Z Sex Forsch 2002; 15(4): 281-301
DOI: 10.1055/s-2002-36615
Originalarbeiten

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Weibliche Perversion

Sophinette Becker1
  • 1Institut für Sexualwissenschaft · Klinikum der Universität
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Publication Date:
14 January 2003 (online)

Abstract

Übersicht: Erst seit etwa 20 Jahren ist die weibliche Perversion zu einem Thema in Sexualwissenschaft und Psychoanalyse geworden. In dieser auffälligen Verspätung drückt sich die lange aufrechterhaltene Überzeugung aus, dass es, von wenigen Ausnahmen abgesehen, Perversionen bei der Frau nicht gebe. Die Perversion ist aber, wie die Autorin ausführt, keine Domäne des Mannes. Frauen erlebten ihre Ängste, Konflikte, Traumatisierungen, Aggressionen im Zusammenhang mit ihrer sexuellen Identität und ihrer Geschlechtsidentität nicht weniger, sondern anders als Männer, und diese würden von ihnen auch anders interpretiert, verarbeitet, agiert und externalisiert. Die Weichenstellung zur Perversion geschieht bei den Frauen über die andere Bedeutung des Körpers für ihre psychische Entwicklung. Angelehnt an Estela Welldon betont die Autorin, dass bei perversen Handlungen der Körper benutzt werden müsse. Bei Frauen bedeutet der perverse Umgang mit dem Körper aber etwas anderes als bei Männern. Der perverse Umgang der Frauen mit ihrem Körper und die ihm entsprechenden Manifestationen der Perversion werden von der Autorin anhand zahleicher Fallvignetten dargestellt und interpretiert.

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1 „Das Ich ist vor allem ein körperliches” (Freud 1923: 253).

2 Die Häufigkeit somatisch nicht indizierter Blinddarmoperationen bei Mädchen in der Pubertät (vgl. Hontschik 1988) ist ein Hinweis auf die Dramatik dieser Vorgänge.

3 Natürlich spielt auch die Neu-Positionierung des pubertierenden Mädchens gegenüber seinem Vater (vgl. Düring 2001) eine erhebliche Rolle für den Prozess der Integration der körperlichen Veränderungen in das weibliche Selbstgefühl. Ein schwieriger Aspekt ist dabei die Lösung von der Rolle als väterliches Selbstobjekt (vgl. Uhlmann 2002).

4 Freuds Konzeption der „Nachträglichkeit” erscheint mir nicht nur hilfreich für das generelle Verständnis psychischer Vorgänge in der Pubertät, sondern insbesondere für die Entwicklung des Körperselbst über die gesamte Lebensspanne.

5 Die besondere Relevanz der analen Vorgänge für die psychosexuelle Entwicklung der Frau (besonders auf der Ebene des Körperselbst) liegt in der anatomischen Nähe und nervlichen Beeinflussung der analen und genitalen Organe begründet: „Die Erregungen springen über und die psychischen Bedeutungen werden von den analen zu den genitalen Organen und zurück übertragen” (Eicke-Spengler 2002: 25). Während das kleine Mädchen die analen Vorgänge in gewissem Maße kontrollieren kann, ist ihm die Kontrolle der innergenitalen Vorgänge unmöglich. Deshalb wird auch die Menstruation als unkontrollierbar erlebt.

6 Der globalisierte Markt führt zu einem Funktionsverlust der Nationalstaaten (zum Zusammenhang zwischen Nationalismus und Geschlechterdichotomisierung vgl. Becker 2001) und benötigt einen in jeder Hinsicht flexiblen Konsumenten (vgl. Sennett 1998).

