Einleitung
Einleitung
Die Bedeutung der Mitarbeits- oder Veränderungsmotivation von Menschen mit psychischen
Störungen allgemein und von Personen, die psychoaktive Substanzen missbrauchen oder
von diesen abhängig sind, ist seit langem bekannt (vgl. ). Dabei sind zwei Populationen
voneinander zu unterscheiden:
Einerseits hat man es mit Menschen zu tun, die ihre Probleme aus eigener Kraft und
mithilfe ihrer sozialen Netzwerke lösen können. Allgemein geht man davon aus, dass
ca. 80 % aller Menschen, die kürzere oder längere Episoden des Missbrauchs und der
Abhängigkeit (nach ICD-10) von einem psychoaktiven Stoff oder auch von mehreren dieser
Substanzen durchleben, selbst in der Lage sind, ihr Verhalten zu ändern . Mit dieser
Gruppe wird sich dieser Beitrag nicht beschäftigen, zumal sie gerade nicht die einschlägigen
Beratungs- oder Therapieangebote in Anspruch nimmt.
Andererseits gibt es aber auch eine recht große Gruppe von Menschen, die zur Lösung
ihrer Substanzprobleme professionelle Hilfe brauchen. Diese Gruppe interessiert im
Folgenden und von dieser wiederum diejenigen Frauen und Männer, die illegale Drogen
nehmen, sich an sie gewöhnen, von ihnen abhängig werden und die darüber hinaus weitere
mit der Abhängigkeit zusammenhängende Probleme entwickelt haben. Der weitaus größte
Teil der Studien und Veröffentlichungen, die in den letzten Jahren zum Motivational
Interviewing entstanden sind, befasst sich mit Menschen mit Alkoholproblemen und deren
Veränderungsmotivation (vgl. den Beitrag von Kremer in diesem Heft). Vergleichsweise
wenig ist darüber bekannt, ob und wie sich diese Methode erfolgreich in der Beratung
und Behandlung von Menschen einsetzen lässt, die Probleme mit illegalen Drogen haben.
Wer abhängig von illegalen Substanzen ist und seine Selbsthilferessourcen ausgeschöpft
hat, kommt eventuell zur Einsicht, dass er oder sie Hilfe von Dritten braucht. Es
entsteht also Behandlungsmotivation, die ihn oder sie dazu veranlasst, eine Behandlung
aufzusuchen.
Man ging lange Zeit davon aus, dass sich Behandlungsmotivation in einem hohen „Leidensdruck”
manifestiert, also einem subjektiv erlebten Leiden an den eigenen Problemen verbunden
mit der subjektiven Einsicht, Hilfe von Dritten zu benötigen, zum Beispiel von SozialarbeiterInnen,
PsychologenInnen sowie von ÄrztenInnen, insbesondere von PsychiaterInnen, aber auch
von Laienorganisationen wie den Anonymen Alkoholikern bzw. den Narcotics Anonymous
usw. Ohne jeden Zweifel gibt es drogenabhängige Frauen und Männer, die ganz erheblich
an ihrer Sucht leiden, aber es gibt eben auch viele andere. Dennoch galt „Leidensdruck”
lange Zeit als unerlässliche Voraussetzung für die Aufnahme von süchtigen Frauen und
Männern in eine Behandlung. Wer wenig oder keinen „Leidensdruck” hatte, galt als nicht
oder noch nicht behandlungsfähig. Unangenehme Aufnahmerituale oder Behandlungsbedingungen
galten als Test für die Stärke des „Leidensdrucks”. Wer solche Tests nicht bestand,
hatte keine Chance auf Behandlung.
Von diesen Positionen ist man mittlerweile abgerückt. Das liegt einmal daran, dass
die Drogenhilfe alles in allem genommen mit diesem Ansatz und dem davon abgeleiteten
Vorgehen bei der Behandlungsaufnahme nicht gut gefahren ist (ausführlich in [10, S.
156 ff; vgl. 78, 79, S. 22]). Zum anderen haben sich die Annahmen hinsichtlich Entwicklung
und Verlauf von Substanzabhängigkeit verändert mit der Folge, dass man heute auch
andere Behandlungsansätze verfolgt .
