Wenn sich ein Künstler in seinem Werk zum Sterben anschickt,
wenn Werk, Material, Künstler, Regisseur, Performer und das Medium der
Performance zusammenfallen, dann schenkt das Subjekt dem Schein der Kunst ein
Stück des gelebten Lebens. Üblicherweise beginnt und endet eine
Performance irgendwann im gewählten Raum- und Zeitrahmen wie beim Theater.
Dieser Rahmen ist konzeptuell bestimmt, denn das Leben der Performance-Figur
fließt nach Ablauf des Kunstwerkes auf natürliche Weise weiter. Nur
wenn ihr Selbstmord droht, ändern sich die konzeptuellen Bedingungen des
Werkes: Der Beginn bleibt wie gehabt: ein Übergang vom gewöhnlichen
Leben in das gelebte Performance, in dem ein Ich als Figur weiterlebt. Nur das
Ende des Performances könnte nun das Ende von der Figur und dem Ich
bedeuten. Dieses Ende macht das Kunstwerk noch lebensechter. Aber die Rechnung
geht nicht auf, denn wenn der Künstler starb, „lebte” das
Kunstwerk auf einem konzeptuellen Niveau in der Erinnerung des Betrachters
fort. Das Ende des Kunstwerkes erweist sich deshalb als seine eigentliche
Geburt. Der Tod des Künstlers gilt nun als Beweis für diese Geburt,
denn er beweist die Wirklichkeit des Kunstwerkes. Es handelt sich dabei um
einen Enxtremfall der Selbstbestimmung des Künstlers, der als Regisseur
über Werk und Leben bzw.Tod , d. h. über seinen letzten
schöpferischen Akt selbst entscheiden will. Es ist, als wolle er seinen
Tod nicht dem „Schöpfer” überlassen, sondern seiner
Kunst.
Als der Niederländer Bas Jan Ader 1975 der Welt seine einsame
Performance mit einer Postkarte ankündigte, auf der nur in vagen Umrissen
ein kleines Segelboot zu sehen war, mit dem er von der Küste Floridas aus
über den Atlantik nach Amsterdam zu fahren gedachte, und diese
Unternehmung: „In Search of the Miraculous” nannte, hielt ihn
niemand von seinem absurden Plan ab.[1] Doch niemand
sah ihn je wieder. Vielleicht war es ein Selbstmord, vielleicht auch nur ein
Unglück, unbeabsichtigt, aber doch herausgefordert, - in jedem Fall
aber war die letzte Segeltour als Kunstwerk gemeint. Darüber bestand der
Einladungskarte wegen kein Zweifel, noch dazu, da Bas Jan Ader auch sonst in
seiner Kunst nicht zimperlich gewesen war: Beispielsweise hatte er sich schon
1970 mit seinem Fahrrad von dem Dach eines kleinen Hauses in Los Angeles fallen
und diesen halsbrecherischen Vorgang auf einem 16 mm-Film festhalten lassen
(Val 1, Los Angeles). Damals wollte er nur die „Natur” seines
Körpers als Material für ein Kunstwerk zeigen: Schwerkraft wurde
evident. Zweifelos war seine Segeltour in einer konzeptuellen Weise als
Kunstwerk gemeint, das seinen Autor, den Künstler, tatsächlich zum
Verschwinden brachte: ein Kunstwerk, das dennoch ohne einen Autor nicht
existieren würde. Paradoxale Bedeutungen gehören zum Gehalt des
Werkes. Dennoch machte man sich die Mühe und suchte Ader auf See in einer
großangelegten Aktion, - ohne Erfolg. Hätte man ihn gefunden,
hätte man ihn wahrscheinlich um die angestrebte Vollendung des Kunstwerks
beraubt. Sterben für ein Kunstwerk, - diese Möglichkeit hatte
Freud nicht erwähnt, als er von einem allgemeinen Todestrieb sprach.
