Renovaskuläre Erkrankungen sind mit einem Anteil von bis zu 2 % im unselektionierten
Krankengut eine der häufigsten Ursachen der sekundären Hypertonie. Bei älteren Patienten
mit allgemeiner Arteriosklerose, schwerer Hypertonie und Einschränkung der Nierenfunktion
beträgt die Inzidenz von Nierenarterienstenosen 20-40 % [22]. Renovaskuläre Erkrankungen und assoziierte Hypertonie sind vor allem aus drei Gründen
von großem Interesse.
Denn ihnen liegt erstens eine nachvollziehbare Pathophysiologie und Pathogenese zugrunde,
die vor mehr als 60 Jahren experimentell gesichert wurde [9] und zu deren Verständnis wissenschaftliche Fortschritte der letzten Jahre beigetragen
haben [2]
[7]
[12]
[13]
[22]. Jedoch ist eine Nierenarterienstenose nicht in jedem Fall kausal mit einer begleitenden
Hypertonie verknüpft. Zudem profitieren Patienten mit einer Nierenarterienstenose,
einer Niereninsuffizienz und schwerer Hypertonie nicht immer von einer Intervention
[15]
[17]
[18]
[19]
[20]
[22]. Zweitens wurden in den letzten Jahren zahlreiche neue diagnostische Methoden eingeführt,
deren Einsatz in der täglichen Praxis unterschiedlich gewertet wird [1]
[10]
[12]
[17]
[22]. Drittens haben moderne Pharmaka, die Angioplastie - einschließlich der Einlage
eines Stents - sowie differenzierte operative Interventionen die Therapiemodalitäten
inzwischen deutlich verbessert.
Die Beziehungen zwischen Nierenarterienstenose, Hypertonie und Niereninsuffizienz
sind komplex. So kann die Nierenarterienstenose Ursache einer arteriellen Hypertonie
sein, aber auch als Spätfolge bei langjähriger Hypertonie in Erscheinung treten. Ebenso
kann die Niereninsuffizienz Folge einer verminderten Perfusion im Rahmen einer Nierenarterienstenose
sein. Der Nierenfunktionsverlust kann aber auch durch eine Kombination stenosebedingter,
ischämischer und hypertensiver Nephropathie bereits zu einer überwiegend renoparenchymatösen
Hypertonie geführt haben. In diesem Fall sind die Bedingungen einer atherosklerotischen
renovaskulären Erkrankung erfüllt, bei der eine Intervention weder zu einer Verbesserung
des Blutdruckes noch zu einer Beeinflussung des Nierenfunktionsverlustes führen muss.
Streng genommen darf von einer renovaskulären Hypertonie (RVH), die den bekannten
pathophysiologischen Gegebenheiten bei einer mehr als 70 %igen Stenose mit vordergründiger
Aktivierung des Renin-Angiotensin-Systems entspricht, nur gesprochen werden, wenn
eine Intervention zu einer Beseitigung oder zumindest deutlichen Besserung der Hypertonie
führt. Klinisch einsetzbare diagnostische Maßnahmen mit prädiktiver Wertigkeit im
Hinblick auf eine günstige Beeinflussung von Hypertonie und Nierenfunktion wurden
in den letzten Jahren diskutiert [15]
[17]
[22].
Pathophysiologie der RVH
Pathophysiologie der RVH
Das pathophysiologische Verständnis der renovaskulären Hypertonie geht auf die grundlegenden
Tierversuche von Goldblatt zurück, der eindrucksvoll zeigte, dass die Niere nach renal-arterieller
Konstriktion für die Hypertonie verantwortlich zeichnet [9]. Nach Entwicklung technischer Voraussetzungen wurden drei Modelle der renovaskulären
Hypertonie untersucht:
In einer großen Zahl von Studien zeigte Goldblatt, dass 1-Clip in einem Tier mit zwei
Nieren zu einer akuten Hypertonie führt, während die 1-Clip-1-Niere und 2-Clip-2-Nieren-Modelle
eine schwere, anhaltende Hypertonie bewirkten. Wurden die Clips an den Nierenarterien
entfernt, konnte dies in den meisten Studien auch die Hypertonie beseitigen.
