Pneumologie 2002; 56(6): 339-344
DOI: 10.1055/s-2002-32166
Historisches
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

100 Jahre Ruhrlandklinik

Von der Tuberkuloseheilstätte zum LungenzentrumCentenary of the „Ruhrland Clinic”N.  Konietzko1
  • 1Ruhrlandklinik, Zentrum für Pneumologie und Thoraxchirurgie
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Prof. Dr. N. Konietzko

Ruhrlandklinik, Zentrum für Pneumologie und Thoraxchirurgie

Tüschener Weg 40

45239 Essen

Publication History

Publication Date:
12 June 2002 (online)

Table of Contents #

Gründung und Klinikbau

Die Gründung der Ruhrlandklinik vor nunmehr 100 Jahren und ihre Entwicklung bis weit hinein in die Mitte des vorigen Jahrhunderts ist eng verknüpft mit der Verbreitung der Tuberkulose in unserem Land. Das Leid, das diese Volksseuche verbreitete, ist für uns Heutige kaum noch vorstellbar: Um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert starben im damaligen Deutschen Reich jährlich 200 Menschen/100 000 Einwohner an Tuberkulose, und zumeist waren es Kinder und junge Erwachsene. In industriellen Ballungsgebieten wie dem Ruhrgebiet, an dessen Südrand die Klinik liegt, Gebieten mit enormen sozioökonomischen Spannungen, traten die Probleme noch viel stärker hervor. Trotz Entdeckung des Erregers der Tuberkulose 20 Jahre zuvor durch Robert Koch, war eine Heilung nicht in Sicht. Jedoch gab die medizinische Großtat Robert Kochs Therapieansätzen neuen Auftrieb, die schon seit geraumer Zeit existierten, wie der Heilstättenbewegung des Berliner Lungenarztes Hermann Brehmer, der 1856 im Riesengebirge in Görbersdorf ein Sanatorium errichtet und Heileffekte beschrieben hatte. Für den Geld- und Hochadel gab es bald vorzügliche Einrichtungen dieser Art, vor allem in der Schweiz, die heute noch - zu Luxushotels umfunktioniert - beeindrucken. Um auch den sozial schwächeren, von der Tuberkulose aber am stärksten betroffenen Bevölkerungsschichten eine solche Behandlung zukommen zu lassen, entstand die „Volksheilstättenbewegung”, unterstützt vom „Deutschen Centralkomitee zur Errichtung von Heilstätten für Lungenkranke”, dem späteren „Deutschen Zentralkomitee zur Bekämpfung der Tuberkulose”.

„Als mit dem Ende des vergangenen Jahrhunderts die Volksheilstättenbewegung in Deutschland an Boden zu gewinnen begann, und dieser humanitäre Gedanke in den Industriekreisen des Westens besonders lebhaften Widerhall fand”, heißt es im Bericht des ersten Chefarztes der Ruhrlandklinik, Professor Dr. F. Köhler, „wurde der „Verein zur Errichtung von Volksheilstätten für die Kreise Essen Stadt und Land, Mülheim Stadt und Land, Oberhausen, Ruhrort und Duisburg” gegründet”. In kurzer Zeit standen durch Spenden Mittel für einen Baufonds in Höhe von 400 000 Mark zur Verfügung, eine für damalige Verhältnisse unvorstellbare Größenordnung, die heute einem Wert von ca. 150 Mill. entspricht. Auch die jährliche Kopfsteuer von 1 Pfennig in den genannten 7 Ruhrkreisen, 1904 sogar auf 2 Pfennig erhöht, ist eine erstaunliche Aktion, die von Bürgersinn und Solidarität zeugt, wie man dies heute nicht so leicht findet. Innerhalb eines Jahres war die Heilstätte in luftiger Höhe des Bergischen Landes, 136 Meter über dem Meeresspiegel, aber geschützt durch Buchen- und Tannenwälder, fertiggestellt (Abb. [1]). Am 12. Juli 1902 konnte sie im Beisein zahlreicher Ehrengäste durch den an dem Projekt maßgeblich beteiligten Vorsitzenden des Lungenheilstättenvereins, den Duisburger Oberbürgermeister und späteren Bundesinnenminister im Kabinett Adenauer, Dr. Lehr, eröffnet werden. Der Klinikbetrieb lief gut an und bereits im Jahr 1904 wurde der tausendste Patient aufgenommen. Die Krankenpflege teilten sich zwei Schwestern und zwei „Wärter”, die medizinische Betreuung lag in Händen des Chefarztes, Professor Dr. Köhler, und zweier „Anstaltsärzte”. Diesen stand ein gut ausgestattetes Labor und eine wohl sortierte Bibliothek zur Verfügung. Die eher kontemplative Arbeitsatmosphäre in der damaligen „Lungenheilstätte Holsterhausen” lässt sich aus immerhin 107 Publikationen in der Zeit von 1903 bis 1914 erahnen.

