Einleitung
In den letzten Jahren ist eine zunehmende Rolle der Amphetamine auf
dem Drogenmarkt zu verzeichnen. Für Deutschland belegen dies z. B.
die Zahlen des Bundeskriminalamtes Wiesbaden [1]. Der
Anteil der Amphetamine unter den polizeilich erstauffälligen
KonsumentInnen harter Drogen ist seit 1992 stetig gestiegen und liegt seit 1996
nach den Opiaten an zweiter Stelle. Die sichergestellten Drogenmengen haben
sich für Amphetamine zwischen 1992 und 1998 verdreifacht, für Heroin
aber im gleichen Zeitraum halbiert. Auch der Drogenbericht der Deutschen
Referenzstelle für die Europäische Beobachtungsstelle für Drogen
und Drogensucht [2] berichtet über eine Zunahme der
Amphetaminabhängigen.
Amphetamine verfügen kurzfristig gesehen über Wirkungen,
die der heutigen Fun- und Leistungsgesellschaft sehr entgegen kommen: Sie
reduzieren den Appetit und das Schlafbedürfnis, stärken das
Selbstvertrauen und erhöhen die allgemeine Leistungsfähigkeit [3].
Zudem sind sie billig und einfach herzustellen. Dies hat sicherlich zu ihrer
starken Verbreitung beigetragen. An ungünstigen Wirkungen ist das
besonders häufige Auftreten psychotischer Störungen hervorzuheben
[4]
[5]. Nach Klee
[6] kommt es bei zwei Dritteln der Personen mit
regelmäßigem Konsum innerhalb von drei Jahren zu einer so genannten
Amphetaminpsychose.
Nach einer Welle des besonders durch die Medien bekannt gewordenen
Amphetaminderivates „Ecstasy” [7] ist nun
in den letzten Jahren ein Anstieg für das Metamphetamin zu verzeichnen
[3]
[6]
[8 12]. Metamphetamin ist das Derivat unter den
Amphetaminen, das über den stärksten Stimulanzcharakter und im
Vergleich zu Ecstasy weniger halluzinogene Wirkungen verfügt.
Bisher liegen über das Problem der Amphetaminabhängigkeit
wenige Untersuchungen vor und wenn, dann hauptsächlich auf Ecstasy
bezogen. Um der Entwicklung auf dem Drogenmarkt im Rahmen der Drogenpolitik
gerecht werden zu können, sind daher dringend Untersuchungen über
diese sich neu entwickelnde Klientel notwendig.
Material und Methoden
Die nachfolgend dargestellten Ergebnisse basieren auf einer
Untersuchung, die auf der niedrigschwelligen Drogenentzugsstation des
Bezirkskrankenhauses Bayreuth (BKH) durchgeführt wurde. Im Zeitraum
September 1999 bis März 2000 wurden alle PatientInnen, die von der Station
mit der Diagnose einer Metamphetaminabhängigkeit entlassen wurden, in die
Studie aufgenommen. Die Diagnosestellung erfolgte nach ICD-10 (F 15), als
Hauptdroge musste Metamphetamin eindeutig im Vordergrund stehen. Zudem konnten
18 Metamphetaminabhängige aus einer kurz zuvor auf der Station
durchgeführten Studie mit einbezogen werden. Die Stichprobe umfasste
insgesamt n = 57 Probanden, die zu drei Zeitpunkten
mittels eines spezifischen Fragebogens untersucht wurden. Die Fragebogen wurden
von den Probanden zum größten Teil selbständig ausgefüllt,
vereinzelt wurden Items durch die Einschätzung des Arztes erfasst
(z. B. körperlicher Allgemeinzustand). Die drei Zeitpunkte waren 1.
Aufnahme zur Entgiftungsbehandlung, 2. Entlassung nach der
Entgiftungsbehandlung, 3. in einem durchschnittlichen Katamnesezeitraum von 6,3
Monaten (range: 3,5 - 13,5 Monate) nach der Entlassung. Zur
Nachbefragung wurden 45 ProbandInnen (78,9 %) der
Ausgangsstichprobe erreicht. Erfasst wurden soziodemographische, somatische,
suchtbezogene und forensische Daten, deren Veränderungen im Verlauf
verglichen wurden. Die Auswertung wurde mittels SPSS durchgeführt. Ein
Vergleich der Responder (n = 45) mit den nicht
antwortenden ehemaligen Patienten hinsichtlich soziodemographischer Daten
zeigte keine Unterschiede.
