Kasuistik
Anamnese
G.K.: 79 Jahre, männlich, Rentner
Vor 8 Monaten traten erstmals stark juckende, anfangs ekzemartige später knotige Hautveränderungen
mit bevorzugter Lokalisation an den Extremitäten auf. Die Effloreszenzen wurden blutig
gekratzt und heilten mit Hyperpigmentierungen ab. Ambulant wurde bei fortschreitenden
Befunden bis zum Zeitpunkt der stationären Aufnahme mit kortisonhaltigen Externa ohne
sichtbare Besserungstendenz behandelt.
Erwähnenswert sind darüber hinaus ein mit oralen Antidiabetika geführter Diabetes
mellitus Typ 2 ohne Komplikationen, eine kompensierte KHK, eine Penicillinallergie
sowie ein Zustand nach Parathyroidektomie.
Hautbefund bei Aufnahme
Knotige, hyperpigmentierte, zum Teil glänzende Hautveränderungen in flächiger Ausdehnung
an den Streckseiten beider Oberarme, Unterschenkel und am Gesäß. Daneben deutliche
Kratzeffloreszenzen und flache Erosionen mit Köbner-Phänomen-ähnlichem Aspekt. Schon
abgeheilte Areale stellten sich kaum infiltriert, aber deutlich hyperpigmentiert dar
(Abb. [1] u. [2]). Blasen waren nicht sichtbar. Alle Schleimhäute waren frei von pathologischen Veränderungen.
Abb. 1 Detail Gesäß.
Abb. 2 Detail rechter Oberarm.
Dermatohistopathologie (H 7065/2 vom 3. 9. 2002, Pathologische Gemeinschaftspraxis,
Dr. Neumerkel/Dr. Otremba, Zwickau):
Hautweichteilgewebe mit einer akanthotisch verbreiterten Epidermis, die eine oberflächliche
lamelläre Parakeratose aufweist, wobei an vielen Stellen eine entzündlich leukozytär-parakeratotische
und fibrinös-hämorrhagische Squama vorliegt. Die Reteleisten plump klonal und fingerförmig
verlängert und in den basalen Epithelschichten Lymphozyten einschließend. Das Stratum
papillare mit Kapillarektasien und unterschiedlich dichten entzündlichen Infiltraten
von Lymphozyten mit einzelnen histiozytischen Zellen und beigemischten Granulozyten.
Beurteilung: Hautweichteilgewebe mit chronisch rezidivierter Dermatitis und entzündlicher
Squama, wobei die Reaktionsweise teilweise psoriasiform erscheint. Keine Malignität
(Abb. [3]).
Abb. 3 Histologie: Akanthose, Hyperkeratose und gemischte entzündliche Infiltrate (HE-Färbung,
Originalvergrößerung 15fach).
Laborbefunde
Direkte IF (Prof. Dr. med. B. Knopf, Klinik für Hautkrankheiten und Allergologie Zwickau):
Bei der direkten IF-Untersuchung konnten lineare Ablagerungen von IgG und Komplement
entlang der BMZ nachgewiesen werden. Beurteilung: Befund spricht für bullöses Pemphigoid.
AK-mapping - „Salt split”-Technik: Antikörperablagerungen am Blasendach (epidermale
Seite des Spaltes) sichtbar (Abb. [4]).
Abb. 4 Immunfluoreszenz: Antikörperablagerungen am Blasendach (epidermale Seite des Spaltes).
Beurteilung: bullöses Pemphigoid
Indirekte IF (Prof. Dr. med. B. Knopf, Klinik für Hautkrankheiten und Allergologie
Zwickau):
Epidermale Basalmembran-Antikörper (Titer): 1 : 1280 positiv
Epidermale Interzellularsubstanz-Antikörper (Titer): negativ
ANF-Titer: negativ
ds-DNS-Titer: negativ
Endomysium-Antikörper (Titer): negativ
Beurteilung: Befund spricht für bullöses Pemphigoid.