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Abb. 1 Klinikaltbau aus dem Jahre 1902.

Die Heilstätte prosperierte derart, dass 10 Jahre nach der Eröffnung des „Altbau” bereits der Bau eines neuen Kliniktraktes in Angriff genommen wurde. Der Ausbruch des 1. Weltkrieges setzte jedoch den Bauarbeiten ein Ende. Schlimmer noch, die Heilstätte musste geschlossen werden, da die Ärzte, ein Teil des Personals und die Mehrzahl der Patienten (!) zum Kriegsdienst einberufen wurden. Nur Dank der Intervention des „Deutschen Zentralkomitee zur Bekämpfung der Tuberkulose” auf politischer Ebene und der Gestellung geeigneter Ärzte durch die gleiche Organisation konnte der Betrieb wenige Monate später wieder aufgenommen werden. Auch die Bauarbeiten schritten manchen äußeren Schwierigkeiten zum Trotz zügig voran, so dass im Oktober 1916 der architektonisch eindrucksvolle Neubau eingeweiht werden konnte. Er war für damalige Verhältnisse erstaunlich großzügig angelegt, die Einteilung in drei Klassen war abgeschafft worden, in der Mehrzahl gab es Zweibettzimmer. Die Heilstätte verfügte nun über 200 Betten.

Zu Ende des 1. Weltkrieges geriet der Träger in finanzielle Turbulenzen, und die LVA Rheinprovinz als größter Beleger der Klinik entschloss sich, die Heilstätte samt zweier Gutshöfe und 300 Morgen Land für den Betrag von 1375 Mill. Mark zu übernehmen. Sie ist heute noch der Träger der Ruhrlandklinik.

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Neue Wege im Kampf gegen die Tuberkulose

Erstmals im Jahre 1918 werden im Jahresbericht der Klinik Untersuchungen mit Röntgenstrahlen erwähnt. Offensichtlich wurde diese revolutionierende Technik aber nur vereinzelt angewendet, für uns Heutige kaum verständlich. Aber selbst in Standard-Lehrbüchern dieser Zeit heißt es noch apodiktisch „Die Lungentuberkulose sieht man nicht, man hört sie”; also Hörrohr statt Röntgenstrahlen! Doch allmählich scheint sich der kritische Verstand gegen tradierte Vorurteile durchgesetzt zu haben, denn im Jahresbericht 1925 wird von einer Vergrößerung und Verbesserung der Röntgenabteilung berichtet. An den allgemeinen Behandlungsmethoden allerdings änderte sich zunächst nichts. Im Vordergrund der Therapie standen „Bewegungs- und Ruhekuren” in luftigen Liegehallen und eine eiweiß- und kalorienreiche Ernährung, die zur Stärkung der natürlichen Abwehrkräfte führen sollten. So galt denn auch die Zunahme des Körpergewichtes während der Kur als ein Erfolgsparameter, im Entlassungsbericht sorgfältig registriert (Abb. [2]).

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Abb. 2 Freiluftgymnastik anno 1903.

Um die nunmehr zur Verfügung stehenden 240 Betten zu belegen und die tägliche Krankenkost von 4000 Kalorien pro Patient einzuhalten, mussten die Anstrengungen des landwirtschaftlichen Betriebes der Heilstätten intensiviert werden. 1924 verfügte diese über 225 Morgen Acker und Weiden und in der Viehhaltung über 10 Pferde, 23 Milchkühe, 28 Rinder, 200 Schweine und 200 Stück Federvieh. Wahrscheinlich trug der landwirtschaftliche Betrieb der Klinik in diesen Hungerzeiten mehr zur Genesung der Patienten bei, als die ärztliche Abteilung.

