Ausgangslage
Ausgangslage
Vernetzung, Verbundsysteme, Kooperation, Koordination - das
sind in vielen gesellschaftlichen Bereichen die Schlagworte unserer Zeit. Nicht
nur in betriebswirtschaftlichen Überlegungen zur Organisationsentwicklung,
sondern auch im Gesundheitswesen führten Überlegungen zur
Gesundheitsförderung durch systematische Organisationsentwicklung zur
Suche nach neuen, wirksamen Kooperationsformen in größeren sozialen
Zusammenhängen [1].
Auch für erfolgreiche Suchtkrankenhilfe ist es von
grundlegender Bedeutung, dass einrichtungsübergreifend ein möglichst
breites Spektrum von Therapieformen (ambulant, teilstationär,
stationär), Therapierichtungen (psychoanalytische,
verhaltenstherapeutische, integrative Orientierungen) und Therapieangeboten
(psychotherapeutische, medizinische, soziotherapeutische) vorgehalten wird.
Dies erfordert eine Vielzahl unterschiedlicher Hilfen, die
interdisziplinär ausgestaltet werden, gleichzeitig aber zur Verzahnung der
einzelnen Behandlungselemente formell ausgestaltete Kooperationen zwischen
Leistungsanbietern wie auch mit Leistungsträgern notwendig machen. In
diesem Bereich der Kooperation von Einrichtungen/Personen und Koordinierung von
Hilfsmaßnahmen existieren bisher jedoch Defizite im
Suchtkrankenhilfesystem, die eine effiziente Nutzung vorhandener Ressourcen
einschränken [2 9].
Auch Ergebnisse einer Studie, die die Arbeitsstelle „Sucht-
und Drogenforschung (SAUS)” der Universität Oldenburg in der Region
Oldenburg-Bremen durchführte (Laufzeit 1996 bis 2000), bestätigen,
dass in der Zusammenarbeit verschiedener Institutionen/Personen im
Rehabilitationsprozess, eine Optimierung durch eine engere Abstimmung von
Maßnahmen speziell zwischen den stationären und ambulanten
Leistungsanbietern möglich ist [9]. Die
konzeptionell von den Leistungsanbietern beschriebene Notwendigkeit und
Sinnhaftigkeit von Kooperationen bis hin zu Verbundsystemen kann derzeit im
Praxisalltag oft nicht zufriedenstellend umgesetzt werden. Kontakte zwischen
ambulanten und stationären Therapeuten finden nicht, wie theoretisch
angestrebt, persönlich statt, sondern, wenn überhaupt, nur
telefonisch; bei ca. jedem zehnten Patienten/Klienten gab es sogar
überhaupt keine Kontakte.
Natürlich gibt es Gründe, die eine optimale Kooperation im
Alltag erschweren. Dies sind z. B. die große Zahl der ambulanten
Einrichtungen mit denen Kliniken in Kontakt stehen, z. T. große
Entfernungen zwischen Kliniken und ambulanten Einrichtungen und häufig zu
geringe personelle Kapazitäten der Einrichtungen. Diese Problematiken
machen einerseits deutlich, dass die theoretisch anerkannte Notwendigkeit einer
engen Zusammenarbeit in der Praxis auf Grenzen stößt. Andererseits
gibt es positive Ansätze im Rahmen informeller Kooperationen, die im
Praxisalltag auf- und ausgebaut wurden, bis hin zu ausgearbeiteten Konzepten
einiger Einrichtungen, die bereits in Modellversuche münden
[3]. Somit sind Überlegungen zu einer
verstärkten Kooperation zwischen stationären und ambulanten
Leistungsanbietern zu differenzieren bzw. Standards für die
Suchtkrankenhilfe [10]
[11] zu
erarbeiten und weiterzuentwickeln, die Argumentationshilfen für die
Diskussion und insbesondere für die praktische Arbeit bieten.