7 Schorsch meint vermutlich die bei Frauen häufigen masochistischen Beziehungen - nicht zu verwechseln mit dem von Freud vor allem bei Männern diagnostizierten „weiblichen Masochismus”. charakterisieren

8 Sowohl Reiche als auch Schorsch orientieren sich an dem berühmten Aufsatz „Dis-Identification” von Greenson (1968, deutsch 1982), in dem es unter anderem heißt: „Das Mädchen kann weibliche Eigenschaften erwerben, indem es sich mit der Mutter identifiziert. Seine Weiblichkeit ist praktisch sichergestellt, wenn es von einer weiblichen Person bemuttert wird. Der Knabe muss einen schwierigen und weit unsichereren Pfad einschlagen. Er muss die Identifizierung mit der Mutter beenden und sich mit einer männlichen Person identifizieren, wenn er eine männliche Geschlechtsidentität erwerben will.” Das Konzept von Greenson, das bis heute jede Dekonstruktion (z. B. Schmauch 1996) unbeschadet überstanden hat, halte ich für zu schematisch, und zwar deshalb, weil es den abwesenden Vater sozusagen zur Natur-Konstante deklariert, dem dann das Bild der allmächtigen Mutter korrespondiert - mit allen bekannten Folgen des „mother-huntings”. (Ein anwesender Vater entdämonisiert die „allmächtige Mutter”.) Außerdem ist Greensons Konzept letztlich von der gesellschaftlichen Ideologie geprägt, Männlichkeit bestehe zu einem wesentlichen Anteil aus radikaler Abgrenzung von Weiblichkeit. Außerdem unterschlägt es, dass Identifizierung und Objektwahrnehmung für beide Geschlechter von Anfang an zusammengedacht werden müssen. Auch die Weiblichkeit des kleinen Mädchens ist eben nicht allein durch die Identifizierung mit der Mutter „praktisch sichergestellt”, sondern bedarf der Beziehung zum Vater. Auch das Mädchen muss sich von der Mutter ent-identifizieren.

9 Eine Vergewaltigungsphantasie muss meines Erachtens nicht unbedingt „verquer” sein (vgl. dazu Azoulay 1996).

10 Zur Idealisierung des Primärprozesses bei Morgenthaler vgl. Passett 1986.

11 „Das Primärprozesshafte ist der geschlechterübergreifende Grund, in den die Wurzeln getaucht sind” (Schorsch 1989: 19). Gewiss sind das Primärprozesshafte, der Trieb, die Libido geschlechterübergreifende Konzepte, sie können aber entwicklungspsychologisch weder losgelöst von den Objektbeziehungen noch von der körperlichen Subjektivität verstanden werden.

12 Vgl. die positive Aufnahme dieses Gedankens durch Azoulay (1996).

13 Nach Schorsch (1989: 23) ist das männliche Phantasma „von der Natur abgeschnittener, entfremdeter” als das weibliche Phantasma: „Mit dem männlichen Phantasma ist ein fremderes Verhältnis zum eigenen Körper assoziiert, der, abgeschnitten von der Reproduktion, objekthafter wahrgenommen wird” (ebd.; Hervorheb. S. B.). Hier erliegt Schorsch selbst dem Phantasma bzw. schlägt argumentativ eine doppelte Volte: Er rekurriert in Bezug auf die Abwehrformation (nur) bei den Männern auf körperliches Sein, betont aber gleichzeitig, dass er lediglich „Tendenzen in den Phantasmata, nicht solche auf der Subjektebene” (ebd.) beschreibe.

14 So dekonstruiert er meines Erachtens völlig zu Recht die von der damaligen Männerbewegung propagierte „Neue Männlichkeit” als „Reaktionsbildungen” (Schorsch 1989: 26). Seiner ironischen Distanzierung davon, dass Männer ihre „weiblichen Anteile” entdecken (ebd.: 25), kann ich dagegen ebenso wenig ganz folgen wie seiner Kritik an der Forderung nach aktiver Teilnahme des Vaters an der Symbiose mit dem Kind (ebd.: 17). Beides kann ich mir durchaus ohne Verleugnung von Aggression vorstellen und es scheint mir in der Lebenswirklichkeit mancher heutiger Väter, die keineswegs „Mapis” (Bopp 1984) sind, auch bereits realisiert.

15 Auf französische Arbeiten über die weibliche Perversion, die allerdings konzeptionell der klassischen Perversionslehre verhaftet bleiben, bin ich erst kürzlich durch den Beitrag von Borens (1998) aufmerksam geworden.

