Einleitung
Einleitung
Chronische Lungenkrankheiten beeinflussen zunehmend die Morbidität und Mortalität
in der modernen Welt. Für die COPD, der vierthäufigsten Todesursache in den USA, ist
weltweit ein weiterer Anstieg, zuletzt 22 % in den vergangenen 10 Jahren speziell
bei Frauen, zu beobachten [1 ]
[2 ]
[3 ]. Zweifellos wird dieser mit einer weiteren Kostensteigerung einhergehen. Wesentliche
Ursache hierfür ist das Zigarettenrauchen, dessen schädigende Wirkung aufgrund der
großen Lungenreserven und ihrem nur langsam schleichenden Verlauf eine lange Latenz
zeigt [4 ]
[5 ]
[6 ]
[7 ].
Dabei erfahren die Patienten im Frühstadium der Erkrankung, auch wenn sie schon in
die Dyspnoespirale eingetreten sind, noch keine Dyspnoe oder lediglich bei großer
körperlicher Anstrengung [8 ]
[9 ]. Gelegentlicher Husten und Auswurf werden weitgehend ignoriert [10 ]
[11 ].
Weitere Ursachen sind neben Geschlecht, Passivrauchen, wiederholten viralen Infekten
in der Kindheit, sozio-ökonomischer Status und genetische Faktoren, z. B. α1 -Antitrypsinmangel eine Arbeitsplatzexposition gegenüber gefährdenden Substanzen [12 ]
[13 ]
[14 ]
[15 ]
[16 ]
[17 ]
[18 ]
[19 ].
Oft wird die Diagnose erst mit dem Auftreten einer weit fortgeschrittenen Krankheit
gestellt. So berichten Stang et al., dass lediglich zwischen 14 und 40 % aller COPD-Patienten
mit steigender Inzidenz im Alter diagnostiziert werden [20 ].
Nur eine frühe Diagnosestellung und Einleitung geeigneter Maßnahmen erlaubt eine wirksame
Therapie. Auf den Stellenwert der Lungenfunktionsdiagnostik in der frühen Erkennung
asymptomatischer Risikopatienten wiesen Anthonisen et al. hin [21 ]. Die Möglichkeit dazu ist leider viel zu wenig gegeben, zumal in Allgemeinarztpraxen,
den primären Anlaufstellen, in der überwiegenden Zahl keine entsprechende Diagnostik
durchgeführt werden kann.
Ziel der vorliegenden Untersuchung war der Nachweis bisher nicht diagnostizierter
pathologischer Lungenfunktionsveränderungen bei „gesunden” Arbeitnehmern und mögliche
synergistische Effekte des Arbeitsplatzes.
Material und Methoden
Material und Methoden
179 Personen ohne bisher bekannte obstruktive Atemwegserkrankungen folgten einer Einladung
zu einem kostenlosen Lungenfunktionstest. 43 Arbeiter/innen waren in einer Drahtlackiererei
gegen Dämpfe von Drahtlack, einer Mischung aus synthetischen Kunstharzen, vornehmlich
Kresol, Xylol und Phenol und Lösungsmitteln exponiert. Büroangestellte (113 Personen)
und vorwiegend im Freien beschäftigte Gemeindearbeiter (Straßenbau, Landschaftsgärtner)
einer ländlichen Gemeinde ohne bekannte spezifische Schadstoffbelastung der Luft (23
Personen) dienten als Vergleichspersonen.
Alle untersuchten Personen beantworteten vor der Lungenfunktionsdiagnostik einen Fragebogen
zu demographischen Daten, Rauchgewohnheiten und zum Arbeitsplatz.
Die Lungenfunktionsdiagnostik wurde von in der Diagnostik erfahrenen Assistenten entsprechend
den Qualitätssicherungskriterien der ATS [22 ] mittels Ganzkörperplethysmographie (MasterLab, Fa. Jaeger/ Würzburg) durchgeführt.
Als Sollwerte dienten die entsprechenden Sollwertempfehlungen von Quanjer [23 ]
[24 ].
Statistik
Statistik
Die Daten (Absolutmessungen und %-Soll) der Lungenfunktionsparameter FEV1 und IVC sowie des Tiffeneau-Index (FEV1 /IVC) wurden auf Unterschiede zwischen den Berufsgruppen, zwischen Rauchern und Nichtrauchern
sowie eventuelle Interaktionen hin untersucht. Im verwendeten varianzanalytischen
Modell wurden die Absolutmessungen nach den bekannten Einflussgrößen Alter und Körpergröße
geschlechterspezifisch adjustiert. Resultierende p-Werte unter 0,05 wurden als statistisch
signifikant interpretiert.