An diesem Punkt setzt das Modellprojekt „Entwöhnung im
Verbundsystem (EVS)” an: Es soll zur Verbesserung der
Kooperationsstrukturen in einem notwendigerweise einzugrenzenden Teilbereich
des Suchtkrankenhilfesystems beitragen: dem Bereich der medizinischen
Rehabilitation. Die Ausweitung von Innovationskonzepten zum Thema Vernetzung
auf andere Sektoren der Suchthilfe ist langfristig unabdingbar, da hier
insgesamt großer Veränderungsbedarf besteht [9]. Nachfolgend werden die innovativen Ansätze des
Projekts vor und Empfehlungen zur Verbesserung von Kooperation zur Diskussion
gestellt.
Ziele des Modellprojekts
Ziele des Modellprojekts
Das Modellprojekt EVS soll die Individualisierung und
Flexibilisierung der Behandlung bei gleichzeitig verbindlicher Festlegung der
arbeitsteiligen Aufgaben zwischen Leistungsanbietern fördern. Dabei stehen
folgende Ziele im Mittelpunkt der dreijährigen Laufzeit
(2000-2003):
-
die stärkere Nutzung ambulanter Leistungen,
-
Auf- und Ausbau kombiniert ambulant-stationärer
Rehabilitationsleistungen und
-
die Entwicklung verbindlicherer Formen der Zusammenarbeit
zwischen ambulanten und stationären Leistungsanbietern bei der
Rehabilitation von Alkoholabhängigen,
-
die Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen Leistungsanbietern
und Leistungsträgern.
Besonderheiten des Modellprojekts
Besonderheiten des Modellprojekts
Stellt man die medizinische Rehabilitation als wesentliches Element
innerhalb des Versorgungssystems für Alkoholabhängige in den
Mittelpunkt der Gesamtbehandlung, sind zwei Kooperationsbereiche besonders zu
betrachten: Zum einen wird den Übergängen - häufig auch
als „Schnittstellen” bezeichnet - zwischen dem
Rehabilitationssystem für Alkoholabhängige und dem übrigen
Hilfesystem (z. B. Hausärzte, Krankenhäuser) eine
ausschlaggebende Bedeutung für den Erfolg der Gesamtbehandlung
zugeschrieben; zum anderen werden insbesondere die
„Schnittstellen” innerhalb des Rehabilitationssystems,
d. h. zwischen ambulanten und stationären Leistungsanbietern, als
wesentlich für den Erfolg des Rehabilitationsprozesses und damit auch
für die Gesamtbehandlung eingeschätzt. In beiden Bereichen sollen
durch eine bedarfsgerechte Koordination aller Versorgungsdienste dem
Suchtkranken entsprechend seiner individuellen Behandlungsbedürfnisse
flexible Übergänge von einer Betreuungs- oder Behandlungsform in eine
andere ermöglicht werden. Dies erfordert im Anspruch eines optimalen
Ineinandergreifens der Hilfen eine entsprechende Ausgestaltung hinsichtlich
„Kooperation” und „Koordination” zwischen den
Leistungsanbietern, aber auch mit den zuständigen
Kosten-/Leistungsträgern, die einzelne Maßnahmen bewilligen und
finanzieren.
Umso wichtiger ist es, eine Entwicklung voranzubringen, die von den
derzeit separaten Institutionen zu einer neuen Ausrichtung der medizinischen
Rehabilitation auf gemeinsame Inhalte und Organisationsformen zwischen
ambulanten und stationären Leistungsanbietern führt. Um eine
Vernetzung in diesem Sinne zu erreichen, bedarf es der Definition der
besonderen Merkmale ambulanter und stationärer Rehabilitation. Diese ist
auf der Ebene der Kosten-/Leistungsträger in diversen Empfehlungs- und
Gesamtvereinbarungen vorgenommen worden. Im Zusammenhang mit Überlegungen
zur Verbesserung der Kooperation bedarf es aber auf der Ebene der
Leistungsanbieter weitergehender Abstimmungen und Konkretisierungen, die in
Kooperationsabsprachen, -vereinbarungen oder in gemeinsamen Therapiekonzepten
münden sollten, um über ein Modell der reinen Koexistenz
hinauszukommen. Speziell auf ambulant-stationäre Zusammenarbeit bezogen,
fasst Abb. [1] wesentliche Ebenen zusammen, die
bei der Organisation von Verbundsystemen wesentlich sind und der konkreteren
Ausgestaltung bedürfen (siehe „Innovation
Kooperationsstandards”).
