Hintergrund
Die Ventilation der Lungen erfolgt durch die Atempumpe, die aus dem Atemzentrum, den
abführenden Nerven und als Kernstück der Thoraxwand mit den Inspirationsmuskeln und
dem knöchernen Thorax besteht. Die Inspirationsmuskeln haben die physiologischen Eigenschaften
von Skelettmuskeln und sind daher auch ermüdbar. Unter Ermüdung wird der Funktionsverlust
durch Überbeanspruchung verstanden. Die Ermüdbarkeit hängt von dem Verhältnis der
aktuellen Beanspruchung (Last) zur maximalen Kraft (Kapazität) der Muskulatur ab.
Bei den Extremitätenmuskeln tritt Ermüdung ein, wenn die Haltekraft mehr als 15 %
der maximalen Haltekraft beträgt. Die Inspirationsmuskeln ermüden innerhalb weniger
Minuten, wenn der bei jedem Atemzug entwickelte Inspirationsdruck 35 - 40 % des maximalen
Inspirationsdrucks überschreitet (PI/PImax > 35 - 40 %). Könnte die Inspirationsmuskulatur ohne Ermüdung dauerhaft ihre Kapazität
ausnutzen („Betrieb auf vollen Touren”), würde bei nahezu allen Erkrankungen die alveoläre
Ventilation ausreichen, um zumindest das überschüssige Kohlendioxid zu eliminieren.
Lediglich bei völlig destruierten Lungen, wie z. B. beim fortgeschrittenen ARDS ist
eine normale Ventilation trotz maximaler Lungenbelüftung nicht mehr zu erreichen.
Generell kommt es aber nur durch den ermüdungsbedingten Funktionsverlust der Inspirationsmuskeln
infolge Überbeanspruchung zur unzureichenden alveolären Ventilation und damit zur
Hyperkapnie (paCO2 > 45 mm Hg). Bei akut hoher Belastung mit rasch progredienter Ermüdung (z. B. akuter
Asthmaanfall) resultiert ein myogenes Pumpversagen mit Tachypnoe begleitet von progredienter
Hyperkapnie und schließlich Apnoe. Bei weniger progredienten Krankheitsverläufen mit
chronischen Belastungen (z. B. neuromuskulären Erkrankungen, Kyphoskoliose, COPD)
wird durch Feedback-Mechanismen der zum kompletten Pumpversagen führende Ermüdungsprozess
aufgehalten, indem eine weitere Antriebssteigerung verhindert wird (zentralnervöse
Anpassung an periphere Ermüdung). Hierdurch werden die Inspirationsmuskeln geschont,
jedoch muss dafür eine unzureichende alveoläre Ventilation mit Hyperkapnie in Kauf
genommen werden.
Mit Hilfe der Atemmuskelfunktionsdiagnostik sind folgende Fragen zu beantworten:
Durch Beantwortung dieser beiden Fragen kann die Ursache einer manifesten Pumpinsuffizienz
(Hyperkapnie) differenzialdiagnostisch geklärt und Risikopatienten für die Entwicklung
einer ventilatorischen Insuffizienz identifiziert werden. Weiterhin eignet sich die
Bestimmung der maximalen Inspirationskraft zur Verlaufsbeurteilung der Atemmuskelfunktion
z. B. bei Kortisonmyopathie oder bei einer neuromuskulären Erkrankung sowie zur Verlaufsbeurteilung
der Muskelschwäche bei Gewichtsabnahme (z. B. Lungenemphysem) oder bei der nicht-invasiven
Beatmung.
Methode
Die Bestimmung des maximalen Drucks am Mund bei forcierter Inspiration vom Residualvolumen
aus gegen ein verschlossenes Ventil wird auch in dem aktuell publizierten ATS/ERS-Statement
zur Atemmuskelprüfung als generell angewandter sinnvoller Test empfohlen [4]. Der so gemessene maximale Druck wird als maximaler statischer Inspirationsdruck
(PImax) bezeichnet. Die Messung ist schnell und nicht-invasiv. Es existieren keine international
akzeptierten Normwerte, so dass unterschiedliche Autoren mit unterschiedlichen Normalwerten
arbeiten [4]. Nun liegen erstmals Normalwertuntersuchungen aus dem deutschsprachigen Raum vor,
wobei in den beiden größeren Untersuchungen jeweils über 500 Probanden untersucht
wurden [1]
[2].