Eine Atemwegsobstruktion wurde definiert nach den in der Klinik weitgehend angewandten
Kriterien bei einem Tiffeneau-Index von unter 0,7 [24 ]; gesondert berechnet wurde eine Obstruktion auch nach den von Siafakas et al. [25 ] publizierten ERS-Kriterien. Das relative Risiko zwischen Rauchern und Nichtrauchern
wurde unter Berücksichtigung der Berufsgruppen anhand des Mantel-Haenszel-Tests bestimmt.
Ergebnisse
Ergebnisse
Die drei Berufsgruppen sind hinsichtlich Alter und Größe vergleichbar (siehe Tab.
[1 ]). Allerdings gibt es unter den Fabrik- und Gemeindearbeitern relativ mehr Männer
und Raucher. Demzufolge zeigt der Vergleich der nicht adjustierten Mittelwerte, die
keine großen Unterschiede zwischen den Berufgruppen sowie zwischen Rauchern und Nichtrauchern
zeigen (siehe Tab. [2 ]), ein unzutreffendes Bild. In Prozent des Sollwertes sind allerdings schon deutliche
Unterschiede zwischen Rauchern und Nichtrauchern, insbesondere unter den körperlich
aktiven Arbeitern zu erkennen.
Tab. 1 Demographische Daten
Fabrik-arbeiter (n = 43)
Gemeindearbeiter (n = 23)
Büro-angestellte (n = 113)
Alter (Jahre)
MA ± SD
43,1 ± 11,5
41,9 ± 11,1
39,2 ± 11,1
Min - Max
20 - 62
24 - 64
18 - 67
Gewicht (kg)
MA ± SD
82,1 ± 12,1
83,3 ± 21,3
75,2 ± 15,7
Min - Max
48 - 105
53 - 124
44 - 114
Größe (cm)
MA ± SD
174,5 ± 7,9
172,0 ± 10,2
172,7 ± 9,1
Min - Max
150 - 193
156 - 194
154 - 205
Männer [N (%)]
37 (86,0)
13 (56,5)
48 (42,5)
Frauen [N (%)]
6 (14,0)
11 (43,5)
65 (57,5)
Raucher [N (%)]
19 (44,2)
8 (34,8)
30 (26,5)
Packyears (MA ± SD)
21 ± 16
14 ± 7
14 ± 9
Nichtraucher [N (%)]
24 (55,8)
15 (65,2)
83 (73,5)
Packyears* (MA ± SD)
5 ± 10
6 ± 9
2 ± 6
*Unter den Nichtrauchern gibt es auch Ex-Raucher, deren Packyears (Anzahl der Packungen/Tag
× Jahre) ebenfalls erfasst wurden
Tab. 2 Lungenfunktionsparameter (MA ± SD)
Fabrikarbeiter (n = 43)
Gemeindearbeiter (n = 23)
Büroangestellte (n = 113)
L
%-Soll
L
%-Soll
L
%-Soll
FEV1
total
3,56 ± 0,75
100 ± 15
3,44 ± 0,81
100 ± 16
3,50 ± 0,83
100 ± 15
Raucher
3,51 ± 0,97
91 ± 13
3,13 ± 0,84
91 ± 17
3,51 ± 0,80
99 ± 12
Nichtraucher
3,61 ± 0,53
102 ± 13
3,60 ± 0,78
104 ± 13
3,49 ± 0,84
101 ± 16
IVC
total
4,67 ± 0,82
101 ± 12
4,43 ± 1,02
103 ± 11
4,50 ± 1,04
106 ± 14
Raucher
4,64 ± 1,00
96 ± 10
4,17 ± 1,08
99 ± 13
4,60 ± 1,05
108 ± 11
Nichtraucher
4,70 ± 0,66
104 ± 13
4,57 ± 0,99
105 ± 9
4,46 ± 1,04
105 ± 15
FEV1/IVC*
total
0,760 ± 0,070
95 ± 9
0,778 ± 0,068
97 ± 9
0,780 ± 0,071
96 ± 8
Raucher
0,748 ± 0,091
93 ± 11
0,752 ± 0,064
93 ± 9
0,766 ± 0,072
93 ± 8
Nichtraucher
0,769 ± 0,048
97 ± 8
0,791 ± 0,068
99 ± 8
0,785 ± 0,070
97 ± 8
*Absolutwerte ohne Dimension
Die Varianzanalyse der Messdaten (unter geschlechtsspezifischer Berücksichtigung von
Alter und Größe) zeigt den signifikanten Einfluss des Rauchens auf FEV1 (p = 0,0212)
und Tiffeneau-Index (p = 0,0123). Signifikante Unterschiede zwischen den Berufsgruppen
sind nicht zu erkennen (p = 0,0929 bzw. p = 6837). Die adjustierten Mittelwerte für
Raucher und Nichtraucher sind in Abb. [1 ] u. [2 ] nach Berufsgruppen getrennt dargestellt. Sie zeigen deutlich schlechtere Werte für
Raucher im Vergleich zu Nichtrauchern, für FEV1 insbesondere in den beiden Arbeitergruppen.