ELISA mit rekombinantem BP180 NC16A (Klinik und Poliklinik für Hautkrankheiten der
Universität Würzburg, Autoimmunologisches Labor, Prof. Dr. med. Eva Bröcker): 74,2
U/ml (Norm: unter 9) positiv
Weitere Laborbefunde:
BSG: 5/20 mm/h
Blutbild und Differentialblutbild: Monozyten 14 %, sonst unauffällig.
Analyse: γGT 1,52 µmol/ls, keine weiteren pathologischen Befunde einschließlich Immunelektrophorese
Zirkulierende Immunkomplexe: 108,0 µg/ml (Norm: unter 55,0)
p-/c-ANCA: negativ
HbA1c: 6,4 % (Norm: 4,4 - 6,4)
Urinstatus und -sediment: unauffällig
Mykologische Untersuchungen:
-
Abstrich Unterschenkel: Präparat negativ, Kultur Candida albicans nach Anreicherung.
-
Stuhl I-III: Candida albicans, Keimzahl 1 Mpt/l
Bakteriologische Untersuchungen Abstrich Unterschenkel: Staph. aureus, Resistenzen
bei Penicillin und Ampicillin
Stuhluntersuchungen auf Helminthen und Wurmeier: negativ
Gerätetechnische Untersuchungen
Abdomensonographie: Steatosis hepatis, keine Organinfiltrate. Cholezystolithiasis,
Nierenzyste links. Keine paraaortalen Infiltrate.
Röntgen des Thorax: keine frischen Infiltrate.
Therapie und Verlauf
Wegen des bestehenden Diabetes mellitus wurde zunächst eine intensive externe Therapie
der Hautveränderungen mit täglicher Applikation von Momethasonfuorat im Wechsel mit
einer Basissalbe durchgeführt.
Aufgrund der Progredienz und des schlechten Ansprechens der externen Behandlung während
der ersten Tage des stationären Aufenthaltes entschieden wir uns zu einer systemischen
Kortisontherapie. Wir begannen mit 1 mg Solu-Decortin H/kg Körpergewicht i. v., das
relativ rasch reduziert und am 13. Tag auf die orale Medikation von 30 mg Tagesdosis
reduziert wurde. Eine Dysregulation des Diabetes infolge des applizierten Kortikoids
trat nicht auf.
Parallel zur systemischen Therapie führten wir bei anamnestisch guter Sonnenlichtverträglichkeit
die Bade-PUVA-Therapie mit einer kumulativen Dosis von 6,2 J/cm² UVA in 13 Einzelsitzungen
durch.
Diese Therapieoption sprach gut an, neue Hautveränderungen traten nicht mehr auf und
die noch bestehenden heilten mit Hyperpigmentierungen ab.
Die Entlassung in die ambulante Weiterbehandlung erfolgte mit einer Prednisolondosis
von 30 mg/Tag. Empfohlen wurde die Reduktion auf 20 mg, danach schrittweise alle fünf
Tage um 5 mg, um dann einen Auslassversuch zu unternehmen. Ein Reboundphänomen trat
nach telefonischer Auskunft des behandelnden Hautarztes bisher nicht auf.
Diskussion
Provost et al. beschrieben erstmals 1979 ein BP als noduläre Variante bei zwei weiblichen
Patienten unter dem klinischen Bild einer Prurigo nodularis [7]. Der Begriff des Pemphigoid nodularis selbst wurde 1981 von Yung et. al. geprägt
[10].
Sehr wahrscheinlich handelt es sich bei dem Krankheitsbild um eine eigene Entität,
wenn auch in den vorangegangenen Jahren von der Koinzidenz zweier Erkrankungen ausgegangen
wurde. In der Pathogenese werden zwei verschiedene Mechanismen diskutiert [6], wobei eine eindeutige Klärung der Rolle der Antikörperbildungen bisher noch nicht
vorliegt: 1. Gleichzeitiges Vorkommen von zwei unterschiedlichen Entitäten, nämlich
eine Prurigo nodularis und ein bullöses Pemphigoid. 2. Trauma und lokale Entzündung
führten zur Verletzung der Basalmembranzone und induzierten die Bildung von Pemphigoid-Antikörpern
bei prädisponierten Personen.