Nach Jahrzehnten recht bescheidener Erfolge im mühseligen Kampf gegen die Tuberkulose durch diese „passive Behandlung”, setzte man große Hoffnungen auf neue Therapieansätze und innovative, wagemutige Ärzte. „Kollapstherapie” hieß das Zauberwort. Der therapeutische Pneumothorax, erstmals 1921 in der Lungenheilstätte Holsterhausen durchgeführt, setzte sich erst Anfang der 30er Jahre durch: 1936 ist von 260 Pneumothoraxanlagen die Rede, die Zahl der „Pneu-Nachfüllungen” geht in die Legion. Fraglos verdanken tausende von Tuberkuloseerkrankten der Pneumothoraxbehandlung ihr Leben. Ergänzende Verfahren waren die Thorakokaustik bei Pleuraverwachsungen und die Phrenikusausschaltung bei Kavernen im Unterlappen. Die ersten Thorakoplastiken wurden 1936 durch den Oberarzt der Klinik und späteren Chefarzt, Dr. Wilhelm Lorbacher, durchgeführt. Er hatte seine chirurgische Ausbildung am Klinikum in Mainz erhalten und war der Promotor der „aktiven Behandlungsverfahren”. Im Mai 1939 folgte die „Pneumolysenbehandlung”, ein weit schonenderes Verfahren, das bei etwa gleichen Heilungsraten die Thorakoplastik peu à peu ersetzte.

Diese für die Lungenheilstätte Holsterhausen positive Entwicklung wurde durch den 2. Weltkrieg spürbar unterbrochen. Die letzten medizinischen Beschaffungen wurden 1937 (Röntgenschichtgerät „Planigraph”) und 1938 („Kymograph”) getätigt, danach gab es nur noch Geld für militärische Zwecke: Der Luftschutz musste ausgebaut werden, Maßnahmen zur Verdunkelung der Klinik wegen drohender Luftangriffe der Alliierten wurden getroffen. Immer mehr Mitarbeiter wurden zur Wehrmacht einberufen und 1941 trafen die ersten Verlustmeldungen von der Front ein. Die ersten Luftangriffe erlebte die Heilstätte Holsterhausen im September 1944, im Frühjahr 1945 geriet die Klinik zwischen die Kriegsfronten und 50 Verwundete mussten in der Klinik versorgt werden. Kampflos nahmen schließlich im April 1945 amerikanische Truppen, die am 24. März unter dem Oberkommando des britischen Feldmarschalls Montgomery den Rhein überquert hatten, die Klinik und das umliegende Gelände ein, wenig später wurde die Region dem britischen Militär überantwortet. Nach der britischen Besetzung wurden in der Klinik auch 50 tuberkulosekranke russische Fremdarbeiter aufgenommen. Viele dieser völlig entkräfteten Menschen überlebten nicht, ebenso ein Teil der kriegsverletzten Soldaten. Noch während die Klinik unter Beschuss lag, musste auf dem Heilstättengelände ein kleiner Friedhof angelegt werden.

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Die ersten Antituberkulotika

Über die ersten Jahre nach dem Kriege fehlen schriftliche Unterlagen aus der Heilstätte Holsterhausen weitgehend. Hunger und Krankheit bedrohten in diesen schlimmen Jahren weite Teile Europas, Deutschland und das Ruhrgebiet insbesondere. Vertreibung und Hunger taten ihr übriges, Schwächung der Abwehrkräfte und Anfälligkeit für Krankheiten, zuvörderst die Tuberkulose, waren die Folge. Die rasante Zunahme der Tuberkulose in der Bevölkerung bereitete auch der Heilstätte Holsterhausen große Probleme. 1950 wurde ein nahegelegenes Erholungsheim als Tuberkuloseheilstätte für männliche Jugendliche mit 78 Betten, die „Abteilung Pastoratsberg”, der Lungenheilstätte Holsterhausen angegliedert. 352 Betten in beiden Betriebsteilen, stets voll belegt, waren zu versorgen, eine gewaltige Aufgabe, der sich der neu ernannte Chefarzt und ehemalige Oberarzt der Klinik, Dr. Lorbacher, voll widmete. Im Jahre 1955 wurde mit 126 528 Pflegetagen ein in der Geschichte der Klinik nie wieder erreichter Rekord registriert, allerdings lag die Verweildauer damals bei 125 Tagen. Heute beträgt die durchschnittliche Verweildauer in der Ruhrlandklinik 8 Tage, damals wurden gut 1000 Aufnahmen registriert, heute 7000 pro Jahr.