Messung des maximalen statischen Inspirationsdrucks (PImax)
Die maximale forcierte Inspiration gegen ein verschlossenes Ventil sollte ohne Pause
nach langsamer Exspiration bis zum Residualvolumen erfolgen. Durch die Inspiration
vom Residualvolumen aus wird der maximale Inspirationsdruck zwar durch den elastischen
Retraktionsdruck der Lunge beeinflusst, das Manöver ist jedoch einfach durchführbar
und daher international üblich. Die Inspirationszeit gegen das Ventil sollte mindestens
2 Sekunden betragen, da das Maximum der Inspirationsdruckkurve im Mittel erst nach
1,5 Sekunden erreicht wird. Die hier angegebenen Werte beziehen sich auf den Spitzendruck,
der aus der Inspirationsdruckkurve ermittelt wird. Hier ist zu beachten, dass in der
Literatur sehr häufig nicht der Spitzenwert angegeben wird, sondern der maximale Inspirationsdruck,
der über 1 Sekunde lang aufrecht erhalten werden kann (Plateau-Wert) [4]. Die Spitzendrücke liegen ca. 15 % höher als die Plateaudrücke. Die Korrelation
zwischen den Spitzendrücken und den Plateaudrücken ist hochsignifikant (R = 0,95)
und die Reproduzierbarkeit ist identisch [2]. Für die Wahl der Spitzendrücke spricht die leichtere Durchführbarkeit des Manövers,
die einfache Auswertung sowie der direkte Vergleich mit dem „Sniff-Manöver”, welches
die Alternativmethode zur Bestimmung des PImax ist (siehe unten). Es sollten mindestens 7 Manöver durchgeführt werden, evtl. mit
einer Pause dazwischen, da das Maximum des Inspirationsdrucks häufig erst im 4. -
6. Versuch erreicht wird. Im ATS/ERS-Statement wird der Maximalwert von 3 Versuchen,
die sich um weniger als 20 % unterscheiden, empfohlen, wenn zuvor ein erfahrener Untersucher
mit der Durchführung des Manövers zufrieden ist [4]. Die Bestimmung des maximalen Inspirationsdrucks 100 msec nach Inspirationsbeginn
(P0,1max) ist wegen der geringeren Reproduzierbarkeit und der höheren Standardabweichungen
nicht zu empfehlen. Zudem ist dieser Parameter international nicht etabliert.
Zur Vermeidung einer zusätzlichen Druckerzeugung durch die orale Muskulatur sollte
entweder ein konisches Mundstück mit einem Leck von 1 mm oder aber Mundstücke mit
einem enoralen Gummiansatz verwendet werden.
Messung der Last über den aktuellen Inspirationsdruck (P0,1)
Zur Bestimmung der Last hat sich der Mundverschlussdruck 100 msec nach Inspirationsbeginn
(P0,1) bewährt. Hierbei wird zu Beginn einer Inspiration nach vorheriger normaler
Exspiration während Ruheatmung ein Ventil vor dem Mund für 120 ms verschlossen und
der Munddruck 100 msec nach Inspirationsbeginn bestimmt. Nach anschließender Öffnung
des Ventils erfolgt der weitere Atemvorgang unbeeinflusst. Es sollen dabei etwa 5
- 10 Verschlussmanöver in 11/2 min durchgeführt werden. Wenn während des Manövers Atemnot auftritt, sollte dies
in 2 Zyklen geschehen. Als Parameter der Last soll der Mittelwert oder besser noch
der Median des P0,1 aus 5 - 6 Verschlüssen verwendet werden. Wenn der Mittelwert verwendet
wird, müssen „Ausreißer” (besonders hohe Drücke) eliminiert werden. Die Verschlüsse
sollten unregelmäßig und zufällig erfolgen, um ein bewusstes oder unbewusstes Reagieren
auf den Verschluss zu verhindern.
Normalwerte
Aufgrund der hohen Varianz des PImax sind Abhängigkeiten von Körpergewicht und Alter zu vernachlässigen. In allen Studien
zeigte sich aber, dass bei Patienten, die älter als 60 Jahre sind, die Standardabweichungen
enorm hoch sind, so dass hier keine Empfehlungen gegeben werden können. Offenbar haben
ältere Probanden zum Teil erhebliche Schwierigkeiten mit dem forcierten Inspirationsmanöver,
obwohl sie ja zuvor die Spirometrie zufriedenstellend durchgeführt hatten. In Tab.
[1] sind die Normalwerte für Frauen und Männer unterhalb von 60 Jahren aufgeführt. Sie
liegen in der Mitte der in dem ATS/ERS-Statement angegebenen 6 unterschiedlichen Normalwertbereichen.