Dazu hat die Ausformulierung des transtheoretischen Modells der Motivation [15]
[16], für Einzelheiten (vgl. Hoyer in diesem Heft) entscheidend beigetragen, das von
einem anderen Menschenbild und entsprechend von einem anderen Verständnis der Behandlungs-
und Veränderungsmotivation ausgeht. Danach ist Veränderungsmotivation dynamisch und
nicht statisch und Beratende können sie systematisch anregen. Sie können die Motivation
jedoch auch verringern oder gar zerstören. Es liegt also nicht zuletzt in der Hand
der Beratenden, ob Rat Suchende zu einer Behandlung motiviert werden, ob sie bereit
sind, sich auf Veränderungen einzulassen und wann sie das in der Entwicklung von Substanzmissbrauch
oder Substanzabhängigkeit tun. Daraus haben sich differenzierte Ansätze zur Früh-
und Kurzintervention ergeben sowie zur ambulanten und stationären Behandlung.
Wie sich mittlerweile gezeigt hat, eignet sich Motivational Interviewing (MI) ausgezeichnet
dazu, die drogenabhängige[1] Klientel zu ermutigen, eine Behandlung zu beginnen und bis zum regulären Ende hin
durchzuhalten. Das belegt eine Reihe von Studien aus der Behandlungsforschung mit
Alkohol- und Tabakabhängigen (Übersichtsarbeiten vgl. ). Auch die vergleichsweise
wenigen Studien, die zur Stärkung der Behandlungsmotivation von Drogenabhängigen mit
MI vorliegen, sind ermutigend (vgl. [22]
[23]). Damit liegen erste evidenzbasierte Einschätzungen über die Effektivität und Wirksamkeit
von MI in der Arbeit mit Drogenabhängigen vor, worauf im Folgenden etwas ausführlicher
eingegangen werden soll.
MI als Interventionsstrategie zur Förderung der Behandlungsmotivation von Drogenabhängigen
allgemein
MI als Interventionsstrategie zur Förderung der Behandlungsmotivation von Drogenabhängigen
allgemein
MI bzw. eine für die jeweilige Untersuchung adaptierte Form von Motivational Interviewing
(Adapted Motivational Interviewing - AMI, vgl. [22]
[24]) ist in einer Reihe von Therapiestudien vor allem in den USA zum Beispiel mit Opiatabhängigen
und Kokainabhängigen eingesetzt worden, um die Behandlungs- und Veränderungsmotivation
zu stärken, vor allem die Motivation, den Drogenkonsum zu vermindern bzw. ihn ganz
aufzugeben, oder - zum Beispiel bei Gruppen, die Methadon als Ersatzdroge erhalten
- zur Stabilisierung der Lebensweise insgesamt. Aus Deutschland liegen bislang keine
Studien zum Einsatz von Motivational Interviewing in der Beratung und Behandlung von
Drogenabhängigen vor. Die Studien aus dem englischen Sprachraum unterscheiden sich
in vieler Hinsicht voneinander, wie Auswahl der Klientinnen und Klienten, Art der
Störung, Zielsetzung usw. Dennoch findet man bei genauer Betrachtung eine Reihe von
Gemeinsamkeiten, die hier kurz dargestellt werden sollen.
(1) In der Mehrzahl der Studien wird AMI gezielt eingesetzt, um die Behandlungs- und
Veränderungsmotivation zu fördern (vgl. ). Saunders, Wilkinson und Phillips [33] haben zum Beispiel mit einer Gruppe von Opiatabhängigen, die in ein Methadonprogramm
aufgenommen worden sind, eine Kurzintervention nach MI von einer Stunde Dauer durchgeführt.
Die Klientinnen und Klienten wurden aufgefordert, positive und negative Aspekte des
Opiatkonsums zu beschreiben, ebenso positive und negative Konsequenzen ihrer Abhängigkeit
und wie sehr sie dies alles belastet. Auf diese Weise konnten Ambivalenzen im Umgang
mit Opiaten bewusst gemacht werden, ebenso Diskrepanzen hinsichtlich der tatsächlichen
und der gewünschten Lebensweise. Die Behandler sollten diese Prozesse unterstützen;
sie sollten die Klientel jedoch nicht manipulieren oder zu einer Entscheidung überreden.
Die Kontrollgruppe bearbeitete ein Informationsheft zur Opiatabhängigkeit, das u.
a. Tipps zum Ausstieg aus der Sucht enthielt. Dieser Intervention folgte nach einer
Woche eine zweite, ähnlich aufgebaute, die allerdings nur 5 bis 10 Minuten dauerte.