Anfang der 70er Jahre dokumentierten Untersuchungen mit den erstmalig verfügbaren
ACE-Hemmern eine grundlegend unterschiedliche Ätiologie der Hypertonie der 1-Clip-2-Nieren-
und des 1-Clip-1-Niere-Modells [2]
[7]: Im 1-Clip-2-Nieren-Modell kann die kontralaterale, nicht geclipte Niere eine Salz-
und Wasserretention ausgleichen, die Hypertonie wird also durch die Renin-Angiotensin-Produktion
unterhalten. Ursache der Hypertonie im 1-Clip-1-Niere-Modell ist dagegen die exzessive
Salz- und Wasserretention. In diesem Fall kann auch die kontralaterale Niere bei initialer
Renin- und Aldosteronproduktion Salz und Wasser nicht mehr adäquat eliminieren. Somit
weist diese Form der Hypertonie eine überwiegende Volumenkomponente auf. Die Reninkomponente
wird maskiert durch das ansteigende Volumen, da eine Volumenüberladung zu einer Reninsuppression
führt.
In diesem Modell konnte die Bedeutung des Renins dadurch gezeigt werden, dass ACE-Hemmer
nur bei Tieren mit niedriger Salzzufuhr den Blutdruck deutlich senken konnten, während
dies bei fehlender Natriumdepletion nicht der Fall war [7]. Experimentell belegt ist auch, dass für die Reduktion der renalen Perfusion und
für die Erhöhung des Blutdruckes in Folge einer Stimulation des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems
(RAAS) eine mindestens 70 %ige Einengung des Lumens der Nierenarterie erforderlich
ist [Abb. 1] [14].
Viele Details des Renin-Angiotensin-Systems sind inzwischen dokumentiert [8]
[13]
[19]
[21]
[22]. Neben zahlreichen anderen Aktionen kommt es zur Vasokonstriktion, zur vermehrten
Freisetzung von Aldosteron, zur Salz- und Wasserretention mit Anstieg des Blutvolumens
sowie zum Anstieg des Perfusionsdrucks. Für die Modulation und Kontrolle des Renin-Angiotensin-Systems
sind Angiotensin-II-spezifische zelluläre Rezeptoren von Bedeutung, welche die Transkription
von Messenger-RNA modulieren - einschließlich der spezifischen Messenger-RNA für Renin
und Angiotensinogen.
In Untersuchungen zur Interaktion zwischen Angiotensin II und Stickstoffmonoxid wurde
gezeigt, dass eine Blockade der Stickstoffmonoxid-Synthese im 2-Nieren-1-Clip-Modell
die günstige Beeinflussung der renovaskulären Hypertonie nach Clip-Beseitigung hemmt
[21]. Das Angiotensin II kann entweder über eine Blockade des Converting-Enzyms mit ACE-Hemmern
oder des Angiotensin-II-Rezeptors mittels AT1-Rezeptor-Antagonisten beeinflusst werden.
Dies hat nicht nur therapeutische Konsequenzen, aus diesem Zusammenhang leiten sich
auch Implikationen für das Verständnis der 1- und 2-Nieren-Clipmodelle ab: Wird durch
einen ACE-Hemmer die Wirkung von Angiotensin II am Glomerulus mit seinem stärkeren
vasokonstriktiven Effekt auf die efferente Arteriole im Vergleich zur afferenten Arteriole
aufgehoben, so nimmt die glomeruläre Filtrationsrate (GFR) ab. Der Effekt ist jedoch
ebenfalls verantwortlich für ein (reversibles) akutes Nierenversagen bei bilateraler
Nierenarterienstenose - oder einer Nierenarterienstenose in Einzelnieren (z.B. Transplantatniere)
- nach Gabe von ACE-Hemmern oder AT1-Rezeptor-Antagonisten.