16 Leider verweist der Titel nicht auf den Inhalt des Buches, was seiner Verbreitung geschadet hat.

17 Merkwürdigerweise hat Kaplan das drei Jahre zuvor erschienene Buch von Welldon nicht zur Kenntnis genommen; jedenfalls zitiert sie es ebenso wenig wie Beier (1994), dessen Konzept der „Reproversion” wie bei Welldon vom weiblichen Körperselbst ausgeht. Allerdings bleiben Beiers Überlegungen etwas konstruiert und hölzern-leblos, da er fast nur Beispiele aus der Mythologie und der Literatur bringt. Zudem handelt es sich bei dem einen seiner beiden eigenen (Gutachten-) Fälle um einen Mann.

18 Reiche hat seine klinischen Kriterien der Perversion (Reiche 1986) inzwischen auf fünf erweitert (2001).

19 Der letale Triumph wird wunderbar ausgedrückt durch das Lächeln Isabelle Hupperts, als sie sich in die Brust sticht.

20 Anorexie und Bulimie werden bis heute zu den psychosomatischen Krankheiten gezählt, obwohl sie systematisch eigentlich in keines der psychosomatischen Krankheitsmodelle passen.

21 Während es zur Fehlindikation von Operationen und deren geschlechtsspezifischen Implikationen bereits wichtige Beiträge gibt (vgl. Hontschik 1996), wurde die interaktive unbewusste Psychodynamik des „Kunstfehlers” bei Operationen bislang kaum erforscht. Ich denke dabei vor allem an „Zwischenfälle” bei (überwiegend bei Frauen durchgeführten) nicht indizierten Operationen im Bauchbereich wie im obigen Fall oder „Vergessen” von Scheren etc., denen nicht selten eine perverse Interaktion zugrunde liegen dürfte.

22 Inwieweit Tätowierung, Piercing und andere Formen der Körpermodifikationen perversen Zielen dienen, bedarf gründlicher interdisziplinärer Forschung, um eine generelle „Pathologisierung von Jugendkulturen zu vermeiden. Erste Forschungsergebnisse (Stirn 2002 a, b) weisen darauf hin, dass bei Frauen insbesondere Brust- und Genitalpiercing Manifestationen weiblicher Perversion sein können, die nicht selten andere Formen (z. B. Schnittverletzungen) ablösen, weil sie die Abwehr-Funktion als Plombe besser erfüllen als diese.

23 Welldon (1992) und McDougall (1997) schildern Fälle von Exhibitionismus bei Frauen, wobei die Patientinnen beider Autorinnen sich überwiegend vor mächtigen Frauen entblößen mussten.

24 Berner hat die Bedeutung von Welldons Buch für die Perversionsforschung früh erkannt (Berner 1990) und verweist auch in dem hier zitierten Aufsatz auf sie (Berner 1991).

25 Wie nah auch die scheinbar souveräne Domina an dieser masochistischen Perversion ist, kann man in dem Buch „Der korrekte Sadismus” von Terence Sellers (1985) nachlesen, die nicht nur über ihre Kunden, sondern auch über sich selbst sehr genau Bescheid weiß.

26 Welldons Buch ist bislang im deutschsprachigen Raum kaum rezipiert worden (neben Berner [1990, 1991] nur noch von Leithner und Springer-Kremser [2001]), während sich Joyce McDougall in ihrem letzten Buch „Die Couch ist kein Prokrustesbett” (1997) mehrfach darauf bezieht. Welldons auf Deutsch seit langem vergriffenes Buch wird voraussichtlich im Frühjahr 2003 im Psychosozial-Verlag wieder erscheinen.

27 Eine wirkliche Emanzipation beider Geschlechter vom kollektiven Phantasma würde nicht nur die „allmächtige Mutter” entdämonisieren und in produktivem Sinne „entmachten”, sondern auch der Frau eine Teilnahme an der Kultur ermöglichen, die sie nicht als gegen ihre Weiblichkeit gerichtet erleben muss.

Dipl.-Psych. Sophinette Becker

Institut für Sexualwissenschaft · Klinikum der Universität

Theodor-Stern-Kai 7

60590 Frankfurt am Main

Email: Sophinette.Becker@em.uni-frankfurt.de

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