Die MI-Gruppe wiederholte noch einmal Ambivalenzen und Diskrepanzen in ihrem Umgang
mit Drogen, die Kontrollgruppe die Informationen zu den Stoffen. 3 und 6 Monate nach
den Interventionen folgten weitere Nachuntersuchungen, um abzuklären, ob sich kurz-,
mittel- und langfristige Unterschiede in der Veränderungsmotivation der beiden Gruppen
feststellen lassen. In dieser wie in einer Reihe weiterer Studien konnte man feststellen,
dass Kurzinterventionen mit MI die Behandlungs- und Veränderungsmotivation positiv
beeinflussen, dass die Klientinnen und Klienten also stärker motiviert sind, an der
Behandlung teilzunehmen, und dass sie mehr Interesse daran zeigen, ihren Drogenkonsum
zu kontrollieren bzw. zu verringern.
Variationen ergeben sich hinsichtlich der Dauer der Kurzintervention, die sich von
wenigen Minuten bis auf vier Stunden, verteilt über mehrere Sitzungen, hinziehen kann.
Variationen findet man auch im Hinblick auf die Art, in der AMI eingesetzt wird, und
auf die Themen, die besonders betont werden. Jedoch geht es immer darum, den MI-typischen
Interventionsstil beizubehalten, der getragen wird von Empathie, einfühlendem Verstehen,
Akzeptanz und der Stärkung der Kompetenzerwartungen bzw. der Selbstwirksamkeit der
Klientinnen und Klienten.
Lovejoy u. Mitarb. [34] konnten in einer qualitativen Studie zeigen, dass viele Klienten und Klientinnen,
die die Behandlung mit einem hohen Maß an Misstrauen gegenüber den Behandlern begonnen
hatten, ihre Einstellung nachhaltig geändert haben. Aus Misstrauen wurde Vertrauen,
aus Hoffnungslosigkeit Hoffnung auf Veränderung, auf eine weitere Chance im Leben.
(2) In der Regel folgen auf die Kurzinterventionen weitere therapeutische Interventionen,
wobei besonders häufig kognitive verhaltenstherapeutische Verfahren (KVT) eingesetzt
werden (vgl. [35]).
(3) In den meisten Studien findet die AMI-Intervention als Einzelfallberatung statt,
in einigen wenigen jedoch in (kleinen) Gruppen [36]
[37]. Haben Klienten und Klientinnen erst einmal Vertrauen zu ihren Behandlern aufgebaut,
schätzen sie die Arbeit in Gruppen. In der Kommunikation mit anderen erfahren sie,
dass diese ähnliche Probleme haben wie sie selbst und ähnliche Schwierigkeiten, wenn
es darum geht, Veränderungen umzusetzen [34].
(4) Die Weiterbehandlung der Klientinnen und Klienten erfolgt fast immer in der Gruppe.
Das liegt nicht zuletzt daran, dass die amerikanische Drogenhilfe Einzelfallbetreuung
kaum kennt.
(5) In den Kontrollgruppen wird sehr häufig mit psychoedukativen Informationen und
Materialien gearbeitet. Die Klientinnen und Klienten erhalten Studienhefte, die zum
Selbststudium anregen sollen und die sie entweder allein oder in der Gruppe durcharbeiten.
Die Ergebnisse dieser Studien, in denen es in erster Linie darum geht, die Behandlungs-
und Veränderungsmotivation der Klientel zu stärken und zu unterstützen, sind gemischt.
Einige Studien belegen, dass die Kurzinterventionen mit AMI unabhängig vom Setting
effektiv sind. AMI stärkt demnach die Motivation, eine Behandlung anzufangen und durchzuhalten,
sowohl dann, wenn die Intervention auf den Einzelfall abgestellt ist, als auch dann,
wenn sie in (kleinen) Gruppen stattfindet. Was das Setting betrifft, ist aber noch
eine Reihe von Fragen offen, die in weiteren Studien zu klären sind, u. a. diejenige,
welche Gruppen von Klientinnen und Klienten mehr von AMI profitieren, wenn diese auf
den Einzelfall zugeschnitten ist oder wenn sie als Gruppenintervention implementiert
wird. Wie wichtig der Erfahrungsaustausch in der Gruppe für Drogenabhängige sein kann,
belegen die Ergebnisse von Lovejoy u. Mitarb. [34] nachdrücklich.
Andere Studien kommen zu anderen Ergebnissen. Danach ist MI/AMI nicht effektiver als
andere Interventionsmethoden, sondern bestenfalls ebenso gut [30]
[32]. Das liegt wohl einerseits daran, dass es zwischen den verschiedenen Studien erhebliche
methodische Unterschiede gibt hinsichtlich der Umsetzung von MI bzw. AMI. Zum anderen
unterscheiden sich die Stichproben, die behandelt wurden, sehr stark voneinander.