Zwar hatte man die chirurgischen Techniken zur Behandlung der Lungentuberkulose verfeinert und ihre Komplikationsrate verringert, operative Maßnahmen kamen freilich nur wenigen Tuberkulosekranken zugute. Für das Gros der Kranken gab es keine Alternative zur „Liegekur”. Alles wartete sehnlichst auf wirksame Medikamente, die Forschungslabors der großen pharmazeutischen Firmen arbeiteten weltweit fieberhaft daran. Der Durchbruch schien gelungen, als Bayer 1946 die Zulassung des Sulfonamidderivates „TB I 698” erhielt. Auf Drängen von Gustav Domagk, dem „Vater der Sulfonamide”, wurde „Conteben”, wie das Medikament mit Firmennamen hieß, im Jahre 1959 klinisch zur Behandlung der Tuberkulose eingesetzt, auch in der Lungenheilstätte Holsterhausen. Die Ergebnisse freilich waren enttäuschend, das Medikament wurde in der Folgezeit nur noch gegen Darmtuberkulose eingesetzt.

Anfang der 50er Jahre wurde in Deutschland das von S. Waksmann entwickelte Antibiotikum Streptomycin (SM) verfügbar, kurze Zeit später auch die in Schweden entwickelte „Paraaminosalizylsäure (PAS)” und das „Isoniazid” (INH). In der Dreifachkombination INH + SM + PAS schien der „Stein des Weisen” der Tuberkulosetherapie gefunden. Die meisten Tuberkulosekranken konnten damit geheilt werden, zumindest waren sie nicht mehr ansteckend. Die Behandlung war freilich nicht ohne Nebenwirkungen und dauerte im Regelfall zwei Jahre. Viele Patienten hielten nicht durch, es kam zu Rückfällen und Therapieversagern. Trotzdem: Es war der Durchbruch der Tuberkulosebehandlung. Die Zahl der operativen Eingriffe nahm allmählich ab. Auch die Zeit der Pneumolyse ging vorüber und die Lungenresektion trat ihren Siegeszug durch die Operationssäle der ganzen Welt an; in Deutschland freilich mit einigen Jahren Verspätung.

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Die Thoraxchirurgie hält Einzug in der Ruhrlandklinik

Große Operationen wie die Lungenresektion waren erst möglich geworden durch die Weiterentwicklung der Narkoseverfahren, der präoperativen Diagnostik einschließlich der Bronchoskopie, der Bronchographie und der Lungenfunktionsprüfung sowie der postoperativen intensiven Betreuung der Patienten. Auf vielen Gebieten wurden in der Heilstätte Holsterhausen Pionierleistungen erbracht, so bei der Bronchographie posttuberkulöser Zustände oder bei der oximetrischen Überwachung der Atmung während der Narkosebronchoskopie.

 Die ersten thoraxchirurgischen Operationen an der Heilstätte Holsterhausen wurden noch von Chirurgen aus der Düsseldorfer Klinik von Professor Derra vorgenommen. Freitag und Samstag (!) kamen chirurgische Kollegen aus der damaligen „Medizinischen Akademie” Düsseldorf (jetzt Heinrich-Heine-Universität) angereist und führten gemeinsam mit den Holsterhauser Lungenärzten 3 bis 4 Lungenresektionen pro Woche durch. „Learning by doing” würde man heute sagen. Auch die dazu nötige Intubationsnarkose erlernte man während Hospitationen in anderen Kliniken. Auf 18 Lungenresektionen kam die Klinik in Heidhausen im Jahre 1953, 1954 waren es schon 49. Von diesem Zeitpunkt an wurden die Thoraxoperationen in eigener Regie durchgeführt. Die präoperative Funktionsdiagnostik wurde mit dem aufwändigen „Knipping’schen Spiroergometer”, einer raumfüllenden Apparatur, die allein für den Eichvorgang eine geschlagene Stunde Zeit benötigte, vorgenommen (Abb. [3]).

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Abb. 3 Der legendäre „Knipping” zur spirometrischen und ergospirometrischen Funktionstestung.

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Die Ära Maaßen

In diesen Jahren stieß Dr. Maaßen zur Heilstätte Holsterhausen, 1949 als Volontärarzt, 1952 als Assistenzarzt und 1955 als Oberarzt. Seine Aktivitäten waren schon sehr bald allerorten zu spüren, insbesondere in der Bronchologie und der Thoraxchirurgie. 1967 löste er Dr. Lorbacher als Chefarzt der Lungenklinik ab. Bereits 1961 hatte er die Mediastinoskopie als bioptisches Verfahren in die klinische Routine eingeführt. Er hatte die Methode kurz zuvor während eines privaten (!) Urlaubs in Schweden bei seinem späteren Freund Carlens, dem „Vater der Mediastinoskopie” im Karolinska-Krankenhaus in Stockholm kennen gelernt. In den nächsten 40 Jahren erfolgten noch Tausende derartiger Eingriffe und die Ruhrlandklinik verfügt auf diesem Gebiet heute weltweit über die größte Expertise.