Die noduläre nicht bullöse Variante des BP ist charakterisiert durch multiple, juckende
exkoriierte Papeln mit bevorzugter Lokalisation an den Streckseiten der unteren Extremitäten.
Sie kann sowohl klinische Zeichen der Prurigo nodularis als auch des BP zeigen.
Bei den meisten Patienten wurde initial über das parallele Auftreten von hyperkeratotischen
Veränderungen und straffen Blasen berichtet.
In unserem Fall konnten weder anamnestisch noch im klinischen Bild Blasen eruiert
werden. Auch histologisch waren weder eine Blasenbildung noch die sonst typischen
eosinophilen Infiltrate nachweisbar. Vorliegende Akanthose, Hyperkeratose und gemischte
entzündliche Infiltrate sprachen eher für eine Prurigo.
Diskutiert werden könnte, dass die Blasenbildung unbemerkt vom Patienten verlief und
schon zur stationären Aufnahme das knotige Vollbild der Erkrankung vorlag. Andererseits
ist es denkbar, dass es ohne Therapie nach längerem Verlauf doch noch zur Blasenbildung
gekommen wäre.
Sowohl die direkte als auch die indirekte Immunfluoreszenztechniken einschließlich
der „Salt split”-Technik waren bei unserem Patienten im Sinne eines bullösen Pemphigoids
positiv.
In den meisten Berichten zur nodulären Form des BP wurden zirkulierende IgG-Antikörper
gegen die Basalmembranzone gefunden. Über Ablagerungen von IgA-Antikörper an der Basalmembran
wurde seltener berichtet [1]
[9].
Als Ziel-Antigene konnten im Western-Immunoblot BP230 (intrazelluläre 230-kDa Komponente
der Hemidesmosomen) und BP180 (transzelluläres 180-kDa Kollagen, Kollagen XVII) nachgewiesen
werden [1]
[5]
[8]. Zudem gibt es Veröffentlichungen zu zirkulierenden Antikörpern, welche mit der
intrazellulären Domäne von Dsg.1, dem Zielantigen beim Pemphigus foliaceus, reagieren
[4].
Bei dem vorgestellten Patienten konnten wir als Target der zirkulierenden Antikörper
PB180 demonstrieren. Eine Blasenbildung entwickelte sich dennoch nicht.
Der passive Transfer von anti-BP180-Antikörper im Tiermodell ging auch nicht in allen
Fällen mit einer Blasenbildung einher [11].
Die Rolle der Antikörper bei der Entwicklung des Juckreizes und des nodulären Verlaufes
ist nicht klar.
In unserem Fall würden wir hinsichtlich der Pathogenese die zweite Hypothese, d. h.
Induktion durch Pemphigoid-AK-Bildung durch Trauma (Kratzen) favorisieren.
Auffällig war auch ein erhöhter IgE-Titer, wie er an anderer Stelle schon beschrieben
wurde [3]. Welche Rolle dieser erhöhte Titer in der Pathogenese spielt, bleibt Spekulation.
Die Behandlung des NP kann sich schwierig gestalten und die Veränderungen sprechen
in vielen Fällen auf die alleinige externe Monotherapie mit Steroiden nicht an. Fast
alle in der Literatur veröffentlichten Fälle bedurften einer systemischen Therapie
mit Kortison als Monotherapie bzw. in Kombination mit Immunsuppressiva oder Dapson
[2]. Es ist infolge nicht verwunderlich, dass auch wir eine systemische Kortisontherapie
nicht umgehen konnten. Die zusätzlich durchgeführte Bade-PUVA-Therapie wurde vom Patienten
prurituslindernd empfunden. Ob dadurch auch die Heilung beschleunigt wurde, ist fraglich.
Wir präsentieren diesen Fall, um darzustellen, dass bei persistierenden pruriginösen
knotigen Veränderungen auch eine blasenbildende Dermatose in die differenzialdiagnostischen
Überlegungen mit einbezogen werden sollte.