Lithium wird seit Mitte des 20. Jahrhunderts systematisch in der Behandlung affektiver
Erkrankungen eingesetzt und ist damit das älteste und bestuntersuchteste unter den
heute verwendeten Psychopharmaka. Seine Hauptindikationen sind die Behandlung der
akuten Manie und die prophylaktische Langzeittherapie rezidivierender uni- [6] und bipolarer [2]
[12] Erkrankungen. Lithium ist unverändert das Medikament der 1. Wahl zur Phasenprophylaxe
der manisch-depressiven Erkrankung [7] und in Deutschland als einziges Medikament für diese Indikation uneingeschränkt
zugelassen. Obwohl mindestens sieben doppelblinde und randomisierte Studien in den
70er-Jahren auch eine akut-antidepressive Wirkung von Lithium zeigten (Übersicht:
1), setzte sich die Behandlung akuter depressiver Episoden mit einer Lithium-Monotherapie
nicht durch. Dies liegt vermutlich an dem eher schwach ausgeprägten antidepressiven
Effekt von Lithium und daran, dass mit den Antidepressiva unkomplizierter einsetzbare
Mittel für diese Indikation zur Verfügung stehen.
Lithiumaugmentation
Lithiumaugmentation
Erst mit der Entdeckung der Lithiumaugmentation durch die Arbeitsgruppe des Kanadiers
de Montigny 1981 [11] erhielt das Element auch einen festen Stellenwert in der akut-antidepressiven Behandlung.
Lithiumaugmentation (lat. augmentum = Vermehrung, Zuwachs) bedeutet die Zugabe von
Lithium zu einem Antidepressivum, das nach ausreichend langer Gabe (mindestens vier
Wochen) in ausreichender Dosierung nicht zu einer befriedigenden Besserung der depressiven
Symptomatik geführt hat (s. [Abb. 1]). Hierdurch kann häufig doch noch ein Ansprechen auf die antidepressive Pharmakotherapie
erzielt werden [4]
[9]. Die mit der Idee der Augmentation verbundene Annahme ist nicht die einer synergistischen
Kombination zweier antidepressiver Wirkstoffe, sondern die, dass das Augmentum aufgrund
einer spezifischen pharmakologischen Interaktion dem Antidepressivum zur vorher nicht
vorhandenen Wirkung verhilft. Im Falle der Lithiumaugmentation besteht diese theoretische
(nicht bewiesene) Annahme darin, dass Lithium aufgrund seiner bekannten pro-serotonergen
Eigenschaften über die durch die Antidepressiva Vorbehandlung sensibilisierten Serotoninrezeptoren
die positive Wirkung der Lithiumaugmentation entfaltet. Aus Tierversuchen war nämlich
bekannt, dass eine regelmäßige Behandlung mit trizyklischen Antidepressiva zu einer
Sensibilisierung von Serotoninrezeptoren im Vorderhirn führt.
In eine Metaanalyse zur Wirksamkeit der Lithiumaugmentation [3] konnten neun doppelblinde und randomisierte Studien eingeschlossen werden, die die
Wirksamkeit einer Lithium- mit der einer Plazeboaugmentation bei - ganz überwiegend
- unipolaren Depressionen verglichen hatten. Nach dieser zusammenfassenden Auswertung
kann die klinische Wirksamkeit einer Lithiumaugmentation als gesichert angesehen werden
(s. [Abb. 2]). Die Metaanalyse zeigte darüber hinaus, dass die Lithiumaugmentation mit Dosierungen,
wie sie auch zur prophylaktischen Lithiumbehandlung üblich sind, durchgeführt werden,
der Lithiumspiegel also im etablierten Bereich (0,6-0,9 mmol/l) liegen sollte. Sie
zeigte ferner, dass die Lithiumaugmentation mit diesen Serumspiegeln für mindestens
zwei Wochen durchgeführt werden sollte, bevor ihre Wirksamkeit beurteilt werden kann.
Aufgrund ihres Wesens ist die Lithiumaugmentation explizit ein Behandlungsverfahren
des sogenannten „zweiten Schrittes”, also für Patienten, die auf eine Antidepressiva-Monotherapie
nicht respondiert hatten. Im Vergleich zu anderen Zweitschritt-Behandlungsmethoden
(Wechsel des Antidepressivum, Hochdosisbehandlung, Antidepressiva-Kombination) ist
die Lithiumaugmentation empirisch besonders gut abgesichert und daher ein, wenn nicht
das Behandlungsverfahren der ersten Wahl im Falle von Nonresponse auf eine Monotherapie
mit einem Antidepressivum bei unipolaren Depressionen [5].
Bipolare Depression
Bipolare Depression
Depressive Episoden, die im Rahmen einer manisch-depressiven Erkrankung auftreten
(bipolare Depressionen) weisen einige therapierelevante Unterschiede zu depressiven
Episoden außerhalb bipolarer Erkrankungen auf, weshalb Behandlungsempfehlungen nicht
ohne weiteres von den uni- auf die bipolaren Depressionen übertragen werden können.
