Darstellung des Problems
Darstellung des Problems
1998 starb ein jugendlicher Leistungssportler in Essen, nachdem er
Butangas aus einer Kartusche für Campinggaskocher inhaliert hatte. Am
Auffindungsort der Leiche zeigte sich, dass der Jugendliche mit der Nase und
dem Mund über dem Loch der Kartusche lag. Der Jugendliche hatte das Gas
inhaliert, um ein Rauscherlebnis zu erlangen.
Anfang 2001 starb in Gelsenkirchen ein 13-jähriger Schüler
infolge einer Butangasinhalation wahrscheinlich aus einem Gasfeuerzeug. Die
Nachforschungen der Polizei ergaben, dass der Schüler bereits seit dem 11.
Lebensjahr Schnüffelstoffe konsumierte. Der Autopsiebericht wies auf
Organveränderungen hin, die nur bei wiederholtem Schnüffeln
auftreten. Die Nachforschungen der Polizei im Umfeld des Schülers zeigten,
dass das Inhalieren von Butangas zum Zwecke der Rauscherzeugung keine
Seltenheit ist, eine genaue Anzahl der Konsumenten war nicht zu ermitteln. Als
Inhalationsmechanismus wurde eruiert, dass das Gasfeuerzeug bzw. die
Feuerzeugnachfüllflasche geöffnet und das ausströmende Gas
inhaliert wird. Alternativ wird das Flüssiggas auf ein Kleidungs- oder
Stoffstück geträufelt, dies vor Mund und Nase gepresst
(„huffing”) und das dann von dort aus verdampfende Gas inhaliert.
Dabei wird im Allgemeinen durch mechanische Hilfsmittel versucht, die
Konzentration des Butangases zu maximieren und damit die der normalen
Einatemluft zu minimieren. Aus den geschilderten Konsummechanismen ist zu
entnehmen, dass eine zu geringe Butangaskonzentration kein Rauscherleben
hervorruft. Als Inhalt des Rauscherlebens wurde von den Schülern ein
intensives sexuell akzentuiertes Gefühlsereignis angegeben.
Ende 2001 verstarb eine 14-jährige Schülerin in
Karlsburg/Mecklenburg-Vorpommern; sie hatte Butangas in eine kleine
Plastiktüte geleitet und daraus inhaliert. Nach der Inhalation verlor sie
das Bewusstsein, 2 Tage später verstarb sie im Krankenhaus. Auch bei ihr
ergab die Autopsie Hinweise auf bereits länger bestehenden
Schnüffel-Konsum. Nach Informationen der Polizei dort sei das
Schnüffeln ein sehr großes Problem unter den Schülern; kurz
nach diesem Zwischenfall sei ein weiteres Kind mit einem
Schnüffel-Zwischenfall in das Krankenhaus eingeliefert worden.
Im September 2002 konsumierten 6 Kinder im Alter von 13-16
Jahren in Tarp/Schleswig-Holstein Butangas; eines starb unmittelbar, die
anderen mussten intensivmedizinisch behandelt werden.
Aus dem Internet sind weitere Todesfälle in Deutschland durch
Butangasinhalation zu entnehmen:
1996 starb ein 15-jähriger Junge an den Folgen der
Butangasinhalation (wahrscheinlich der erste Todesfall in Deutschland durch
Butangasinhalation zur Rauscherzeugung).
1997 starb ein 12-jähriger Junge in Nürnberg, nachdem er
aus einer Nachfüllflasche Feuerzeuggas in einen (Luft-)Ballon gefüllt
und daraus eingeatmet hatte.
1998 starb - neben dem bereits erwähnten Jugendlichen
- ein 13-jähriger Junge in Marburg; dabei wurde berichtet, dass die
Konsumenten das Gas auf ihre Kleidung verteilten, diese dann vor das Gesicht
hielten und so konsumierten. Im gleichen Jahr verstarb ein 14-jähriger
Junge in Kiel; er hatte in einem Kinderheim in eine Plastiktüte
Feuerzeuggas aus einer Nachfüllflasche einströmen lassen und aus der
Tüte inhaliert.
2001 starben nicht nur die beiden erwähnten Kinder in
Gelsenkirchen und Karlsburg; in Frankfurt/Main starb ein 14-jähriger Junge
nach dem Gasschnüffeln. In Marburg verstarb ein 14-jähriger Junge,
nachdem er aus einer butangasgefüllten Plastiktüte inhaliert hatte.
Kurze Zeit später verstarb in Kaufbeuren/Allgäu ein 15-jähriger
Junge an den Folgen der Butangasinhalation.
In der MAK-Begründung [1] wird der Fall eines
15-jährigen Jungen berichtet, der nach Inhalation aus einem
Butangas-Kanister eine teilweise reversible Hemiparese rechtsseitig aufwies.
Dort wird auch die Intoxikation eines 16-jährigen Jungen aufgeführt,
der nach einer nicht näher beschriebenen Butangasinhalation einen
Herzstillstand erlitt.
In einer Arbeit aus der Universitätsklinik Innsbruck
[2] wird der Fall einer akuten Butangasintoxikation eines
14-jährigen Jugendlichen mit letztendlicher Todesfolge nach 34 h
geschildert. Er inhalierte Butangas aus einer Feuerzeugnachfüllflasche;
zur Intensivierung zog er sich eine Plastiktüte über den Kopf. Als
der Notarztwagen kam, wurde ein Kammerflimmern diagnostiziert. In der
hämodynamischen Überwachung im Krankenhaus fielen eine
Herzleistungsschwäche und eine Neigung zu vermehrten VES und SVES auf
sowie weitere somatische Komplikationen. Neurologischerseits wurde der Verdacht
auf ein hypoxisches Hirnödem gestellt; das CCT bestätigte die
Diagnose eines massiven Hirnödems. Die durchgeführte transkranielle
Doppler-Sonographie zeigte einen zerebralen Perfusionsstopp der Aa. carotides
communes beidseits und des Circulus arteriosus Willisii.