Bas Jan Aders Inszenierung folgte nicht nur der Tradition der damals
wie heute aktuellen Konzeptkunst, in dem das Vorhaben nüchtern und konkret
als Plan angekündigt wurde, sondern auch der Überlieferung der
Romantik. Das Schiff galt schon für Caspar David Friedrich als Motiv sowie
Symbol des verschwindenden Lebens im Tausch gegen den abgebildeten Körper
- ob eines Sterbenden, bleibt dahingestellt. Einsam im Nebel taucht auf
Friedrichs Bild „Strand im Nebel” von 1807 ein kleines Segelboot
auf. Für das damalige Zeitalter der Empfindung war nach der literarischen
Richtung des Sturm und Dranges der Tod des Genies, wie bei der erdichteten
Figur von Goethes Werther, ein vielbesprochener Grenzfall. Ader konnte sich
zudem auf eine traditionell literarische Ästhetik des Abschieds und der
Trauer berufen [1]. Abschied und Aufbruch zum
„Horizont des Todes” (S.261), [1], sind
romantische Stoffe. Dennoch fielen in der historischen Romantik um 1800
Realität und Schein zumindest im Kunstwerk noch nicht zusammen (sieht man
einmal von den Festen der Französischen Revolution ab). Das romantische
Erbe aber blieb im 20. Jahrhundert erhalten. In die Melancholie des
Kunstliebhabers über Aders Verschwinden mischen sich Schauder und
Mitgefühl, - Schauder vor allem über diese Suizidkunst, die
Kunst und Leben vereinigt, und in der der Künstler dem Kunstwerk sein
Leben schenkt. Hiermit konnte der Schlachtruf der Avantgardekünstler: es
gelte in der sog. Moderne Kunst und Leben nachweisbar zu vereinen, irreversibel
und unerbittlich wahrzumachen. Schon Antonin Artaud, der Autor des
passionierten Manifestes „Le theatre de la cruauté” (1947)
empfand jeden Schein als Lüge und schrieb deshalb bereits am 25.Mai 1924
seinem Verleger Jacques Rivère: „Warum Lügen, warum etwas,
das der Aufschrei des Lebens selbst ist, auf die literarische Ebene bringen
wollen, warum dem, was aus der unausrottbaren Substanz der Seele besteht, was
wie die Klage der Wirklichkeit ist, romanhaften Schein verleihen ?”
(S.35), [2]
Doch darf schon hier berechtigter Zweifel am Konzept der
Verschmelzung von Kunst und Leben angemeldet werden: Wenn sie auch im Kunstwerk
zusammenfallen, so geschieht es nicht in der Wahrnehmung: Man kann nicht auf
Distanz gehen und ein gleich tiefes, echtes Mitgefühl haben wie dasjenige,
das man im Konzept der Schönheit der Kunst aufgehoben glaubt wie in einer
Dichtkunst, einem Theaterstück oder einem Film. Die Wahrnehmung muss in
einem Fall von Kunst auf der einen Seite und echtem Mitgefühl für
einen wirklich leidenden Menschen auf der anderen ständig hin- und her
-„schalten” wie bei der Wahrnehmung eines Neckerschen
Würfels oder der Kubusse, die Josef Albers zu Beginn der 50-er Jahre als
Problem für das Sehen und das wahrnehmende Bewusstsein gestaltet hat.
Sieht man anders als im fatalen Segeltörn des
Niederländers, der das Drama nicht direkt sichtbar macht, sondern nur
ahnen lässt, den sterbenden Künstler direkt als Bildfugur in seinem
Werk, hat man es miteiner Vielzahl von kunsthistorischen Traditionen zu tun,
die in dieser extremen Performance kulminieren. Ein solcher Fächer an
Traditionen soll hier nur kurz aufgeschlagen werden. Allen voran wäre das
Selbstportrait zu nennen[2] [3]
[4], aber auch die Allegorie
reëlle, die das Sinnbild im Realen wiederfindet, ferner das Ready-made,
von dem schon der sterbende Protagonist der Fluxus-Leute, George Maciunas in
einem Video-Gespräch mit Larry Miller sagte, Marcel Duchamp habe das Ready
made nicht nur für Gegenstände gefunden, man könne es ebensogut
auf Gesten und menschliches Verhalten ausweiten [5].
Natürlich muss auch die Kunstgeschichte des tatsächlichen Auftretens
von Künstlern seit dem Futurismus und Dadaismus bis zum Wiener Aktionismus
genannt werden, die Ende der 60-er, Anfang der 70-er Jahre in der Body Art zu
einer besonderen Form krassens Umgehens mit dem eigenen Körpermaterial des
Künstlers führte. Im Kontrabass dieser Kunsttraditionen
„erklang” sowieso eine Ästhetik der Metamorphose, des
Prozesses und - generell - der Hässlichkeit, denen man stets
neue Entdeckungen abgewann. Auch der klassizistische Mahner Gotthold Ephraim
Lessing hat den Sog fort vom Schönen und zum Verzicht auf Harmonie nicht
aufhalten können [6]. Der menschliche Tod und
dazu parallel die Naturgewalten wurden beliebte Themen für die
Erhabenheit. Zusätzlich galt es, in der Moderne zumeist jeweils neue
Tabuzonen zu erkunden und in der Kunst zu überwinden. Schließlich
gibt es eine reiche Tradition in der Kunst zur Schau gestellter Märtyrer
aller Arten. Es scheint deshalb wie eine Anspielung an gerade diese Tradition,
dass man gegenwärtig in New York von „Victim Art” spricht,
wenn man die Kunst zur Schau gestellten Sterbens meint. Die Frage ist, ob diese
Sonderform der Performance Kunst nicht in ihrer Entwicklung im 20. Jahrhundert
immer gleich blieb oder ob sie nicht ganz unterschiedlich beurteilt werden will
und auch vom Betrachter unterschiedlich angenommen wird. Dazu soll der Blick
sowohl auf die Künstlichkeit der Inszenierung fallen als auch auf die
natürlich gegebene Situation.
