Psychotraumatologie 2002; 3(4): 42
DOI: 10.1055/s-2002-35024
Originalarbeit
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Psychotherapie mit traumatisierten Flüchtlingen

Gesellschaftliche Bedingungen und therapeutische Konsequenzen.Angelika Birck1
  • 1Behandlungszentrum für Folteropfer Berlin
Further Information
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Autor:

Dr. phil. Angelika Birck,Psychologin

Behandlungszentrum für Folteropfer Berlin

Spandauer Damm 130

14050 Berlin

Phone: Tel:030/ 303906-0

Email: a.birck@bzfo.de

Publication History

Publication Date:
23 November 2002 (online)

 
Table of Contents #

Zusammenfassung

Etwa ein Drittel aller Flüchtlinge in Europa hat in ihren Heimatländern politische Verfolgung und Folter erlebt, viele leiden an posttraumatischen und anderen psychischen Störungen. Die soziale Situation von Flüchtlingen in Deutschland ist gekennzeichnet durch andauernde Belastungen (Asylanhörungen, unverständliche Rechtsverfahren und -entscheidungen, Rassismus etc.) und einschneidende Beschränkungen (Residenzpflicht, lagerähnliche Unterbringung, erzwungene Untätigkeit, eingeschränkter Zugang zur medizinischen Versorgung etc.). Die in der Exilsituation erlebte Angst und Ohnmacht ist ein zusätzlicher traumatischer Faktor für Opfer von Kriegen und Verfolgung und vertieft häufig psychische Erkrankungen. Im Berliner Behandlungszentrum für Folteropfer handeln Ärzte und Psychotherapeuten in diesem sozialen Kontext, der zusätzlich zur Behandlung weitere Aktivitäten für Patienten erforderlich macht. Sozialarbeit und rechtliche Unterstützung sind die entscheidenden Voraussetzungen, um Psychotherapie überhaupt erst zu ermöglichen. Behandler schreiben Stellungnahmen für aufenthaltsrechtliche Verfahren und beziehen sich darin auf die klinischen Folgen von erlittener Verfolgung und Folter. Der Therapeut muss in der therapeutische Beziehung engagiert sein, eine wertneutrale Haltung gegenüber Folterüberlebenden ist therapeutisch kontraindiziert. Menschenrechtliche, politische und öffentliche Arbeit sind notwenige Voraussetzungen und die logischen Konsequenzen der therapeutischen Tätigkeit mit traumatisierten Flüchtlingen.

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Psychotherapy with traumatized refugees
Social situation and therapeutic consequences

About one third of all refugees in Europe have been subjected to political persecution and torture in their home countries; hence posttraumatic and other psychic disorders are common. In Germany, the social and legal situation of refugees is characterised by repeated stress (asylum hearings, incomprehensible legal proceedings and decisions, disbelief of state officials, racism etc.) and severe restrictions (allocation to an area of residence, refugee camps, forced unemployment, reduced medical assistance etc.). The helplessness stemming from this situation is a further traumatising factor for victims of war and persecution. Physicians and psychotherapists in the Berlin Centre for the Treatment of Torture Victims (BZFO) have to act within this social context of the patients, e.g. they write psychological and medical statements about the clinical consequences of persecution, torture and war to support patients during the asylum process. Social work and legal support is essential to make psychotherapy possible. Within the therapeutic relationship, the therapist has to be engaged and committed, a neutral attitude towards victims of torture is countertherapeutic. Outside the therapeutic context, therapists are engaged in political lobbying and public action, these activities are crucial conditions and necessary consequences of the individual therapeutic work.

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Hintergrund: Krieg und Folter

Nach Schätzungen von Jacobsen und Vesti (1990) haben zwischen 10% und 30% aller Flüchtlinge, die in europäischen Ländern ankommen, Folter erlitten [1]. Als Folter bezeichnen die Vereinten Nationen jede Handlung, bei der eine in amtlicher (staatlicher) Eigenschaft handelnde Person einer anderen Person vorsätzlich große körperliche oder seelische Schmerzen zufügt - ausgenommen davon sind Schmerzen, die sich aus zulässigen Sanktionen ergeben (z.B. Strafrecht) [2]. Folter ist ein immer wiederkehrender Bestandteil von politischer Verfolgung und Terror. Obwohl verschiedene internationale Konventionen Folter verbieten, liegen „amnesty international” doch alljährlich aus mehr als der Hälfte der Staaten der Erde Berichte von stattfindenden Folterungen vor [3].

Folter führt direkt zu schweren körperlichen Schäden und erhöht langfristig das Risiko für psychische Störungen insgesamt, besonders häufig sind Posttraumatische Belastungsstörungen, andere Angsterkrankungen, Depressionen, somatoforme und dissoziative Störungen und andere. Verschiedene Studien haben die Häufigkeit der Posttraumatischen Belastungsstörung in Flüchtlingsstichproben untersucht, die Angaben reichen dabei von etwa 10-50% [4] [5] [6] [7]. Bei Flüchtlingen besteht also ein sehr hoher Bedarf für psychosoziale, therapeutische und medizinische Hilfe. Dem gegenüber steht die gesetzliche Regelung, die den Anspruch, den Flüchtlinge in Deutschland auf Krankenhilfe haben, stark einschränkt (§4 AsylbLG): Nur bei akuten Erkrankungen und akutem Schmerz wird Behandlung gewährt. Ein Anspruch auf Psychotherapie lässt sich faktisch nicht umsetzen. Damit bleiben schwere und chronische Erkrankungen regelmäßig unbehandelt.