In all den Jahren seiner aktiven chirurgischen Zeit war Professor Maaßen immer innovativ und Neuem gegenüber aufgeschlossen: 1968 wurde der medizinischen Öffentlichkeit eine Modifikation der Mediastinoskopie, die so genannte parasternale Mediastinoskopie zur Gewinnung von Gewebeproben aus dem vorderen Mediastinum vorgestellt. 1970 folgte die Beschreibung der „offenen Pleura- und Lungenbiopsie” zur Gewinnung von Lungen- und Pleuragewebe, ein Eingriff, der heute den Namen Maaßen trägt, und der getrost als der Beginn der minimal invasiven Thoraxchirurgie bezeichnet werden darf. Auch spezielle Verfahren zur Versorgung des Bronchusstumpfes bei Insuffizienz, die so genannte Manschettenresektion, und die Trachealchirurgie wurden von ihm in die Klinik eingeführt.

Parallel mit diesen Aktivitäten nahm die Belegung der Ruhrlandklinik, wie sie seit 1956 offiziell heißt, zu - trotz erheblicher Defizite im Personalbereich, sowohl bei den Krankenschwestern wie auch bei den Ärzten. In dem Maße, wie die Zahl der Patienten mit Tuberkulose abnahm, stieg die Zahl von Kranken mit Lungentumoren. Das war auch die Zeit, in welcher die Zusammenarbeit mit den nicht operativen Fächern am Universitätsklinikum in Essen begann, mit der Medizinischen Klinik unter Professor Arnold, mit der Tumorklinik unter Professor C. G. Schmidt, und mit der Strahlenklinik unter Professor Scherer. Diese Kooperation sollte sich in den folgenden Jahren als äußerst fruchtbar erweisen.

Schon früh erkannte Professor Maaßen, dass das große Fach der Lungenheilkunde sich seit Mitte des 20. Jahrhunderts so weit differenziert hatte, dass die Symbiose von Pneumologen und Thoraxchirurgen, der „operierende Lungenarzt” auf die Dauer nicht haltbar war. So wurde die Klinik 1976 umstrukturiert, in eine Abteilung „Thoraxchirurgie und thorakale Endoskopie” unter Leitung des langjährigen Oberarztes der Klinik, Herrn Dr. D. Greschuchna, eine Abteilung „Anästhesie” unter der Leitung der Oberärztin, Frau Dr. U. Piechowski, und eine Abteilung „Innere Medizin und Funktionsdiagnostik”. Als Leiter dieser Abteilung wurde der damalige Oberarzt der Intensivstation am „Zentrum für Innere Medizin” der Universität Ulm, Herr Privatdozent Dr. N. Konietzko, berufen. Just zu dieser Zeit war der Rohbau des neuen Klinik-Hauptgebäudes, der so genannte S-Bau, fertiggestellt werden. In einer der kreativsten und produktivsten Phase in der Geschichte der Klinik, für ihre zukünftige Entwicklung von großer Bedeutung, konnte eine Reihe von neuen Entwicklungen eingeleitet werden, darunter die interdisziplinäre Intensivstation, die Nuklearmedizin, die Angiographie, das Allergielabor und der Ausbau des kardiopulmonalen Funktionslabors.

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Abb. 4 Ämterübergabe, Professor Dr. Werner Maaßen, Professor Dr. Nikolaus Konietzko im Oktober 1985.

Der Bezug des Neubaus im Jahre 1978 setzte vielerlei Aktivitäten und Initiativen frei: Die Leistungszahlen nahmen in allen Bereichen sprunghaft zu, neue diagnostische und therapeutische Verfahren wurden eingeführt, so etwa die supraradikalen Resektionsverfahren und die Tracheateilresektion in der Thoraxchirurgie, der Einsatz des Neodym-Yag-Laser in der Bronchologie, Neuentwicklungen zur Diagnostik der Ziliarkinetik und Substitution von Alpha 1-Antitrypsin in der Pneumologie, der Einsatz von „High Frequency Jet Ventilation” in der Anästhesie.