Klientinnen und Klienten, die unter sehr vielen negativen Folgen ihres Drogenkonsums
leiden, sind offenbar viel weniger leicht zu einer Behandlung und zu den damit verbundenen
Verhaltensänderungen zu motivieren [30]
[38]
[39] als Personen, die gerade erst am Anfang einer Drogenkarriere stehen. Für Drogenabhängige
mit langen Karrieren, von denen viele schon eine Reihe von Ausstiegsversuchen hinter
sich haben und die von den Versprechungen der Behandler oft enttäuscht wurden [40], bietet es sich an, MI mit anderen Interventionsverfahren zu verbinden, zum Beispiel
mit Case Management, was zu einer stärkeren Strukturierung der Behandlung beiträgt
ebenso wie zu einer Optimierung der Vernetzung mit anderen helfenden Institutionen
. Ein gut strukturierter Behandlungsablauf sowie intensive Vernetzung mit anderen
Hilfen sind für diese Klientel offenbar dann besonders vorteilhaft, wenn die Beziehung
zum Case Manager gut ist, und das ist vor allem dann der Fall, wenn der Interaktionsstil
an MI/AMI orientiert ist.
MI als Interventionsstrategie mit speziellen Subgruppen von Drogenabhängigen
MI als Interventionsstrategie mit speziellen Subgruppen von Drogenabhängigen
In den letzten Jahren ist die Diskussion über die Bedeutung von Mehrfachdiagnosen
bei Drogenabhängigen stark in den Vordergrund gerückt. Man diskutiert allenthalben
darüber, welche Verfahren zur Behandlung von Drogenabhängigen, bei denen weitere psychische
Störungen diagnostiziert worden sind - so genannte Doppeldiagnosen (DD) -, geeignet
sind und welche nicht [44]
[45].
Eine Reihe von Studien zeigt, dass AMI die Bereitschaft von Patientinnen und Patienten
mit Doppeldiagnosen, nach einer stationären Behandlung an einer ambulanten teilzunehmen,
erhöht [44]. AMI in Kombination mit KVT stärkt die Veränderungsmotivation hinsichtlich des Drogenkonsums:
Patienten und Patientinnen finden sich eher bereit, diesen zu reduzieren oder ganz
aufzugeben [52]
[53]. Auch scheint AMI sich zumindest kurzfristig zu bewähren, wenn es um eine Erhöhung
der Compliance bei der Medikamenteneinnahme, zum Beispiel bei drogenabhängigen psychotischen
Patienten, geht [54]
[55]. Alle hier erwähnten Studien arbeiten mit Interventionen, die für den Einzelfall
zugeschnitten sind. Gruppenprogramme sind bislang nicht ausgearbeitet und erprobt
worden.
Besondere Umstände bestimmen auch die Behandlung von Abhängigen, die unfreiwillig
in die Behandlung kommen oder die im Gefängnis sitzen und denen dort eine solche angeboten
wird. Es liegt auf der Hand, dass MI und AMI nicht für Personen entworfen worden sind,
die keinerlei eigene Motivation zu einer Behandlung zeigen. Dennoch spricht einiges
dafür, AMI auch mit diesen Gruppen auszuprobieren: Donovan und Rosengreen [6] weisen nachdrücklich darauf hin, dass Personen, die unfreiwillig eine Behandlung
aufnehmen, durchaus Veränderungsmotivation entwickeln und sich auf Verhaltensänderungen
einlassen. Evaluationsstudien belegen zudem, dass man in manchen Gruppen der unfreiwillig
Behandelten mehr Personen findet, die ihren Substanzkonsum dauerhaft reduziert haben
oder die ganz abstinent sind, als in Gruppen von Personen, die sich freiwillig in
Behandlung begeben haben.
Bisher sind die Ergebnisse der Interventionen mit MI oder AMI mit drogenabhängigen
Straffälligen wenig spektakulär. Vergleicht man MI und AMI mit anderen Ansätzen, dann
findet man keinen oder nur einen sehr geringen Effekt [56]. Da auch andere Studien zeigen, dass AMI nicht in jedem Fall einer konfrontativen
Intervention überlegen ist [32], ist zu fragen, ob für Strafgefangene und vor allem für die Gewalttäter unter ihnen
andere Behandlungsansätze besser geeignet sind, Verhaltensänderungen einzuleiten.
MI als Interventionsstrategie mit Jugendlichen
MI als Interventionsstrategie mit Jugendlichen
MI und AMI sind gut erprobte Interventionsansätze mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen,
insbesondere mit College-Studenten, die Probleme mit ihrem Alkoholkonsum haben (vgl.