Im Behandlungszentrum für Folteropfer Berlin behandeln wir Menschen, die Opfer von Kriegen, Folter und politischer Verfolgung geworden sind und an körperlichen und psychoreaktiven Folgen der erlittenen Gewalt leiden [8]. Etwa 90% unserer Patienten leben über Jahre hinweg in einer unsicheren Aufenthaltssituation mit Phasen akuter Abschiebebedrohung. Um zu verstehen, was es bedeutet, Menschen psychotherapeutisch zu behandeln, die erkrankt sind, weil sie massive Gewalt von anderen Menschen im Rahmen von politischer Verfolgung erlitten haben, reicht es m. E. nicht aus, das diagnostische Konzept der PTBS zu kennen. Darüber hinaus ist ein Verständnis für den gesellschaftspolitischen Kontext, in dem die Gewalt möglich wurde und in dem sie häufig nicht oder nur ungenügend sanktioniert wird, notwendig. Der gesellschaftspolitische Kontext von Folter beinhaltet nicht nur die Diktatur des Staates, der foltert. Zum Kontext gehören auch jene Staaten, die dies unterstützen, dulden oder folterüberlebende Flüchtlinge nicht aufnehmen. Bei Folterüberlebenden sind die individuellen sozialen und gesundheitlichen Folgen, die wir beobachten, nicht zufällig als Folge der Gewalt entstanden, sie sind vielmehr von den Folterern und den Diktaturen im Hintergrund beabsichtigt.

Das Ziel der Folterer ist es, ihr Opfer in eine Situation extremer Ohnmacht und maximalem Schmerz zu bringen und dabei minimale und nur unspezifische Spuren zu hinterlassen.

Das Erhalten einer Aussage ist bloß vordergründiges Ziel der Folterungen. Gefoltert wird auch, nachdem die Informationen längst bekannt geworden sind. Geständnisse unter Folter sind mehr als die Preisgabe von Informationen und der Verrat von Menschen: Zu gestehen beinhaltet, den Folterer als Herrscher anzuerkennen. Im Geständnis bricht der letzte Widerstand. Unter der Folter nicht zu sprechen ist die letzte Möglichkeit, um die eigenen Grenzen und die eigene Identität zu wahren. Die Folterer versuchen gezielt, diesen Widerstand zu brechen, um damit das Erleben von Identität zu zerstören. Deshalb geht die totale Demütigung und Zerstörung der Person auch dann weiter, wenn die angeblich gesuchten Informationen von ihr längst gegeben wurden. Folter ist ein Angriff auf die grundlegenden menschlichen körperlichen, psychischen und sozialen Funktionen. Die Zufügung von Schmerz hat den Zweck, letztendlich die Persönlichkeit des Opfers zu zerstören. Folter soll das Empfinden ihres Opfers, Teil einer menschlichen Gemeinschaft zu sein, Pläne und Hoffnungen für die Zukunft zu haben, vernichten. Folter zerstört aber nicht nur ihr unmittelbares Opfer, weil die Destruktion der Persönlichkeit des Opfers auch jene betrifft, die mit ihm zusammen leben. Durch den Verrat, der unter der Folter stattfindet, durch das Zufügen von tabuisierten Verletzungen (z.B. Vergewaltigung), durch die nachhaltigen Folgen im psychosozialen Bereich, z.B. das oft generalisierte Misstrauen der Opfer, werden die Beziehungen des Folterüberlebenden zu seiner Familie, seinen Freunden und Kollegen nachhaltig gestört. Dadurch wird sein gesamtes soziales Umfeld in Mitleidenschaft gezogen. So kann Folter den Zusammenhalt von Familien und ganzen Gemeinden beschädigen. Außerdem ist der Folterüberlebende durch die Folgen der Folter gezeichnet und wird damit zum warnenden Beispiel für seine Umgebung. Um weiterer Folter zu entgehen, müssen die Überlebenden oft flüchten und in den Zufluchtsstaaten unter ablehnenden Bedingungen leben. Die gezielte Vertreibung, das Leben unter den Einschränkungen, die der Flüchtlingsstatus bedeutet, setzt die Gewalt der Folterstaaten fort.

Folter und Verfolgung geschehen geschlechtsspezifisch [9]. Frauen werden nicht nur gefoltert, weil sie selber politisch aktiv sind oder einer bestimmten Gruppe angehören, sie werden auch deshalb verfolgt, weil sie Angehörige von Verfolgten sind, oder einfach weil sie Frauen sind und damit bestimmten Normen, die nur für Frauen gelten, unterworfen sind. Wenn Frauen diese Regeln übertreten (z.B. Berufsverbote, Kleiderordnung, rigide Sexualnormen) wird das häufig als Ausdruck ihrer prinzipiellen Gegnerschaft zum Regime interpretiert und hart bestraft. Außerdem ist die Folter von Frauen regelmäßig mit sexualisierter Gewalt verbunden, das Bekanntwerden bedeutet in manchen Gesellschaften den Ausschluss aus dem sozialen Verband bis hin zum Verlust der Existenzgrundlage.

Das Ziel der Folterer ist die Durchsetzung der Herrschaft, die Terrorisierung der Gesellschaft. Das einzelne Opfer ist das warnende Beispiel für alle anderen, die dadurch eingeschüchtert und zum Schweigen gezwungen werden sollen. Diese Absicht der Folterer und die damit verbundenen sozialen und gesundheitlichen Folgen, aber auch die Einschränkung der Rechte von Flüchtlingen im europäischen Zufluchtsland erfordert eine spezielle therapeutische Grundhaltung, um Folterüberlebenden zu begegnen.

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Leben als Flüchtling in Deutschland

Für die Menschen, die zu uns ins Zentrum kommen, ist die traumatische Erfahrung nicht Vergangenheit, sondern dauert weiterhin an - das Asylverfahren ist mit gravierenden Einschränkungen im Lebensalltag verbunden [10].