Auch öffnete sich die Ruhrlandklinik mehr und mehr Aufgaben der Fort- und Weiterbildung und der klinischen Forschung, erstmalig in Deutschland wurden ein „Bronchologie-Kurs” durch Herrn Dr. Nakhosteen organisiert, und ein „Lungenfunktions-Kurs”, durch Herrn PD Dr. Petro ins Leben gerufen, angeboten. Mehr und mehr Gastärzte aus aller Welt besuchten die Klinik, eine viele Jahrzehnte anhaltende Kooperation mit dem Katsura-Hospital in Koyto/Japan mit zweijähriger Hospitation thoraxchirurgischen Kollegen aus Japan wurde institutionalisiert.

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Die Ruhrlandklinik entwickelt sich zum „Zentrum für Pneumologie und Thoraxchirurgie”

Die Jahre 1985/86 brachten einschneidende Veränderungen für die Klinik: Die Aufnahme der Ruhrlandklinik mit allen 271 Betten in den Krankenhausplan des Landes Nordrhein-Westfalen. Hintergrund dieser Maßnahme war eine Änderung der Krankenhausgesetzgebung: Mitte der 80er Jahre trug der Gesetzgeber der epidemiologischen Entwicklung mit Rückgang der Tuberkulose Rechnung und nahm die Zuständigkeit der Rentenversicherungsträger für die Bekämpfung der Tuberkulose, die sich über die vergangenen Jahrzehnte als durchaus wirksam erwiesen hatte, wieder zurück. Seit 1986 sind ausschließlich die Krankenkassen für die Durchführung und die Kosten der Tuberkulosebehandlung verantwortlich. Die Tuberkulose ist nach Jahrzehnten des Sonderstatus wieder eine „ganz normale Infektionskrankheit” geworden, so wie Typhus und Masern. Nur Kliniken mit Überwiegen von Patienten mit nichttuberkulösen Erkrankungen durften als Lungenkliniken weiter existieren. Nur wenige überlebten als Lungenkliniken. Die Ruhrlandklinik gehörte dazu. Sie war in den zurückliegenden drei Jahrzehnten dank der Weitsicht ihrer Chefärzte und des Trägers sukzessive umgestaltet worden. Man hatte dem Wandel im Spektrum der pneumologischen Erkrankungen Rechnung getragen und sie der aktuellen Situation angepasst. Die letzen Tuberkulosestationen wurden geschlossen und es endete das Kapitel „Lungenheilstätte Holsterhausen”. Es begann die Geschichte des „Krankenhauses Ruhrlandklinik”.

Zeitgleich waren zwei weitere Aufgaben zu lösen, die Neustrukturierung der Klinik und die Berufung der Leitungsspitze. Beides erfolgte zügig und war Anfang 1986 abgeschlossen:

Zunächst wurde in der Nachfolge von Professor Dr. Werner Maaßen in der Ärztlichen Direktion der Ruhrlandklinik Professor Dr. Nikolaus Konietzko vom Vorstand der LVA Rheinprovinz berufen (Abb. [4]). Fast zeitgleich stießen als Verwaltungsleiter Klaus Hermanns, der bereits seit 1982 als Stellvertretender Verwaltungsleiter in der Ruhrlandklinik tätig war, und aus einer norddeutschen Klinik der Pflegedienstleiter Hans-Peter Gutmann hinzu.

Die neu konstituierte Klinikleitung sah sich einer Fülle von Aufgaben gegenüber. Es gelang ihr, zügig die vielfältigen Konsequenzen aus der Umstrukturierung praktisch umzusetzen. Es folgte von Ende der 80er bis Mitte der 90er Jahre eine Reihe von Baumaßnahmen, an deren Ende eine renovierte, asbestfreie Ruhrlandklinik mit Ein- und Zweibettzimmern als Klinikstandard und einer leistungsorientierten Neuausstattung der operativen, endoskopischen und intensivmedizinischen Bereichen stand, eine gute Investition in die Zukunft (Abb. [5]).

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Abb. 5 Grafik. Entwicklung der Fallzahlen und Verweildauer in der Ruhrlandklinik in den letzten 40 Jahren.