Bei der renovaskulären Hypertonie des Menschen liegen überwiegend zwei Nierenmodelle
vor, entweder mit unilateraler oder mit bilateraler Stenose. Da eine klinische Situation
mit gleichermaßen aus-geprägter bilateraler Stenose selten ist, entsprechen beide
Bedingungen meist dem 1-Clip-2-Nieren-Modell, in welchem die Aktivierung des Renin-Angiotensin-Systems
im Vordergrund steht. Diese Patienten reagieren entsprechend deutlich mit einem Blutdruckabfall
auf die Gabe von ACE-Hemmern oder AT1-Rezeptor-Antagonisten. Beidseitig gleiche Stenosen entsprechen mehr dem 1-Clip-1-Niere-Modell
mit erhöhtem Plasmavolumen und geringerem Ansprechen auf ACE-Hemmer.
Ursachen und klinische Hinweise
Ursachen und klinische Hinweise
Die vielfältigen Ursachen der renovaskulären Hypertonie sind in [Tabelle 1] zusammengefasst. Am häufigsten liegt eine Atherosklerose zugrunde, da das Durchschnittsalter
der Bevölkerung stetig steigt und multilokuläre Makroangiopathien infolge atherosklerotischer
Läsionen immer häufiger werden. Primär bilden sich die stenosierenden Plaques an Gefäßaufzweigungen,
sie gehen überwiegend von der degenerativ veränderten Aorta aus. Die Stenosen liegen
daher meist im proximalen Bereich der Nierenarterie, sehr häufig ostiumnah, bei 30-60
% der Patienten ist der Befall beidseitig.
Bei jungen Patienten ist die häufigste Ursache der renovaskulären Hypertonie eine
fibromuskuläre Dysplasie (FMD). An dieser angeborenen Texturstörung leiden überwiegend
junge Frauen. Morphologisch werden je nach betroffenem Anteil der Arterienwand die
intimale (2-3 %), die mediale (über 80 %) und die perimediale (10-25 %) fibromuskuläre
Dysplasie unterschieden. Die häufigste Form, die mediale fibromuskuläre Dysplasie,
kommt bei 50 % der Patienten beidseitig vor. In der Arteriografie finden sich typische
perlschnurartige Veränderungen. Selten ist die mediale Hyperplasie, die sich fast
ausschließlich im Jugendalter manifestiert. Bei diesen dysplastischen Formen ist meist
das mittlere Drittel der Nierenarterien betroffen - rechts häufiger als links. Die
Häufung bei Frauen, das Vorkommen in Familien sowie das Zusammentreffen von ähnlichen
Veränderungen in extrarenalen Arterien lassen genetische Ursachen vermuten [19]
[22].
Die Kenntnis der Klinik der renovaskulären Hypertonie ist von großer Bedeutung, da
nur Patienten mit eindeutigen klinischen Hinweisen [Tab. 2] weiteren diagnostischen Maßnahmen zugeführt werden sollten [1]
[5]
[10]
[12]
[16]
[18]. Viele Symptome und Befunde der renovaskulären Hypertonie kommen auch bei der essenziellen
Hypertonie vor, jedoch bei einem viel geringeren Anteil der Patienten.
Natürlicher Verlauf und Progression
Natürlicher Verlauf und Progression
Früher ging man von einer erheblichen Progressionstendenz von Nierenarterienstenosen
aus, mit Verschlussraten bis zu 16 % innerhalb von fünf Jahren. Heute ist der Verlauf
der Erkrankung - vor allem unter der Therapie moderner, besser verträglicher und wirksamer
Antihypertensiva sowie bei größerer Verbreitung der Therapie mit CSE-Hemmern - auch
ohne operative oder interventionelle Therapie günstiger [19].
Eine Zunahme der Stenosierung trat in einer prospektiven Studie innerhalb von drei
Jahren an 35 % der Patienten auf [3]. Gefäßverschlüsse traten selten auf und nur bei vorbestehender Stenose über 60 %
[3]. Die kumulative Inzidenz für eine renale Atrophie von mehr als 1 cm über zwei Jahre
betrug 11,7 % bei Nierenarterienstenosen unter 60 %. Bei Stenosen über 60 % war diese
mit 21 % deutlich höher. Hierbei korrelierte erwartungsgemäß die Nierenatrophie mit
dem Anstieg des Serumkreatinins.