Die Normalwerte errechnen sich aus den Mittelwerten der Kollektive der Arbeitsgruppen
aus München und Freiburg [1]
[2] mit insgesamt über 1000 Normalpersonen. Bei Messungen der Reproduzierbarkeit des
PImax lag der intraindividuelle Variationsquotient immer unter 10 % (im Mittel 7 %) wobei
die Mittelwerte ziemlich konstant waren und bei häufigen Messungen die Standardabweichungen
geringer wurden. Aufgrund der relativ hohen interindividuellen Standardabweichungen
liegt der untere Grenzwert für Frauen bei 4,0 und bei Männern bei 5,5 kPa. Als unterer
Grenzwert wurde die 5. Perzentile berechnet. Bei unterschiedlichen Grenzwerten zwischen
den Kollektiven der Studien [1]
[2] wurde der jeweils geringere Grenzwert zugrunde gelegt. Bei der Interpretation ist
zu beachten, dass natürlich eine Muskelschwäche vorliegen kann, wenn der Muskeldruck
noch im Normbereich liegt, aber vor Krankheitsbeginn ein höherer Ausgangswert erreicht
wurde. Insofern können hier, wie auch häufig bei der Spirometrie, nur Verlaufsuntersuchungen
weiterhelfen. Erfahrungsgemäß gilt, dass eine klinisch signifikante Muskelschwäche
ausgeschlossen ist, wenn der maximale statische Inspirationsdruck bei Frauen 7,0 und
bei Männern 8,0 kPa überschreitet (siehe Tab. [1]).
Die Normalwerte für den Mundverschlussdruck während Ruheatmung sind in Tab. 2 angegeben. Die Normalwerte sind nur gering von Alter oder Geschlecht beeinflusst,
so dass sie ohne Einschränkung gelten. Allerdings lagen die Mittelwerte in einem Kollektiv
bei 0,1 kPa [2] und in dem anderen großen Kollektiv bei 0,15 [1]. Dies liegt sicherlich an den unterschiedlichen apparativen Bedingungen (Apparatewiderstand,
Apparatetotraum), so dass bei genereller Abweichung von diesen Normalwerten die apparativen
Konditionen überprüft werden müssen. Aus beiden großen Studien ergab sich aber, dass
bei einem P0,1 über 0,3 kPa eine erhöhte Last der Inspirationsmuskulatur vorliegt.
In der Tab. [3] sind die oberen Grenzwerte aufgeführt, die sich für P0,1 bezogen auf das Atemminutenvolumen
in Ruhe (VE) bzw. bezogen auf die mittlere Inspirationsgeschwindigkeit bei Ruheatmung (VT/TI) und in Beziehung zum maximalen Inspirationsdruck PImax ergeben. Dabei reflektieren P0,1/VE und P0,1/VT/TI die effektive inspiratorische Impedanz des gesamten respiratorischen Systems. Da
der P0,1 bei Hyperventilation mit zunehmendem VE oder zunehmender VT/TI ansteigt, werden unterschiedliche Atemminutenvolumina bzw. unterschiedliche Inspirationsgeschwindigkeiten
bei Ruheatmung durch die Quotienten korrigiert, so dass diese Quotienten weniger variieren
als der Absolutwert des P0,1.
Durch Verzicht auf den maximalen P0,1 bei forcierter Inspiration (P0,1max) ist die prozentuale Beanspruchung der Inspirationsmuskulatur nicht mehr direkt abzulesen.
Aus den Arbeiten über experimentelle Erschöpfung bei Stenoseatmung und ergometrischer
Belastung geht hervor, dass die Erschöpfungsgrenze der Inspirationsmuskulatur von
35 - 40 % der maximalen Kapazität einem Quotienten von P0,1 zu PImax von etwa 20 bis 25 % entspricht. Eine Beanspruchung P0,1/PImax von > 4,5 % bei Ruheatmung ist sicher erhöht (siehe Tab. [3]).
Bei Interpretation der Maximaldrücke als Ausdruck der maximalen Inspirationskraft
muss das Lungenvolumen als Index der Länge der Inspirationsmuskulatur beachtet werden.
