Genauso sicher, wie alle Jahre das Christkind kommt, müssen wir damit rechnen, dass
neue Gesetze die gesetzliche Krankenversicherung durcheinander wirbeln und damit neue
Tatsachen für über 90 % der Bürgerinnen und Bürger unseres Staates schaffen, die in
der gesetzlichen Krankenversicherung Mitglied sind. So ist das V. Buch des Sozialgesetzbuches
- Gesetzliche Krankenversicherung - zuletzt geändert worden durch Artikel 1 eines
Gesetzes vom 23.12.2002. Nun erleben wir im August 2003 bereits die Eckpunkte der
Konsensverhandlungen zur Gesundheitsreform zwischen Regierungskoalition und der Opposition
in Berlin. Vieles soll geändert werden, aber nichts wird konsequent in den Strukturen
verändert, so wie es unisono alle Experten des Gesundheitswesens fordern. Es wird
als Begründung für die Veränderungen gebetsmühlenartig auf Kostensteigerungen im Gesundheitswesen
verwiesen, ohne sich konsequent mit der Tatsache auseinanderzusetzen, dass der demographische
Faktor mit dem Älterwerden unserer Bevölkerung und dem damit verbundenen wachsenden
medizinischen Bedarf ein Problem darstellt. Diese verbindet sich unglücklicherweise
mit einer ständigen Schwächung der Einnahmesituation der gesetzlichen Krankenversicherung,
weil die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit dazu führt, dass immer weniger Arbeitende
immer mehr Nichtarbeitende oder Rentner versorgen müssen. Wir haben also eine Einnahmeproblematik
unserer gesetzlichen Krankenversicherung und nicht etwa - wie vorgegaukelt wird -
eine ungerechtfertigte Ausgabenproblematik.
So werden wir auch dieses Mal wieder damit leben müssen, dass eine Vielzahl oft unkoordiniert
nebeneinander stehender Einzelveränderungen medizinisches Handeln beeinflusst und
die Versorgungssituation für die Patienten nicht verbessert. Von dieser Entwicklung
wird auch die Notfallversorgung nicht verschont bleiben. Vom Prinzip her gut gemeinte
Überlegungen, wie die Einführung der intelligenten Gesundheitskarte, sind in der Anwenderpraxis
problematisch. Ab 2006 soll die Gesundheitskarte die bisherige Krankversicherungskarte
ablösen. Die Gesundheitskarte soll fälschungssicher sein, datenschutzrechtlichen Belangen
genügen, administrative Daten speichern sowie auf Wunsch des Versicherten Gesundheitsdaten,
insbesondere die wichtigsten Angaben zur Notfallversorgung, verfügbar machen. Um diesen
Ansatz sinnvoll zu nutzen, müssten in allen Rettungsdienstfahrzeugen entsprechende
Lesegeräte eingebaut werden, wenn man aus medizinischer Sicht von Angaben zur Notfallversorgung
profitieren will. Da aber diese Angaben freiwillig sind und es nicht abzuschätzen
ist, wie viele Versicherte freiwillig Angaben über ihre Gesundheitsdaten zur Nutzung
in einer Notfallsituation machen, ist völlig offen, ob sich die immense Investition
der Kartenlesegeräte durch Verbesserungen in der Notfallversorgung jemals amortisieren
wird.
Ein weiteres Beispiel für Veränderungen im Bereich der gesetzlichen Krankversicherung,
deren Auswirkungen auf die Struktur der Notfallversorgung nur erahnbar, aber nicht
seriös abschätzbar sind, ist die neue Vergütungssystematik in den Krankenhäusern.
Krankenhäuser werden für zunehmend mehr Diagnosen eine Vergütung nach der Fallpauschalen-Systematik
erhalten. Hierdurch sind sie darauf angewiesen, in minimalster Zeit mit maximaler
Sicherheit Diagnostik und Therapie durchzuführen. Da es einen Verlust der Fallpauschale
nach sich zieht, wenn ein Patient wegen Komplikationen wieder in dasselbe Krankenhaus
aufgenommen wird in dem er bereits behandelt wurde, gehört wenig Phantasie dazu, sich
vorzustellen, dass Patienten mit Komplikationen naturgemäß im Krankentransport- und
Rettungsdienst anfallen und es noch schwieriger sein wird, als heute schon tägliche
Realität, den Patienten in einer geeigneten stationären Einrichtung wieder „loszuwerden”.
Dass diese Entwicklung mit der Veränderung des soziologischen Gefüges unserer Bevölkerung
einhergeht, wie zunehmende Zahl von Singlehaushalten, höhere Zahl von Patienten, die
der Pflege bedürfen sowie strukturelle und finanzielle Mängel in der ambulanten Pflege,
sei der Vollständigkeit halber angemerkt.
Konkret und eindeutig ist das Vorhaben, dass Fahrtkosten für Taxi- und Mietwagenfahrten
in der ambulanten Versorgung grundsätzlich nicht mehr erstattet werden. Auch hier
wird es Umgehungsmechanismen geben. Teile des Transportvolumens von Taxi und Mietwagen
werden sich in den teureren Rettungsdienst- und Krankentransport verlagern. So wird
eben nicht mehr das Taxi in Anspruch genommen, sondern der Krankenwagen bestellt.
Da es bekanntermaßen vor Ort fast unmöglich ist, einen Krankentransport abzulehnen,
wird dieser Kostenteil des Gesundheitswesens zunehmen müssen. Dies wird dann - wie
immer in der Vergangenheit - zu Vorwürfen der Unwirtschaftlichkeit der Rettungsdienst-
und Krankentransport durchführenden Organisationen führen.
Auch Notfallmedizin und Rettungsdienst als Teil des Gesundheitssystems unseres Landes
wünschen sich - um in der Politikersprache zu bleiben - nachhaltige Reformen. Hierzu
bedarf es auch endlich einmal einer sehr viel weitergehenden selbständigen Betrachtung
des Rettungsdienstes bis hin zur Überlegung, ob er nicht von den Mechanismen und Entgeltstrukturen
des sonstigen Gesundheitssystems getrennt werden muss, um seinen besonderen Arbeitsbedingungen
gerecht zu werden.