Zur Erzeugung des Rauscherlebens ist zusammenfassend also eine
erhebliche Konzentration des Butangases in der Einatemluft notwendig; eine
genaue bzw. annähernde Konzentrationsangabe ist -
naturgemäß - nicht möglich.
Prävalenz
Prävalenz
Der zweckentfremdete Gebrauch von Lösungsmitteln und anderen
potenziell Rausch erzeugenden Haushalts- und Industrieprodukten als
„Schnüffelstoffe” stellt ein internationales
gesundheitspolitisches Problem von außerordentlicher Tragweite dar. Die
Bezeichnung „schnüffeln” leitet sich vom angloamerikanischen
Wort „sniffing” ab, das W. Ackerly und G. Gibson 1964
wählten, um das unersättliche Verlangen eines 8-jährigen
mexikanischen Jungen nach Inhalation von Feuerzeugbenzin zu beschreiben
[3].
Üblicherweise werden die Schnüffelstoffe in 3 (USA) bzw. 4
Gruppen eingeteilt:
-
Gruppe der flüchtigen Lösungsmittel, z.B. Klebstoffe,
Lacke, Verdünner
-
Gruppe der Aerosole, darunter fallen insbesondere die Treibgase
(In den USA werden die Aerosole unter die flüchtigen Lösungsmittel
subsumiert.)
-
Gruppe der Anästhetika, z.B. Chloroform, Lachgas, Ether
-
Gruppe der flüchtigen Nitritverbindungen, z.B. Amylnitrit
(„Poppers”) [3]
Das als Thema anstehende Butangas wird nicht nur in Gaskartuschen
zum Gebrauch als Brennmaterial verwendet, mit der internationalen
Übereinkunft zur Verringerung der FCKW-haltigen Treibgase wurden
Alternativen gesucht und Butan auch als Treibgas eingesetzt (z.B. in Haar- und
Frischluftsprays). Insofern müsste Butan in die Gruppe der Aerosole (bzw.
der flüchtigen Lösungsmittel) eingereiht werden.
Mitte der 60er-Jahre wurde erstmals in den USA bei Kindern und
Jugendlichen der nordamerikanischen Großstädte und Ballungszentren
der Gebrauch der Schnüffelstoffe beobachtet, jedoch lange Zeit als
Kinderspiel bagatellisiert [4].
In England wurden die ersten Todesfälle durch
Schnüffelstoffe 1971 berichtet; für die Mitte der 90er-Jahre wurde
festgestellt, dass in England mehr Menschen an den Folgen des Missbrauchs von
Schnüffelstoffen verstarben als an den Folgen der Heroinabhängigkeit
[4].
1993 zeigte eine Studie der WHO, dass die Schnüffelstoffe die
Hauptdroge der Straßenkinder weltweit sind; die meisten
Straßenkinder leben in den Großstädten der sog.
Entwicklungsländer. Das Ausmaß der körperlichen Schäden
durch anhaltenden Gebrauch von Schnüffelstoffen übertrifft sogar die
Auswirkungen des Alkoholismus. In einem Aktionsplakat der „national
inhalant prevention coalition” werden die Schnüffelstoffe als
„cocaine of the nineties” bezeichnet [5].
Zur Verbreitung der Schnüffelstoffe - also nicht nur
Butan - wird für die USA geschätzt, dass jeder 5. Schüler
in der 8. Klasse bereits Konsumerfahrung hat. Die Schnüffelstoffe seien
ebenso populär unter Jugendlichen wie Marihuana; mehr als 1000
käufliche Produkte seien als potenzielle Schnüffelstoffe anzusehen,
alle seien legal zu erhalten. Als Einstiegsalter wird in den USA das
6.-16. Lebensjahr angegeben. Als besondere Gefahr aller
Schnüffelstoffe wird immer wieder - auch in öffentlichen
Kampagnen - das Sudden Sniffing Death Syndrome (plötzliches
Schnüffeltod-Syndrom) betont.
In der Schweiz wurde 1998 eine Befragung unter 15-jährigen
Schüler(inne)n durchgeführt bez. der Häufigkeit des
Schnüffelns von Lösungsmitteln [6]. Bei den
Antwortmöglichkeiten nie/einmal/mehrmals gaben an:
| nie |
Mädchen |
93,1% |
Jungen
|
92,5% |
| einmal |
Mädchen |
3,9% |
Jungen |
4,5% |
| mehrmals |
Mädchen |
3,0% |
Jungen |
3,0% |
Im „Jahresbericht über den Stand der Drogenproblematik
in der Europäischen Union 2001” wird aufgeführt, dass in
Griechenland und Schweden der Konsum von Schnüffelstoffen genau so hoch
bzw. größer sei als der von Cannabis [7].
Zur Frage der Verbreitung des Schnüffelstoffkonsums in
Deutschland kann auf nur wenige Daten zurückgegriffen werden. Es entsteht
fast der Eindruck, dass das Problem als solches nicht wahrgenommen wird. Diese
Drogen werden bei der Betrachtung des Rauschmittelkonsums in der BRD so gut wie
nicht erwähnt, Informationen sind nur sehr spärlich zu bekommen:
-
In der Repräsentativerhebung Drogen 1997 (Erwachsene) kommt
die Gruppe „Schnüffelstoffe” als eigenes Thema nicht vor,
ebenso nicht in der von 2000. Allerdings finden sich Hinweise auf einen
Gebrauch:
1997 wurde eine Lebenszeit-Prävalenz für
Schnüffelstoffe von 0,7 gefunden für die Gesamtbevölkerung
(Frauen 0,5/Männer 0,9), für die 18- bis 20-Jährigen eine von
1,6 und für die 21- bis 24-Jährigen eine von 2,4. Die Angaben bezogen
sich nur auf Westdeutschland, in Ostdeutschland war die Prävalenz 0,0
[8].