Zu Beginn der Geschichte der Avantgardekunst gab es die Kongruenz
von inzenierter Kunst und tatsächlichem Sterben noch nicht in letzter
Konsequenz: Als Kasimir Malewitsch am 15. Mai 1935 in seiner St. Petersburger
Wohnung starb, ließ er sich zwar betten neben seinem bereits von ihm
sorgsam vorbereiteten Sarg, der hochkant der Horizontale des Bettes im
Sterbezimmer zu antworten schien und die Insignien des Suprematismus trug:
schwarzes Quadrat und schwarzer Kreis, und über seinem Kopf,
gewissermaßen an seiner Statt die Ikone des Suprematismus: „Das
schwarze Quadrat” aufhängen, doch waren auf der Bühne des
Todeszimmers Künstler und Kunstwerke zwar vereint, aber nicht kongruent.
An dieser Zurschaustellung wurde auch in einem Raum des Inschuk festgehalten,
inden man den Toten und seine Werke brachte. Nun aber wirkte der Gegensatz
zwischen den dunkelfarbigen Wänden (die genaue Farbe ist unbekannt) und
dem weißen Laken dramaturgisch betont. Wieder spielte auch hier das
Hauptwerk des Künstlers die Rolle der Auferstehung in die Ewigkeit der
Kunstgeschichte. Daran änderte im Grunde auch das Begräbnis von
Malewitsch nichts, als man seine schwarze Ikone auf die Kühlerhaube der
schwarze Limusine stellte, die den Sarg zum Friedhof fuhr. Das Werk ersetzte
nun den Lebenden, - so schien diese Inszenierung gemeint: Der Zug
demonstrierte das Überleben und Verewigen der künstlerisch radikalen
Setzung der suprematistischen Idee, von der sich der Künstler
verabschieden musste. Trauerarbeit schien zu unrecht. Der Abschied selbst war
dabei nicht das Hauptthema der Begräbnisinszenierung [7].
Nicht immer ist bei einer ähnlichen Dramaturgie auch das
Gleiche gesagt: Als Ed van der Elsken, ein niederländischer Fotograf, 1990
als Krebspatient die letzten Stadien seines Siechtums im einem festlichen
Himmelbett filmisch festhalten ließ, wobei er dazu jeweils weise Worte
ausprach [8], und als Bob Flanagan, ein an Zystischer
Fibrose erkrankter amerikanischer Künstler, 1994 sein Dahinsiechen im New
Museum of Contempory Art in New York buchstäblich in einem nachgebauten
Krankenzimmer zur Schau stellte [9], bildeten auch
hierbei Krankenbetten gleichsam die Bretter, die die Welt bedeuten, gleichsam
in Form einer Guckkastenbühne. Es war übrigens nicht Flanagans
einziges Werk, das sich auf sein Sterben bezog. Der Filmer Kirby Dick und die
Witwe des Künstlers, Sheree Rose, fassten später alle Aufnahmen
seiner Performance-Werke zu einem Film mit dem Titel „Sick”
(1996/1997) zusammen[3]. Anders als Flanagan wollte
sich Ed van der Elsken in Schönheit und als weiser Mann in einer
körperlichen Metamorphose sterben sehen lassen. Der Zuschauer nahm es
traurig, aber auch beglückt zu Kenntnis: Im Augenblick des Todes wurde
eine menschliche Vollendung erreicht, die dem Verfall des Körpers
zuwiderlief. Im Gegensatz zum „Auftritt” von van der Elsken
zeigte schon der Titel der Installation und der Performance Art von Bob
Flanagan den Hauptunterschied. „Visiting hours” hieß sein
Werk.[4] Der sterbenskranke Künstler stellte sich
dem Betrachter und auch dieser wollte sich dem Dahinscheidenden in einem
sozialen Akt der Kommunikation stellen in der Hoffnung, dass Sensation und
Faszination sich in Nächstenliebe kehren würde. Ein grüner
Plastiksessel neben dem hohen Krankenbett lud den Kunstbetrachter zum Verweilen
ein. Betrachten hieß nun Besuchen. Die indirekt leuchtende Leselampe
hinter dem Kopf des Totkranken gab ihm den Anschein von Heiligkeit. Im echten
Krankenhaus hätte man diese Aura vielleicht nicht entdeckt, doch in der
Tradition des Museums wurde jedes Detail einer Inszenierung doppeldeutig.
Mit Malewitsch und Flanagan lässt sich ein zeitlicher Rahmen
von 1935 bis 1994, also von rund sechzig Jahren, für eine besondere
Ikonographie und Dramaturgie von Kunstwerken einführen, die den realen
Künstlertod in einer tatsächlichen oder nur vorgenommenen Kongruenz
mit dem Scheincharakter des Kunstwerks anstreben. Den Endrahmen, sozusagen als
absolutes Ende des Kunstwerks, bildet der Künstlertod oder auch nur der
Abbruch des vorgenommenen Suizids. Dafür gibt es bekannte Beispiele.
