Einleitung
Die Bromide als Salze der Bromwasserstoffsäure sowie die Bromureide als Bromharnstoffderivate
fanden in der Vergangenheit zur Therapie der Epilepsien oder als Schlaf- und Beruhigungsmittel
weite Verbreitung. Die meisten der ursprünglich frei verkäuflichen Bromureide wurden
jedoch in den 80er Jahren vom Markt genommen, nachdem sie, als Hypnotika eingesetzt,
schnell zu Abhängigkeiten führten oder gehäuft in suizidaler Absicht eingenommen wurden
[10]. In der Zwischenzeit ist die Herstellung bromureidhaltiger Arzneimittel vollständig
eingestellt worden, so dass auch mit den Nebenwirkungen dieser Substanzgruppe nicht
mehr gerechnet werden muss.
Bei den Bromiden wurde das Kaliumbromid als Antikonvulsivum erstmals 1857 zur Therapie
der Epilepsien eingesetzt. Als wichtigster Vertreter der Bromide verlor aber auch
das Kaliumbromid bereits in den 50er Jahren an Bedeutung, nachdem neue Antiepileptika
entwickelt worden waren, die sich unter anderem auch durch geringere Nebenwirkungen
auszeichneten. Nachdem vor etwa 10 Jahren über erste Behandlungserfolge mit Kaliumbromid
bei sonst therapieresistenten Epilepsien berichtet wurde, ist das Kaliumbromid inzwischen
wieder fester Bestandteil der neurologischen Therapie, was insbesondere für die generalisierten
kindlichen Epilepsieformen gilt [3]. Somit besteht heute durchaus wieder die Möglichkeit, mit bromidinduzierten Dermatosen
konfrontiert zu werden, die fast in Vergessenheit geraten waren.
Kasuistik
Anamnese
Der jetzt 6jährige, mehrfachbehinderte Junge erkrankte im 1. Lebensjahr infolge eines
frühkindlichen Hirnschadens an einer spastischen Zerebralparese in Kombination mit
einer generalisierten Epilepsie. Die antikonvulsive Therapie war über Jahre mit Carbamazepin
(Timonil®) und Lamotrigen (Lamictal®) durchgeführt worden. Trotz dieser Behandlung
kam es immer häufiger zu Krampfanfällen, so dass im September 1999 erstmals Kaliumbromid
(DIBRO-Be mono®) in einer Tagesdosierung von 425 mg verordnet wurde. Diese Maßnahme
führte zu einer Reduktion der Zahl der Krampfanfälle. Im Februar 2000 bemerkte die
Mutter eine anfänglich sehr umschriebene pustulöse Hautveränderung an der linken Wange,
die in den folgenden Wochen kontinuierlich an Größe zunahm. Gleichzeitig traten auch
in anderen Lokalisationen des Gesichtes weitere Morphen auf. Unter der Verdachtsdiagnose
einer vegetierenden Pyodermie wurden verschiedene orale Antibiotika verordnet, ohne
dass dies einen feststellbaren Einfluss auf die Dermatose zeigte. Im Mai 2000 erfolgte
die Vorstellung in der Hautklinik Bremerhaven.
Dermatologischer Befund
An den Wangen sowie im Bereich der Schläfenregionen bds. fingernagel- bis münzgroße,
auch konfluierende, teilweise scharf begrenzte, flach erhabene bis plateauförmig aufgeworfene,
rötlich-bräunlich tingierte Tumoren von relativ weicher Konsistenz. An der Oberfläche
gelblich-bräunliche Krusten, leicht blutende Erosionen und vereinzelt bis linsengroße
Pusteln (Abb. [1]
[2]
[3]).
Abb. 1Bromoderma tuberosum.
Abb. 2Detailaufnahme.
Abb. 3Ältester Herd Wange links.
Befunde diagnostischer Untersuchungen
Laborbefunde
Bromidspiegel im Serum 167 mg/dl (therapeutischer Bereich 96 - 144 mg/dl). Unauffällige
Befunde: BB u. Diff. BB, BSG u. CRP, Transaminasen, Bilirubin, nierenpflichtige Substanzen,
Elektrolyte und Eiweißelektrophorese.
Mikrobiologische Befunde
Nachweis von Staph. aureus und wenigen Kolonien Candida albicans.
Therapie und Verlauf
Die Behandlung mit Kaliumbromid wurde abgesetzt. Gleichzeitig erfolgte eine Steigerung
der täglichen Dosierungen von Carbamazepin und Lamotrigen. Eine erneute Zunahme der
Anfallshäufigkeit konnte unter diesem Behandlungsschema nicht beobachtet werden. Die
dermatologische Therapie wurde ausschließlich lokal mit einer Erythromycin-Rezeptur
durchgeführt. Nach 6 Wochen waren alle Befunde bis auf postinflammatorische Pigmentierungen
und einzelne zarte Narben vollständig abgeheilt.