2000 hat sich die Situation insofern geändert, als dass der
Konsum in Westdeutschland ungefähr gleich geblieben ist
(Lifetime-Prävalenz von 0,8), in Ostdeutschland schnellte jedoch die
Lifetime-Prävalenz auf 0,6 hoch und glich sich damit ungefähr dem des
Westniveaus an [9].
-
Auch in der Drogenaffinitätsstudie (Jugendliche) 1997 wird
das Thema „Schnüffelstoffe” nur nebenbei angeschnitten,
ebenso in der von 2001.
1997 wird die Lifetime-Prävalenz ebenso wie die
12-Monats-Prävalenz der 12- bis 25-jährigen Jugendlichen mit
1% angegeben, dabei zeigten sich für Ost- und Westdeutschland
gleiche Ergebnisse. Allerdings ergaben sich Ost-West-Unterschiede beim
Erstkonsum-Alter bei gleicher Geschlechterverteilung: Im Westen betrug das
Erstkonsumalter 14,8 Jahre, im Osten 17,1 [10].
2001 beträgt die Lifetime-Prävalenz der
Schnüffelstoffe weiterhin 1%, das Erstkonsumalter liegt bei 15,0
Jahren. Ein West-Ost-Unterschied scheint nicht mehr feststellbar (zum
Vergleich: Das durchschnittliche Alter beim ersten Alkoholrausch lag 2001 bei
15,6 Jahren) [11].
(Zu den Prävalenzzahlen merken beide zuletzt erschienenen
Lehrbücher der Suchtmedizin [3, 12] an, dass diese aufgrund
methodischer Probleme der Erhebung von Daten bei Kindern und Jugendlichen nicht
deren realen Gebrauch widerspiegeln.)
-
Im „nationalen Rauschgiftbekämpfungsplan” von
1990 [13] stehen keine Hinweise auf den Gebrauch von
„Schnüffelstoffen”, ebenso nicht im „Landesprogramm
gegen Sucht” [14] von 1999 des Landes NRW.
-
Im Drogen- und Suchtbericht vom Mai 2002 der Drogenbeauftragten
der Bundesregierung [15] werden die Schnüffelstoffe ebenso wenig
erwähnt wie im sog. Drogenaktionsplan des Bundesministeriums für
Gesundheit „Vorbeugen.Verhindern. Helfen. Neue Konzepte der Drogen- und
Suchtpolitik” [16].
-
Im Jahrbuch Sucht 2002 (DHS) werden die Schnüffelstoffe
nicht erwähnt [17].
-
Das Bundeskriminalamt führt keine eigene Statistik zur
Frage der Toten durch Schnüffelstoffe oder speziell Butangas im Rahmen von
Rauscherleben.
-
Nur aus dem Internet ist zu entnehmen, dass es in Deutschland
wahrscheinlich (erst) 1996 zum ersten Todesfall durch Butangasinhalation
gekommen ist [18].
-
Zu Todesfällen durch andere Schnüffelstoffe sind kaum
Aussagen zu finden; in einem Artikel der Schweriner Volkszeitung vom 6.1.2001
wird der Tod eines 14-jährigen Jungen aus Mecklenburg im Herbst 2000
berichtet, der am Konsum eines nicht genannten Schnüffelstoffes gestorben
war. In diesem Artikel steht der Hinweis, dass es jährlich zu 30-50
Todesfälle durch Schnüffelstoffe komme [19].
Als Beispiel für die Verbreitung des Schnüffelstoffkonsums
kann das Setting einer Kinder- und Jugendpsychiatrie, die eine spezielle
Suchtstation vorhält, geschildert werden: Alle Feuerzeuge, Haarsprays etc.
sind auf der Station unter Verschluss; die Erfahrung hatte gezeigt, dass alle
Patient(inn)en geschnüffelt hatten - auch auf Station. Auch bei den
Fachstellen für Suchtprävention NRW ist dieses Phänomen bekannt:
Auf den Koordinationstreffen der Fachkräfte wurde in den letzten drei
Jahren wiederholt nach Informationen zum Wirkmechanismus der Gasinhalation
gefragt, da regelmäßig Anfragen von Schulen, Jugendzentren und
Heimeinrichtungen an die Fachstellen herangetragen werden.
Im Folgenden wird auf der Basis empirischer Beobachtungen und
bekannter medizinisch-naturwissenschaftlicher Daten ausschließlich auf
den inhalativen Konsum von Butangas eingegangen.
Das Gas und seine Wirkung
Das Gas und seine Wirkung
Butan ist ein Bestandteil des Erdgases; es gehört chemisch
gesehen zu den Alkanen.
Es ist farb- und geruchlos, schwerer als Luft, schlecht löslich
in Wasser, aber gut löslich in Benzin und ähnlichen
Lösungsmitteln und es ist brennbar.
Im Handel wird Butangas unter die Flüssiggase subsumiert. Unter
Flüssiggasen versteht man C3- und C4-Kohlenwasserstoffe bzw. Gemische
daraus, wie sie in der Natur vorkommen oder als Synthesegas anfallen. Im Sinne
der technischen Regeln Flüssiggas (und des DVGW-Arbeitsblattes G 260)
werden unter Flüssiggas Propan, Butan und Propan-Butan-Gemische
verstanden. Flüssiggase werden in grauen oder roten
Flüssiggasflaschen geliefert, die durch ihr Vorkommen beim Camping, im
Caravan und in anderen Bereichen von Haus, Garten und Hobby allgemein bekannt
sind.