Als Risikofaktoren für eine renale Atrophie wurden eine hochgradige Stenose, ein systolischer
Blutdruck über 180 mmHg und eine mittels Doppler-Sonografie gemessene niedrige intrarenale
enddiastolische Flussgeschwindigkeit dokumentiert [4]. Bei den genannten Untersuchungen zur Progression einer atherosklerotischen Nierenarterienstenose
wurden folgende Risikofaktoren identifiziert:
-
systolischer Blutdruck von mehr als 160 mmHg
-
Diabetes mellitus
-
hochgradige ipsilaterale Nierenarterienstenose bei vorangegangener Untersuchung
-
hochgradige kontralaterale Nierenarterienstenose bei vorangegangener Untersuchung
[3]
[4].
Zum Verlauf der fibromuskulären Dysplasie liegen nur ältere Untersuchungen vor. Bei
der häufigsten Form, der medialen FMD, bei der in bis zu über 20 % der Fälle ähnliche
Veränderungen an extrarenalen Gefäßen gefunden werden, zeigte sich eine Zunahme der
Stenose in 12-66 % über viele Jahre. Es kam jedoch nur äußerst selten zum Nierenarterienverschluss
und auch eine ischämische Nierenatrophie mit Funktionsverlust entwickelte sich nur
selten [19]
[22].
Atherosklerotische renovaskuläre Erkrankung
Atherosklerotische renovaskuläre Erkrankung
Besondere pathophysiologische und klinische Bedingungen liegen bei der vor mehr als
zehn Jahren beschriebenen atherosklerotischen renovaskulären Erkrankung vor. [12]
[15]
[16]
[19]
[20]
[22]. Dabei handelt es sich um eine irreversible Niereninsuffizienz bei progredienter
Nierenischämie infolge einer atherosklerotischen renovaskulären Verschlusserkrankung.
Die Niereninsuffizienz ist die Folge hämodynamischer und struktureller Veränderungen.
Pathophysiologisch und klinisch ist die Tatsache wichtig, dass bei dieser komplexen
renalen Funktionsstörung eine Beseitigung der Stenose weder die Nierenfunktion noch
die Hypertonie wesentlich beeinflusst.
Häufig liegt bei dieser Sonderform der renovaskulären Erkrankung eine Proteinurie
vor [5]
[16]. Diese ist umso stärker ausgeprägt, je weiter die Niereninsuffizienz fortgeschritten
ist. Sie ist aber unabhängig von der Ausprägung der Nierenarterienstenose [5]
[16]
[19]
[20]. Sind andere Erkrankungen wie eine diabetische Nephropathie oder eine fokal segmentale
Glomerulosklerose ausgeschlossen, ist die deutliche Proteinurie von im Mittel 0,95
g ein wichtiger Indikator der renal-parenchymatösen Schädigung der atherosklerotischen
Nephropathie.
Diese atherosklerotische renovaskuläre Erkrankung geht von den Veränderungen der Aorta
am Abgang der Nierenarterien aus. Sie führt über Veränderungen der Stickstoffmonoxid-Produktion,
erhöhter Endothelin-1-Aktivität sowie einer Aktivierung des lokalen Renin-Angiotensin-Systems
zur tubulären Atrophie und zur ausgeprägten interstitiellen Fibrose. Verantwortlich
für diese Veränderungen sind Cholesterinembolien, freie Sauerstoffradikale, oxidierte
LDL-Partikel („low density lipoprotein”) sowie verschiedene Mediatoren, zum Beispiel
Interferon (IFN) g, Tumornekrosefaktor (TNF) a oder „tissue growth factor” (TGF) b
[20].
Argumente, die dafür sprechen, dass diese Erkrankung von einer allein durch die Stenose
bedingten ischämischen Nierenerkrankung abzugrenzen ist, sind
-
morphologische Veränderungen
-
eine unzureichende Antwort auf Revaskularisation
-
die klinische Beobachtung, dass ein Teil dieser Patienten zwei gleich große Nieren
haben mit unilateraler Nierenarterienstenose aber eingeschränkter Nierenfunktion.
