Anamnese: Ein 29-jähriger
Patient hatte sich im Oktober 1994 wegen Müdigkeit und
Abgeschlagenheit hausärztlich vorgestellt. Bei der Blutabnahme
fiel eine Leukozytose von 435 000/µl
und eine Anämie von 10,2 g/dl auf. Die
Thrombozytenzahl war leicht, die LDH mit
1105 U/l deutlich erhöht. Das Differentialblutbild zeigte
eine Linksverschiebung. Relevante Vorerkrankungen bestanden nicht.
Weitere Untersuchungen: Die körperliche
Untersuchung ergab eine Splenomegalie, Lymphknotenvergrößerungen
wurden nicht gefunden. In der Knochenmarkhistologie stellte
sich eine hyperzelluläre Myelopoese ohne Faservermehrung
und ohne Vermehrung von Myeloblasten dar. Der Index der alkalischen Leukozytenphosphatase (Untersuchung
aus dem peripheren Blut) war erniedrigt. Sonographisch maß die
Milz 15 cm. Die Zytogenetik ergab
den Nachweis eines Philadelphia-Chromosoms t(9;22) ohne weitere
Aberrationen. Molekularbiologisch wurde
ein BCR/ABL-Fusionsgen nachgewiesen. Es handelte sich somit
um eine CML in chronischer Phase.
Therapie und Verlauf: Nach 4-wöchiger
zytoreduktiver Behandlung mit Hydroxyurea wurde
auf die Gabe von Interferon-α 5
Mio IE s. c. tgl. in Kombination mit Ara-C 20 mg
s. c. tgl. umgestellt. Allerdings erfolgte wegen erheblicher
Nebenwirkungen (Gewichtsverlust, Nachtschweiß, grippale
Symptome) nach weiteren 4 Wochen eine erneute Umstellung auf Hydroxyurea
(25 mg/kg). Bei guter Verträglichkeit
dieser Behandlung normalisierte sich die Leukozytose innerhalb von
2 Monaten.
Die HLA-Typisierung der Familie ergab keinen passenden Knochenmarkspender,
allerdings wurde ein HLA-identischer Fremdspender gefunden. 22 Monate
nach Diagnosestellung der CML erfolgte nach myeloablativer Konditionierung eine allogene Knochenmarktransplantation (KMT)
vom
HLA-identischen Fremdspender. Eine während der aplastischen
Phase aufgetretene schwere bakterielle Infektion besserte sich unter
entsprechender antimikrobieller Behandlung sowie mit Wiederanstieg der
Leukozyten. Zum Zeitpunkt des Engraftments (Granulozyten > 500/µl
an Tag + 23) entwickelte sich eine
Graft-versus-Host-Erkrankung (GvHD) von Haut und Leber, die
sich unter Therapie mit Steroiden vollständig zurückbildete.
Der Patient erreichte eine zytogenetische bzw. molekulare Komplett-Remission.
Mit Ausnahme rezidivierender Zoster-Infektionen und einer bakteriellen
Pneumonie im März 1997 verliefen die folgenden Jahre ohne
wesentliche Auffälligkeiten.
Im Oktober 2000 (gut 4 Jahre nach KMT) wurde im Rahmen einer
Kontrolluntersuchung ein molekulares Rezidiv erfasst (BCR/ABL
Nachweis in geringer Konzentration). Wegen guten Allgemeinbefindens
und unauffälligen Laborwerten erfolgten zunächst
weitere Verlaufsbeobachtungen. Im Januar 2002 wurde das BCR/ABL
Fusionsgen in hoher Konzentration (FISH: 97 von 100 Interphase-Kernen
positiv) und neben dem Philadephia-Chromosom auch eine Aberration
von Chromosom 6 nachgewiesen. Angesichts der Leukozytose von 53 000/µl
mit Linksverschiebung handelte es sich jetzt um ein therapiebedürftiges
hämatologisches Rezidiv (in zweiter chronischer Phase).
Im Februar 2002 wurde im Rahmen einer multizentrischen Studie
eine Therapie mit Imatinib 400 mg
tgl. p. o. eingeleitet. Hierunter normalisierten sich die
Leukozyten innerhalb von 3 Wochen. Mit Ausnahme anfänglichen
Schwindels und vorübergehender Übelkeit wurde
die Behandlung gut vertragen. Die Leukozyten lagen zuletzt im unteren
Normbereich, die Thrombozyten sind mit ca. 90 000/µl
vermindert. 5 Monate nach Imitinab-Beginn ist das BCR/ABL-Fusionstranskript
nur noch in sehr geringer Menge nachweisbar.
Prognose: Möglicherweise wird
durch die Therapie mit Imatinib auch eine molekulare Komplettremission
erreicht. Sollte dies nicht gelingen, wäre die Gabe von
Spenderlymphozyten („Donor lymphocyte
infusion”), die im Regelfall bereits bei Vorliegen
eines molekularen Rezidivs zum Einsatz kommen, angezeigt. Hierunter werden
bei ca. 70 % der Patienten langfristige Remissionen
erzielt.