Das Flüssiggas entsteht bei der Rohölverarbeitung in den
Raffinerien, ist aber auch Begleitgas bei der Förderung von Erdgas und
Erdöl.
Aus der MAK-Begründung [1],
die die wesentlichen toxikologischen und arbeitsmedizinischen Fakten (Stand
1999) aufführt, ist zusammengefasst zu entnehmen, dass die Exposition
gegenüber hohen Butangaskonzentrationen eine zentralnervöse
Depression (im MAK-Text wohl als Funktionsminderung gemeint) bis hin zur
Narkose bewirkt. Auch erhöht Butangasinhalation die Empfindlichkeit des
Herzmuskels gegenüber Adrenalin; der genaue Mechanismus sei nicht
geklärt. (Diese Konstellation wird als Pathomechanismus für das
Sudden Sniffing Death Syndrome diskutiert.) Als psychische Wirkung wurde von 12
Personen, die Butangas zur Rauscherzeugung inhaliert hatten, das Auftreten von
Euphorie und Halluzinationen beschrieben.
Neuere und weitergehendere Informationen zum Thema (Stand 1.11.00)
finden sich in der Stoffdatenbank „Gefahrstoffinformationssystem der
gewerblichen Berufsgenossenschaften (GESTIS)”, abzurufen über das
Berufsgenossenschaftliche Institut für Arbeitssicherheit (BIA). Dort wird
unter den „Hauptwirkungsweisen/akut” aufgeführt:
-
„Erfrierungen bei Hautkontakt mit der unterkühlten
Flüssigkeit
-
narkotisierende Wirkung hoher Inhalationskonzentrationen
-
Tod durch Ersticken bei Sauerstoffverdrängung”
[20]
Die Butangasinhalation und ihre Folgen
Die Butangasinhalation und ihre Folgen
Die Inhalation von Butangas verändert die Zusammensetzung der
normalerweise vorhandenen Einatemluft: Durch das Butangas werden die
Volumenanteile der normalen Bestandteile verkleinert.
In der Nähe der Erdoberfläche besteht die
Erdatmosphäre zu ca. 78 Vol.-% aus Stickstoff, zu ca. 21
Vol.-% aus Sauerstoff (entspricht einem Sauerstoffpartialdruck von ca.
150 mm Hg), der verbleibende Rest von ca. 1 Vol.-% setzt sich zusammen
aus anderen Gasen wie Argon, Kohlendioxid etc. Aufgrund der Gegebenheiten des
Respirationstraktes (Anfeuchtung der Einatemluft bis zur vollständigen
Wasserdampfsättigung und damit Vol.-%-Verschiebung, Durchmischung
der in den Lungen im Totraum und im Residualvolumen verbleibenden Luft mit der
Einatemluft) sinkt die Sauerstoffkonzentration in den Alveolen auf ca. 14
Vol.-% (entspricht einem Sauerstoffpartialdruck von ca. 100 mm Hg) ab.
Dieser Sauerstoffanteil steht dem Organismus zum Gasaustausch zur
Verfügung. Die treibende Kraft für den Gasaustausch ist das
Partialdruckgefälle des Sauerstoffpartialdruckes in den Alveolen
einerseits (ca. 100 mm Hg) und des Sauerstoffpartialdruckes des venösen
Blutes andererseits (ca. 40 mm Hg) [21, 22].
Zur Darstellung des Pathomechanismus ist es sinnvoll, ausgehend von
pathophysiologischen Daten, das Absinken des Sauerstoffpartialdrucks im
arteriellen Blut, in der Medizin Hypoxämie genannt, zu betrachten im
Hinblick auf die entstehende Symptomatik und dann auf die Zusammensetzung der
Einatemluft rückzurechnen. Dabei wird vorausgesetzt, dass der Körper
nicht durch Krankheiten, die die Atmung, den Gasaustausch, den
Sauerstofftransport o.Ä. betreffen, geschädigt ist. Ferner wird
vereinfachend angenommen, dass das organisch bedingte „normale”
Verhältnis Sauerstoffkonzentration in der Einatemluft :
Sauerstoffkonzentration in den Alveolen (s.o.: 150 : 100, also 3 : 2) konstant
bleibt. Dieses Vorgehen ist erforderlich, da sich menschliche Experimente im
Hinblick auf die möglichen Schädigungen verbieten.
Die arterielle Hypoxämie wird eingeteilt in unterschiedliche
Schweregrade je nach dem vorhandenen Sauerstoffpartialdruck im arteriellen
Blut: Als leichte Hypoxämie wird bezeichnet ein arterieller
Sauerstoffpartialdruck von 69-62 mm Hg, als mittelschwere einer von
61-51 mm Hg, als schwere (= dringend therapiebedürftig) einer
von 50-40 mm Hg und als eine sehr schwere (= lebensbedrohliche)
einer von unter 40 mm Hg.
Von den genannten Daten ausgehend müsste also
überschlagsmäßig ein Sauerstoffpartialdruck von ca. 40 mm Hg in
den Alveolen herrschen, damit eine Sauerstoffminimalversorgung im Rahmen einer
sehr schweren Hypoxämie im Organismus aufrechterhalten werden kann. Das
entspräche einem Sauerstoffanteil von ca. 5-6 Vol.-% in den
Alveolen; rückgerechnet wären ca. 7,5-9 Vol.-%
Sauerstoffanteil in der Einatemluft notwendig. Um ein Absinken des
Sauerstoffangebotes in der Einatemluft auf 7,5-9 Vol.-% -
und korrespondierend das Absinken des Stickstoffanteiles auf ca. 28-33,5
Vol.-% - zu erreichen, ist eine Butangaskonzentration von ca.