Abb. 1 Ebenen eines
Verbundsystems.
Von großer Bedeutung für das Modellprojekt EVS war
zunächst die Flexibilisierung des Leistungsrahmens (vgl.
Behandlungsvarianten Abb. [2]) durch den
beteiligten Leistungsträger, die LVA Oldenburg-Bremen. Innerhalb der
gesetzlichen Vorgaben, insbesondere des SGB VI und des RehaAnglG, obliegt es
den Leistungsträgern, durch ein entsprechendes Antragsverfahren eine
Flexibilisierung der Leistungsverläufe zu unterstützen.[]
Darüber hinaus erfordert das Projekt auf der Seite der
Leistungsanbieter eine eindeutige Definition von Zuständigkeiten und
Verbindlichkeiten. Orientierungshilfe bieten bei der Erarbeitung derartiger
Kooperationsbeziehungen so genannte Kooperationsstandards [13], auf die aufgrund ihrer Bedeutung im nächsten
Abschnitt ausführlicher eingegangen wird.
Formelle Grundlagen des Verbundmodells EVS sind:
-
ein therapeutisches Gesamtkonzept zwischen den beteiligten
ambulanten Beratungs- und Behandlungsstellen sowie den Kliniken und
-
eine Kooperationsvereinbarung zwischen diesen Leistungsanbietern
und darüber hinaus den beteiligten Einrichtungsträgern.[]
Zur Förderung der institutionellen und personellen Kooperation
wird im Rahmen von EVS ein Qualitätszirkel als steuerndes Gremium
eingesetzt. Der Qualitätszirkel schafft eine formelle Basis und beteiligt
Vertreter der Landesversicherungsanstalt Oldenburg-Bremen, drei
stationärer und fünf ambulanter Leistungsanbieter; die Moderation und
wissenschaftliche Begleitung obliegt der Universität Oldenburg. Relevante
Themen und Problemstellungen, die sich im Laufe des Projektes ergeben, wie
z. B. die Erarbeitung des Rahmenkonzepts, des therapeutischen
Gesamtkonzepts, der Kooperationsvereinbarung sowie deren Fortschreibung, werden
im Qualitätszirkel erörtert und konstruktiv in den
Implementierungsprozess einbezogen. Alle vier bis sechs Wochen dienen die
Sitzungen dazu, Informationen über aktuelle Entwicklungen auszutauschen
und eingeleitete Veränderungen in überschaubaren Zeiträumen zu
überprüfen.
Der Qualitätszirkel bietet als Diskussionsforum den Vorteil,
Transparenz über das Vorgehen des jeweils anderen und ein Verständnis
für notwendige Entscheidungen zu schaffen.
Innovation „Kooperationsstandards” - Was
beinhaltet gute Kooperation?
Innovation „Kooperationsstandards” - Was
beinhaltet gute Kooperation?
Vor dem Beginn der Implementierung eines Verbundmodells ist der
Begriff und die Ausgestaltung von Kooperation zentral: Was beinhaltet gute
Zusammenarbeit sowohl zwischen ambulanten und stationären
Leistungsanbietern als auch zwischen Leistungsanbietern und dem
Leistungsträger? Welche Strukturen sind zu schaffen und welche Aspekte zu
berücksichtigen? Um diesen Fragen näher auf den Grund zu gehen,
bildete für das Modellprojekt EVS eine Analyse des „Status
quo”, d. h. bereits bestehender und erprobter Kooperationsmodelle
im Suchtkrankenhilfebereich, die Grundlage für die Entwicklung so
genannter Kooperationsstandards. Aus der eingehenden Beschäftigung mit
vorhandenen Modellen konnten Probleme und Schwachstellen aufgedeckt werden,
denen im Modellprojekt EVS begegnet werden soll. Die Analyse des Status quo
führte im Weiteren zu einer Ergänzung derjenigen Aspekte, die sich
für die Schaffung sinnvoller und funktionierender Kooperationsbeziehungen
als wichtig erwiesen haben. Sie sind in einem Kriterienkatalog für
„gute Kooperation”, der als eine Art
„Reflektionsfolie” zur Planung, Implementierung und
Weiterentwicklung von Verbundmodellen dienen kann, zusammengestellt
[13]. Im Rahmen der Modellumsetzung bedürfen
diese Kriterien der stetigen Überprüfung, Umsetzung und
Fortschreibung.
