Balint Journal 2003; 4(1): 26-27
DOI: 10.1055/s-2003-37895
Original
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Interaktionelle Beziehungsdiagnostik

D. Mattke1
  • 1Rhein Klinik, Bad Honnef
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Publication Date:
12 March 2003 (online)

Interaktionelle Beziehungsdiagnostik? Was ist das?

Mit Erstaunen hörte ich von Teilnehmern unserer diesjährigen Bonner Balint-Studientagung, dass die Inhalte von Balint-Arbeit, die inzwischen zum Fachkundenachweis in vielen Weiterbildungsgängen gehören, wie auch bei der Ausbildung zum psychologischen Psychotherapeuten, in Seminaren zur interaktionellen Beziehungsdiagnostik erworben werden können.

Wer bietet diese Seminare an? Wie sind die Weiterbilder weitergebildet? Wie und von wem werden sie befugt?

Zunächst fragte ich mich: Was soll der Lärm? Die vielen Balint-Gesellschaften auf der Welt freuen sich vielleicht, dass ihre Ideen sich durchsetzen. Allerdings hatte ich dann doch einige späte Nachgedanken zu diesen Diskussionen, die ich kurz skizzieren möchte, um evtl. eine Diskussion innerhalb unserer Balint-Gesellschaft anzuregen.

Vielleicht könnten wir uns erkundigen - ich habe es bisher noch nicht getan - was in den Seminaren zu Theorie und Praxis der interaktionellen Beziehungsdiagnostik vermittelt wird. Vielleicht ist es ja nicht der gute alte Wein in neuen Schläuchen. Die Weiterbildung zum Balint-Gruppenleiter ist, soweit mir bekannt, inhaltlich nicht sehr festgelegt. Neben den Leiterseminaren, die von hoher Qualität sind, ist es vor allem die Teilnahme an einer Balint-Gruppe nach der Grundqualifikation. Ist irgendwo genauer beschrieben, was und wie in Balint-Gruppen und -Leiterseminaren gelernt werden soll? Ich fantasiere einmal, was in einem Seminar für interaktionelle Beziehungsdiagnostik vermittelt werden könnte. Geht es vielleicht um eine Modernisierung von Balint-Diagnostik, um die wir uns nicht meinen kümmern zu müssen?

Folgende Inhalte stelle ich brainstorming-mäßig einmal zusammen:

Gruppendynamik Sozialpsychologie der Kleingruppe Rollentheorie und Rollenverhalten die Beziehungsdefinition in systemischer Sicht Einübung und Erlernen von Gesprächstechniken im Rollenspiel lösungsorientiertes Arbeiten und Lernen in Gruppen und vieles andere mehr.

Eine Idee, die ich hier zur Diskussion unterbreite, wäre, ob wir nicht mit den Seminarleitern für interaktionelle Beziehungsdiagnostik zusammenarbeiten könnten. Einen Kongress veranstalten z. B.? Könnten wir nicht von einander lernen?

Ein worst-case-Szenario will ich auch aufzeichnen:

Das alte Schlachtschiff Balint-Gruppe ist vielleicht tatsächlich etwas in die Jahre gekommen. Es gibt Kolleginnen und Kollegen, die nicht selten von ihren Weiterbildungsgängen an Kliniken, in Instituten und auf dem trotz beklagten Geldmangels weiter expandierenden Tagungsmarkt von Haifisch-Becken sprechen. Da würde es nicht Wunder nehmen, um in der Meeres-Metapher zu bleiben, wenn unser gutes altes Schiff ausgeräubert würde und Inhalte auf neuen schnellen Fregatten angeboten werden.

Also doch nicht zurücklehnen und die Arzt-Patienten-Beziehung in der Balint-Gruppe als ein unverwüstliches und robustes Schiff verteidigen, das allen Stürmen trotzen wird und auf moderne Navigationstechnik verzichten kann?

Balint-Gruppenarbeit ist stark und tatsächlich robust über die Jahre gekommen, ohne allzu große Theorielastigkeit. Die Theorie ist einfach, klar und basal. Ursprünglich geht sie zurück auf den psychoanalytischen Übertragungsbegriff. Allerdings hätte ich kein Problem in meinen Theorievorstellungen für meine Balint-Arbeit, den moderneren und komplexeren Begriff Beziehung zu akzeptieren. Es wäre dann möglich, psychoanalytische oder psychodynamisch orientierte Balint-Arbeit mehr vom theoretischen Verständnis der P.A. her geleitet zu machen. Ebenso könnte aber auch in einer Balint-Gruppe interaktionelle Beziehungsdiagnostik stattfinden, die mehr an Konzepten kognitiv-behavioraler Beziehungsdefinition orientiert ist. Die Grundidee von Michael Balint, dass sich diese Beziehungsdiagnostik entfaltet, wenn ein Arzt (Therapeut) in einer Gruppe über Patienten berichtet, muss dabei nicht aufgegeben werden.

Diese Gedanken möchte ich in unserem Journal zur Diskussion stellen.

Dr. med. Dankwart Mattke

Rhein-Klinik

Luisenstr. 3

53604 Bad Honnef

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