. Dagegen sind MI und AMI bislang nur selten eingesetzt worden bei jungen Menschen
mit Drogenproblemen. Immerhin konnte Dennis [60] zeigen, dass man mit MI jugendliche Marihuana-Raucher erreichen kann und dass die
Intervention in Kombination mit KVT sehr erfolgreich ist. Besonders effektiv waren
kurze Interventionssequenzen mit zwei MI-Modulen und drei KVT-Modulen, die als Gruppenprogramm
durchgeführt wurden. Das Ergebnis ist bemerkenswert, da man weiß, dass Jugendliche,
die Drogen konsumieren, therapeutisch ohnehin schwer zu erreichen sind [61] und sich einer Auseinandersetzung mit diesen Verhaltensweisen gerne entziehen. Auch
die Studie von Aubrey [62] belegt den positiven Effekt von AMI bei Jugendlichen hinsichtlich der Behandlungs-
und Veränderungsmotivation.
Diese ersten Ergebnisse mit MI und AMI mit Jugendlichen ermutigen dazu, die Verfahren
auch für die Prävention zu nutzen bzw. für Gruppen von jungen Menschen, die mit Drogen
experimentieren, aber noch keine festen Konsumgewohnheiten entwickelt haben. Es liegt
nahe, MI und AMI vor allem zur Beratung der ansteigenden Zahl von jungen Menschen
einzusetzen, die Cannabis konsumieren und sich offensichtlich der Probleme, die damit
verbunden sind, nicht bewusst sind. Man würde damit Neuland im Umgang von jungen Menschen
beschreiten, die zwar schon über mehr oder weniger intensive Erfahrungen mit Drogen
verfügen, aber noch nicht abhängig sind. Das setzt aber voraus, dass die Drogenberatungsstellen
bzw. die Einrichtungen der Jugendhilfe gezielt BeraterInnen abstellen, die in MI/AMI
geschult sind und die sich auf die Arbeit mit jugendlichen KonsumentenInnen von Cannabis
(und Ecstasy) spezialisiert haben. Wenngleich in Deutschland erste Ansätze in diese
Richtung entstehen [75]
[76], kann doch von einer entsprechenden Umorganisation von Drogen- bzw. Jugendhilfe
(noch) nicht gesprochen werden.
MI/AMI als Behandlungsverfahren
MI/AMI als Behandlungsverfahren
Wie die Durchsicht der einschlägigen Literatur zeigt, werden MI und AMI vornehmlich
als Kurzinterventionen eingesetzt mit dem Ziel, die Behandlungs- und die Veränderungsmotivation
zu befördern oder aufrechtzuerhalten. Man findet nur wenige Studien zur Behandlung
von Drogenproblemen, die über diese Zielsetzung hinausgehen und in denen der Ansatz
für die ganze Dauer der Behandlung durchgehalten wird. Stephens u. Mitarb. [24]
[63] orientierten sich in ihrer Studie bei der Behandlung von erwachsenen Marihuanakonsumenten
am Vorgehen des Drinker’s Check-Up [64]
[65] und übersetzten die dort eingesetzten Verfahren auf ihre Gruppe. Die Behandlung
mit AMI beschränkte sich auf zwei Sitzungen von jeweils ca. 90 Minuten sowie einer
schriftlichen Intervention zwischen der ersten und der zweiten Sitzung. Um die Wirksamkeit
der Intervention zu prüfen, wurde eine Vergleichsgruppe untersucht mit insgesamt 12
Gruppensitzungen von jeweils 2 Stunden Dauer, in der u. a. mit Methoden der Rückfallprävention
gearbeitet wurde. Darüber hinaus wurde eine nicht behandelte Gruppe untersucht, um
Plazebo-Effekte zu kontrollieren. Die Ergebnisse zeigen, dass sowohl in der Untersuchungsgruppe
als auch in der Vergleichsgruppe der Marihuanakonsum signifikant zurückgeht und dass
dieser Effekt bei beiden Interventionsverfahren zu beobachten ist. Bedenkt man, dass
die Intervention mit AMI weniger zeitintensiv ist als die Arbeit mit der Vergleichsgruppe,
dann spricht das für die Überlegenheit dieses Verfahrens. Berücksichtigt man hier
auch die einschlägigen Ergebnisse der Behandlung von zum Beispiel Studierenden mit
Alkoholproblemen mit MI/AMI, dann gibt es gute Gründe, davon auszugehen, dass sich
das Verfahren als „Stand-alone”-Intervention bei einer bestimmten Klientel bewährt.
Besonders erfolgreich ist es bei Klientinnen und Klienten, die relativ gut ausgebildet
sind und die relativ gut funktionierende soziale Netzwerke haben.