Resümee aus den Erfahrungen bisheriger
Modellprojekte
Die zur Analyse ausgewählten regionalen Kooperationsmodelle
im Suchtkrankenhilfebereich beziehen sich auf die Vernetzungsstrukturen
zwischen den drei zu unterscheidenden Versorgungssektoren (Suchtkrankenhilfe,
psychosoziale Versorgung und medizinische Basisversorgung [14]). Zu nennen sind hier das seit 1978 laufende
„Tübinger Modell: Kombination stationärer
und ambulanter Therapie”
[5], das von 1988
bis 1992 angelegte „Modellprojekt Intervalltherapie
bei Alkohol- und Medikamentenabhängigkeit”
[6], das seit 1992 ins Leben gerufene „Modellprojekt Kassel: Tagesklinik für Suchtkranke
des psychiatrischen Krankenhauses Merxhausen”
[15]
[16], das seit 1995 geplante
und 1996 implementierte „Modellprojekt Nachgehende
Sozialarbeit”
[17] und das seit 1998
existierende „Modellprojekt in der
Pfalz: Integrierte stationär-ambulante Rehabilitation
(ISAR)” [18]
[19].
An dieser Stelle soll nicht auf die Einzelheiten der verschiedenen
Projekte eingegangen, sondern vielmehr eine bewertende Zusammenfassung
hinsichtlich der für Kooperation relevanten Gesichtspunkte angestrebt
werden.
Tab. 1 Wichtige
Einflussfaktoren für Kooperationsmodelle
|
Grundlagen:
|
| - Kooperationsmodelle sollten Fragen nach der Leitung, der
Trägerschaft der beteiligten Einrichtungen sowie der regionalen vs.
überregionalen Vernetzung
berücksichtigen. |
| - Die Wohnortnähe der ambulanten Einrichtung muss
gewährleistet sein, das bedeutet eine Erreichbarkeit mit öffentlichen
Verkehrsmitteln innerhalb von 45 bis maximal 60
Minuten. |
|
Auf der Strukturebene:
|
| - Die Therapiekonzepte müssen in sich
schlüssig und realisierbar aufgebaut sein und die Kooperationsschritte
nachvollziehbar darstellen (z. B. in einem
Gesamtkonzept). |
| - Elemente von Qualitätsmanagement sollten vorhanden
sein. |
| -
Während der Gesamtmaßnahmen sollten unterschiedliche inhaltliche
Schwerpunkte in den therapeutischen Maßnahmen zwischen ambulanten und
stationären Leistungsanbietern gesetzt
werden. |
| -
Das Aufzeigen und Vermitteln von materiellen und immateriellen Hilfen sind
zentrale Aufgaben der Fachkräfte in den Beratungsstellen (Einsatz von
Case-Managern, Koordinatoren). |
|
Auf der
Prozessebene:
|
| - Der klientenbezogene Informationsfluss zwischen den
Einrichtungen ist zur Gewährleistung therapeutischer Konstanz
herzustellen. Eine gemeinsame Behandlungsplanung sollte erfolgen; besondere
Aufmerksamkeit ist der Schnittstellengestaltung in den
ambulant-stationären Übergängen zu
schenken. |
| -
Ein gemeinsames bzw. abgestimmtes Begriffsverständnis (Diagnostik,
Behandlungsdokumentation) sollte Grundlage der gemeinsamen Arbeit
sein. |
| -
Verbindliche Aufgaben/Zuständigkeiten im arbeitsteiligen
Gesamtbehandlungsprozess sollten festgelegt
werden. |
| -
Die im Allgemeinen praktizierte „Komm-Struktur” hat sich als
nachteilig erwiesen; mehr aufsuchende Arbeit ist erforderlich (z. B.