Diskussion
Zu den bromidinduzierten Dermatosen zählen das Bromexanthem, die Bromakne, die Brompannikulitis
und das Bromoderma tuberosum. Dabei wird das Bromexanthem als polymorphes Arzneimittelexanthem
beschrieben, bei dem der klinische Befund von Patient zu Patient deutlich variieren
kann. Neben urtikariellen, roseoliformen und bullösen Exanthemen werden auch EEM-artige
Manifestationen beobachtet [4]. Die Polymorphie und das Fehlen spezifischer oder typischer klinischer Merkmale
erschweren bei den Bromexanthemen sowohl deren Diagnose als auch deren ätiologische
Einordnung. Dies gilt in besonderer Weise für Epilepsiepatienten, die häufig verschiedene
Antikonvulsiva gleichzeitig einnehmen müssen. Auch bei der Bromakne besteht das Problem
der fehlenden richtungweisenden Befunde, die als Hinweis auf die auslösende Ursache
dienen könnten. Bisweilen ist die Bromakne allerdings gekennzeichnet durch eine ausgeprägt
entzündliche Komponente der einzelnen Morphen in Form größerer Papeln, Papulopusteln
und plattenartiger Infiltrationen. Entsteht eine Akne bei bekannter Bromidanamnese
jenseits des typischen Aknealters und möglicherweise auch außerhalb typischer Lokalisationen,
so sind dies ebenfalls Hinweise für eine bromidinduzierte Auslösung der Akne. Grundsätzlich
ist es möglich, dass eine Akne unter dem Einfluss der Bromide erstmals auftritt oder
eine bereits bestehende Akne eine deutliche Befundverschlechterung erfährt [9].
Die Brompannikulitis zählt zu den selteneren Nebenwirkungen einer Bromidtherapie.
Typischerweise treten erst nach längerer Einnahme von Kaliumbromid schmerzhafte Knoten
an den Extremitäten auf, die anfänglich dem klinischen Bild eines Erythema nodosum
entsprechen. Die Knoten können später jedoch einschmelzen und ulzerieren. Darüber
hinaus ist die dermatologische Symptomatik von einer häufig deutlichen Paraklinik
begleitet mit schwerem allgemeinen Krankheitsgefühl, hohem Fieber, Myalgien, abdominellen
Krämpfen und Diarrhöen. Nach Abbruch der Bromidtherapie kommt es innerhalb kürzester
Zeit zur Rückbildung der Symptome [1]
[2].
Im Gegensatz zu den bisher genannten bromidinduzierten Dermatosen zeichnet sich das
Bromoderma tuberosum in seinem gesamten Verlauf durch klinisch charakteristische Merkmale
aus, bei deren Kenntnis die Diagnose trotz des seltenen Vorkommens der Dermatose im
Allgemeinen keine wesentlichen Schwierigkeiten bereiten dürfte. Das Bromoderma tuberosum
besteht aus einzelnen oder häufiger multiplen, fingernagel- bis handtellergroßen,
plaqueförmig erhabenen Tumoren. Besonders typisch sind deren scharfe Begrenzung, eine
weiche, schwammartige Konsistenz und eine papillomatöse oder nässend-erosive Oberfläche
mit Krusten und Pusteln. Frisch entstandene Läsionen zeigen einen rötlich-bräunlichen
Farbton, während sich ältere Befunde durch eine dunkelbraune bis fast schwarze Pigmentierung
auszeichnen können. Die einzelnen Knoten sind schmerzlos oder außerordentlich druckschmerzhaft.
Zu den Prädilektionsstellen zählen bei Kindern besonders das Gesicht sowie bei Erwachsenen
zusätzlich auch die unteren Extremitäten [4, 7, 8, 11, 12}. Die Pathogenese des Bromoderma
tuberosum ist bis heute nicht geklärt. Dabei scheint die Induktion der entzündlichen
Reaktion innerhalb der Epidermis dosisabhängig zu sein. Durch die lange Halbwertszeit
der Bromide von etwa 12 Tagen ist eine kumulative Anreicherung im Organismus möglich
[10]. Tatsächlich sind die Bromidspiegel im Serum bei den Patienten mit einem Bromoderma
tuberosum in der Regel über den therapeutischen Bereich hinaus erhöht [8]
[12]. Die Elimination der Bromide erfolgt hauptsächlich durch die Nieren, jedoch wird
ein geringer Anteil auch durch den Speichel, den Schweiß und die Talgdrüsen ausgeschieden
[3]. Nach der von Kimmig propagierten Abspaltungstheorie ist das Bromoderma tuberosum
das Ergebnis einer irritativ-toxischen Reaktion innerhalb der Epidermis, verursacht
durch die Abspaltung gewebeaggressiver Bromionen aus den Bromiden [6].
Zur Behandlung des Bromoderma tuberosum wird üblicherweise der Abbruch der Bromidtherapie
empfohlen. Allerdings sind vereinzelt auch Abheilungen unter alleiniger Dosisreduktion
beobachtet worden [8]. Ein weiterer therapeutischer Ansatz ist die forcierte Diurese der Bromide durch
Verordnung von Diuretika oder durch die Gabe von NaCl, wobei das Chlorid mit dem Bromid
um die tubuläre Rückresorption konkurriert [3]
[5]
[12]. Des Weiteren wurde vereinzelt auch über erfolgreiche Therapieversuche mit lokal
oder oral verordneten Glukokortikoiden berichtet [7]
[11].