Als Stanley Brouwn z. B. 1965 während seines Auftretens
in der Galerie Patio in Neu-Isenburg in einer Ecke stand und einen langen
durchsichtigen Plastiksack über den Kopf zog [10], setzte er sich auf einen Stuhl und war er erst ganz
ruhig, als ob nichts wäre und er wie ein Ding in der Vitrine aussähe.
Dann aber atmete er stets schneller, weil er keine Luft mehr zu bekommen
drohte. Schließlich zog er, - gerade rechtzeitig - den Sack
über den Kopf. Keiner der Zuschauer hatte ihm zu helfen versucht. Waren
die Menschen, die die Gefahr kannten, im Schock erstarrt, oder glaubten sie
einfach nicht, ein Künstler könne in seinem Werk bis um
Außersten gehen und warteten gespannt ab, wie lange es dauern würde,
bis er sich selbst befreien würde, wie lange also die
„Lebensdauer” des prozessualen Kunstwerks sein würde ?
Außerhalb der Aura und Autorität der Kunst würde man sicherlich
die Polizei, die Feuerwehr oder gar einen Arzt zu Hilfe geholt haben. Aber die
Erfahrung von Kunst lehrt, dass es auf Grund kultureller Verabredungen, zu
denen die hier genannten Traditionen geführt haben, andere, zumeist
unausgesprochene Gesetze gibt, die allerdings zum Beweis künstlerischer
Freiheiten und freiheitlicher Wahrnemungen immer weiter ausgelegt werden. Kein
Wunder, dass diese Art kultureller Verabredungen und Gesetze nach den
Anregungen von John Cage stets wieder als Grundbedingungen des Kunstwerkes
getestet wurden, oft sogar so, dass diese Bedingungen selbst das eigentliche
Thema und die Bedeutung des Kunstwerkes bildeten. Damit aber stellte sich diese
Kunst, intentionell gesehen, bereits ganz auf ihre Wirkung ein.
Das Living Theatre von Julian Beck in New York wollte z. B.
zur Zeit des Vietnam Krieges den Zuschauer zur Verantwortung ziehen
[11]: In ihrem Straßentheater versuchten sie
die Grenze zwischen Sein und Schein zu verunklären. Schreiend und
röchelnd lagen sie direkt vor den Beinen der Umstehenden, nachdem ein
Erschießungskommando sie niedergestreckt hatte. Wer da auf der
Straße im Sterben lag, sollte ungewiss bleiben: Handelte es sich um ein
tatsächliches oder nur geschauspielertes Sterben ? Wie würden die
Umstehenden reagieren ? Würden sie es wagen, Sterbehilfe zu leisten ? Sie
taten es nicht, denn anscheinend wussten sie auch ohne Zeichen des gesichterten
Rahmens einer Bühne zwischen Sein und Schein zu unterscheiden.
Verantwortung, wenn sie denn beim Zuschauer gefühlt wurde, wurde nicht
„geoutet”, Mitgefühl blieb unsichtbar, vielleicht sogar
abwesend, oder es blieb nur in der Imagination des Zuschauers eingebettet wie
auch sonst im Anblick tragischer Ereignisse auf der Bühne.
Doch wie immer gab es Ausnahmen: Ohne Verantwortungsgefühl
irgendeines Zuschauers wären Künstler wie Marina Abramovic und Jochen
Gerz nicht mehr am Leben. Obwohl es scheinbar nicht zum Konzept ihres Werkes
gehörte, wurde Marina Abramovic gerade noch gerettet, als sie in einem
brennenden Pentagramm aus ausgestreutem Sägemehl zu ersticken drohte. Ihre
Absicht war es, im Vollkommen- und Ewigkeitszeichen des Pentragramms
„aufzugehen”. Joseph Beuys, der damals als Zeuge des Performances
im Kulturellen Studentenzentrums in Belgrad im Jahre 1973 mit dem Titel
„Ritam 5" (Rhythmus 5) [12] zugegen war,
hatte sie noch ausdrücklich gewarnt, weil er die Gefahr fortgesogenen
Sauerstoffes sofort erkannt hatte. Aber die Künstlerin wollte die
Erreichung ihrer physischen Grenze als abstrakte Grenze des Kunstwerks
kennenlernen. „Man muss mein Werk als ein abstraktes sehen,”
erklärte sie mir 1975, „ Selbst Todesschmerz kann in der Kunst eine
abstrakte Angelegenheit sein.” Es lief noch einmal „gut”
für die Künstlerin ab, im letzten Moment zog man sie aus dem
Pentagramm heraus. Nur in der Imagination des Zuschauers konnte die nun
fehlende physische Grenze überschritten werden. Die meisten Zuschauer
blieben passive Zeugen, sie begriffen nicht, dass es bei dieser Kunst nicht
genügte, nur Betrachter zu bleiben, sondern eigentlich als Co-Performer
oder doch zumindest als mitfühlende Mitbürger handeln zu müssen.