persönlicher Besuch bei Versäumnis der ambulanten
Weiterbehandlung). |
| - Die Information des Klienten/Patienten über den
Gesamtbehandlungsverlauf muss frühzeitig erfolgen und ausreichende
Kenntnis über die Arbeit der Kooperationspartner
widerspiegeln. |
| - Durch entsprechende Öffentlichkeitsarbeit sollten
sich die Verbundeinrichtungen über aktuelle Konzepte, Veränderungen,
Vorgehensweisen usw. informieren. |
|
Auf der
Ergebnisebene:
|
| - Die Behandlungsschritte und -erfolge sollten in einer
fortlaufenden Dokumentation transparent gemacht werden.
|
|
[20: 7, 11: 32,
9]
|
Aus den Kritikpunkten ergeben sich mehrere für Kooperation zu
berücksichtigende Dimensionen, die der Klärung bedürfen und die
folgende grundsätzliche Fragestellung berühren: „Wer arbeitet
mit wem, wie, zu welchem Zweck, mit welchem Ziel und mit welchem Erfolg
zusammen?” [21: 74]. Das bedeutet, es müssen verbindliche
Aussagen zu der Anzahl der beteiligten Institutionen, zu gemeinsamen Zielen,
Bereichen und Modalitäten der Kooperation (z. B. regionale, direkte
Zusammenarbeit) sowie zu den Erfolgsmaßen gemacht werden. Der Erfolg bzw.
die Qualität vernetzter Hilfemaßnahmen im Rehabilitationssystem
sollte sich auf den von Donabedian [22]
eingeführten Ebenen Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität abbilden
lassen, wie es in der Darstellung der in Tab. [1] genannten Schlussfolgerungen bereits angestrebt wurde.
Nur so kann ein derartig komplexes Gebilde wie Kooperation, sowohl im Hinblick
auf zu schaffende Rahmenbedingungen (z. B. gemeinsame
Kooperationsgremien, gemeinsames Konzept), die in diesen Strukturen
stattfindenden Arbeitsabläufe (z. B. wechselseitige Information
über die Patienten/Klienten) als auch die Resultate (z. B.
Behandlungserfolg) beurteilt werden.
Die Matrix „Kooperationsstandards zur Entwicklung,
Analyse und Bewertung von Kooperation”
Die im Kontext dieses Modellprojekts vorgestellte
Kooperationskriterien-Matrix orientiert sich an den Kooperationsbeteiligten und
gliedert das noch weiter zu strukturierende Feld in die drei
übergeordneten Ebenen:
I Ebene Institution
(Leistungsanbieter)
II Ebene
Patient/Klient
III Ebene
Kosten-/Leistungsträger
In den drei Ebenen sollen die je nach Beteiligten spezifischen
Ausgangsgegebenheiten, die mit in die Kooperation gebracht werden (vgl.
Abb. [1]: Ebenen eines Verbundsystems),
abgebildet und berücksichtigt werden. Die Aufgliederung der
Kooperationskriterien betreffend der Struktur-, Prozess- und
Ergebnisqualität geschieht hier aus analytischen Gründen; es ist
selbstverständlich, dass sich ein derart komplexes Phänomen wie
Kooperation in der alltäglichen Praxis nicht immer differenziert
aufsplitten lässt, was die Identifizierung und kurzfristige
Bewältigung vorhandener Problembereiche erschweren kann. Trotz
analytischer Trennung innerhalb der Matrix wird diesem Verständnis des
Ineinandergreifens verschiedener Kooperationsaspekte mit Hilfe entsprechender
Querverweise zu genügen versucht.
Tab. 2 Matrix
„Kooperationsstandards” als Rahmenschema für die Etablierung
von
Kooperationsmodellen
| I Ebene Institution
(Leistungsanbieter) |
|
1.