Tab. 1 Ruhrlandklinik, Zentrum für Pneumologie- und Thoraxchirurgie, 45239 Essen
Abteilungen
Thoraxchirurgie und thorakale Endoskopie Chefarzt Privatdozent Dr. G. Stamatis
Pneumologie - Universitätsklinik Chefarzt Professor Dr. N. Konietzko
Pneumologie - Schlaf- und Beatmungsmedizin Chefarzt Professor Dr. H. Teschler
Pneumologie - Allergologie Chefarzt Professor Dr. U. Costabel
Anästhesiologie u. Intensivmedizin Chefarzt Dr. V. Weißkopf
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Der Kooperationsvertrag mit der Universität Essen und der medizinische Fortschritt

1989 wurde zwischen der LVA Rheinprovinz und der Universität Essen ein Kooperationsvertrag abgeschlossen, in dem sich die Ruhrlandklinik verpflichtete, die Pneumologie an der Universität Essen in Krankenversorgung, Lehre und Forschung zu vertreten. Zu diesem Zweck stellt die Ruhrlandklinik 30 Betten sowie die nötigen Funktionseinrichtungen zur Verfügung. Als erster Inhaber des Lehrstuhls Pneumologie wurde im Jahre 1990 Herr Professor Dr. Nikolaus Konietzko in die Leitung der „Abteilung Pneumologie-Universitätsklinik” berufen.

In der Folgezeit erwies sich die Kooperation für beide Vertragspartner als fruchtbar. Für die Universität Essen liegen die Vorteile auf der Hand: Quasi kostenneutral konnte sie das Potenzial einer renommierten Lungenklinik mit international ausgewiesenen Ärzten nutzen. Für die Ruhrlandklinik lagen die Vorteile zum einen in dem langfristig auch existenzsichernden, universitären Status einer ihrer Abteilungen, zum anderen auch in der Qualifizierung ihrer Mitarbeiter und der Möglichkeit zur Habilitation und Dissertation und - last but not least - im besseren Zugang zur klinischen Forschung und damit auch zur Drittmittelakquirierung.

In den letzten Jahren wurden in der Ruhrlandklinik dank der besonderen Qualifikation der Ärzte der Klinik, ihres forschungsfreundlichen Klimas, der begeisterungsfähigen Mitarbeiter, der Anschubfinanzierung über Drittmittel, aber auch der administrativen Unterstützung bei Planung und Durchführung einer Reihe von Projekten und Entwicklungen angestoßen und Einrichtungen etabliert, u. a.

  • Das Schlaflabor. 1983 im Eigenbau von den Kollegen Dres. A. Schlanstein und L. Freitag „zusammengebastelt”, wurde 1986 als feste Einrichtung der Ruhrlandklinik übernommen und von Herrn PD Dr. H. Teschler, unter dessen Leitung es fortan steht, zu einem der leistungsfähigsten und innovativsten seiner Art in der Welt weiterentwickelt

  • Die interventionelle Bronchoskopie, schon unter Professor Dr. W. Maaßen eine Spezialität des Hauses, wird von den Dres. L. Freitag und P. C. Bauer um eine Fülle neuer Techniken zur Behandlung lebensbedrohlicher Atemwegsstenosen erweitert. Genannt seien die Laserdesobliteration, die endobronchiale Kleinraumbestrahlung und der dynamische Trachealstent nach Freitag

  • Die operative Lungenvolumenreduktion bei fortgeschrittenem Lungenemphysem, eine neue thoraxchirurgische Technik, die 1995 von Herrn PD Dr. G. Stamatis in der Ruhrlandklinik eingeführt wurde und die Patienten mit schwerer Luftnot einen Teil ihres Atems wieder zurückgibt. In enger Zusammenarbeit aller Abteilungen des Hauses wurde dieses Verfahren perfektioniert und die Ruhrlandklinik ist heute - mit Wien und Zürich - eines der drei kontinentaleuropäischen Zentren für diese Operation

  • Die minimalinvasiven Eingriffe, welche die Chirurgie in den 80er und 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts revolutioniert haben, wurden von Herrn PD Dr. G. Stamatis auf die Erfordernisse der Thoraxchirurgie adaptiert und 1991 in die Klinik eingeführt. In kurzer Zeit sind sie zur Standardtherapie, z. B. beim Pneumothorax, geworden

  • Die Mukoviszidosestation zur Schwerpunktversorgung erwachsener CF-Patienten in Nordrhein-Westfalen wurde mit den Landesverbänden der Krankenkassen vereinbart und in enger Zusammenarbeit mit der Kinderklinik der Universität Essen aufgebaut. Im November 1997 konnte sie von Frau Christiane Herzog, der Gattin des damaligen Bundespräsidenten, eingeweiht werden. Bis heute wurden hier über 120 Patienten unter der Ägide von Frau Dr. K. Hübner und Frau Dr. K. Sroka betreut