Betrachtet man hingegen die typische deutsche Klientel von Einrichtungen der ambulanten
und stationären Drogenhilfe [66], dann zeigt sich schnell, dass diese Gruppe nur für eine Minderheit der Klientinnen
und Klienten steht: Die meisten Menschen, die die Einrichtungen der Drogenhilfe aufsuchen,
zeichnen sich gerade durch schlechte Schul- und Berufsausbildung, fehlende Integration
in den Arbeitsmarkt, hohe soziale Desintegration und das Fehlen von sozialen Netzwerken
(abgesehen von der Drogenszene und der Drogenhilfe) aus. Fasst man die vorliegenden
Studien und Auswertungen von Klientendokumentationssystemen zusammen, so trifft man
in den Einrichtungen der Drogenhilfe gehäuft auf Klientinnen und Klienten mit lang
andauernden Drogenkarrieren, vielfachen und komplizierten Problemlagen, wenig Ressourcen,
beschädigtem Selbstwertgefühl und minimaler Selbstwirksamkeitserwartung. Kurzum: Die
durchschnittliche Klientel deutscher Drogenhilfeeinrichtungen unterscheidet sich dramatisch
von der Klientel, die in der Mehrzahl der hier berücksichtigten amerikanischen Studien
untersucht worden ist, und es erscheint eher zweifelhaft, dass den deutschen Klientinnen
und Klienten mit wenigen Kurzinterventionen tatsächlich geholfen werden kann. Selbst
wenn es gelingen sollte, die Veränderungsmotivation durch Motivational Interviewing
massiv zu unterstützen, bleibt die Frage offen, wo bei einer derart marginalisierten
und demoralisierten Klientel die Veränderungskompetenz herkommen soll.
Aus diesen Gründen hat man sich im bundesdeutschen Modellprojekt zur heroingestützten
Behandlung von Opiatabhängigen für die Kombination von MI/AMI mit Case Management
entschieden. Opiatabhängige, die den Zielgruppendefinitionen und Einschlusskriterien
der Heroinstudie entsprechen - Methadon-Substituierte, die nur unzureichend von der
Substitutionsbehandlung profitieren, sowie Drogenabhängige, die in den letzten Monaten
nicht von der Drogenhilfe erreicht worden sind, mit mehrjährigen Abhängigkeitsverläufen,
hohem Konsum und gesundheitlichen Beeinträchtigungen -, sind gerade nicht KonsumentInnen
in einem frühen Stadium ihrer Suchtkarriere und es handelt sich auch nicht um Personen
mit hohem Selbsthilfepotenzial und funktionierenden sozialen Netzwerken, sondern KlientInnen
mit komplexen Problemlagen, wenig Ressourcen und starken gesundheitlichen Belastungen
einschließlich von Doppeldiagnosen. Motivational Interviewing steht für die Grundhaltung
der BeraterInnen und für die Technik der Gesprächsführung, Case Management für ein
strukturiertes und kontrolliertes sozialarbeiterisches Vorgehen mit Hilfeplanung,
Hilfeerschließung und Hilfeleistung. Auf diesen Ansatz soll abschließend noch kurz
eingegangen werden.
MI in Kombination mit Case Management zur Behandlung von chronisch Opiatabhängigen
MI in Kombination mit Case Management zur Behandlung von chronisch Opiatabhängigen
Case Management in der Drogenhilfe [77] versteht sich als eine Weiterentwicklung der Einzelfallhilfe, die besonderes Gewicht
auf eine strukturierte Vorgehensweise, kontinuierliche und nachhaltige Hilfeleistung
sowie den Aufbau und die Organisation individueller Unterstützungsnetzwerke legt.
Vorausgegangene Studien [42] haben gezeigt, dass Case Management prinzipiell geeignet ist, Menschen mit langjährigen
Suchtkarrieren Hilfen zu erschließen. Dabei wurde aber auch deutlich, dass Case Management
durch eine gezielte Bearbeitung motivationaler Prozesse optimiert werden sollte, in
diesem Fall also durch MI. Für die Heroinstudie wurde in enger Anlehnung an die Prinzipien
von MI ein Manual erarbeitet, das die Verbindung der beiden Ansätze erläutert [41]. Die in der Studie eingesetzten Case Manager, in der Regel ausgebildete SozialarbeiterInnen
oder SozialpädagogInnen mit Erfahrung in der Suchtarbeit, werden auf dieser Grundlage
ausführlich geschult. Der Schulungsumfang liegt bei ca. 12 Tagen und umfasst neben
einem Basistraining in Motivational Interviewing und Case Management auch zeitlich
versetzte Auffrischungskurse. Schwerpunkte der Schulung sind - neben dem Case-Management-Verfahren
- die Grundprinzipien und wichtigsten Methoden von MI mit:
-
empathischer Grundhaltung
-
Entwickeln von Ambivalenzen und Diskrepanzen
-
Arbeiten mit dem Widerstand
-
Förderung und Unterstützung der Kompetenz- oder Selbstwirksamkeitserwartung.