Die individuelle Nierenfunktion hängt nicht von der Ausprägung der Nierenarterienstenose
ab - eine Ausnahme ist ein totaler Nierenarterienverschluss [5]. So war bei 79 Patienten die Nierenfunktion in der nichtstenosierenden Niere nicht
besser im Vergleich zur Niere hinter der einseitigen Stenose. Dies wurde mittels einer
differenzierten auf die Einzelniere bezogenen Radioisotopenuntersuchung der glomerulären
Filtration festgestellt [6]. Bei der fibromuskulären Dysplasie wird eine derartige Situation niemals gesehen.
Mechanismen, Klinik und therapeutische Ansätze dieser zunehmend häufigeren Sonderform
der renovaskulären Hypertonie werden an anderer Stelle ausführlich dargestellt [16]. Die Kenntnis der Klinik dieser Erkrankung und ihrer in allen Abläufen bisher nicht
geklärten Pathophysiologie ist von Bedeutung, da sich hieraus Konsequenzen für den
günstigsten Zeitpunkt zur Eröffnung der Nierenarterien oder aber auch zur Unterlassung
von entsprechenden Maßnahmen ergeben können.
Diagnostik und Therapie
Diagnostik und Therapie
[Abbildung 1] zeigt das diagnostische und therapeutische Vorgehen bei einer renovaskulären Hypertonie.
Absolute Voraussetzung zum Einsatz von Screening-Methoden wie der farbkodierten Dopplersonografie
(FKDS), der Magnetresonanzangiografie (MRA) und der Computertomografie-Angiografie
(CT-Angio) sind eindeutig klinische Hinweise für eine renovaskuläre Hypertonie. Zunehmend
mehr erlauben diese bildgebenden Verfahren Einblick in die Pathophysiologie und können
möglicherweise einen Beitrag zur Prädiktion einer erfolgreichen oder erfolglosen Intervention
leisten [17].
Während bei eindeutigen Stenosen über 70 % auch aus pathophysiologischen Erwägungen
die Indikation zur Intervention besteht, bedürfen grenzwertige Stenosen aus unserer
Sicht einer differenzierten Diagnostik zur Frage der funktionellen Wirksamkeit des
Eingriffs. Zunehmend mehr ist zur Progressionsverminderung - auch bei 50-70 %iger
Stenose - nicht nur eine gute Blutdruckeinstellung mit Zielwerten von 120-130/70-80
mmHg und weniger angezeigt. Auch der renoprotektive Effekt von ACE-Hemmern und AT1-Rezeptor-Antagonisten sollte ausgenutzt werden. Daneben müssen selbstverständlich
andere Risikofaktoren möglichst gut beeinflusst werden (Nikotinverzicht, optimale
Einstellung des Diabetes mellitus mit HbA1c-Zielwerten unter 7 % oder des Fettstoffwechsels
mit LDL-Cholesterin-Zielwerten unter 100 mg/dl).
Da atherosklerotische renovaskuläre Erkrankungen immer häufiger werden, wurden in
den letzten Jahren Faktoren definiert, die neben den genannten pathophysiologischen
Gegebenheiten und entsprechenden diagnostischen und therapeutischen Konsequenzen klinische
Hinweise für oder gegen eine Intervention geben [15]. Von den Faktoren, die in [Tabelle 3] aufgeführt sind, werden vor allem die Nierengröße, die Proteinurie, die Nierenfunktion
und der Widerstandsindex in der farbkodierten Dopplersonografie zur Entscheidung herangezogen.
Selbstverständlich können diese Faktoren nur eine Entscheidungshilfe - kein absolutes
Für und Wider - zu einer Intervention mittels Angioplastie (PTRA), Angioplastie mit
Stent (PTRAS) und operativer Versorgung sein [12]
[19]
[22]. Insbesondere bleibt die Interventionsindikation auch bei ungünstigen Voraussetzungen
zum möglichen Erhalt der Nierenfunktion bestehen.