  • Asylverfahren: Das Verfahren dauert meist jahrelang, die Rechtslage ist kompliziert und für die Betroffenen nicht verständlich, was Ohnmachtsgefühle begünstigt. Die Voraussetzung therapeutischer Arbeit ist der Aufbau von Sicherheit in aktuellen Lebensbezügen, erst mit hinreichender existentieller Sicherheit können traumatische Situationen therapeutisch bearbeitet werden. Während des Asylverfahrens gelten eingeschränkte Rechte (Arbeitsverbote, eingeschränkter Zugang zur Gesundheitsversorgung, weiteres s.u.)

  • Heimunterbringung: Flüchtlinge werden in Deutschland meist in lagerähnlichen Heimen untergebracht, dort herrscht fast immer Platzmangel (einem Erwachsenen werden 6m2 zugestanden, ganze Familien oder auch Fremde werden in einem Raum untergebracht). Der durch die Überbelegung entstehende Lärm stellt eine hohe Belastung dar insbesondere für Menschen, die aufgrund vergangener Stresssituationen und/oder traumatischer Ereignisse nur sehr gering belastbar sind. Es gibt kaum Privatsphäre, oft fehlen sogar abschließbare Schränke oder Toiletten mit Schlössern. Letzteres ist besonders für Frauen, die in der Heimat sexualisierte Gewalt erlitten haben, unzumutbar. Frauen, besonders alleinreisende, sind in den Heimen in der Minderzahl und werden oft erneut Opfer von sexualisierten Übergriffen. Die Heimsituation erinnert traumatisierte Menschen häufig an die Lager der Heimat und damit an schreckliche Ereignisse. Durch die Reizüberflutung werden Schlafstörungen, Alpträume, Kopfschmerzen, Wutausbrüche und andere Beschwerden, an denen viele Flüchtlinge aufgrund vergangener Erlebnisse leiden, noch verstärkt. In vielen Heimen ist eine eigene Versorgung der Familie (z.B. selbständiges Kochen von landesüblichen Speisen, selbständige Versorgung mit Kleidung) nicht möglich. Die erzwungene Passivität (nicht arbeiten dürfen, sich nicht selbst versorgen können) wird in der Regel als entwürdigend und entmündigend erlebt.

  • Residenzpflicht: Flüchtlinge werden in Deutschland nach Ankunft einem bestimmten Landkreis zugewiesen (Erwachsene werden häufig von Verwandten getrennt), diesen Kreis können sie ohne besondere Erlaubnis nicht legal verlassen. Dadurch ist die Möglichkeit, Verwandte oder Freunde zu besuchen oder bei diesen zu wohnen, stark eingeschränkt. Dies hält Menschen, die bereits auf der Flucht Angehörige zurücklassen mussten, von jeder Art sozialer Unterstützung fern.

Die genannten Einschränkungen werden häufig als Fortsetzung der Verfolgung erlebt, Patienten berichten mehrfach, Deutschland wäre wie ein einziges großes Gefängnis. Weitere Belastungen im Exil verschärfen die Folgen der Traumatisierungen im Herkunftsland. Die soziale Situation im Exil ist entscheidend für die Entstehung, Aufrechterhaltung und Verschlimmerung von gesundheitlichen Schäden bei traumatisierten Flüchtlingen.

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Adäquates Traumakonzept für die Arbeit mit Folterüberlebenden

Das gängige Verständnis von Trauma, wie es im ICD-10 oder im DSM-IV beschrieben wird, beruht auf der Ansicht, dass es sich bei einem traumatischen Ereignis um eine punktuelle Erfahrung handle, zu einem bestimmten Zeitpunkt oder auch zu mehreren, aber immer zeitlich begrenzt mit einem Anfang und einem Ende. Es wird davon ausgegangen, dass das traumatische Ereignis selbst ein Ende habe und sich danach bei manchen Menschen so genannte post-traumatische Symptome und Erkrankungen entwickeln können, wenn das Trauma an sich schon „vorbei” sei. Dieses Konzept von Trauma ist für jene Menschen nicht sinnvoll, die chronische Traumatisierungen erlitten haben, z.B. lange andauernde Verfolgung, wiederholte Haft, Folter und Flucht und die nun unter den Belastungen des Flüchtlingsalltags in Europa leben. Hilfreicher ist für uns ein Prozessverständnis der Traumatisierung, wie dies etwa bei Fischer und Riedesser (1998) oder bei Keilson (1979) beschrieben ist [11] [12].

Fischer und Riedesser (1998, S. 59-119) [11] beschreiben die psychische Traumatisierung als einen Prozess, in dem die Reaktion eines Menschen auf eine traumatische Situation als Versuch verstanden wird, mit der traumatischen Erfahrung irgendwie zurecht zu kommen (sog. Prozess traumatischer Kompensation). Die einschneidende Bedeutung des traumatischen Erlebnisses hält auch dann an, wenn das Ereignis selbst vorbei ist. Wenn nach dem Ereignis keine Phase der Erholung folgen kann (bei andauernder Bedrohung oder wiederholter Gewalt, also regelmäßig im politischen Verfolgungskontext oder bei intrafamiliärer Gewalt) komme es zu einem andauernden traumatischen Prozess. Darunter sind die Bemühungen des Traumatisierten zu verstehen, eine andauernde existenzbedrohende und unverständliche Erfahrung zu begreifen und sie in das eigene Selbst- und Weltverständnis zu integrieren. Der Betroffene entwickelt dazu eine subjektive Theorie darüber, wodurch das Trauma entstanden ist, wie es geheilt werden kann und was geschehen muss, um eine erneute Traumatisierung zu vermeiden. Das Wesentliche dieses Prozess-Modells von Fischer und Riedesser bildet das Verständnis, dass der Einfluss der traumatischen Situation nicht automatisch endet, wenn die Situation vorüber ist, sondern weiterhin andauert.

