
drei Therapieformen (Summe von OX, SA und HV) untersucht. Abb. [2 ] stellt die Korrelation zwischen Pneumologendichte und Verordnungsdichte dar. Es
konnten maximal 40 % der Varianz in der Verordnungsdichte erklärt werden. Die wichtigsten
Einzelfaktoren waren wiederum die Pneumologendichte (+ 2,2 [0,5 - 3,9] p = 0,01) und
der Faktor „Uniklinik” (+ 6,5 [- 0,8 - 13,8] p = 0,08). Der Einfluss dieser Faktoren
blieb in den multivariaten Modellen in ähnlicher Größe, wobei keiner der berücksichtigten
Faktoren statistische Signifikanz erreichte.
Abb. 2 Zusammenhang zwischen der kantonalen Pneumologendichte und der Verordnungsdichte (Rate
pro 100 000 Einwohner, pro Jahr) der Summe aller Verordnungen von Sauerstoff-Langzeittherapie,
Behandlung der Schlaf-Apnoe, sowie von Heimventilation, Lungenliga Schweiz (Daten
von 1994 - 96). Zur Berechnung der Verordnungsdichte wurde die z. Z. jeweils zuverlässigste
Datenquelle benutzt: für OX und SA die Angaben der Ligen zu Händen der LLS-Jahresstatistik;
für HV die Verordnungsformulare des LLS-Erfassungssystems).
Tab. 2 Anzahl zentral erfasster Verordnungen für Sauerstoff-Langzeitbehandlung (OX), Schlaf-Apnoe-Behandlung
(SA) und Heimventilation (HV), Erfassungssystem Lungenliga Schweiz (LLS), 1989 - 96
Jahr
OX
SA
HV
n
%
n
%
n
%
≤ 1990
148
5,1
14
0,8
15
5,4
1991
501
17,1
45
2,9
25
8,4
1992
459
15,7
73
4,8
26
8,4
1993
401
13,7
130
8,6
40
13,1
1994
387
13,2
200
13,0
32
12,2
1995
463
15,8
354
23,0
64
24,2
1996
571
19,5
715
46,9
68
28,4
Total
2930
100
1531
100
270
100
Tab. 3 Soziodemographische Angaben des Patientenkollektivs nach Therapiegruppe (OX, SA
und HV). Erfassungssystem LLS 1989 - 1996
OX (n = 2930)
SA (n = 1531)
HV (n = 270)
Anteil Männer
65,6 %
87,2 %
63,0 %
Alter (Mittelwert; SD)
65,3 (16,3)
53,8 (11,0)
52,6 (17,2)
Anteil ≤ 20-jährig
4,0 %
0,4 %
6,7 %
Anteil ≥ 65-jährig
64,3 %
14.1 %
24,5 %
BMI (Mittelw; SD) (kg/m2 )
24,2 (7,1)
34,1 (8,9)
26,5 (9,9)
Mobilität bettlägrig
3,4 %
1,0 %
7,2 %
teilweise mobil (zu Hause)
27,8 %
1,3 %
17,7 %
voll mobil
68.8 %
97,7 %
75,1 %
Berufstätig
10 %
72,6 %
35,0 %
Raucher
9,0 %
28,6 %
7,1 %
Ex-Raucher
58,4 %
43,1 %
28,0 %
1 BMI = Body Mass Index
Tab. 4 Verteilung der Diagnosen in den drei Therapiegruppen. Erfassungssystem LLS 1989
- 1996
Diagnosegruppe
OX (n = 2736)1
SA (n = 1447)1
HV (n = 258)1
Obstruktive Lungenkrankheiten
63,5 %
1,2 %
8,1 %
Restriktive Lungenkrankheiten
16,0 %
0,3 %
36,2 %
Schlafbezogene Atmungsstörungen
4,1 %
97,6 %
10,5 %
Obstruktive SA
2,0 %
87,5 %
-
Neuromuskuläre Erkrankungen
1,0 %
0,2 %
29,1 %
Vaskuläre Erkrankungen
5,5 %
0,1 %
0,8 %
Kardiale Erkrankungen
3,8 %
-
1,2 %
Mukoviszidose
2,1 % (25,5 % aller ≤ 20-Jährigen)
-
2,7 %
Bronchodysplasie
1,4 % (27,4 % aller ≤ 20-Jährigen)