Ergebnisse
Soziodemographische Daten
In der Ausgangsstichprobe (n = 57) waren
70,2 % Männer und 29,8 % Frauen. Das
Durchschnittsalter lag insgesamt bei 23,5 Jahren (Männer 24 Jahre, Frauen
22,3 Jahre), das durchschnittliche Drogeneinstiegsalter betrug 17,9 Jahre
(Männer 17,3 Jahre, Frauen 18,1 Jahre).
Der Zeitpunkt der Nachbefragung lag zwischen 3,5 und 13,5 Monaten,
im Mittel bei sechs Monaten und drei Wochen. Die Daten der Nachbefragungsgruppe
(n = 45) bez. Geschlechterverteilung, Durchschnittsalter,
Drogeneinstiegsalter und Behandlungsdauer unterschieden sich dabei nicht
signifikant von der Ausgangsstichprobe (n = 57) (s.
Tab. [1]).
Tab. 1 Soziodemographische
Daten der
Untersuchung
|
Ausgangsstichprobe (n = 57) |
Responder (n = 45) |
Männer/ Frauen |
70,2 % 29,8 %
|
71,1 % 28,9 % |
Durchschnittsalter Männer/ Frauen |
23,5 Jahre 24,0 Jahre 22,3
Jahre |
23,6 Jahre 24,6
Jahre 21,2 Jahre |
Erkrankungsdauer Männer/ Frauen
|
5,6
Jahre 6,2 Jahre 4,2 Jahre |
5,7 Jahre 6,1 Jahre 4,7
Jahre |
Dauer der Abstinenz nach Entlassung
Bei der Nachbefragung bezeichneten sich 42,2 % als
abstinent. 13,3 % hatten innerhalb der ersten Woche nach der
Entlassung den Drogenkonsum wieder begonnen. Innerhalb des ersten Monats wurden
insgesamt 28,8 % und in der Zeit bis zu sechs Monaten insgesamt
42,2 % rückfällig. 4,4 % machten hierzu
keine Angabe. Im Durchschnitt lag die Zeit des ersten Rückfalls bei
6,4 Wochen (s. Abb. [1]).
Abb. 1 Häufigkeitsverteilung der rückfällig
gewordenen Patienten (n = 24 von
n = 45 Nachbefragten) zu verschiedenen Zeitpunkten nach
der Entlassung.
Bei der Entlassung waren 71,4 % drogenfrei und
28,6 % teilentgiftet. Innerhalb der ersten Woche nach der
Entlassung waren 16 % der entgifteten und 7,1 % der
teilentgifteten PatientInnen rückfällig geworden. Innerhalb der
ersten vier Wochen waren dies 29 % der als drogenfrei und
14,3 % der als teilentgiftet Entlassenen.
Drogenkonsum seit Entlassung
33,3 % der Nachbefragten gaben an, seit der
Entlassung keine Drogen mehr zu konsumieren, 15,5 % keine
außer gelegentlich Cannabis. 17,7 % hatten zusätzlich
gelegentlich auch andere Drogen konsumiert, aber deutlich weniger als vor der
Entgiftungsbehandlung. Über regelmäßigen, aber ebenfalls
deutlich reduzierten Drogenkonsum berichteten 2,2 %, keine
Veränderung war bei 13,3 % zu verzeichnen. Ein gesteigerter
Konsum fand sich bei 6,6 %, eine zusätzliche Erweiterung des
Drogenspektrums bei 2,2 %. Weitere 2,2 % machten
keine Angabe.
66,6 % bezeichneten ihre Suchtschwere als deutlich
reduziert, 26,6 % als unverändert und 4,4 %
als verstärkt. Eine Person machte keine Angabe.
Vor der Behandlung auf der Drogenentzugsstation im
Bezirkskrankenhaus Bayreuth haben 31 % der Ausgangsstichprobe
(n = 57) Opiate zusätzlich konsumiert. Zum Zeitpunkt
der Nachbefragung waren dies noch 16,7 %
(n = 45). Der Anteil intravenös applizierender
Metamphetaminabhängiger betrug zum Aufnahmezeitpunkt 52,4 %,
bei der Nachbefragung nur noch 26,2 % (s. Abb. [2]).
Abb. 2 Opiat-/Amphetaminkonsum (intravenös) vor der
Entgiftung und bei der Nachbefragung (NB).
Neue Entzugsbehandlungen
Eine erneute Entzugsbehandlung hatten insgesamt
33,3 % durchgeführt.