Fischer und Riedesser betonen die soziale Dimension der Verarbeitungsversuche: Ein traumatisches Erlebnis kann ein Mensch nicht alleine bewältigen. Für die Entwicklung und Aufrechterhaltung des traumatischen Prozesses ist es entscheidend, wie sich die Mitmenschen zum traumatischen Leiden verhalten. Insbesondere bei bewusst herbei geführten Traumatisierungen durch Menschenhand (Folter, Gewaltverbrechen) ist es wichtig, dass die soziale Umwelt das erlittene Unrecht anerkennt und dass das Opfer von der Gesellschaft Gerechtigkeit und Würdigung erfährt (a.a.O., S. 60f). Bagatellisierung und Verleugnung der Bedeutung und Schwere der erlittenen traumatischen Ereignisse durch die soziale Umwelt können beim traumatisierten Menschen zu einer Vertiefung der psychischen Störungen führen [13]. Der traumatische Prozess ist daher nie nur ein individueller, sondern stets auch ein sozialer Vorgang.

Ähnliche Ergebnisse über die Bedeutung der sozialen Umwelt berichtete schon Keilson [12]. Er studierte die Auswirkungen der Verfolgung auf jüdische Waisenkinder, die nach der Flucht aus Deutschland in Holland lebten, und fand heraus, dass die Art und Weise, wie diese Kinder in den Niederlanden aufgenommen wurden, einen noch größeren Einfluss auf ihren Gesundheitszustand hatte als die traumatischen Ereignisse, die sie während der Verfolgung in Deutschland erlebt hatten. Nach Keilson ist die Phase nach der politischen Verfolgung und erzwungenen Migration, die so genannte dritte Phase der sequentiellen Traumatisierung, entscheidend für den individuellen traumatischen Prozess, für die Entstehung und die Schwere von klinischen Symptomen. Wenn ein Mensch, der traumatische Ereignisse überlebt hat, weiteren Belastungen oder der öffentlichen Leugnung der traumatischen Ereignisse ausgesetzt ist, verschlechtert sich häufig der Gesundheitszustand des Betroffenen, posttraumatische und andere Störungen entstehen oder verstärken sich. Andererseits können eine frühzeitige soziale Unterstützung und rechtzeitige Hilfsangebote die späteren somatischen und psychosozialen Folgen traumatischer Ereignisse günstig beeinflussen. Das alles bedeutet, dass die Exilsituation für traumatisierte Flüchtlinge eine Phase im traumatischen Prozess darstellt und entscheidend ist für die Entwicklung, Aufrechterhaltung oder aber für die Prävention von schweren gesundheitlichen Folgen. Für Opfer von Krieg und politischer Verfolgung bedeutet die Hilflosigkeit und die Belastung, die durch die Asylsituation bedingt ist, einen zusätzlichen traumatischen Faktor.

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Psychotherapie und notwendige Zusatzaktivitäten

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Engagierte Abstinenz

Wenn wir als Psychotherapeuten mit Menschen arbeiten, welche massives Unrecht und extreme Gewalt von Menschen erlebt haben, die Repräsentanten einer Gesellschaft sind (z.B. Polizisten), müssen wir aus einer fachlichen Notwendigkeit heraus die therapeutische Beziehung oft anders gestalten, als die meisten von uns dies in ihren Ausbildungen gelernt haben. Wesentlich für die therapeutische Beziehung ist, dass Psychotherapeuten, die Opfer von Menschenrechtsverletzungen behandeln, nicht neutral in dem Sinne sein dürfen, als dass sie von den politischen und gesellschaftlichen Realitäten absehen und damit so tun, als gäbe es keine Verantwortlichen für das persönliche Leiden und das erlittene Unrecht.

Fischer und Riedesser [11] (S. 1983ff) beschreiben den Versuch, angesichts massiven Unrechts und traumatischer Gewalt neutral bleiben zu wollen, als weit verbreitete Abwehrstrategie, obwohl diese Haltung oft als „Wissenschaftlichkeit” oder „Professionalität” ausgegeben werde. Damit erspare man sich die Mühe, zwischen dem Angreifer und dem Opfer zu unterscheiden. Der „neutrale” Beobachter ist jeder Verantwortung enthoben, indem er sich vom Konflikt und vom Unrecht fernhält. Position zu beziehen ist unbequem und mit Konsequenzen verbunden, eigenes Handeln wird notwendig. Wer als Therapeut meint, im Angesicht real erlittener Gewalt wertneutral bleiben zu können und nicht eindeutig Position für das Opfer nehmen zu müssen (mit den dazu gehörenden öffentlichen und politischen Konsequenzen), stellt sich in den Augen des Opfers auf die Seite der Täter. Wertneutralität ist hier nach Becker [14] (1995, S. 114f) eine Form der Identifikation mit dem Folterer. Psychodynamisch betrachtet verdecke die Neutralität auf dem Wege der Rationalisierung die unbewusste Identifizierung mit und Parteinahme für den Täter. Neutralität lasse sich außerdem nur bei übermäßig großer Distanz von der Erlebnis- und Handlungsperspektive der beteiligten Personen aufrechterhalten [15].