-
-
Andere Diagnosen
2,8 %
0,5 %
10,9 %
1 Die Anzahl weicht von Tab. [3 ] ab, da die Diagnoseangaben in den übrigen Formularen fehlen
Tab. 5 Resultate der Blutgasanalysen nach Therapiegruppen (in eckiger Klammer: Prozentanteil
der Formulare mit fehlender Angabe). Erfassungssystem LLS 1989 - 1996
Blutgase
OX
SA
HV
PaO2 (Mittelw; SD) in kPA
in Ruhe: 6,6 (1,2) [12,8 %]
tagsüber: 9,2 (1,7) [55,2 %]
vor Behandl.: 6,6 (1,8) [31,5 %]
nach O2 : 8,9 (2,1) [42,2 %]
unter mech. Ventilation: 9,4 (2,2) [63,3 %]
Anteil mit PaO2 ≤ 5,3 kPA (≤ 40 mmHg)
12,4 %
0,7 %
22,2 %
Anteil mit PaO2 ≥ 8,7 kPA (≥ 65 mmHg)
4,1 %
28,5 %
13,0 %
PaCO2 (Mittelw; SD)
in Ruhe: 5,7 (1,2) [12,8 %]
tagsüber: 5,2 (0,9) [55,2 %]
vor Beh.: 7,1 (1,8) [31,1 %]
Tab. 6 Kantonale Verordnungsdichte pro 100 000 Einwohner, umgerechnet pro Jahr aus den
Angaben 1994 - 1996 der LLS-Jahresstatistik (OX und SA) respektive dem Erfassungssystem
der Verordnungsformulare (HV)
Kanton
OX-Rate
Kanton
SA-Rate
Kanton
HV-Rate
VS
4,0
VS
2,6
UR
0
NW
4,7
TI
3,6
GL
0
SZ
5,4
GR
3,6
GR
0
LU
5,5
NW
3,7
SZ
0,9
AI
6,7
SH
4,0
BE
1,2
TG
7,2
SZ
4,2
TG
1,3
GE
7,7
TG
5,2
JU
1,5
BE
7,7
AI
6,7
TI
1,7
ZG
8,6
NE
6,8
NE
1,8
TI
9,0
BE
7,3
AR
1,8
UR
9,4
ZG
7,7
ZH
1,9
BL
9,6
SG
8,0
BL
2,0
VD
9,9
LU
8,2
VS
2,6
AG
9,9
OW
8,5
SH
2,7
ZH
10,6
GL
8,7
LU
2,8
SG
10,6
JU
9,2
OW
3,2
NE
10,9
UR
9,4
FR
3,6
BS
11,4
FR
9,7
AG
3,6
OW
11,7
BL
9,7
SO
3,8
GL
12,1
AG
10,6
VD
4,0
SO
12,7
ZH
12,0
ZG
4,4
SH
15,2
SO
13,0
SG
5,1
AR
16,0
BS
13,1
NW
5,6
FR
17,1
AR
14,8
BS
6,0
GR
17,4
VD
16,8
AI
6,7
JU
24,3
GE
19,0
GE
11,1
Schweiz
9,8
Schweiz
9,9
Schweiz
3,1
Für OX und SA wurde die Verordnungsdichte aus den Daten der LLS-Jahresstatistik berechnet
(Neuausmietungen), da das Erfassungssystem nicht alle Verordnungen erfasst. Die Berechnung
für HV beruht auf dem Formular-Erfassungssystem, da dieses für HV verlässliche Daten
liefert.
Diskussion
Diskussion
Die Verordnungen von OX, SA und HV werden in der Schweiz auf Initiative der Lungenliga
Schweiz und der SGP systematisch erfasst. Im untersuchten Zeitraum zeigt sich eine
generelle Zunahme der erfassten Verordnungen der hier untersuchten Heimtherapien OX,
SA und HV. Während OX-Therapien vorwiegend bei > 64-Jährigen eingesetzt werden, profitiert
von der Schlaf-Apnoe-Behandlung sowie der Heimventilation vor allem die 40 - 64-jährige
Bevölkerung.
Die systematische Erfassung der Verordnungen ist ein wegweisendes Instrument in einer
modernen Gesundheitsversorgung. Gemäß einer internationalen Erhebung ist dies keineswegs
selbstverständlich und das Schweizer Beispiel wird sehr positiv bewertet [[7 ]]. Die vorliegenden ersten Auswertungen zeigen die zukünftigen Nutzungsmöglichkeiten
der Daten sowie Verbesserungsmöglichkeiten der Erfassung.