  • Die Lungentransplantation, 1990 erstmals in Nordrhein-Westfalen in Kooperation mit der Universität Essen im Transplantationszentrum Essen erfolgreich durchgeführt, wird derzeit wieder aktiviert

  • Die Diagnostik generalisierter Erkrankungen des Lungenparenchyms - wie exogen-allergische Alveolitis, Sarkoidose oder Lungenfibrose - wird mit dem Eintritt von PD Dr. U. Costabel aus Freiburg zu einer weiteren Spezialität des Hauses. Das von ihm geführte BAL-Labor erlangt Referenzstatus für Deutschland

  • Das Zytologielabor der Klinik wurde im Herbst 2001 eröffnet. Unter Leitung von Dr. Z. Abdoh entwickelt es sich rasch zu einem unverzichtbaren Bestandteil im Klinikalltag.

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Die Ruhrlandklinik heute

Die Ruhrlandklinik versorgt heute als überregionales Lungenzentrum mit gut 300 Mitarbeitern mehr als 7000 Patienten stationär und etwa ebenso viele ambulant. Sie zählt zu den führenden Fachkliniken ihrer Art in Deutschland (Abb. [6]). Das Einzugsgebiet der Klinik geht über die Grenzen des im Krankenhausplan Nordrhein-Westfalen ausgewiesenen Versorgungsbereiches (Essen, Mülheim, Oberhausen) hinaus, gut 70 % der Patienten kommen aus der weiteren Umgebung, ein nicht unbeträchtlicher Teil aus anderen Bundesländern und dem Ausland. Für ihren Versorgungsauftrag stehen der Ruhrlandklinik laut Krankenhausplan 239 Betten zur Verfügung.

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Abb. 6 Ruhrlandklinik heute. Bau aus dem Jahre 1976, bezogen auf 1978.

Der Träger der Ruhrlandklinik ist die Landesversicherungsanstalt Rheinprovinz. Das „Krankenhaus Ruhrlandklinik” wird als rechtlich unselbständiger Regiebetrieb mit erweiterter Kompetenz und Eigenverantwortlichkeit für die Klinikleitung geführt. Entsprechend dem Krankenhausgesetz Nordrhein-Westfalen obliegt die Führung einer dreiköpfigen Klinikleitung. Diese besteht aus dem Ärztlichen Direktor, derzeit Herrn Professor Dr. Nikolaus Konietzko, dem Verwaltungsleiter, derzeit Herrn Clemens Maurer, und der Pflegedienstleitung, derzeit Frau Eva-Maria Schürmann. Der Klinikleitung in der Hierarchie nachgeordnet, aber in ihren Bereichen eigenverantwortlich tätig, folgen die Chefärzte der fünf Spezialabteilungen des Hauses (Tab. [1]). Den Abteilungen sind Stationen und Betten zugeordnet, darüber hinaus sind sie für gesonderte Funktionsbereiche und Labors der Klinik sowie ihre Spezialambulanzen verantwortlich. Die Ruhrlandklinik verdankt ihre herausragende Stellung ganz wesentlich der Kompetenz und Expertise der leitenden Ärzte und ihrer Teams in den Schwerpunkten Pneumologie, Thoraxchirurgie und Anästhesie. Nicht ohne Stolz vermerkt der Chronist, dass Ärzte der Ruhrlandklinik regelmäßig in herausgehobenen Positionen ihrer wissenschaftlichen Fachgesellschaften und in Ärztehitlisten auftauchen.

Prof. Dr. N. Konietzko

Ruhrlandklinik, Zentrum für Pneumologie und Thoraxchirurgie

Tüschener Weg 40

45239 Essen

Prof. Dr. N. Konietzko

Ruhrlandklinik, Zentrum für Pneumologie und Thoraxchirurgie

Tüschener Weg 40

45239 Essen

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Abb. 1 Klinikaltbau aus dem Jahre 1902.

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Abb. 2 Freiluftgymnastik anno 1903.

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Abb. 3 Der legendäre „Knipping” zur spirometrischen und ergospirometrischen Funktionstestung.

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Abb. 4 Ämterübergabe, Professor Dr. Werner Maaßen, Professor Dr. Nikolaus Konietzko im Oktober 1985.

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Abb. 5 Grafik. Entwicklung der Fallzahlen und Verweildauer in der Ruhrlandklinik in den letzten 40 Jahren.

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Abb. 6 Ruhrlandklinik heute. Bau aus dem Jahre 1976, bezogen auf 1978.