Neutralität wird oft fälschlicherweise mit therapeutischer Abstinenz gleichgesetzt: Abstinenz bedeutet in der ursprünglichen Bedeutung des Wortes (abstinere) sich-enthalten, aber wovon sollen sich Therapeuten enthalten? Von Interventionen, die eigenen Bedürfnissen, Eigen- oder Gegenübertragungsreaktionen entspringen. Eine solche Abstinenz ist natürlich sinnvoll und auch mit einer grundsätzlich solidarischen Haltung dem Klienten gegenüber vereinbar. Für Fischer [15] (S. 116) ist eine „nicht-neutrale Abstinenzhaltung” gegenüber dem Klienten notwendig, wenn dieser Opfer von Menschenrechtsverletzungen geworden ist. Abstinenz bedeutet hier, nicht eigene Bedürfnisse, Eigen- oder Gegenübertragungsreaktionen in der Therapie auszuagieren (also z.B. nicht aus eigener Wut heraus vorzeitig die Klientin zu juristischen Schritten zu drängen). Mit dieser Abstinenzhaltung ist aber vereinbar, dass der Therapeut die Tat beurteilt, zum Unrecht, das dem Patienten widerfuhr, Stellung bezieht und das Handeln der Täter eindeutig verurteilt. Dazu gehört auch, dass die alleinige Verantwortung und Schuld für eine konkrete Menschenrechtsverletzung beim Täter liegt. Folter ist aus humanistischen Überlegungen heraus generell abzulehnen, sie darf nicht aus angeblich guten Gründen (z.B. „Terrorismusbekämpfung”) akzeptiert werden. Eine wertneutrale Haltung gegenüber Menschenrechtsverletzungen wirkt für die Opfer häufig retraumatisierend, da sie allzu häufig an die soziale Umgebung erinnert, die sich mit den Mächtigen solidarisiert, die die Taten anzweifelt oder darüber schweigt (vor allem bei tabuisierten Gewaltverbrechen, sexualisierte Gewalt gegen Frauen, Angriffe auf die Zivilbevölkerung, auf Kinder etc.). Sich klar zum erlittenen Unrecht zu positionieren leitet sich schon aus der Empathie für den Klienten ab.

Die therapeutische Beziehung sollte also zwar abstinent, aber nicht neutral, sondern vielmehr sozial engagiert („committed”) sein. Das beinhaltet, dass der Therapeut mit dem Patienten eine bestimmte Position gegenüber politischen Vorgängen teilen muss und versuchen sollte, diese Vorgänge zu verändern (Becker 1995, S. 114f) [14]. Neutralität impliziert eine Form der Abstraktion von der Realität, dies ist bei Menschen, die Opfer von extremen Formen von realer Gewalt wurden, absurd und führt nicht zu produktivem therapeutischem Handeln. Die Psychopathologie des Patienten ist unmittelbare Konsequenz der erlittenen Verfolgung, mehr oder minder neurotische Strukturen vor der Verfolgung spielen eine untergeordnete Rolle. Das bedeutet, dass die Erkrankung direkt mit der Realität einer Diktatur und mit der durch sie beabsichtigten Zerstörung der Opfer verknüpft ist. Nur dann, wenn die Therapeuten mit ihren Patienten eine Haltung der Opposition gegenüber der Diktatur teilen, ist Behandlung möglich! Dies ist eine politische und sehr persönliche Grundsatzentscheidung des Therapeuten, der sich wie seine Patienten für demokratische Freiheiten und für Menschenrechte engagiert (a.a.O.). Der Therapeut steht damit auf derselben Seite wie der Patient: auf der der Verfolgten.

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Soziales und politisches Engagement

Therapeuten von Folterüberlebenden sind nur dann effektiv, wenn sie sich von dem Ziel der Folterer, Herrschaft durchzusetzen, abgrenzen. Das hat Konsequenzen für die Therapiestunde, aber auch für sonstigen Aktivitäten. Wenn unsere Patienten aufgrund ihrer sozialen Benachteiligung nicht in der Lage sind, dringende Lebensangelegenheiten selbst zu regeln, kann es für Psychotherapeuten notwendig werden, sich mit praktischen Fragen des Lebens der Klienten befassen und praktische Hilfe zu leisten oder zu ermöglichen. Dies ist dann notwendig, wenn der Klient es nicht alleine nicht schaffen kann - das bedeutet manchmal auch, in der Eingangsphase der Psychotherapie sozialarbeiterisch tätig zu sein und sich um Aufenthalts- und Wohnungsprobleme, Schulden und Sozialhilfeprobleme zu kümmern bzw. an entsprechende Beratungsangebote vermitteln, diese selbst heraussuchen oder Termine vereinbaren, wenn der Klient das nicht kann [16] (Breitenbach & Requardt 2001, S. 21) oder wenn kein Sozialarbeiter diese Aufgaben übernehmen kann. Oft müssen Anwälte zu Rate gezogen werden.

Damit wir im Behandlungszentrum für Folteropfer in Berlin unsere Patienten überhaupt behandeln können, sind sozialarbeiterische Maßnahmen entscheidend. Am Anfang der Therapie müssen meist aufenthaltssichernde Tätigkeiten erfolgen. Wir schreiben klinische Stellungnahmen, in denen wir uns auf die erlittene politische Verfolgung, Folter und die daraus resultierenden Gesundheitsschäden beziehen. Wir interessieren uns für den Stand des Asylverfahrens und vermitteln zu Rechtsanwälten. Wir kümmern uns darum, dass die Menschen überhaupt auf legalem Wege aus anderen Bundesländern zu uns kommen können (Residenzpflicht), dass das Sozialamt ihnen die U-Bahn-Karten bezahlt. Wir bemühen uns um eine einigermaßen erträgliche Wohnsituation. Ohne diese praktischen Tätigkeiten wäre eine Psychotherapie im engeren Sinne gar nicht möglich und auch nicht sinnvoll.