Bei der konservativ medikamentösen Therapie der renovaskulären Hypertonie sind aufgrund
der pathophysiologischen Gegebenheiten ACE-Hemmer bzw. AT1-Rezeptor-Antagonisten sinnvoll und ermöglichen häufig eine gute Blutdruckeinstellung.
Bei Patienten mit beidseitiger Nierenarterienstenose bzw. einseitiger Nierenarterienstenose
bei Einzelniere sind wegen der Gefahr eines akuten Nierenversagens diese Präparate
nicht indiziert. In Einzelfällen können sie jedoch - dann aber gekoppelt mit einer
engmaschigen Kontrolle der Nierenfunktion - die einzigen wirksamen blutdrucksenkenden
Substanzen sein. Eine invasive Therapie ist bei schwer einstellbarer Hypertonie und
fibromuskulärer Dysplasie absolut indiziert [19]. Zur Therapie der atherosklerotischen Nephropathie ist nur wenig bekannt [16]
[19], und eine Progredienz der Niereninsuffizienz ist trotz erfolgreicher Revaskularisation
oder medikamentöser Therapie möglich.
Studien, die eine primär medikamentöse mit einer primär interventionellen Therapiestrategie
mittels PTRA vergleichen (Übersicht bei [12]
[16]
[19]
[22]), belegen, dass eine konservative Therapie zumindest für einen Teil der Patienten
(unilaterale Stenose, einstellbare Hypertonie) sinnvoll sein kann. Voraussetzung sind
allerdings regelmäßige Kontrollen innerhalb von sechs bis zwölf Monaten, die jedoch
in der klinischen Praxis eher schwer einzuhalten sind.
Die Katheterintervention hat die operative Rekonstruktion zurückgedrängt, wobei zumindest
im Langzeitverlauf noch nicht geklärt ist, ob beide Verfahren gleichwertig sind. Vor
allem mit dem Einsatz von Stents sind sowohl deutlich bessere Offenheitsraten als
auch niedrigere Restenoseraten beschrieben worden. Die Komplikationsraten liegen hier
zwischen 0 und 35 %. [Abbildung 1] zeigt den Verlauf eines Patienten mit bilateraler Nierenarterienstenose und zweiseitiger
PTRA mit Stent.
Aus unserer Sicht ist eine operative Revaskularisation dann indiziert, wenn die Angioplastie
nicht möglich ist (z.B. ausgeprägtes Kinking der Aorta oder der Nierenarterie, steiler
Winkel zwischen der Aorta und Nierenarterie, mit dem Führungsdraht nicht passierbare
Stenose, peripher gelegene Stenosen, schwere kalzifizierende Stenosen, die zu einer
Ballonruptur führen), wenn mit schweren Komplikationen zu rechnen ist oder bei akuten
Komplikationen während der Angioplastie. Weitere Indikationen sind außerdem gleichzeitig
erforderliche Operationen an den iliakalen Gefäßen (Aortenaneurysma, Aortendissektion,
Coactatio aortae abdominalis), bei renalen Aneurysmata mit nachgewiesener Embolie
oder bei Rupturgefahr und Nierenarteriendissektion, Verschluss oder Ruptur einer Nierenarterie,
von extern bedingten Nierenarterienstenosen (z.B. durch Tumore oder bei retroperitonealer
Fibrose). Arterio-venöse Fisteln müssen je nach Größe und Lokalisation ebenfalls operativ
versorgt werden.
Zu diskutieren ist, inwiefern Jugendliche und junge Erwachsene bei isolierten Nierenarterienstenosen
ebenfalls primär einer operativen Rekonstruktion unterzogen werden sollen. Bisher
sind nach chirurgischer Therapie nicht nur die Re-Stenoseraten niedriger, sondern
auch die Langzeiterfolge sehr gut. Außerdem ist natürlich das Risiko des Eingriffes
in jungen Jahren eher als gering einzuschätzen [12]
[14]
[22].