Je höher das Lungenvolumen bei Bestimmung des maximalen Inspirationsdruckes ist, desto
kürzer ist die Inspirationsmuskulatur und umso geringer ist der maximale Inspirationsdruck,
obwohl keinerlei Kontraktilitätsstörung besteht. Somit muss beachtet werden, dass
bei Patienten mit Lungenüberblähung geringere Inspirationsdrücke erreicht werden,
obwohl die Kontraktilität der Inspirationsmuskulatur ungestört ist. Da sich aber das
erhöhte Lungenvolumen sowohl bei der Inspirationsdruckentwicklung in Ruhe als auch
bei der forcierten Inspiration gleichermaßen auswirkt, ist der Quotient P0,1/PImax als ein vom Lungenvolumen unabhängiger Parameter der Beanspruchung zu akzeptieren.
Wenn Zweifel an der Validität der Inspirationskraftbestimmung durch das forcierte
Inspirationsmanöver bestehen, müssen andere Bestimmungen der Atemmuskelkraft vorgenommen
werden. Alternativ kann der Nasendruck bei kurzer forcierter Einatmung über die Nase
und den geschlossenen Mund („Sniff”) gemessen werden (sniff Pna). Um mögliche Übertragungsstörungen des intrathorakalen Drucks zur Nase (wie z. B.
bei Patienten mit schwerer Obstruktion beschrieben) auszuschließen, kann der Ösophagusdruck
beim Sniff-Manöver gemessen werden (Sniff Pes). Dieses invasive Verfahren gilt als die Methode mit der geringsten Fehlermöglichkeit
durch falsch niedrige Ergebnisse und wird eingesetzt, wenn Zweifel an der durch PImax oder sniff Pna festgestellten Einschränkung der Inspirationskraft bestehen. Eine mitarbeitsunabhängige
Methode ist die Messung des Ösophagusdrucks oder Munddrucks nach magnetischer Reizung
des Nervus phrenicus. Dazu liegen jedoch noch keine Normwerte vor, so dass diese Methoden
nur in speziellen Laboratorien zur Anwendung kommen.
Tab. 1 Maximaler statischer Inspirationsdruck (PImax)
| < 60 Jahre |
Frauen |
Männer |
|
Mittelwert (kPa)
|
8,5 |
11,5 |
|
Unterer Grenzwert (kPa)
|
4,0 |
5,5 |
|
Ausschluss einer relevanten Muskelschwäche (kPa)
|
> 7,0 |
> 8,0 |
Tab. 2 Mundverschlussdruck während Ruheatmung (P0,1)
|
Normalwerte
|
0,1 - 0,15 ± 0,07 |
kPa |
|
oberer Grenzwert
|
0,3 |
kPa |
Tab. 3 Obere Grenzwerte für den Mundverschlussdruck (P0,1) bezogen auf das Atemminutenvolumen
(VE) und die mittlere Inspirationsgeschwindigkeit (VT/TI) bei Ruheatmung sowie in Bezug auf den maximalen statischen Inspirationsdruck (PImax)
|
P0,1/VE
|
< 0,025 [kPa × min/l] |
|
P0,1/VT/TI
|
< 0,5 [kPa × s/l] |
|
P0,1/PImax
|
< 4,5 % |
Die Empfehlungen wurden von
Prof. Dr. Criée, Ev. Krankenhaus Gö.-Weende, Abt. Pneumologie, Beatmungsmedizin/Schlaflabor,
37120 Bovenden-Lenglern
Priv.-Doz. Dr. Hautmann, Pneumologie, Medizinische Klinik Innenstadt der Universität
München, Ziemssenstr. 1, 80336 München
Dr. E. Hennings, Universitätsklinik, Abt. Pneumologie, Hugstetter Str. 55, 79106 Freiburg
Dr. Lehnigk, Fachkrankenhaus Großhansdorf GmbH, Zentrum f. Pneumologie und Thoraxchirurgie,
Wöhrendamm 80, 22927 Großhansdorf
Dr. Mellies, Ruhrlandklinik, Tüschener Weg 40, 45239 Essen
Dr. Neumeister, Internistisches Klinikum Koblenz, Kardinal-Krementz-Str. 1 - 5, 56073
Koblenz
Prof. Dr. Rasche, Kliniken St. Antonius/Standort Marienheim, Hardtstr. 46, 42107 Wuppertal
Prof. Schmidt, Mediz. Universitätsklinik, Schwerpunkt Pneumologie, Josef-Schneider-Str.
2, 97080 Würzburg
Dr. Wiebel, Thoraxklinik d. LVA, Amalienstr. 5, 69126 Heidelberg
Dr. Windisch, Universitätsklinik, Abt. Pneumologie, Hugstetter Str. 55, 79106 Freiburg
Dr. Winter, 3. Medizinische Abteilung Krankenhaus München-Schwabing, Kölner Platz
1, 80804 München
erarbeitet.