Es gibt jede Menge Diskussionen unter Psychotherapeuten darüber, ob solch praktische Hilfe nicht zu weit gehe, ob es nicht eigentlich die Aufgabe der Therapeuten wäre, die Klienten dazu zu befähigen, dass sie selbst die Situationen bewältigen können. Dies trifft zu für Klienten, die in der Lage sind, ihren Alltag zu regeln bzw. die über ein ausreichendes soziales Netz und über Zugang zu Hilfsangeboten verfügen, die noch Bürgerrechte besitzen. Es gilt nicht für Menschen, die gesellschaftlich so stark benachteiligt sind, dass sie kaum eine Chance darauf haben, respektiert und ernst genommen zu werden (z.B. Flüchtlinge, Obdachlose). Hier kann es notwendig sein, dass der Psychotherapeut sich zunächst stark praktisch engagiert und direktiv vorgeht und dann allmählich seine Aktivität reduziert, wenn zu einem späteren Zeitpunkt eine Form von Psychotherapie möglich wird, die auf direkte Interventionen im Umfeld des Klienten verzichten kann. Breitenbach und Requardt [16] (2001, S. 90), 2 systemische Psychotherapeuten, sagen dazu: „Es scheint, als habe das Beschreiben des Helferkomplexes inzwischen dazu geführt, dass sich viele Helfer vor Kollegen oder Supervisoren entschuldigen, wenn sie sich für hilflose Klienten einsetzen, da Engagement vielfach schon als mangelnde Professionalität angesehen wird.”

In der Vergangenheit war die vorhandene oder fehlende Anerkennung von Traumatisierungen und ihren Folgeerkrankungen sowie die Anerkennung der spezifischen Probleme und Bedürfnisse von Traumaüberlebenden immer vom politischen Kontext beeinflusst, dies ist auch in den heutigen Diskussionen zu Krankheiten bei Flüchtlingen der Fall [17] [18] [19]. Therapeuten von Folterüberlebenden bewegen sich stets im politischen Raum, ob sie das nun beabsichtigen oder nicht. Folterüberlebende werden sich nur dann von ihren Therapeuten angenommen und verstanden fühlen, wenn sich das Engagement der Therapeuten gegen die Folter nicht nur auf die Therapiestunde beschränkt, sondern eingebettet ist in ein aktives Engagement für Demokratie und Menschenrechte. Menschen, die gesellschaftlich diskriminiert und benachteiligt werden, die z.B. durch Ausländergesetze entrechtet und von Unterstützungsmöglichkeiten ferngehalten werden, benötigen unser ganz besonderes Engagement. Bei diesen Menschen müssen wir als Psychotherapeuten mehr praktische Hilfe leisten als z.B. bei Menschen, die als Mittelschicht-EU-Bürger über allgemeine Bürgerrechte verfügen.

Wenn Psychotherapeuten sich außerhalb der Therapiestunde und losgelöst von einem konkreten Schicksal menschenrechtlich und politisch engagieren, kann das helfen, beim einzelnen Patienten innerhalb der Therapiestunde die therapeutischen Grenzen besser zu wahren. Die Versuchung, über den einzelnen Patienten politische Ziele zu erreichen, wird verringert, wenn Therapeuten in einem anderen Forum engagiert sind, und darüber versuchen können, gesellschaftliche Verhältnisse zu beeinflussen. Die therapeutische Beziehung wird dadurch entlastet.

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Öffentliche Rehabilitation

Öffentlichkeitsarbeit ist für uns eine weitere notwendige Ergänzung der therapeutischen Arbeit. Sie sichert Spendengelder und damit notwendige weitere Einnahmen, sie führt aber auch zu einer gewissen öffentlichen Bekanntheit der Einrichtung und stellt dadurch bei ausländerpolitischen Auseinandersetzungen und bei menschenverachtenden Maßnahmen, z.B. erzwungenen Abschiebungen von schwer kranken Menschen, einen wichtigen Schutz für die Patienten dar. Für die Patienten ist das Wissen, dass sich Therapeuten auch außerhalb des Therapieraumes öffentlich für Menschenrechte engagieren, oft eine wichtige Voraussetzung dafür, dass sie zu uns kommen und sich auf eine vertrauensvolle Beziehung einlassen können.

Öffentlichkeitsarbeit ist auch deshalb wichtig, weil die Behandlung der Folgen politischer Gewalt und Folter die soziale Rehabilitation ihrer Opfer mit einschließen muss. Verfolgt und gefoltert zu werden ist nicht nur ein persönliches unglückliches Schicksal, sondern eine gesellschaftliche und politische Realität, Folter ist nur in einem bestimmten politischen Kontext möglich. Deshalb hat die Behandlung von Folterüberlebenden stets auch eine gesellschaftspolitische und soziale Dimension. Folterüberlebende und Überlebende von mitmenschlicher Gewalt leiden nicht an innerpsychischen Realitäten, sondern an der Unterdrückung durch andere Menschen, diese ist oft genug real und nicht nur eine innerpsychische Phantasie. Das Ziel der Behandlung sollte es daher sein, die Grenzen von persönlichem Selbst und externaler Realität zu rekonstruieren und die erlittenen Verletzungen und Verluste zu betrauern. Die Rehabilitation kann aber nicht nur innerhalb einer privaten psychotherapeutischen Beziehung stattfinden (Becker 1995, S. 99) [14]. Wer politische Verfolgung und Folter erlitten hat, fühlt sich in der Welt und in der menschlichen Gemeinschaft nicht mehr sicher, oft fühlen sich die Opfer von sich selbst und von anderen Menschen entfremdet, sie fühlen sich des Mensch-Seins beraubt [20]. Deshalb ist für die Rehabilitation der soziale Kontext entscheidend, in dem die Opfer wieder ein Gefühl von Verbundenheit zu anderen Menschen entwickeln und trotz dem, was sie erlitten haben, weiterleben können (in dem Zusammenhang sind auch internationale Strafgerichtshöfe wichtig). Rehabilitation der Folgen von Menschenrechtsverletzungen ist nur dann möglich, wenn eine soziale Gemeinschaft das extreme Unrecht, das dem Opfer zugefügt wurde, anerkennt. Diese Anerkennung muss irgendeine Form der Entschädigung, aber zumindest einen nicht beschränkten Zugang zu juristischer, psychosozialer und medizinischer Hilfe mit einschließen. Wenn eine solche gesellschaftliche Anerkennung des erlittenen Unrechts fehlt, wenn z.B. Folterüberlebende, wie in den meisten Ländern Europas, im Gegenteil mit diskriminierenden Bedingungen und rechtlichen Beschränkungen des Flüchtlingsalltags konfrontiert sind, wenn der Zugang zur Gesundheitsversorgung durch mangelnde Angebote, durch Fehlen der Übernahme von Dolmetscherkosten etc. beschränkt ist, werden sie weiter von anderen Menschen und der menschlichen Gemeinschaft insgesamt entfremdet, das kann klinische Symptome verstärken.