Abb. 1
Abb. 2 Im Angiogramm besteht vor der Intervention (a) eine beidseitige Nierenarterienstenose.
Im Abstand von drei Wochen wurde der Patient einer rechtsseitigen und einer linksseitigen
renalen Angioplastie (mit Stenteinlage) zugeführt. In der Kontrolle (b) ist die beidseitige
Stenose nicht mehr zu sehen
Tab. 1 Ursachen der renovaskulären Hypertonie
-
Atherosklerose (> 80 %) (31)
-
fibromuskuläre Dysplasie (> 20 %)
-
seltene Ursachen (>1-2 %)
-
Aortenaneurysma bzw. -dissektion
-
Nierenarterienaneurysma bzw. -dissektion
-
arteriovenöse Fisteln der Nierenarterien
-
Coarctatio aortae
-
Thrombosen bzw. Embolien der Nierenarterien (zunehmend Choles- terinembolien in
nativen und Transplantatnieren)
-
Kompression durch Tumoren oder Zysten
-
Vaskulitis
-
nach Nierentransplantation
-
(Nierenarterienstenose, Iliakalstenose)
|
Tab. 2 Klinische Hinweise auf eine renovaskuläre Hypertonie
-
fehlende familiäre Disposition und Auftreten der Hypertonie im Alter von unter 30
und über 50 Jahren
-
plötzliche Verschlechterung einer vorbestehenden Hypertonie
-
schwer einstellbare Hypertonie (Blutdruckwerte über 160/95 mmHg trotz mehr als zwei
bis drei antihypertensiver Präparate)
-
fehlender Abfall des nächtlichen Blutdrucks bei ambulanter 24-Stunden-Messung
-
generalisierte Atherosklerose (koronare Herzerkrankung, periphere arterielle Verschlusskrankheit,
Aortenaneurysma, Karotisstenose)
-
Risikofaktoren für Atherosklerose (Diabetes mellitus, Hyperlipidämie, Nikotin)
-
zunehmende Niereninsuffizienz ohne Hinweis auf parenchymatöse Erkrankung (keine Erythrozyten
im Sediment, keine oder geringe Proteinurie)
-
einseitig kleinere Niere (> 1,0 cm).
-
hypertensive Endorganschädigung (Fundus hypertonicus III-IV, linksventrikuläre Hypertrophie,
Herzinsuffizienz)
-
rezidivierendes Lungenödem auch ohne deutliche linksventrikuläre Funktionsstörung
-
Nierenfunktionsverschlechterung (Anstieg des Serumkreatinins um mehr als 20 %) nach
ACE-Hemmer- oder AT1-Rezeptor-Antagonisten-Therapie
-
abdominelle Strömungsgeräusche
-
Hypokaliämie (Folge des aktivierten Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems)
|
Tab. 3 Faktoren, die für oder gegen eine invasive Therapie sprechen
Faktor
|
pro
|
contra
|
Alter/Komorbidität |
niedrig |
hoch |
Nierengröße |
> 8 cm |
< 8 cm |
Stenoselokalisation |
beidseitig bzw. einseitig bei Einzelniere |
einseitig |
Blutdruck nicht kontrolliert |
bei > 3 Medikamenten |
bei < 3 Medikamente |
Stenosegrad |
≥ 70 % |
< 70 % |
Risikofaktoren (Diabetes mellitus, hohes Cholesterin, Nikotin) |
vorhanden |
nicht vorhanden |
Proteinurie/24 Stunden |
< 0,5 g |
> 1 g |
Nierenfunktion |
schnelle Verschlechterung (vor allem unter ACE-Hemmer) |
stabil, Kreatinin > 3-4 mg/dl |
rezidivierendes Lungenödem |
vorhanden |
nicht vorhanden |
RI bei FKDS[*]
|
< 0,8 |
> 0,8 |
Fibrose, Sklerose, Cholesterin-embolien in der Nierenbiopsie |
nicht vorhanden |
vorhanden |
1 „resistive index” in der farbkodierten Dopplersonographie (FKDS) in intrarenalen
Segmentarterien der kontralateralen Niere