Abb.1 Mittelwerte FEV1, adjustiert nach Geschlecht, Alter und Körpergröße.
Abb. 2 Mittelwerte des Tiffeneau-Index, adjustiert nach Geschlecht und Alter.
Die Analyse anhand der Daten in Prozent des Sollwertes ergibt ein qualitativ identisches
Ergebnis.
Die Häufigkeit von Atemwegsobstruktionen ist in Tab. [3 ] dargestellt. In dem untersuchten Kollektiv ist das relative Risiko für obstruktive
Ventilationsstörungen für Raucher ungefähr verdoppelt und bei einem 95 %-Konfidenzintervall
von (1,08, 4,63) signifikant erhöht.
Tab. 3 Häufigkeit von obstruktiven Ventilationsstörungen (FEV1/IVC < 0,7), absolut und bezogen
auf die jeweilige Gruppen in Prozent
Fabrikarbeiter (n = 43)
Gemeindearbeiter (n = 23)
Büroangestellte (n = 113)
total (n = 179)
total
8 (18,6)
3 (13,0)
14 (12,4)
25 (14,0)
Raucher
5 (26,3)
2 (25,0)
6 (20,0)
13 (22,8)
Nichtraucher
3 (12,5)
1 (6,7)
8 (9,6)
12 (9,8)
relatives Risiko für Raucher
2,24
95 %-Konfidenzintervall
(1,08, 4,63)
Tab. 4 Häufigkeit von obstruktiven Ventilationsstörungen (FEV1/IVC in % Soll < 0,88 (m)/0,89
(f)), absolut und bezogen auf die jeweilige Gruppe in Prozent
Fabrikarbeiter (n = 43)
Gemeindearbeiter (n = 23)
Büroangestellte (n = 113)
total (n = 179)
total
7 (16,3)
4 (17,4)
19 (16,8)
30 (16,8)
Raucher
5 (26,3)
3 (37,5)
9 (30,0)
17 (29,8)
Nichtraucher
2 (8,3)
1 (6,7)
10 (12,1)
13 (10,7)
relatives Risiko für Raucher
2,92
95 %-Konfidenzintervall
(1,52, 5,62)
Diskussion
Diskussion
Die Untersuchung zeigt bei 14 % aller Probanden eine bisher nicht diagnostizierte
Atemwegsobstruktion. Eindrücklich werden die negativen Auswirkungen des Rauchens durch
den mehr als doppelt so hohen Prozentsatz von Probanden mit einer Atemwegsobstruktion,
wie auch von Chen et al. dargestellt [26 ], belegt. Sie erreichen dabei nicht die Inzidenz mit 13 % für Nichtraucher und 20
% für Raucher, wie von Petty et al. in der NAHNES III-Studie [27 ] und Stang et al. [20 ] mit einer COPD-Inzidenz zwischen 17 und 43 % für Raucher und 2 - 10 % für Nichtraucher
für 40 - 75-Jährige mit deutlich steigender Zunahme im Alter berichtet wird (Tab.
[4 ]).
Zu berücksichtigen ist dabei allerdings, dass weltweit keine einheitlichen Kriterien
für die Atemwegsobstruktion bestehen und die ATS-Kriterien im Vergleich zu denen der
ERS „weicher” sind. In der gleichen Größenordnung unserer Ergebnisse waren die von
Viegi et al. publizierten Ergebnisse [28 ] bei Anwendung der „klinischen” Kriterien sowie der ERS-Kriterien.