Marina Abramovic nannte 1993 viele dieser Performances „teaching
situations”. Ihre Hauptfrage galt der Metamorphose des Betrachters:
„Can one arrive another state of mind ?” Zweifellos traf sie
damit den Kern der avantgardistischen Heilslehre, die eine bestimmte Form von
Hermeneutik von vornherein im Werk verankert wissen will. Obwohl sich auch
James Lee Byars 20 Jahre später (1994) in seinem Goldanzug ebenfalls zum
Sterbensritual auf den Boden legte, wobei seine gespreizten Arme und Beine
gemeinsam mit seinem Kopf wiederum das Pentagramm bildeten, praktizierte er
nicht den Tod, forderte ihn auch nicht heraus, sondern spielte nur auf Ziele
wie Vollkommenheit und Ewigkeit an [13]. Im Grunde
spielte er seine Rolle, der er sich auf Grund einer schweren Krankheit auch im
Leben nahe fühlte. Neben sich hatte er einige Diamanten gelegt.
Schamanengleich arbeitete er mit Insignien, die man im Theater nüchtern
Requisiten nennen würde, im Mysterienspiel dagegen sacra. Im Grunde hatte
dieses wortlose Performance nur den insignierenden Charakter auf die Hoffnung,
das Kunstwerk könne den Tod überwinden helfen. Mitverantwortung
verlangte Byars nicht vom Zuschauer.
Jochen Gerz wollte dagegen von vornherein das
Verantwortungsbewusstsein oder/und das Aggressionspotential seiner
Performance-Besucher testen, wie so oft in seinen Werken. In seinem Genfer
Performance blieb er 1979 im Centre d¿Art Contemporain für den
Betrachter selbst unsichtbar [14]. Nur auf 2
Monitoren konnte man je aus verschiedenen Blickwinkeln seinen Kopf und Hals
sehen, um den eine Gummischlinge lag. Dass es genau diese Gummischlinge um den
Hals des Künstlers war, die sich als Linie durch die Mauer hindurch in den
Raum des Betrachters hinein fortsetzte und die auf der gegenüberliegenden
Wand befestigt war, konnte der Besucher nicht wissen. Er sah lediglich eine
gespannt in seinem Raum hängende Gummileine. Auch dass sich Gerz selbst
genau hinter der einen Wand im Nebenzimmer befand, war dem Betrachter
unbekannt. Das änderte sich, sobald jemand an der Gummistrippe zog. Nun
ließ der Effekt auf den Monitoren beobachten: Die Schlinge zog sich
stramm um den Hals des Künstlers. Aus der ungesagten Aufforderung zum
Mitspielen oder Testen wurde ein ernstes Spiel. Die Schlinge wurde weiter
angezogen, so weit, bis irgendeiner begriff, dass man den Künstler nebenan
retten musste und im letzten Augenblick den Erstickenden mit einem Schnitt
durch die Gummischlinge erlösen musste. In den wenigen Berichten, die es
von diesem Werk gibt, ist nicht die Rede von Leuten, die etwa gegen ihren
eigenen Willen handelten und es unter Protest abgelehnt hätten, an der
Strippe zu ziehen. Solche Ergebnisse kennt man dagegen aus der psychologischen
Versuchsanordnung von Stanley Milgrim. Wie der amerikanische Behaviorist
Milgrim in seinem Buch „Obedience to Authority. An Experimental
View.”darlegte [15], wollte er den
Befehlsgehorsam zu Aggression und Mord testen, sobald eine Versuchsperson
glauben musste, sein gehorsam ausgeführter Mord diene der Wissenschaft.
Auch sein sog. Opfer saß im Raum nebenan, ohne dass die Testperson ihn
sah oder davon gewusst hätte. Aber sobald das Opfer aufschrie, nachdem die
Testperson auf Anordnung des Versuchsleiters unter einem Tuch auf elektrische
Knöpfe drückte, musste die Testperon glauben, er selbst sei der
Verursacher, der das Opfer dem elektrischen Tod stetig näher brachte.
Manche der Testpersonen schrien[5] und baten darum,
nicht auf den Knopf drücken zu müssen. Sie taten es schließlich
dennoch, und wie Milgrim schlussfolgert, aus Respekt vor dem sog.
wissenschaftlichen Versuch und der Autorität des Versuchsleiters. War bei
Gerz¿ Performance das Gleiche geschehen? Wollte der Besucher nur aus
Respekt vor der Autorität des Kunstwerks das angebotene Werk
ausführen, d. h. letal zu Ende bringen? Musste er nicht den Titel
der Performance: „Purple Cross for Absence Now” so verstehen,
dass der Künstler, dessen Gesicht als Vertikale auf dem Bildschirm von der
Horizontale der Gummischlinge gekreuzt wurde, auch in der Tat gekreuzigt werden
wollte und sollte? Zwingt nicht die Tradition des am Kunstwerk partizipierenden
Betrachters zu der Auffassung, die Mitwirkung sei nur recht und billig zum
Wohle eines zu entstehenden Kunstwerks und nach den eigenen Gesetzen der Kunst?