Qualität der Erfassung
Qualität der Erfassung
Es zeigt sich, dass das heutige System die Verordnungen in vielen Kantonen bereits
sehr vollständig erfasst. Die Erfassung der Heimventilationsverordnungen ist vollständig,
da sie wegen der erforderlichen Kostengutsprache und Expertise durch Pneumologen („second/third
opinion”) als obligatorischer Routineprozess bezeichnet werden kann.
Die Lücken in der Meldetätigkeit von OX und SA in einigen kleinen und großen Kantonen
kann verschiedene Ursachen haben, wobei die „Freiwilligkeit” der Meldetätigkeit letztlich
ein wesentlicher Faktor sein dürfte. Die Einsicht der Ärzteschaft in den Sinn der
Datenerfassung ist wichtig für die Qualität der Meldeverlässlichkeit, wobei dem kantonalen
Ligenarzt besondere Verantwortung in der Umsetzung des Erfassungssystems zukommt.
Ebenso kommt den kantonalen Lungenligen eine Schlüsselstellung zu, da sie die Formulare
oft ergänzen, den direkten Kontakt mit der verordnenden Ärzteschaft pflegen und in
der Regel für die Zusendung der Formulare an die Geschäftsstelle der LLS zuständig
sind.
Ein weiterer Grund für die Abweichung zwischen den Angaben in der Jahresstatistik
und der Anzahl gemeldeter Verordnungen kann darin liegen, dass für kurzfristige Therapien,
insbesondere bei Einsatz der Sauerstofftherapie im terminalen Stadium auf Verordnungsformulare
verzichtet wird.
Die zugesandten Formulare wurden bisher teilweise unvollständig ausgefüllt, insbesondere
was die Resultate von diagnostischen Untersuchungen sowie der therapeutischen Verordnungen
betrifft. Seit 1997 wurden die Erfassungsformulare weiter vereinfacht. Zudem wird
verstärkt mit den kantonalen Lungenligen Rücksprache genommen, falls Angaben fehlen.
Gemäß Beobachtung der LLS hat sich die Vollständigkeit der Erfassung seither bereits
stark verbessert. Angesichts der Kosten, die mit einem Erfassungssystem verbunden
sind, ist es wichtig, die Qualität der erhobenen Daten auch zukünftig zu verbessern.
Es muss berücksichtigt werden, dass Datenqualität und -quantität in gegenseitiger
Konkurrenz stehen und gute Datenqualität Voraussetzung für verlässliche Auswertungen
ist. Je mehr erhoben wird, um so höher ist die Fehlerrate und um so schlechter die
Compliance aller Beteiligten. Nur „Wichtiges” sollte routinemäßig erfasst werden.
Da die Bewertung von „Wichtigkeit” von der Fragestellung abhängt, müssen die zu erfassenden
Inhalte in Absprache zwischen den am System Beteiligten festgelegt werden. Der SGP
und den kantonalen Ligaärzten kommt in diesem Prozess eine Schlüsselstellung zu.
Kantonale Unterschiede in der Verordnungsdichte
Kantonale Unterschiede in der Verordnungsdichte
Wir haben gezeigt, dass die Verordnungsdichte (1994 - 1996) bei allen drei Therapieformen
kantonal sehr stark variiert. Da die Berechnung der Verordnungsdichte auf den jeweils
verlässlichen Datenquellen beruht (d. h.: LLS-Jahresstatistiken für OX und SA, Erfassungssystem
der Verordnungsformulare für HV) dürften die kantonalen Unterschiede Tatsachen entsprechen.
Die beobachtete Variabilität konnte nur teilweise durch die Versorgungsstrukturen
(Unizentrum und Pneumologendichte) erklärt werden.
Die Häufigkeit der Grundkrankheiten, welche zu den hier erfassten ambulanten Therapien
Anlass geben, unterscheiden sich mit Sicherheit nicht in dem für die Verordnungsdichte
beobachteten Ausmaß. Beispielsweise variiert die Prävalenzrate der Leitsymptome chronischer
Bronchitis zwischen den SAPALDIA-Orten lediglich um den Faktor 1,6 [[8 ]]. Das multivariate Modell hat die Krankheitshäufigkeit der COPD zudem als erklärenden
Faktor mitberücksichtigt, womit indirekt auch für kantonale Unterschiede in der Raucherhäufigkeit
korrigiert wurde.