60-65 Vol.-% notwendig. Mit anderen Worten: Bei einer
Butangaskonzentration von mehr als ca. 60-65 Vol.-% in der
Einatemluft ist die Funktion des Organismus massiv gefährdet.
Für die leichte Hypoxämie würde gelten: Um den
Sauerstoffpartialdruck von 69 mm Hg im Blut zu erreichen, muss das alveolare
Sauerstoffangebot ca. 70 mm Hg bzw. entsprechend ca. 10 Vol.-%
Sauerstoff betragen, in der Einatemluft wären also ca. 15 Vol.-%
Sauerstoff notwendig. Korrespondierend würde der Anteil von Stickstoff in
der Einatemluft ca. 56 Vol.-% betragen. Mit anderen Worten: Ab einer
Butangaskonzentration von ca. 30 Vol.-% in der Einatemluft muss mit dem
Auftreten einer Hypoxämie gerechnet werden.
Letztendlich ergibt sich daraus, dass der Korridor zur Wirksamkeit
der Inhalation einerseits und dem Auftreten erster Schäden andererseits
mit 30-60/65 Vol.-% Butangas in der Einatemluft sehr gering
ist.
Aus den eingangs geschilderten Konsummechanismen kann berechtigt
vermutet werden, dass bei der Butangasinhalation zum Zwecke der Rauscherzeugung
die Konzentration von 30 Vol.-% Butangas in der Einatemluft mit an
Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit überschritten wird. Eine
Butangaskonzentration von mehr als 60 Vol.-% in der Einatemluft ist
unter den geschilderten Umständen nicht auszuschließen.
Ablauf der Butangasinhalation unter pathophysiologischen
Aspekten
Ablauf der Butangasinhalation unter pathophysiologischen
Aspekten
Der Gebrauch von Butangas zur Rauscherzeugung wird in der
Suchtmedizin fast ausnahmslos betrachtet im Rahmen der zusammenfassenden Gruppe
„Schnüffelstoffe”. Dabei wird festgestellt, dass die Gruppe
chemisch sehr heterogen sei, aber eine vergleichbare Anwendung
(„schnüffeln”) und Erlebnisqualität habe [3,
12]. Insofern ist diesen Abhandlungen nicht viel Themenspezifisches zu
entnehmen.
Zwei unterschiedliche Ansätze zur Pathophysiologie der
Akutfolgen der Butangasinhalation liegen in einem Skript der Universität
Göttingen [23] vor; dort steht der Satz: „Mediziner
erklären die Todesfälle folgendermaßen: Das Butan kann sich mit
dem Hämoglobin des Blutes verbinden und blockiert so die roten
Blutkörperchen.” Ein Beleg für diesen Ansatz wird nicht
genannt, insbesondere wird nicht erwähnt, ob die Affinität des
Butangases gegenüber Hämoglobin größer ist als die des
Sauerstoffs oder ob das Butangas nur dann gebunden wird, wenn kaum noch bzw.
gar kein Sauerstoff mehr zur Verfügung steht. Aus den in der
MAK-Begründung aufgeführten Ergebnissen kann berechtigt
rückgeschlossen werden, dass die Affinität von Butan gegenüber
dem Hämoglobin kleiner als die von Sauerstoff ist, es hätte sich
sonst in den Langzeitversuchen anreichern müssen. Im Skript wird dann die
Frage gestellt: „Wäre es aber nicht auch denkbar, dass das relativ
schwere Gas Butan sich in den Lungen der Jugendlichen befand und sie aufgrund
seiner Dichte nicht mehr durch die Luftröhre verlassen konnte?”
Auch dieses Argument, dass aufgrund der Schwere des Gases die Alveolen
„verstopfen”, hätte in den Langzeitversuchen zu
entsprechenden Konsequenzen führen müssen. Da diese nicht beobachtbar
waren, entfällt auch dieses Argument.
Zurückgreifend auf die MAK-Begründung [1] ist
festzustellen, dass mehr oder weniger keine der dort aufgeführten
Inhalationsmengen zu Störungen führte. Auch eine länger
andauernde Exposition gegenüber 500 ml Butangas/m³ rief keine
butangasassoziierten Störungen hervor. Zusammengefasst können daher
keine Butangas-spezifischen Akutfolgen einer Inhalation in den dort angegebenen
Konzentrationen festgestellt werden.
Resümierend entsteht aus den toxikologischen und
arbeitsmedizinischen Fakten (s.o.) eher das Bild eines in sich nicht
hochtoxischen Gases, dessen akut gesundheitsschädliche Wirkungen im
Bereich der Rauscherzeugung am wahrscheinlichsten auf den pathophysiologischen
Konsequenzen der akuten Verdrängung des Sauerstoffes in der Einatemluft
durch das Gas und der daraus resultierenden Sauerstoffmangelversorgung beruhen.
Dieser Wirkmechanismus wird in der GESTIS-Stoffdatenbank [20] auch
klar benannt. Je nach Intensität der Inhalation, also der Konzentration
des Gases in der Einatemluft und damit der Reduktion des Sauerstoffangebotes,
kann es bis zur vollständigen Verdrängung des Sauerstoffes durch das
Gas kommen. Diese Konstellation wird üblicherweise als Asphyxie
bezeichnet.