Und zwingt nicht ebenso die Tradition „Kunst als Spiel” zur
unschuldigen, zumindest aber gewissenlosen Inachtnehmung besonderer
Spielregeln? Bedeutet nicht zusätzlich das Versprechen auf Freiheit, das
Avantgardekunst stets über die Strategie der Partizipation und des
Mitspiels aufgeworfen hat, dass der Betrachter auch in diesem Falle des
Gerz¿schen Performances zurecht meint, sich diese Freiheit zum
tödlichen Strippeziehen im Rahmen und Spiel des Kunstwerkes nehmen zu
dürfen, vor allem, da er ja den Künstler nur noch als Bild wahrnimmt
und nicht die gleiche Verantwortung spürt, als wenn er einen leibhaftigen
Menschen vor sich sähe? Zu diesem Umstand schrieb mir Gerz am 19. April
1998: „Bei Purple Cross ging es noch darum, das eine Kopie notgedrungen
ein Original haben muss und das es deshalb kein eigenes Verhalten vor der Kopie
gibt, das nicht den Ursprung der Kopie einschließt. Aber schon damals
spürte man, dass das Original fast definitiv „on the way
out” war und bald schon nicht mehr vermisst werden würde von seinen
Kopien. Heute ist die schmerzlose Plazebo-Welt normal, auch in der Kunst. Ich
glaube, es ist der Preis für den Abbau von Gewalt, in unseren Breiten
zumindest. Vielleicht ein relativ kleiner Preis. Ich hörte einen neuen
Song: I don¿t want to change the world... So sind die von Dir zitierten
Arbeiten z. T. auch Vergewisserungen, Angst vor dem Abschied von einer
Welt ( = Körper).” In diesem Sätzen
schimmert einerseits der Wunsch durch, man möge zu der Verantwortung
gegenüber realen Menschen zurückkehren, und andererseits die
Vorstellung oder Vermutung, das Durchspielen von Gewalt im Schein der Kunst
(Plazebo!) könne vielleicht Gewalt im Leben vermindern helfen.
Milgrim meinte am Schluss seiner Untersuchung: „Es ist oft nicht so sehr
die Wesensart eines Menschen, die seine Handlungsweise bestimmt, wie die
Eigenart der Situation, in der er sich befindet.” (S.235),
[15]. Es ist sein letzter Satz: Die Schuld habe nicht
der Mensch an sich, sondern die Situation, in der er sich befindet. Wer wollte
also richten, denn die Verlockung ist groß, einmal - unter den
Voraussetzungen des Kunstkultes - konsequent das zu tun, was man in der
Gesellschaft nicht darf, selbst wenn es sich um die Auslöschung des
Künstlers im Werk als Werkvollendung handelt und dieser dennoch nur ein
Mensch ist, den man dabei umbringt. Wer wollte außerdem den Betrachter
richten, der allzu blauäugig meinte, er erwürge nur eine Bildfigur
auf dem Monitor und nicht den tatsächlich nebenan sitzenden Menschen im
geschlossenen Circuit der Aufnahme ? Regeln, die zuweit führen
können, Schönheit im Widerstreit mit Moral, Freiheit zugleich als
Unfreiheit, Spiel als Mord: Auch dieses Kunstwerk von Jochen Gerz war eine
„teaching situation”. Das Empfinden, Gewissen und
Verantwortungsgefühl standen auf dem Prüfstein. Gerz kratzte an der
Oberfläche und förderte die Heuchelei menschlicher,
gesellschaftlicher und kultureller Tugenden zu Tage.
Die Hermeneutik der Betroffenheit durch bildende Kunst beginnt bei
Aristoteles¿ Theorie von der Katharsis, über Friedrich von Schillers
Gedanken über das Trauerspiel bis zu Gernot Boehmes Vorlesungen zur
Ästhetik an der Technischen Hochschule in Darmstadt [16]. Von Betroffenheit des Betrachters als Zeuge
nahenden Todes im Kunstwerk, noch dazu des Künstlertodes, war dabei nicht
die Rede. Kann man Betroffenheit beschreiben, sobald man das Sterben des
Künstlers während seines Werkes mitzuerleben meint, wie es nur wenige
Zeugen bei einem Performance von Ben d¿Armagnac erging, der 1978 auf der
Terrasse vor dem Brooklyn Museum in einem schwarzen Anzug auf dem weißen
Platten lag, während ihm ein Wasserstrahl unablässig auf sein Herz
zielte?[6] [17]
[18]. Seine Brust hob und senkte sich schnell. Sein
schwerer Atem war verstärkt aus Lautsprechern zu hören. Ein wenig
bewegten sich auch seine Arme. Plötzlich aber war es still. Nichts bewegte
sich mehr. Auch die Zeugen blieben unbeweglich, starrten auf den starren
Körper, - bis Ben d¿Armagnac aufsprang und fortging. Vor den
Augen der Zeugen hatte sich ein Drama abgespielt: Der Künstler hatte sein
Purifikationsritual im symmetrischen Set und im dualistischen
Weiß/Schwarz als Kampf der Wärme gegen die Kälte inszeniert.