Was bedeutet das für die Therapiestunde? Soziale Rehabilitation innerhalb der Therapie kann heißen, das private Leiden zu verändern, indem das Bewusstsein des Klienten für die sozialen und politischen Dimensionen des Leidens erweitert wird. Der Gedanke des Unrechts (im Unterschied zum Unglück) ist dabei zentral. Das Unrecht muss aber auch öffentlich bekannt gemacht werden, was Aktivitäten außerhalb der Therapiestunde notwendig macht. Ärzte und Psychotherapeuten haben sich dazu verpflichtet, heilend tätig zu sein. Daher ist es auch unserem Interesse, krankmachende Faktoren zu benennen und uns für ihre Veränderung einzusetzen. Die öffentliche und politische Arbeit ist daher eine notwendige Voraussetzung und auch die logische Fortsetzung der psychotherapeutischen Tätigkeit mit Opfern von Menschenrechtsverletzungen.

Wenn wir als Therapeuten mit den individuellen und klinischen Folgen der erlittenen Traumatisierungen durch Menschenhand konfrontiert sind, wenn wir erkennen, dass Folterüberlebende nicht die notwendige Hilfe erhalten, sondern weiter diskriminiert werden, berührt das unser Demokratie- und Menschenrechtsverständnis und betrifft uns unmittelbar, indem wir teilhaben an Gesellschaften, die Folter praktizieren, ermöglichen (z.B. durch legale Produktion und Verkauf von speziellen Elektrofolter-Geräten auch durch deutsche Firmen) oder dulden [21]. Als Helfer von Folterüberlebenden sind wir in Opposition zu Diktaturen, das beinhaltet auch die Opposition zu manchen gesellschaftspolitischen Strömungen im eigenen Land. Politisches Engagement und Öffentlichkeitsarbeit ergeben sich daher nicht zusätzlich zur therapeutischen Arbeit, sondern sie sind die notwendige Konsequenz aus dem Wahrnehmen und Verstehen von politischer Gewalt. Unrecht wahrzunehmen, fordert aktives Handeln. Eine Haltung der Neutralität oder des Sich-Heraushaltens unterstützt die Täter und fördert eine Atmosphäre des Schweigens und Nicht-Beachtens, die von Tätern beabsichtigt ist.

Die wachsenden Probleme von Flüchtlingen in Europa sind auch darin begründet, dass die europäischen Staaten versuchen, Menschen davon abzuhalten, nach Europa zu flüchten oder in Europa zu bleiben (durch langwierige und demütigende Asylverfahren, minimale soziale Rechte und eingeschränkte gesundheitliche Versorgung, äußerst mangelhafte oder fehlende Unterbringung, Arbeits- und Studierverbot, Schengener Abkommen etc.). Im Asylverfahren wird die Tatsache, dass bis zu einem Drittel aller Flüchtlinge politische Verfolgung und Folter erlitten haben und als Folge davon an schweren psychischen Störungen leiden, nicht berücksichtigt [17]. Aufgrund der psychischen Erkrankungen, die häufig Konzentrationsstörungen, Vermeidung des Sprechens über die traumatischen Ereignisse, sogar dissoziative Gedächtnisverluste beinhalten, sind Asylsuchende häufig nicht in der Lage, anschaulich, vollständig, detailreich und widerspruchsfrei ihre Asylgründe vorzutragen, wie das im Verfahren gefordert wird [22]. Nachträgliche Angaben werden häufig als übertrieben und unglaubwürdig abgetan. Die Folgeerkrankungen der Folter minimieren die Chance der Überlebenden, Asyl zu erhalten. Die Probleme im Flüchtlingsalltag werden von den Überlebenden der Folter häufig als Fortsetzung des Gefangen-Seins und des Terrors erlebt. Für uns im BZFO sind politisches Lobbying und berufspolititische Aktivität die Voraussetzung, um für unsere Klienten weiterhin psychotherapeutisch und medizinisch tätig sein zu können.

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Anstelle eines Schlusswortes: Wie können Berufsverbände unterstützend aktiv werden?

Die besondere Situation von Flüchtlingen ist in Berufsverbänden in der Regel ein Thema am Rande. Dabei sind Vereinigungen von Ärzten, Psychotherapeuten u.a. helfenden Berufen in der Lage, sich unterstützend für traumatisierte Flüchtlinge einzusetzen, z.B. über die folgenden Aktivitäten:

  • Veröffentlichungen zu Menschenrechtsverletzungen, Anliegen von traumatisierten Flüchtlingen: z.B. über eigene Publikationsorgane, Verbandszeitungen etc.

  • Achtsamkeit gegenüber der eigenen Berufsgruppe: In welchen Funktionen sind Ärzte, Psychotherapeuten u.a. Berufsvertreter tätig? Was haben sie für Aufgaben und sind diese mit Berufspflichten vereinbar?

  • Unterstützung der Arbeit von bestehenden Menschenrechtsorganisationen. Ein guter öffentlicher und berufspolitischer Rückhalt schützt exponierte Organisationen und die Menschen, die sie vertreten!