Grundlagen
|
|
1.1 Art und Anzahl der beteiligten
Institutionen (z. B. flexible vs. geschlossene
Struktur) |
|
1.2 Trägerschaft
|
|
1.3
Kooperationsbereiche
|
|
1.4 Kooperationsziele
(Organisationsziele) → zu klientenorientierten Zielen siehe I Ebene
2.4.5 |
|
1.5 Modalitäten der
Kooperation
|
|
1.5.1 Dauer und Stabilität
(z. B. längerfristig,
kontinuierlich) |
|
1.5.2 Grad der Formalisiertheit
(z. B. Vertrag) |
|
1.5.3 Räumliche Distanz
(regional versus überregional) |
|
1.5.4 Unmittelbarkeit (direkte versus
indirekte Kontakte) → siehe
Informationsfluss |
|
1.5.5 Klima der persönlichen Beziehung
der Mitwirkenden → siehe
Informationsfluss |
|
2. Strukturelle
Ebene
|
|
2.1 Organisatorische
Inhalte
|
|
2.1.1 Organisationsplan (Strukturskizze der
Verbundpartner) |
|
2.1.2 Leitung/Koordinationsstelle der
Kooperation (z. B.
Qualitätszirkel) |
|
2.1.3
Qualitätsmanagement
|
|
2.1.4 Gemeinsame Ressourcen
(z. B. Räumlichkeiten, Fortbildungen,
Supervision) |
|
2.1.5 Umstrukturierung/Neuerschließung von
Ressourcen (z. B. Etablierung neuer
Einrichtungen) |
|
2.2 Personelle
Ausgestaltung
|
|
2.2.1 Funktionsträger (z. B.
Case-Manager, Koordinator,
Qualitätsmanager) |
|
2.2.2
Tätigkeitsprofile/Transparenz über die Arbeitsweise der
Mitarbeiter
|
|
2.2.3 Personelle Überschneidungen
(z. B. Kontinuität des
Therapeuten) |
|
2.3 Finanzielle Ausgestaltung (Probleme wie z. B.
finanz. Aufwendungen für
Kooperationsaktivitäten) |
|
2.4 Gemeinsames
Konzept
|
|
2.4.1
Patienten-/Klientenbild
|
|
2.4.2
Einschluss-/Ausschlusskriterien
|
|
2.4.3 Indikationskriterien zu
einer Behandlung → siehe auch Ebene
Patient/Klient |
|
2.4.4 Behandlungsablauf (z. B.
Intervalle) |
|
2.4.5 Gemeinsame
Ziele/Inhalte
|
|
2.4.6 Unterschiedliche Schwerpunktsetzungen
in der Behandlung → siehe auch
Aufgabenverteilung |
|
2.4.7 Angaben zur Behandlungsform
(z. B. offene Gruppe,
Einzelgespräche) |
|
3.
Prozessebene
|
|
3.1 Systematischer
Informationsfluss
|
|
3.1.1 Form (z. B.
Arbeitstreffen, Telefonate) |
|
3.1.2 Standards bezüglich Diagnostik und
Dokumentation/Informationsträger → siehe auch I Ebene
4.1 |
|
3.1.3 Häufigkeit
|
|
3.1.4
Rechtzeitigkeit/Feedback
|
|
3.1.5 Inhalt (z. B.
organisatorisches, fallbezogenes,
fachliches) |
|
3.2
Aufnahme-/Entlassverfahren
|
|
3.2.1 Angaben zur Gewährleistung zur
Kontinuität des Therapieverlaufs
|
|
3.2.2 Maßnahmen zur
Vorbereitung auf die stationäre
Phase
|
|
3.2.3 Maßnahmen zur Vorbereitung auf die ambulante
Weiterbehandlung
|
|
3.2.4 Möglichkeiten der
Aufrechterhaltung des Kontaktes nach
Therapieende
|
|
3.3
Aufgabenverteilung
|
|
3.3.1 Verbindliche Zuständigkeiten
→ siehe auch unterschiedliche
Schwerpunktsetzungen |
|
3.3.2 Anteil organisatorischer
Tätigkeiten
|
|
4.
Ergebnisebene
|
|
4.1 Dokumentation ambulant-stationärer
Behandlungsverläufe (Haltequote, Rückfallquote, soziale
Reintegration, Behandlungszufriedenheit) → siehe auch Gliederungspunkt I
3.1.2 |
|
4.2 Dokumentation der Qualität der Kooperation
(Akzeptanz bei den Kooperationspartnern und bei der Zielgruppe) → siehe
auch Gliederungspunkt I 2.1.3 |
| II E¿bene
Patient/Klient |
|
1.
Persönlichkeitsprofil
|
|
2.