Die Häufigkeit bisher nicht diagnostizierter Atemwegsobstruktionen war in einer vergleichbaren
Studie von van den Boom et al. [29 ] mit nahezu 20 % höher. Nicht vergleichbar sind diese Werte mit einer von Barczok
et al. [30 ] publizierten Studie zur COPD, durchgeführt von Allgemeinmedizinern, die über eine
Inzidenz von 36 % berichteten, jedoch keine Aussagen machten zu bisher bereits bzw.
neu diagnostizierten Patienten mit einer Atemwegsobstruktion.
Die gemessenen Werte für das FEV1 zeigen nach Adjustierung hinsichtlich Geschlecht, Alter und Größe für Raucher um
0,3 bis 0,4 l signifikant niedrigere Werte bei den Fabrik- und Gemeindearbeitern,
nicht jedoch bei den Büroangestellten, in der gleichen Größenordnung von Wang [31 ] für das FEV1 bei Rauchern in einer Studie mit gleichaltrigen Stahlarbeitern berichtet. Die Sollwerte
des FEV1 (% pred) sind beim weiteren Vergleich unserer Studie mit der von Wang [31 ] als auch von Mannino et al. [32 ] weitgehend identisch für Raucher (91 % vs. 90,8 %), während die Nichtraucher in
der Studie von Wang mit 95,7 % nicht das Ergebnis unserer Studie (> 100 %) erreichen.
Eine mögliche Erklärung dafür ist ein zusätzlich negativer Einfluss des Arbeitsplatzes
mit einer relativ hohen Schadstoffbelastung bei den Stahlarbeitern.
Eine mögliche Interaktion zwischen Beruf und Rauchen hinsichtlich FEV1 und IVC war mit p = 0,2 für unsere beiden Arbeitergruppen nicht nachweisbar [19 ]
[33 ]
[34 ]
[35 ]. Während Viegi et al. [36 ] bei bestehender chronischer Atemwegsirritation am Arbeitsplatz einen Abfall des
FEV1 (% pred), (OR 1,45; CI 2,05 - 1,03) zeigen, weisen Zuskin et al. [37 ] Rauchen als wesentliche Ursache für eine Atemwegsobstruktion bei nicht exponierten
Arbeitern, analog zu unseren Büroangestellten nach. Der lediglich als Hinweis auf
eine mögliche beginnende Atemwegsobstruktion reduzierte Tiffeneau-Index der rauchenden
Büroangestellten unterstützt, weitgehend unabhängig vom Raucherstatus, die Einflüsse
des sozio-ökonomischen Status und der Bildung (blue collar worker/white collar worker)
auf das FEV1 ; letztendlich ist auch der so genannte „healthy-worker-effect” zu diskutieren [16 ]
[38 ]
[39 ]. Auch darf der Zigarettenkonsum dieser Gruppe ohne weitere Arbeitsplatznoxen nicht
ausgereicht haben, um einen vergleichbar negativen Effekt auf das FEV1 wie in den ersten beiden Gruppen zu zeigen.
Der Anteil an Nichtrauchern mit einem pathologischen Tiffeneau-Index ist vergleichbar
mit dem in den ersten beiden Gruppen und lässt darunter Probanden mit bisher nicht
bekanntem Asthma bronchiale vermuten. Weitere Untersuchungen, insbesondere Testungen
zur Reversibilität der Atemwegsobstruktion oder zum Nachweis einer möglichen bronchialen
Hyperreagibilität, wurden im Rahmen dieser Querschnittuntersuchung nicht durchgeführt.
Zusammenfassend belegt diese Untersuchung eine hohe Inzidenz bisher nicht diagnostizierter
Atemwegsobstruktionen bereits im mittleren Erwachsenenalter, wobei chronisches Rauchen
als wesentliche Ursache zu betrachten ist. Ein gesteigertes Bewusstsein ob der Risikofaktoren
und die frühe Identifikation von Risikopatienten, u. a. durch eine gezielte Anamnese,
ist notwendig; zu fordern sind für diese routinemäßige Lungenfunktionsuntersuchungen
sowie die Intensivierung der Anstrengungen gegen das Rauchen in Kombination mit ggf.
unterstützenden Raucherentwöhnungskursen, deren Effizienz belegt ist [40 ]
[41 ]. Nur so können mögliche fatale Folgen für die Patienten selbst als auch die sozio-ökonomischen
Kosten günstig beeinflusst werden.