Es könnte argumentiert werden, dass die Marktpräsenz des Ligensystems regional unterschiedlich
ist, was kantonale Unterschiede des Ligendatenmaterials ergeben würde. Um dies zu
untersuchen, müsste die Gesamtzahl behandelter Patienten nach Kanton bekannt sein
(innerhalb und außerhalb des Ligensystems). Zu diesem Zweck haben wir eine Umfrage
bei den Gerätelieferanten für SA und OX veranlasst. Die Verkaufsangaben nach Kanton
und Jahr liegen von zwei Hauptlieferanten der Konzentratoren vor. Diese zeigen eine
sehr hohe Korrelation mit den Patientenzahlen der Ligen für OX (r = 0,85). Unterschiedliche
Marktpräsenz der Ligen scheint somit die Diskrepanz in der Versorgungsdichte kaum
zu erklären.
Es muss somit gefolgert werden, dass große regionale Unterschiede in den Versorgungsgewohnheiten
der hier untersuchten ambulanten Therapien bestehen. Dies bedarf der weiteren Analysen
und der Entwicklung von Strategien zur Harmonisierung der Versorgungslage.
Die Kosten der hier erfassten Therapien sollten untersucht und mit den Kosten der
Nicht- sowie der Andersbehandlung verglichen werden. So verweist O'Donohue [[9 ]] darauf, dass ohne OX die Mortalität der Patienten und die Behandlungskosten höher
wären. Somit ist auch aus ökonomischen Überlegungen eine Vereinheitlichung der Verordnungsdichte
angezeigt.
Da insbesondere für OX der therapeutische Nutzen und der Gewinn an Lebensqualität
durch Studien belegt sind, stellt sich die Frage nach der Unterversorgung in einigen
Kantonen [[10 ], [11 ], [12 ], [9 ], [13 ], [14 ]]. Ein internationaler Vergleich der Verordnungsdichten gibt keinerlei Hinweise auf
eine „Überversorgung” in einzelnen Kantonen. O'Donohue verweist auf die großen Unterschiede
der OX-Dichte in verschiedenen Ländern mit bis zu 241 OX-Patienten pro 100 000 Einwohner
(USA) [[9 ]]. Ein Vergleich der LLS-Jahresberichtdaten [[2 ]] mit den Statistiken der französischen Organisation ANTADIR [[15 ]], welche einen hohen Prozentsatz der entsprechenden Patientengruppen in Frankreich
betreut, zeigt für alle drei Gruppen höhere Verordnungsdichten in Frankreich. Allerdings
bestehen auch in Frankreich erhebliche regionale Unterschiede in der Verordnungshäufigkeit.
Der Stand der totalen Ausmietungen (d. h. die Prävalenz) von Sauerstoffkonzentratoren
(OX) betrug Ende 1995 in der Schweiz 18,6 pro 100 000 Einwohner (kantonale Mittelwerte:
9,9 - 45,4 respektive keine OX in Glarus) [[16 ]]. In Frankreich waren es 30,2 (regionale Mittelwerte: 12,2 - 58,6). Für CPAP-Geräte
(SA) waren es in der Schweiz 18,5 (5,8 - 43,1), in Frankreich 24,5 (1 - 51,5). Besonders
deutlich waren die Unterschiede bei der Heimventilation (Schweiz: 1,3 [0,9 - 9,9];
Frankreich 10,7 [0,6 - 18,5]).
Die regionalen Unterschiede in der Verordnungsdichte sollten von der Fachgesellschaft
erörtert und diskutiert werden. Dabei muss therapiespezifisch vorgegangen werden,
da das Verordnungsmuster je nach Therapieart kantonal verschiedene Verhältnisse zeigt.
Die Bedeutung der Aus-, Weiter- und Fortbildung der Ärzteschaft ist aus unseren Daten
ersichtlich: Die Verordnungshäufigkeit ist umso höher, je mehr pneumologisch ausgebildete
Fachärztinnen und -ärzte im Kanton tätig sind. Indikationsstellung, administrative
Vorgänge und strukturelle Voraussetzungen sollten soweit standardisiert werden, dass
der Zugang zu diesen Therapien weniger von kantonalen und strukturellen Gegebenheiten
und mehr vom Gesundheitszustand der Patientinnen und Patienten abhängt.
Dank
Dank gebührt PD Dr. R. de Haller als Initiant und unermüdlichem Promotor der systematischen
Datenerfassung.