Das Wort Asphyxie kommt aus dem Griechischen und heißt
wörtlich übersetzt „Pulslosigkeit”. Es wird in der
Medizin verwendet zur Beschreibung einer Atemdepression bzw. eines
Atemstillstandes infolge Herz-Kreislauf-Versagen, Atemwegsverlagerung oder
Atemlähmung; die Asphyxie führt zur partiellen oder evtl. sogar zur
kompletten Gasaustauschbehinderung zwischen Zelle und Umwelt. Je nach
Lokalisation der Gasaustauschbehinderung kann differenziert werden zwischen
einer inneren (z.B. Atemenzymschädigung durch Blausäure) und einer
äußeren Erstickung (Ertrinken, Erdrosseln, Sauerstoffentzug u.a.m.).
Vom Asphyxiebeginn bis zur irreversiblen Zellschädigung vergeht eine von
der Sauerstoffmangelempfindlichkeit der einzelnen Gewebe abhängige
Zeitspanne, die bei den Hirn- und Herzmuskelzellen mit etwa 4 min am Geringsten
ist [24].
Im konkreten Fall der Butangasintoxikation stellt sich mit
zunehmender Gas-Inhalation und daraus resultierendem Sauerstoffmangel
zunächst eine Hypoxie ein, die der Organismus durch Intensivierung der
Atmung/Hyperventilation zu kompensieren versucht.
Die klinische Zeichen der Hypoxie sind:
-
Tachykardie und Blutdruckanstieg
-
Steigerung der Atmung
-
Zyanose
-
Schwitzen
-
Unruhe, Erregtheit, Verwirrtheit
-
Bewusstseinseintrübung über Schläfrigkeit,
Somnolenz bis hin zur Bewusstlosigkeit.
Falls die Kompensationsmaßnahmen des Organismus nicht
ausreichen, kommt es zum Stadium der Dekompensation mit den klinischen
Zeichen:
Aus der kompensatorischen Hyperventilation resultiert eine
Hypokapnie, die ihrerseits im Regelkreis zur Sicherstellung der
Hirndurchblutung zu einer Kontraktion der Hirngefäße und zu einer
respiratorischen Alkalose mit Verminderung des Atemreizes führt, also die
Sauerstoffversorgung des Gehirns eher weiter verschlechtert. (Memo: Der
stärkste Atemreiz ist nicht der Sauerstoffmangel, sondern eine akute
Hyperkapnie.)
Sauerstoffmangel im Gehirn
Sauerstoffmangel im Gehirn
Das ZNS ist gegenüber Sauerstoff- (und Glukose-)Mangel sehr
empfindlich.
Obwohl das Gehirn nur 2% des Körpergewichtes ausmacht,
braucht es ca. 15% des Herzminutenvolumens, das sind ca. 750-1000
ml Blut/min; etwa 20% des Ruheenergiebedarfes eines Menschen entfallen
auf das Gehirn. Den Energiebedarf deckt das Gehirn fast ausschließlich
durch den oxidativen Abbau von Glukose. Pro Minute sind ca. 50 ml Sauerstoff
und 80 mg Glukose zur Versorgung des Gehirns notwendig, dabei wird die
Großhirnrinde etwa fünfmal stärker durchblutet als die
Marksubstanz, die graue Substanz verbraucht etwa fünfmal mehr Sauerstoff
als die weiße. Die Nervenzellen selber reagieren also am empfindlichsten
auf Sauerstoffmangel, daher wird die graue Substanz eher geschädigt als
die übrigen Hirnstrukturen [25].
Die Unterbrechung der Sauerstoffzufuhr zum Gehirn führt zu
einem raschen Erlöschen von dessen Funktion: Nach 6-8 Sekunden
findet sich kein molekularer Sauerstoff mehr in der grauen Substanz,
EEG-Veränderungen treten auf, nach 10-12 s kommt es zur
Bewusstlosigkeit. Bei einer Unterbrechung der Hirndurchblutung länger als
5 min muss mit dem Auftreten erster irreversibler Schäden gerechnet
werden: Es kommt zu einer Anreicherung von Laktat - das per se bereits
durch Ansäuerung Hirngewebsnekrosen hervorrufen kann - durch
Änderung der Glykolyse und von Adenosin sowie zur Störung im Protein-
und Lipidstoffwechsel. Der Zusammenbruch des Energiestoffwechsels führt
seinerseits zu einem Hirnödem [26].
Sauerstoffmangel am Herzen
Sauerstoffmangel am Herzen
Die Funktionselemente des Herzens sind die Herzmuskelfasern;
morphologisch und funktionell können zwei Typen von Herzmuskelfasern
unterschieden werden: die Arbeitsmuskulatur (Myokard) und das spezifische
Erregungsbildungs- und -leitungssystem.
Die besondere Vulnerabilität des Myokards in Bezug auf
Sauerstoffmangel erklärt sich aus der Eigenart des Herzmuskelgewebes, das
seine Energie überwiegend aus dem oxidativen Abbau von Nährstoffen
bezieht und daher eine sog. Sauerstoffschuld durch anaerobe Prozesse nicht
eingehen kann. Die Verminderung des Sauerstoffangebotes im Blut bewirkt aus
diesem Grund am Herzen eine Abnahme der myokardialen Kontraktilität, die
letztendlich zur Dilatation führt. 6-10 min nach Unterbrechung der
Sauerstoffzufuhr endet die Pumpfunktion und das Herz steht still.
Im Bereich des spezifischen Erregungsbildungs- und -leitungssystems
kann Sauerstoffmangel Extrasystolen (VES) provozieren; je schlechter die
Sauerstoffversorgung des Herzens ist, um so mehr VES treten auf. Ereignen sich
diese in der Erregungsrückbildungsphase als frühzeitig einfallende
VES (sog. R-auf-T-Phänomen), kann es zur ventrikulären Tachykardie
(Kammerflimmern) kommen. Insofern kommt der Ischämie eine Triggerfunktion
beim plötzlichen Herztod zu [27, 28].