Neu aufgetretene Begleiterkrankungen: Bei 22,2 % der
Nachbefragten waren neue Begleiterkrankungen aufgetreten (Psychosen,
Herzrhythmusstörungen, wahnhafte Depression, Gewichtszunahme,
Angstzustände, gastrointestinale Störungen, Alkoholismus). Zwei
Probanden spezifizierten die aufgetretenen Erkrankungen nicht näher.
Veränderungen seit der Entlassung in verschiedenen
Lebensbereichen
Es wurde nach Veränderungen (besser, gleich, schlechter)
bezüglich des körperlichen Allgemeinzustandes, Suchtschwere,
Partnerschaft, Berufs-, Ausbildungs- und Wohnsituation sowie juristischer und
finanzieller Lage gefragt (s. Tab. [2]). Des
Weiteren wurde speziell nach dem Nutzen (viel, wenig, gar nichts) der auf der
Drogenentzugsstation im Bezirkskrankenhaus Bayreuth durchgeführten
Entgiftungsbehandlung für einzelne Bereiche gefragt (s. Tab. [3]).
Tab. 2 Veränderungen
seit der Entlassung in verschiedenen Lebensbereichen (Angaben in
Prozent)
| Bereich |
besser |
gleich |
schlechter |
keine
Angabe |
| körp. Allgemeinzustand |
57,7
|
28,8 |
11,3 |
2,2 |
| Suchtschwere |
66,6
|
26,6 |
4,4 |
2,2 |
| Partnerschaft |
31,0 |
51,1 |
11,1 |
6,6 |
| berufl. Situation |
31,1 |
53,3 |
11,1 |
4,4 |
| Ausbildung |
20,0 |
64,4 |
4,4 |
11,1 |
| Wohnsituation |
17,7 |
73,3 |
4,4 |
2,2 |
| Justiz |
31,0 |
51,1 |
11,1 |
6,6 |
| Finanzen |
51,1
|
33,2 |
11,1 |
4,4 |
Tab. 3 Nutzen der Entgiftung
(Angaben in
Prozent)
| Bereich |
viel |
wenig |
nichts |
keine
Angabe |
| allgemein |
73,3
|
4,4 |
20 |
2,2 |
| Arbeit |
17,7 |
31,1 |
48,9 |
2,2 |
| Partnerschaft |
22,2 |
35,5 |
31,1 |
11,1 |
| Justiz |
35,5 |
28,8 |
26,6 |
8,8 |
| Gesundheit |
75,5
|
8,8 |
15,7 |
0 |
Suchtspezifische Hilfen seit der Entlassung
Die Suchtberatung suchten 51,1 % auf, davon
78,2 % unregelmäßig und 21,7 %
regelmäßig. Eine ambulante Therapie machten 42,2 %,
wovon 15,8 % diese als erfolgreich beendet beurteilten. Eine
stationäre Therapie machten 64,4 % (da auf einige
PatientInnen beides zutrifft, beträgt die Summe über
100 %), davon haben 11 % diese erfolgreich
abgeschlossen, 33 % sich noch in der Behandlung befunden und
54 % diese nicht planmäßig beendet. Den Hausarzt
suchten 11,1 % regelmäßig, 24,4 %
unregelmäßig, 20 % nur anfangs und
35,5 % gar nicht auf. 8,8 % machten keine Angabe.
22,2 % hatten unregelmäßig sonstige Hilfen aufgesucht
(Reiki, Bachblütentherapie, meditative Gruppe) und 2 Personen diese
regelmäßig.
Diskussion
Die Verteilung Männer/Frauen unterschied sich nicht wesentlich
von anderen Studienergebnissen [13]
[14]. Das Durchschnittsalter der Untersuchungsgruppe war
mit 23,5 Jahren etwa sechs bis acht Jahre deutlich jünger als in anderen
Studien [12]
[15]
[16]. Hier spielen sicherlich verschiedene
Settingparameter eine Rolle, je nachdem, ob es sich z. B. um eine
stationär oder ambulant behandelte Klientel handelt. Doch könnte das
sehr junge Durchschnittsalter auch als ein Charakteristikum dieser Subgruppe
unter den Drogenabhängigen interpretiert werden. Die relativ häufig
auftretenden psychotischen Störungen könnten zu einem schneller
auftretenden und höheren Leidensdruck führen und dadurch das
frühere Aufsuchen stationärer Einrichtungen bedingen.