  • Schaffung von Foren innerhalb der Berufsverbände, die sich mit Menschenrechts- und Flüchtlingsthemen beschäftigen, z.B. Menschenrechtsausschüsse oder -beauftragte, Ethik-Ressorts. Dabei ist zu überprüfen, ob bestehende Foren sich auch für Menschen ohne sicheren Aufenthalt zuständig fühlen oder ob sie nur Bundes- oder Europabürger vertreten.

  • Einsatz für die Verbesserung der Gesundheitsversorgung für Randgruppen, das bedeutet z.B. einen für alle Menschen gleichen Zugang zur Gesundheitsversorgung; Finanzierungsmöglichkeiten von Krisenintervention, Akuthilfe, Psychotherapie und Behandlung von chronischen Krankheiten auch für Menschen ohne sicheren Aufenthalt, Organisation von Helfer-Netzen, Weiterbildung von Ärzten und Psychotherapeuten zu Trauma und Kulturspezifik, Ausbildung und Finanzierung von Dolmetschern in der Gesundheitsversorgung etc.

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Danksagung

Die Arbeit wurde finanziert von der Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur.

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Literatur

  • 1 Jacobsen L, Vesti P. Torture survivors a new group of patients. Danish Nurses Organization Copenhagen; 1990
  • 2 Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe. Vereinte Nationen 10. Dezember 1984 BGBl. 1990 II: 246
  • 3 Amnesty International. Jahresbericht. Fischer Frankfurt a. M.; 2001
  • 4 Hauff E, Vaglum P. Chronic posttraumatic stress disorder in Vietanamese refugees. A prospective community study of prevalence, course, psychopathology, and stressors.  J Nerv Ment Dis. 1994;  182 85-90
  • 5 Van Velsen C, Gorst-Unsworth C, Turner S. Survivors of torture and organized violence: demography and diagnosis.  J Traum Stress. 1996;  9(2) 181-193
  • 6 Mollica R F, McInnes K, Sarajlic N, Lavelle J, Sarajlic I, Massagli M. Disability associatied with psychiatric comorbidity and health status in Bosnian refugees living in Croatia.  JAMA. 1999;  282(5) 433-439
  • 7 Thulesius H, Hakansson A. Screening for posttraumatic stress disorder symptoms among Bosnian refugees.  J Traum Stress. 1999;  12(1) 167-174
  • 8 Birck A. Das Unsagbare. Die Arbeit mit Traumatisierten im Behandlungszentrum für Folteropfer Berlin. Pross C, Lansen J Springer Heidelberg; 2002
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  • 10 Merkord F. „Wie ein Tropfen Wasser ...” Der Alltag von Asylbewerbern und die Sozialarbeit mit Folterüberlebenden. S Graessner, N Gurris, C Pross Beck München; Folter. An der Seite der Überlebenden. Unterstützung und Therapien 1996: 219-236
  • 11 Fischer G, Riedesser P. Lehrbuch der Psychotraumatologie. UTB, Ernst Reinhardt München; 1998
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  • 15 Fischer G. Mehrdimensionale Psychodynamische Traumatherapie MPTT. Manual zur Behandlung psychotraumatischer Störungen. Asanger Heidelberg; 2000
  • 16 Breitenbach G, Requardt H. Psychotherapie mit entmutigten Klienten. Therapeutische Herausforderungen. Asanger Heidelberg; 2001
  • 17 Drozdek B. Can traumatized asylum seekers be treated?. Curare Sonderband 16/2001: 219-231
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  • 20 Janoff-Bulman R. The Aftermath of Victimization: Rebuilding Shattered Assumptions. C Figley Brunner & Mazel New York; Trauma and its wake 1985 Vol 1: 15-35
  • 21 Bericht, 2001. Amnesty International London/Wien; 26. Februar 2001 http://www.amesty.at/cont/presse/profitfolter.html vom 9.9.2002
  • 22 Birck A. Zur Erfüllbarkeit der Anforderungen der Asylanhörung für traumatisierte Flüchtlinge aus psychologischer Sicht. Ausländerrecht u Ausländerpolitik 2002 22(1): 28-33
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Autor:

Dr. phil. Angelika Birck,Psychologin

Behandlungszentrum für Folteropfer Berlin

Spandauer Damm 130

14050 Berlin

Phone: Tel:030/ 303906-0

Email: a.birck@bzfo.de

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Literatur

  • 1 Jacobsen L, Vesti P. Torture survivors a new group of patients. Danish Nurses Organization Copenhagen; 1990
  • 2 Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe. Vereinte Nationen 10. Dezember 1984 BGBl. 1990 II: 246
  • 3 Amnesty International. Jahresbericht. Fischer Frankfurt a. M.; 2001
  • 4 Hauff E, Vaglum P. Chronic posttraumatic stress disorder in Vietanamese refugees. A prospective community study of prevalence, course, psychopathology, and stressors.  J Nerv Ment Dis. 1994;  182 85-90
  • 5 Van Velsen C, Gorst-Unsworth C, Turner S. Survivors of torture and organized violence: demography and diagnosis.  J Traum Stress. 1996;  9(2) 181-193
  • 6 Mollica R F, McInnes K, Sarajlic N, Lavelle J, Sarajlic I, Massagli M. Disability associatied with psychiatric comorbidity and health status in Bosnian refugees living in Croatia.  JAMA. 1999;  282(5) 433-439
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  • 22 Birck A. Zur Erfüllbarkeit der Anforderungen der Asylanhörung für traumatisierte Flüchtlinge aus psychologischer Sicht. Ausländerrecht u Ausländerpolitik 2002 22(1): 28-33
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Autor:

Dr. phil. Angelika Birck,Psychologin

Behandlungszentrum für Folteropfer Berlin

Spandauer Damm 130

14050 Berlin

Phone: Tel:030/ 303906-0

Email: a.birck@bzfo.de