Daher ist zusammenfassend festzuhalten, dass die Asphyxie selber,
also die Behinderung des Gasaustausches in diesem Fall durch Fehlen von
Sauerstoff, innerhalb von 5-10 min zum asphyktischen Kreislaufstillstand
(Asystolie) führen kann.
Die User
Die User
Bereits in der Literatur wird mehrfach beschrieben, dass die
Butangasinhalation zu Euphorie und Halluzinationen führt; die Schilderung
der von der Polizei befragten Jugendlichen war noch spezifischer: Sie
berichteten von sexuellen Gefühlserlebnissen.
Auf dem Hintergrund des wahrscheinlichen Pathomechanismus der
zerebralen Hypoxie einerseits und der Erlebnisqualität andererseits ist zu
fragen, ob „angenehme Gefühle” durch Hypoxie hervorgerufen
werden können; mehr oder weniger jeder Medizinstudent wird in der
Rechtsmedizin mit Opfern autoerotischer Unfälle konfrontiert und ist daher
zur Thematik „sexuelle Stimulation durch Hypoxie” gut
informiert.
Sehr detailliert werden die autoerotischen Stimulationsmechanismen
durch Erzeugung einer zerebralen Hypoxie im sadomasochistischen Schrifttum
dargestellt, die jedem über das Internet offen zugänglich sind
[29]. Hierin wird auch die Verwendung von Butangas erwähnt,
jedoch von dieser Praxis wegen der gesundheitlichen Risiken abgeraten. Zur
Motivation der autoerotischen Stimulation durch Hypoxie finden sich dort
ausreichende Hinweise.
Unter den Usern der Schnüffelstoffe allgemein lassen sich vom
Konsumentenprofil her drei Gruppen definieren:
-
die lösungsmittelabhängigen Erwachsenen; sie sind in
aller Regel schwerst beeinträchtigte chronisch kranke Abhängige mit
einem Altersgipfel von 25-30 Jahren,
-
die polytoxikomanen Jugendlichen; sie konsumieren alles, von dem
sie sich eine psychotrope Wirkung versprechen, Altersgipfel 16-18
Jahre,
-
die schnüffelnden Kinder.
Vom Konsumverhalten her können ebenfalls drei Gruppen
differenziert werden:
-
die Probierer/Experimentierer, Alter 10-14 Jahre, aber
auch jünger; befriedigen ihre Neugier und stellen nach einigen Versuchen
den Konsum ein.
-
die sozialen Gruppen- oder Freizeitmissbraucher; das
Schnüffeln wird als mehr oder weniger regelmäßiges Ritual zum
Gruppenzusammenhalt gebraucht.
-
die chronischen Einzelschnüffler; beginnen meist in der
Gruppe, dann jedoch bekommt das Rauscherleben die Priorität vor dem
Gruppenerleben und sie konsumieren häufiger und intensiver als die
übrigen Mitglieder der Gruppe.
Zur Motivation von Kindern und Jugendlichen, im Rahmen
risikobehafteten Probierverhaltens unterschiedlichste Sorten von Rauschmitteln
zu konsumieren, gibt es im Bereich der Prävention ausreichend Schrifttum
[30]: Ein wichtiger Faktor ist die Neugier, die aber nicht zur
Chronifizierung des Schnüffelns führt. Ein weiterer ist die
Modulation der Affektivität durch das eingesetzte Rauschmittel: Wenn das
Lebensgefühl ist, „zur falschen Zeit im falschen Film auf dem
falschen Stern in der falschen Galaxie” zu sein, liegt es nahe, einen
Weg zu suchen, der dieses Gefühl aushaltbar macht. Dies kann einfach und
zuverlässig durch Rauschmittel geschehen.
Es stellt sich dann noch die „praktische” Frage, warum
die Butangasinhalation zur Rauscherzeugung von Kindern und Jugendlichen genutzt
wird. Der Vorteil des Butangases liegt in der einfachen Handhabbarkeit und
Verfügbarkeit auch für Kinder und Jugendliche:
-
Es ist legal und überall erhältlich, die Kosten sind
minimal, die Gasbehälter sind klein und jederzeit mit sich zu führen,
daher ist das Rauscherleben in fast jeder Situation möglich.
-
Beim „Erwischtwerden” ist es fast
unverdächtig - weil die meisten Jugendlichen rauchen -, auch
ist Butan nicht in den derzeitigen Drogentesten nachweisbar.
-
Der Konsum kann mehr oder weniger jederzeit erfolgen; ein
Aufschub des Konsums ist nicht notwendig.
-
Und: Schnüffelstoffe werden nicht über Dealer
vertrieben, d.h., die Kinder und Jugendlichen brauchen keine Beziehungen zum
Erwerb: Sie sind nicht abhängig von einem Stoff-Lieferanten.
Es gibt noch eine spezielle Situation, in der die
Schnüffelstoffe nicht unwichtig zu sein scheinen: in der stationären
Therapie. Dort können natürlich keine nachweisbaren Drogen konsumiert
werden [31]. In diesem durch Kontrolle geprägten Klima sind
Schnüffelstoffe eine Alternative als Ersatzdroge.
Stoffe mit vergleichbarem Wirkmechanismus
Stoffe mit vergleichbarem Wirkmechanismus
Zu fragen ist, ob es unter den Schnüffelstoffen Substanzen
gibt, die einen vergleichbaren Wirkmechanismus haben, also das aktuelle
Rauscherleben nicht durch ihre chemische Eigenart hervorrufen, sondern durch
den Mechanismus der Sauerstoffverdrängung.