Krankheitsbild
|
|
3.
Bedürfnislage
|
|
3.1 Originäre Bedürfnisse im Bereich
Abhängigkeit
|
|
3.2 Soziale
Bedürfnisse
|
|
3.3 Medizinische
Bedürfnisse
|
|
4. Betreuungskonstanz
(Berücksichtigung des Informationsbedarfs des
Patienten/Klienten) |
| III Ebene
Kosten-/Leistungsträger |
|
1. Strukturelle
Ebene
|
|
1.1 Rahmenvereinbarung für
Verbundsysteme
|
|
1.2
Qualitätszirkel
|
|
1.3 Modalitäten des
Antragsverfahrens (u. a.
Kostenzusage) |
|
2. Prozessebene
|
|
2.1 Systematischer
Informationsfluss
|
|
2.1.1 Form (z. B.
Arbeitstreffen, Telefonate) |
|
2.1.2 Standards bezüglich Dokumentation
bzw. Informationsträger
|
|
2.1.3
Häufigkeit
|
|
2.1.4
Rechtzeitigkeit/Feedback
|
|
2.1.5 Inhalt (z. B.
Pflegesatzverhandlungen) |
|
2.2
Aufgabenverteilung
|
|
2.2.1 Verbindliche Zuständigkeiten
(z. B. Definition von Koordinierungsaufgaben im
Reha-Prozess) |
|
2.2.2 Anteil organisatorischer
Tätigkeiten
|
|
3.
Ergebnisebene
|
|
3.1 Dokumentation ambulant-stationärer
Behandlungsverläufe
(Reha-Statistiken) |
|
3.2 Dokumentation der Qualität der
Kooperation (Akzeptanz bei den Kooperationspartnern und bei der
Zielgruppe) → siehe auch Gliederungspunkt I 2.1.3 [13]
|
Ein Transfer dieser Kooperationssystematik auf bestehende
Kooperationsmodelle zeigt diverse Schwachstellen, die hier aus
Platzgründen nicht aufgeführt werden können, aber neben den
eingangs erwähnten Defiziten v. a. die Bereiche
„Informationsfluss zwischen Leistungsanbietern und
Leistungsträgern”, „Klima der persönlichen Beziehung
der Mitwirkenden”, „Offenlegung der finanziellen Ausgestaltung
für Kooperationsaktivitäten” sowie
„Verwaltungstechnische Probleme (z. B. Transparenz über das
Antragsverfahren oder die kurzfristige Bereitstellung von Klinikplätzen
bei voller Auslastung)” betreffen.
Man kann resümieren, dass Kooperationsvorhaben von
vielschichtigen Einflussfaktoren bestimmt werden, die nur schwerlich alle
Berücksichtigung finden können. Die Zusammenschau dieser Faktoren in
einem Kriterienkatalog kann jedoch im Vorfeld der Implementierung von
Kooperationsmodellen dazu dienen, möglichst viele potentielle
Problembereiche aufzudecken, bevorstehende Organisationsfelder und Aufgaben zu
antizipieren und die Ergebnisse dieses Reflektionsprozesses in die Planung und
Umsetzung von Kooperationsanliegen einzubeziehen.
Bisherige Ergebnisse und Auswirkungen des Modellprojekts EVS
- Ausblick
Bisherige Ergebnisse und Auswirkungen des Modellprojekts EVS
- Ausblick
Nach einem halbjährigen Planungs- und Implementierungsprozess
werden seit Januar 2001 die ersten Patienten im Modellprojekt EVS behandelt. In
den ersten sechs Monaten mussten Wege gefunden und bereitet werden, die eine
Vernetzungspraxis nach den hier vorgestellten Maßstäben
begünstigen helfen. In dem bereits angesprochenen Gesamtkonzept aller
beteiligten Leistungsanbieter werden u. a. die theoretischen
Behandlungsgrundlagen, Profile der beteiligten Einrichtungen, Ziele und
Methoden sowie Inhalte der Entwöhnungsbehandlung nach ambulanten und
stationären Schwerpunkten abgebildet. Aspekte der Kooperation werden dabei
besonders herausgestellt. Klare Regelungen betreffen die gezielte Vorbereitung
auf den Klinikaufenthalt mit Hilfe einer speziellen ambulanten Vorlaufsphase
(Indikationsphase), persönliche Übergabegespräche in den
Übergängen der Behandlungssettings unter Teilnahme des Patienten und
regelmäßige Fallbesprechungen zur Abstimmung der Therapieplanung.