Halbjährliche methodenzentrierte Coaching-Termine dienen der Sicherung der fachlichen
Qualität.
Die bisherigen Erfahrungen mit Manualisierung, Schulung und Coaching zeigen, dass
die psychosozialen Fachkräfte die angebotenen Methoden positiv aufnehmen und zuversichtlich
sind, mit der Kombination aus MI und Case Management ihren Klientinnen und Klienten
effektiv helfen zu können. Deutlich wurde aber auch, dass manualisiertes Arbeiten
für die psychosoziale Drogenhilfe in Deutschland noch neu und ungewohnt ist.
Methodisch geht es auch bei der Kombination der beiden Ansätze darum, offene Fragen
zu stellen, aktiv und reflexiv zuzuhören, Aussagen der Klienten und Klientinnen zusammenzufassen,
Rückmeldungen und positive Bestätigungen zu geben und selbstmotivierende Aussagen,
die Veränderungsabsichten transportieren, hervorzurufen und zu unterstützen. Die Grundprinzipien
und die Grundhaltung von MI und das damit verbundene methodische Vorgehen sind zu
verbinden mit dem Ablaufschema von Case Management mit Assessment und Problem- und
Ressourcenanalyse, Hilfeplanung und Zielbestimmung, Durchführung und Monitoring, Re-Assessment,
Beendigung und Evaluation der Behandlung.
Die Kontaktaufnahme zwischen Case Manager und KlientIn fokussiert auf den Aufbau einer
guten Beziehung, die getragen wird von Empathie, Akzeptanz und Respekt. Die Klientel
steht im Mittelpunkt der Begegnung; der Klient bzw. die Klientin bestimmt die Themen,
über die zunächst gesprochen wird. Im Verlauf dieser Begegnung erläutert der Case
Manager seine Rolle und seine Arbeitsweise und bemüht sich darum, den Klienten oder
die Klientin zur weiteren Zusammenarbeit zu motivieren.
Das Assessment zielt auf einen umfassenden Einblick in die Lebenssituation der Klientin
bzw. des Klienten und auf eine Klärung der Problemlagen und stellt die erste Hürde
dar im Hinblick auf die Verbindung der beiden Ansätze. Der Case Manager soll die Klientin
oder den Klienten - unter Nutzung der Methoden von MI - dazu ermutigen, über sich
selbst zu sprechen und ihm Informationen zu einer Reihe von Lebensbereichen zu geben.
Wie die Praxis zeigt, funktioniert das dann sehr gut, wenn der Aufbau der Beziehung
in der ersten Begegnung gelungen ist. Dann helfen in der Phase des Assessments die
MI-typischen Haltungen und Methoden, nicht nur Informationen über Probleme und Ressourcen
zu sammeln, sondern auch die subjektive Bedeutung der jeweiligen Handlungen und Lebensweisen
zu verstehen. Für den Case Manager liegt eine der Schwierigkeiten in dieser Phase
darin, immer wieder die Balance zwischen den MI-typischen Haltungen und Methoden und
den Handlungsanforderungen, die mit dem Case-Management-Verfahren assoziiert sind,
zu finden.
Die Informationen, die im Assessment gewonnen werden, liefern die Grundlage für die
Problemanalyse sowie die Zieldiskussion und den Hilfe- und Veränderungsplan. Wie Schu
et al. [67] schreiben, gilt der Hilfeplan als das Prinzip aller Arbeitsschritte von Case Management. Im Hilfeplan wird das weitere
Vorgehen festgelegt, ebenso die Vernetzung mit anderen formalen Hilfeeinrichtungen
und mit informellen Unterstützungsnetzwerken. Offenbar ist es aber nicht einfach,
gewohnte Arbeitsroutinen zu verändern, Ziele zu definieren und prospektiv einen Hilfeplan
zu erarbeiten. Zudem verwickeln opiatabhängige KlientInnen ihre Case Manager immer
von neuem in Kriseninterventionen, die Soforthilfen erfordern und insofern in gewisser
Weise langfristige Planungen erschweren. Es wird eine Aufgabe der Evaluation sein,
herauszuarbeiten, in welchen Fällen und unter welchen Bedingungen es gelingt, Hilfepläne
zu erstellen und umzusetzen. Kommt es nicht zur Erarbeitung eines Hilfeplans, ist
genauer zu analysieren, welche Prozesse dem entgegenstehen. Auf die Ergebnisse dieser
Analysen kann man gespannt sein.