Aus den toxikologisch-medizinischen Fakten zum Lachgas (chem.
Summenformel: N2O1) ist zu entnehmen, dass dieses Gas
eine berauschende Wirkung besitzt [32]. Es wird im medizinischen
Kontext zur Narkose eingesetzt. Zur Narkose wird ein Gemisch aus 25%
Sauerstoff und 75% Lachgas benutzt; nur bei dieser hohen
Sauerstoffkonzentration ist eine gute Verträglichkeit gegeben.
Im alltäglichen Gebrauch ist es bekannt aus den Gaskartuschen
der Sahnesyphons.
Als Rauschmittel wird es z.B. abgegeben in
„Luft”-Ballons, die statt mit Luft mit Lachgas gefüllt sind.
Die Inhalation erfolgt durch Einatmung aus dem Ballon; dabei sind
natürlich keine 25% Sauerstoff vorhanden.
Damit gelten die für Butangas und die Hypoxie erarbeiteten Gefahren. Die
Nachfrage nach Lachgas ist so groß, dass Vorräte gezielt gestohlen
werden [33].
Sowohl im Internet [34] als auch in einer Szene-Zeitung
[35] wird der Konsum von Lachgas als gesundheitlich unbedenklich
dargestellt. Diese Einschätzung muss auf der Basis der vorgenannten
Überlegungen zum pathophysiologischen Wirkmechanismus von Rauscherleben
und Gefahren auch für dieses Gas als Desaster bezeichnet werden. Die
Zielgruppe der Konsumenten besitzt keinen Zugang zu den Informationen
bezüglich der Gefahren, die meisten Mediziner leider ebenso nicht. Hier
will der Aufsatz eine Wissenslücke schließen.
Lachgas nimmt im Rahmen der Schnüffelstoffe insofern eine
Sonderstellung ein, als dass der unsachgemäße Gebrauch von Lachgas,
also zum Konsum als Rauschmittel, einen Verstoß gegen das
Arzneimittelgesetz darstellt [36].
Ergebnis
Ergebnis
Die Aufgabenstellung des Aufsatzes bestand in der Beschreibung eines
das Rauscherleben und die Todesfälle erklärenden gemeinsamen
Pathomechanismus; dieser beruht auf der Hypoxie infolge
Sauerstoffverdrängung durch Butangas.
Dabei ist die „therapeutische Breite” bezüglich
der Konzentration des Butangases sehr genau definiert: Unter ca. 30
Vol.-% Butangas in der Einatemluft ist keine Wirkung erwartbar, bei
über ca. 60-65 Vol.-% ist das Auftreten
lebensgefährlicher Zwischenfälle sehr wahrscheinlich.
Die Verwendung von Butangas zur Rauscherzeugung ist zusammenfassend
am ehesten im Bereich der autoerotischen Stimulation durch Erzeugung einer
Hypoxie anzusiedeln; insofern wären die Todesfälle als autoerotische
Unfälle zu klassifizieren.
Diese Einschätzung korreliert mit dem Auffindungsmodus des
Jugendlichen 1998, wobei berechtigt vermutet werden kann, dass das minimal
notwendige Sauerstoffangebot für längere Zeit deutlich unterschritten
wurde. Auch der in der MAK-Begründung aufgeführte Fall mit direkter
Inhalation aus einem Butangas-Kanister lässt eine massive
Butangaskonzentration vermuten und stützt daher die Arbeitshypothese.
Letztendlich ist im Fallbericht des 14-jährigen Jugendlichen
aus Innsbruck genau die Symptomatik bezüglich Herz und Gehirn beschrieben,
die nach den Überlegungen zur Pathophysiologie der systemischen Hypoxie zu
erwarten war. Insofern stellt dieser Fallbericht eine Art Verifizierung der
Arbeitshypothese dar.
Den Kindern und Jugendlichen ist ein autoerotischer Unfall mit
Todesfolge bekannt durch den Tod von Michael Hutchence
(12.1.1960-22.11.1997), einem (ehemaligen) Mitglied der australischen
Gruppe INXS.
Epilog: Folgerungen
Epilog: Folgerungen
Auch wenn in der Drogenaffinitätsstudie von 2001 keine
eigengewichteten Aussagen zum Gebrauch von Schnüffelstoffen unter
Jugendlichen in der BRD zu finden sind (s.o.), zeigt sich im
„Anhang” der Studie eine wichtige Tendenz: Bei drogenunerfahrenen
Jugendlichen nimmt die generelle Ablehnung des Drogenkonsums kontinuierlich
seit 1989 (erste verfügbare Daten) ab, die Akzeptanz vom Cannabis-Konsum
nimmt deutlich zu, zumindest als Probierverhalten. Auch das Probierverhalten
gegenüber anderen Drogen [37] scheint zuzunehmen.
Daher muss berechtigt befürchtet werden, dass das
Probierverhalten von Kindern und Jugendlichen nicht vor den
Schnüffelstoffen Halt machen wird. Aufgrund des Alters der Erstkonsumenten
von Schnüffelstoffen kann sogar die These gewagt werden, dass die
Schnüffelstoffe - neben oder evtl. sogar vor Alkohol und Nikotin
- als Einsteigerdrogen für konsumierende Kinder und Jugendliche von
immens wichtiger Bedeutung sind [38].
Die katastrophalen medizinischen Auswirkungen des andauernden
Konsums von Schnüffelstoffen - nicht nur von Butan -
einerseits, ihre Funktion als Einstiegsdroge andererseits sowie die potenziell
tödlichen Folgen bereits des Erstkonsums würden ein
„Umdenken” in der drogenpolitischen Diskussion hin zur
Wahrnehmung des Schnüffelstoff-Problems sinnvoll
erscheinen lassen.