Fast 43 % der Nachbefragten bezeichneten sich noch als
abstinent, was gegenüber anderen Untersuchungen [13] einen wesentlichen Unterschied darstellt. Ob dies im
Zusammenhang mit dem Alter, drogenspezifischen Aspekten,
konsumgruppenspezifischen Aspekten oder besserer Behandlungsansprechbarkeit
steht, bleibt offen. Allerdings muss berücksichtigt werden, dass sich zum
Nachbefragungszeitpunkt noch ein erheblicher Teil in stationären
Einrichtungen befand.
Kam es zu einem Suchtmittelrückfall, geschah dies in den
meisten Fällen innerhalb der ersten vier Wochen nach der Entlassung. Die
Rückfallquote der vollständig Entgifteten lag dabei höher als
bei den Teilentgifteten. Ergebnisse zu einem längeren Verlauf wären
hier sicherlich sinnvoll.
Neben der hohen Abstinenzquote ist es bei weiteren
20 % zu einer deutlichen Reduzierung des Drogenkonsums
gekommen.
Der Anteil derer, die vor der Entgiftungsbehandlung Opiate
missbrauchten, konnte auf die Hälfte reduziert werden, ebenso der Anteil
derjenigen, die Amphetamine injizierten. Es konnte also insgesamt eine
deutliche Verbesserung des Drogenkonsumverhaltens festgestellt werden.
Katamnesen über einen längeren Zeitraum wären hier für die
Zukunft wünschenswert.
Ein Drittel der PatientInnen hatte seit der Entlassung erneut eine
Entzugsbehandlung durchgeführt, knapp die Hälfte von ihnen wieder auf
der Station des BKH. Zum einen spricht die gezeigte Wiederkommensbereitschaft
für das Konzept der Station, zum anderen konnte anscheinend mindestens
wegbereitend die Motivation zur Aufnahme weiterer Behandlungsmöglichkeiten
gefördert werden. Insgesamt gaben über drei Viertel der Nachbefragten
auch an, sich gegebenenfalls erneut hier behandeln zu lassen.
Die Suchtberatungsstelle konsultierten bei der Nachbefragung weniger
als vor der Behandlung. Dies ist vermutlich durch die Versorgung der
PatientInnen durch weitere Einrichtungen zu erklären, spricht aber auch
dafür, dass das bestehende ambulante Drogenhilfssystem diese Klientel
nicht erreicht. Die Abbruchquote in stationären Therapieeinrichtungen ist
mit fast ⅔ der PatientInnen sehr hoch. Obwohl das häufigere
Antreten und Abbrechen von Behandlungen bei Drogenabhängigen typisch und
ein Symptom ihrer Erkrankung ist, sollte dies auch als ein Hinweis gedeutet
werden, dass ein dringender Bedarf einer Anpassung therapeutischer Konzepte
besteht.
Bei fast ¿ war es in dem doch relativ kurzen
Katamnesezeitraum zu neu aufgetretenen Begleiterkrankungen gekommen, dabei
relativ häufig zu psychiatrischen Störungen (Psychosen, Depression,
Angstzustände, Alkoholismus). Das heißt, dass auch bei den
Metamphetaminabhängigen häufig psychiatrische Komorbidität
besteht, was im ambulanten als auch stationären Drogenhilfsangebot
Berücksichtigung finden muss und für die Notwendigkeit der klinischen
Suchtmedizin integriert in die Psychiatrie spricht.
Weit über die Hälfte der Nachbefragten berichtete
über eine Reduzierung ihrer Suchtschwere sowie eine Verbesserung des
körperlichen Allgemeinzustandes. Auch die finanzielle Situation hatte sich
bei gut 50 % der PatientInnen verbessert. Etwa drei Viertel der
Nachbefragten gaben an, dass ihnen die Behandlung auf der Station S 3 viel
genutzt hätte.
Alle anderen Bereiche (Partnerschaft, berufliche Situation,
Ausbildung, Wohnsituation) wurden überwiegend als gleichbleibend, aber
auch nicht verschlechtert geschildert, wie bei fortlaufender Drogenkarriere ja
letztlich zu erwarten wäre. Doch auch letztgenannte Bereiche bieten
wichtige Voraussetzungen für einen langfristig erfolgreichen Ausstieg aus
dem Drogenmilieu.
Die Erarbeitung und Überprüfung weiterer therapeutischer
Konzepte (z. B. eine spezielle Substitutionsbehandlung), die diese
Aspekte verstärkt aufgreifen, wären für die Zukunft daher
wünschenswert siehe auch [17]).