Der Patienteninformation sowie Behandlungsdokumentation (auch gegenüber
dem Leistungsträger) wird spezielle Aufmerksamkeit geschenkt.
In einem Rahmenkonzept (siehe oben) ist der Leistungsrahmen, der
fünf möglichen Behandlungsvarianten in einem Zeitraum bis zu einem
Jahr vorsieht, sowie das Antragsverfahren transparent dargestellt worden (vgl.
Abb. [2]).
Abb. 2 Behandlungsvarianten in
EVS.
In EVS beginnt die Behandlung grundsätzlich ambulant mit der
Indikationsphase. Je nach individuellem Behandlungsbedarf können
nachfolgend stationäre Phasen unterschiedlicher Dauer in Anspruch genommen
werden. Die aufgeführten stationären Therapiezeiten sind jeweils
Maximalzeiträume, deren Ausschöpfung anhand der
Behandlungsvoraussetzungen des Patienten genau überprüft werden
sollten. Die besonders hervorzuhebende Möglichkeit flexibler, auch
mehrmaliger Wechsel zwischen ambulanten und stationären
Behandlungsabschnitten ist dann möglich, wenn bei einem (ersten)
Klinikaufenthalt nicht die gesamte beantragte Behandlungszeit eingesetzt wird.
Die Rehabilitation wird nach einem Klinikaufenthalt mit der ambulanten
Weiterbehandlung fortgesetzt und letztendlich abgeschlossen. Ebenfalls
können rein ambulante Behandlungen durchgeführt werden.
Neben den Behandlungsvarianten kann als weiteres Novum des
Leistungsrahmens in EVS die gesonderte Vergütung von zwei
persönlichen Übergabegesprächen (mit jeweils zwei ambulanten
Therapieeinheiten bzw. 170 DM plus Fahrtkosten) genannt werden.
Neben den ja zunächst einmal schriftlichen Veränderungen
können aber bereits positive Aspekte in der alltäglichen Praxis
hervorgehoben werden. Durch die alle vier bis sechs Wochen stattfindenden
Qualitätszirkel sind die Leistungsanbieter untereinander und mit dem
Leistungsträger „ein Stück näher
zusammengerückt”. Die Informationslage über die Arbeit und
Probleme der am Verbund beteiligten Einrichtungen konnte gesteigert, die
z. T. unterschiedlichen Positionen und Interessen klargestellt werden.
Es ist ein Arbeitsklima entstanden, das die zeitnahe Klärung von Fragen
zur Durchführung des Modellprojekts begünstigt.
Im Weiteren kann davon berichtet werden, dass innerhalb und unter
den beteiligten Einrichtungen ein Kommunikationsprozess in Gang gekommen ist,
der sich in der Organisation eines ersten Fachtags zum Modellprojekt mit
therapeutischen Mitarbeitern sowie in diversen Informationsveranstaltungen mit
den therapeutischen Mitarbeitern der beteiligten Modell- und
Kontrolleinrichtungen widerspiegelt.
Für den zukünftigen Verlauf des Projektes stehen noch eine
Reihe von Aufgaben an: Es ist z. B. zu klären, inwiefern Grundlagen
für eine einheitlichere oder zumindest stärker abgestimmte Diagnostik
zwischen ambulanten Beratungsstellen und Fachkliniken zu schaffen sind und die
Behandlungsdokumentation in einer fortlaufenden Patientenakte organisiert
werden kann. Außerdem muss geprüft werden, inwiefern der Mehraufwand
für koordinierende und hilfevermittelnde Tätigkeiten von den
Bezugstherapeuten aufgefangen werden kann, oder ob nicht langfristig die
Schaffung weiterer personeller Ressourcen in Form von Case-Managern oder
Koordinatoren für das reibungslose Funktionieren eines Verbundsystems
unabdingbar ist.