Als Hauptproblem in der Behandlung bipolarer Depressionen wird das Risiko angesehen,
durch eine antidepressive Medikation ein Umschlagen (switch) in eine Manie auszulösen.
Darüber hinaus wurde beobachtet, dass eine antidepressive Behandlung zu einer zunehmenden
Verkürzung der Zyklusdauer (Zeitspanne vom Beginn einer affektiven Phase bis zum Beginn
der nächsten affektiven Phase) führen kann. In der Erhaltungstherapie (6-12 Monate
nach Remission einer depressiven Episode), in der aufgrund des erhöhten Rezidiv-Risikos
für unipolare Depressionen eindeutig eine unveränderte Fortführung der zur Remission
führenden Medikation empfohlen wird, besteht bei bipolaren Depressionen das therapeutische
Dilemma zwischen dem Risiko, durch das Fortführen der antidepressiven Medikation eine
Manie zu induzieren, und dem Risiko, durch ein rasches Absetzen einen depressiven
Rückfall zuzulassen.
Aufgrund der genannten Risiken einer Behandlung mit Antidepressiva wird daher von
einigen Autoren empfohlen, eine bipolare Depression (zunächst) nur mit einem Medikament
aus der Gruppe der Stimmungsstabilisierer, das, wie z.B. Lithium, auch antidepressive
Eigenschaften aufweist, zu behandeln [15]. Andere Autoren favorisieren von Beginn an eine Antidepressiva-Medikation, die aber
nicht ohne begleitenden antimanischen Schutz mit einem Stimmungsstabilisierer durchgeführt
werden sollte [10].
Lithiumaugmentation bei bipolarer Depression
Lithiumaugmentation bei bipolarer Depression
Eine Lithiumaugmentation kommt bei bipolar depressiven Patienten nur in Betracht,
wenn sie nicht ohnehin bereits Lithium in phasenprophylaktischer Indikation erhalten.
Aufgrund theoretischer Erwägungen ist eine Lithiumaugmentation aber für den Fall,
dass eine antidepressive Medikation in der Behandlung einer bipolaren Depression nicht
zur Response führte, aus verschiedenen Gründen attraktiv:
Durch die Addition von Lithium zu einem bislang nicht wirksamen Antidepressivum führt
man nicht nur eine Lithiumaugmentation durch, sondern addiert zugleich ein Medikament,
das einen wirkungsvollen (wenngleich natürlich nicht vollständigen) Schutz vor einem
Antidepressiva-induzierten Umschlagen in eine Manie bietet [8]. Darüber hinaus ist Lithium als wirkungsvoll antimanisches Medikament wenig verdächtigt,
seinerseits manieauslösend zu wirken. Schließlich kann Lithium, insbesondere wenn
die Lithiumaugmentation eine gute antidepressive Wirkung entfaltet, dem Patienten
anschließend zur langfristigen Prophylaxe der bipolar affektiven Erkrankung empfohlen
werden.
Die wissenschaftlich-empirischen Belege für die Wirksamkeit einer Lithiumaugmentation
bei bipolaren Depressionen sind jedoch dürftig: Unter den 234 Patienten aus neun plazebokontrollierten,
doppelblinden Studien der oben bereits erwähnten Metaanalyse [3] befanden sich lediglich 14 Patienten mit bipolarer Depression. Eine spezifische
Aussage für diese Indikation ist daher aus dieser Arbeit nicht ableitbar. Zwei nicht-kontrollierte
Studien weisen jedoch in Richtung einer möglicherweise sogar besonders guten Wirksamkeit
der Lithiumaugmentation bei bipolaren Depressionen: Rybakowski und Matkowski [14] fanden bei den 14 bipolar depressiven Patienten unter den 51 untersuchten Patienten
ein signifikant häufigeres Ansprechen auf die Lithiumaugmentation (in 79 %) als bei
den unipolar depressiven Patienten (46 %). In einer retrospektiven Untersuchung sprachen
bipolar Depressive ebenfalls häufiger auf die Lithiumaugmentation an [13]. Beide Studien machen keine Angaben zu einer möglichen Manie-Induktion unter der
Lithiumaugmentation.
Prospektive, randomisierte und plazebokontrollierte Studien zur Wirksamkeit der Lithiumaugmentation
bei bipolaren Depressionen sind also wünschenswert. Bis diese vorliegen kann eine
Lithiumaugmentation aber aufgrund der Datenlage und der theoretischen Überlegungen
auch für bipolar depressive Patienten empfohlen werden. Wenn auch die Wirksamkeit
der Lithiumaugmentation bei bipolarer Depression nicht empirisch abgesichert ist,
so wird doch mit Lithium ein Medikament addiert, das bei manisch-depressiver Erkrankung
in zwei anderen Indikationen (als Monotherapeutikum zur Behandlung bipolarer Depressionen
und als Phasenprophylaktikum) aufgrund kontrollierter, randomisierter Studien klar
empfohlen werden kann.
Abb. 1
Abb. 2