An die Phase der Hilfeplanung schließen sich Umsetzung und Durchführung der verabredeten
Schritte an. In dieser Phase liegt ein Schwerpunkt der Arbeit der Case Manager in
der Organisation des Hilfenetzwerkes und im Monitoring des Verlaufs. Kontinuierlich
im Rahmen des Monitorings und zusätzlich zu bestimmten Zeitpunkten durch ein Re-Assessment
soll überprüft werden, ob die verabredeten Ziele und Umsetzungsschritte erreicht werden
konnten oder nicht. Darauf aufbauend, wird die Hilfeplanung fortgeschrieben.
Fasst man die bisherigen Erfahrungen von MI und Case Management in der Arbeit mit
chronisch Opiatabhängigen zusammen, dann ist festzuhalten, dass sich beide Verfahren
sehr gut miteinander kombinieren lassen und dass sie sich in der Praxis bewähren.
Zentrale Aufgabe der Case Manager ist es, die einzelnen Schritte im Rahmen des Case
Managements an die Stadien der Veränderungsmotivation der Klientinnen und Klienten
anzupassen bzw. mit dem Interaktionsstil und den Methoden von MI die Veränderungsmotivation
jeweils so zu stärken, dass Case Management möglich wird. Werden die im Rahmen der
Hilfeplanung verabredeten Ziele nicht erreicht, so liegt dies meist daran, dass diese
nicht adäquat und zu wenig an die Veränderungsmotivation und -kompetenz des jeweiligen
Klienten angepasst waren.
Ausblick
Ausblick
Das große Interesse, das die Drogenhilfe auch in Deutschland zurzeit an MI zeigt,
steht bislang in einem unproportionalen Verhältnis zu gesicherten Erkenntnissen hinsichtlich
der Anwendbarkeit und Wirksamkeit von MI insbesondere bei langjährig Drogenabhängigen
mit komplexen Problemlagen. Dennoch ist dieses Interesse verständlich, bietet sich
doch der Drogenhilfe die Chance, ein besseres Verständnis von Veränderungsbereitschaft
zu entwickeln und sich Verfahren zur Unterstützung von Veränderungsmotivation anzueignen,
die sich zudem gut mit anderen Methoden kombinieren lassen.
Eine besondere Herausforderung ist MI für niedrigschwellige Einrichtungen wie Kontaktläden,
Krisenzentren und Konsumräume: Erst zaghaft wird versucht, MI-basierte Kurzinterventionen
auch in diesen Settings einzusetzen, was auch heißt, dem Begriff „Akzeptanz”[2] eine neue Bedeutung zu geben.
Mit der zunehmenden Zahl der (kontrollierten) Studien mit Drogenabhängigen, in denen
MI/AMI allein oder in Kombination mit anderen Verfahren eingesetzt wird, nehmen die
Belege zu, die die Effektivität und Wirksamkeit dieses Interventionsverfahrens unterstreichen.
MI/AMI stärkt nicht nur die Behandlungs- und Veränderungsmotivation von Personen,
die noch am Anfang einer Drogenkarriere stehen, sondern auch von jenen, die bereits
(chronisch) abhängig sind. Allerdings sollte man keine Wunder erwarten; MI/AMI kann
nicht alle Drogenabhängigen erreichen und es kann nicht alle dazu motivieren, ihre
Lebensweisen zu ändern. Im Vergleich zu vielen anderen Methoden verspricht MI/AMI
jedoch einen besseren Zugang zur Klientel und eine vergleichsweise größere Effektivität
hinsichtlich der Behandlungs- und Veränderungsmotivation.
Voraussetzung dafür ist eine intensive Schulung der BeraterInnen in MI/AMI. Das ist
deshalb unerlässlich, weil Miller et al. [70]
[71] nachgewiesen haben, dass die Fähigkeiten der Beratenden entscheidend für die (erfolgreiche)
Umsetzung des Ansatzes sind. Davon hängt es nämlich ab, ob sie ihre Klientel erreichen,
wie gut oder schlecht ihnen das gelingt, wie positiv oder negativ sie deren Behandlungs-
und Veränderungsmotivation beeinflussen und zu welchen Verhaltensänderungen es schließlich
kommt. So gesehen stellt MI/AMI in erster Linie eine Herausforderung für die Beratenden
dar.