Das Ende seiner Kunst schien mit seinem Ende zusammenzufallen. Der Held
unterlag sozusagen seiner Kunst: ein tragisches Ende - es hätte
eines werden können. Und man sollte hier nicht auf den tragischen Umstand
weisen, dass der Künstler Ben d¿Armagnac tatsächlich nur wenige
Tage später in Amsterdam ertrank, denn es geschah nicht im Rahmen seines
Kunstwerks. Vielleicht lässt es sich für den Zuschauer in dem
Wasserstrahl-Performance vom „plötzlichen Augenblick” in
seiner Gemütsbewegung sprechen, von dem Friedrich Nietzsche schrieb, es
gäbe in diesem Moment weder einen Begriff von Raum und Zeit, noch von
einer Zukunft, nur den Schrecken, in dem die Quintessenz des Lebens wie in
einem Fest des Dionysos zu spüren sei. Dass es Kunstwerke gäbe, in
denen Schein und Sein tatsächlich zusammenfallen und die objektive Figur
des Kunstwerkes mit einem Subjekt, einem Ich, mit dem sich der Betrachter
identifizieren kann, noch dazu dem Künstler selbst, eingetauscht wurde,
sah Nietzsche nicht voraus [19].
In provokantester Weise hat Chris Burden diesen Augenblick des
Schocks und der Betroffenheit verursacht, als er sich 1971 in seinem Kunstwerk
mit dem bezeichnenden Titel „Shoot” erschießen ließ
[20]
[21].
Glücklicherweise zielte der Scharfschütze - auf Verabredung
- nur in den Arm des Künstlers, der anschließend auch die
Schusswunde zum Beweis der erlittenen plastischen Materialveränderung des
Kunstwerks vorzeigte, als würde es sich nur um Schüsse auf die
Farbtuben handeln wie zu Beginn der 60-er Jahre bei Niki de Saint Phalle oder
noch eher: um die Einschnitte in die Leinwand von Lucio Fontana, als habe er
den Körper der Kunst aufgeschlitzt, oder die sorgsam präparierte
„Zerreißprobe” und „die Kopfbemalung” von
1964 von Günter Brus [22]. Zwar wurde im Fall
von Burden nun der Künstler von der Kugel getroffen, aber der Betroffene
war der Betrachter. Er hatte den Schock auszuhalten: Ein Mensch könne im
Kunstwerk sterben, und er selbst mache sich als Betrachter womöglich daran
schuldig. In Umkehrung der Sache hatte Walter de Maria bereits eine Zelle
konstruiert, in der sich der Betrachter selbst umbringen könnte,
jedenfalls suggeriert ihm dieses ein Messingsschild mit der Aufschrift
„Suicide”. Man darf deshalb fragen, ob nicht das eigentliche
Opfer dieser neuen „Victim Art” der Betrachter ist, der als
Mitspieler der Kunst nun auch die Konsequenzen mittragen soll. Im Kunstwerk
aufgehen, hieße darin sterben.
So jedenfalls brachte es die Cage-Schule, zu der entfernt auch
Walter de Maria gehörte, dem Betrachter nahe: Es galt die Bedingungen der
Kunst bis zur letzten Konsequenz zu untersuchen. Auch diese
„Suicide”-Box erwies sich als ein konzeptuelles Werk.
Gegenwärtig aber scheint ein Künstler wie Bob Flanagan, der sich im
New Museum of Contemporary Art in New York in einem nachgebauten Krankenzimmer
besuchen ließ („Visiting hours”, 1994) um diese
konzeptuelle Erforschung der Grenzen der Kunst gar nichts mehr zu geben.
Vielmehr gilt dieses Dislocation Werk, das sich des ursprünglichen Ortes
im Krankenhaus entfremdet hat, der Annäherung zwischen Menschen in der
Stunde des Abschieds, der besonderen Kommunikation im Moment des Verstehens und
der Zuwendung. Nicht mehr Burdens Schuss ist im Zeichen der
Materialveränderung zur Zeit der konkreten Body Art angesagt, sondern eher
eine Weiterarbeit an der Tradition, die Joseph Beuys 1976 mit seinem Werk
„Zeige Deine Wunde” in München in der
Fußgängerunterführung unter der Maximilianstraße legte
[23]. Das Menschliche ist hierbei das
Anwesend-Abwesende. Künstler wie Bob Flanagan wollen es nicht dabei
belassen. Ihre Arbeit gilt nur dem Leben, dem Sehen, der beiderseitigen
Anwesenheit von Künstler und Betrachter im Miteinander des Gesprächs.
Beuys, der in seiner sozialen Plastik eine anthropologische Kunst verwirklichen
wollte und nicht die pur konzeptuelle, kann für Flanagan indirekt als
Grundsteinleger gelten.
An dieser Stelle muss erneut die Frage nach der doppelten
Rezeptionsweise solcher extremer Inszenierungen gestellt werden. Ausgehend von
2 mythischen „Modellen” nenne ich die beiden Wahrnehmungsmodi:
den Blick Parsifals und den Blick von Orpheus. Da der selbstverliebte Blick des
Narziss in sein Spiegelbild nicht auf den Betrachter übertragen werden
kann, bietet Narziss für die Wahrnehmungsmodi kein sinnvolles
„Modell”.[7]
Der reine Tor Parsifal, dessen Legende Richard Wagner zum
Bühnenweihfestspiel vertonte, muss lernen, mitleidig zu sein. Dann erst
könnte er ein ganzer Mensch werden. Erst am Ende seines Lebens begreift
er, dass er Amfortas Wunde nicht nur sehen, sondern mitfühlen, später
auch erlösen helfen muss. Die Legende erzählt ein altes Lied nach dem
Schema, wie ein Mensch ein Mensch wird. Auch Bob Flanagan bietet seinen
grünen Sessel neben seinem Krankenbett dem Betrachter an. Wird er nur auf
ihn starren oder hilft er ihm ? Damit wäre Nietzsches Auffassung
überwunden, dass der Mensch nur im Scheine, nur in der Spiegelung das
Tragische seines Lebens ertragen könne.Im Gegenteil: Er würde aus dem
vermeintlichen Spiegel dem Leben seine Hand reichen [24]. Offensichtlich wird mit Flanagans Werk über
dem Umweg der Postmoderne doch wieder die verloren geglaubte Utopie der
Heilswirkung durch Kunst glaubhaft.
Orpheus dagegen bietet eine andere Sichtweise, denn der antike
Sänger verhalf dem Leben zum Tode, in dem er seine verstorbene Braut
Eurydike im Totenreich gegen das ausdrückliche Verbot anschaute. Es war
der Philosoph Maurice Blanchot, der schon 1955 Orpheus` Blick für
die Kunstbetrachtung wiederentdeckte [25]
[26], jedoch nicht auf Kunstwerke anwandte, in denen sich
der Künstler zum Sterben anschickt. Nur das Sehverbot konnte Eurydike zum
Leben verhelfen. Indem man also den Sterbenden nicht distanziert als Kunstwerk
betrachtet, würde man ihm zum Leben verhelfen und wäre vielleicht zu
echtem Mitgefühl imstande. Orpheus, der Künstler, der aus dem
Anschauen Kunst destilliert und sich inspirieren ließ, tötete
Eurydike. Demnach würden Werke wie die „Visiting hours” von
Flanagan in einer paradoxalen Strategie das Verhalten des Betrachters
entlarven. Nicht nur der sterbende Körper des Künstlers würde
wie eine Bühne für schmerzliche Gefühle fungieren, sondern mit
ihm der Betrachter. Er gehört zu diesem Mythos dazu. Es ist sein Blick,
der den lebenden Körper zum Schein des Kunstwerks erhebt und im
distanzierten Blick erstarren lässt. Wer wie Orpheus blickt,
übernimmt Verantwortung für das Kunstwerk, nicht für den
Sterbenden. Wie Orpheus destilliert auch der Betrachter aus der tabuisierten
Erfahrung Inspiration.
Parsifal und Orpheus führen Blicke vor, wie man sie niemals
gleichzeitig einnehmen kann, höchstens im Wechsel. Die Enttäuschung
darüber zu erkennen, dass Kunst und Leben sich auch in diesen Kunstwerken
nicht wirklich erreichen können, bedeutet, das Dämonische an sich
selbst zu entdecken. Man entdeckt
-
die Kluft zwischen den Bedingungen der Grenzen zwischen Leben
und Kunst wie zu Zeiten der Body Art,
-
die Kluft zwischen moralischen und ästhetischen
Anforderungen wie in Werken von Jochen Gerz und
-
schließlich die Kluft zwischen Ethik und Mythos wie im
Werk von Bob Flanagan. Die Inszenierung reichten dabei vom romantischen Tausch,
wie bei Bas Jan Ader und Bei Joseph Beuys: „Zeige Deine Wunde”,
über die Trennung von Bildfigur und Verursacher (wie bei Jochen Gerz) und
dem Guckkasten einer Dislocation (bei Flanagan). Es waren Grade der
Theaterinszenierung, die dem echten Leben bis zum Tod dennoch so nahe wie
möglich kommen sollten. George Grosz, der sich in einer Berliner
Dada-Aktion der zwanziger Jahre einfach nur die Totenmaske
überstülpte und sich als „dadaistischer Tod” im
Regenmantel und Spazierstock unter dem Arm als mythischer Wanderer auftrat
[27], würde damit wohl dem heutigen Betrachter
von Kunstwerken wie das von Bob Flanagan nicht mehr so nahe auf den Leib
rücken.