Im Jahr 2001 musste bei über 15000 Patienten in Deutschland eine chronische Nierenersatztherapie
eingeleitet werden. Dies bedeutete nicht nur eine erhebliche Einschränkung der Lebensqualität
und hohe medizinische Risiken für die Betroffenen, sondern nicht zuletzt steigende
finanzielle Belastungen für das Gesundheitssystem. Bei den Nierenerkrankungen standen
die diabetische Nephropathie sowie die vaskuläre Nephropathie mit einem Anteil von
über 50 % ganz im Vordergrund. Damit besteht für den größten Teil der zur terminalen
Niereninsuffizienz führenden Erkrankungen keine Möglichkeit, sie kausal zu therapieren
und damit zu heilen. Die Verzögerung der Progression einer chronischen Niereninsuffizienz
ist deshalb von entscheidender Bedeutung. Wichtigste Maßnahme ist hierbei die Therapie
der praktisch immer vorhandenen arteriellen Hypertonie, was eine Vielzahl von Studien
eindrucksvoll belegt.
Über Jahrzehnte galt die Hypertonie als notwendige Gegenregulation des Organismus
zum Erhalt der glomerulären Filtrationsrate („Erfordernishochdruck”). Die Bedeutung
der Hochdrucktherapie wurde erst relativ spät systematisch untersucht. Erst Ende der
70er Jahre wurde bei einzelnen Patienten mit diabetischer Nephropathie von günstigen
Ergebnissen der Blutdrucksenkung im Hinblick auf den Erhalt der Nierenfunktion berichtet
[17]. Die ersten systematischen Untersuchungen wurden wenig später publiziert [19].
Im Zusammenhang mit der heute geforderten konsequenten Blutdruckeinstellung bei allen
Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz ist zu betonen, dass diese nicht nur
zum Erhalt der Nierenfunktion sondern vor allem auch zur Senkung des kardiovaskulären
Risikos unverzichtbar ist. Schon lange ist bekannt, dass die Entwicklung einer diabetischen
Nephropathie die kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität betroffener Patienten im
Vergleich zu nierengesunden Diabetikern dramatisch erhöht [2].
Die HOPE[1]-Studie zeigte eindrucksvoll, dass eine Mikroalbuminurie und auch eine leichtgradige
Niereninsuffizienz (Serumkreatinin > 1,4 mg/dl) unabhängig von der Ursache der renalen
Funktionsstörung mit einer signifikanten Zunahme kardiovaskulärer Komplikationen assoziiert
war [10]. Ziel der Therapie der arteriellen Hypertonie bei chronischer Niereninsuffizienz
muss daher beides sein: die effektive Reduktion der kardiovaskulären Morbidität und
Mortalität sowie der langfristige Erhalt der Nierenfunktion.
Bedeutung der arteriellen Hypertonie
Bedeutung der arteriellen Hypertonie
Bei nahezu allen renoparenchymatösen Erkrankungen, die zur chronischen Niereninsuffizienz
führen, entwickelt sich im Verlauf eine arterielle Hypertonie. Die Ätiologie ist multifaktoriell.
Regelhaft kommt es bereits bei gering eingeschränkter Nierenfunktion zu einer Retention
von Kochsalz und Wasser im Organismus [24]. Im Verhältnis hierzu ist das Renin-Angiotensin-Aldosteron-System (RAAS) niereninsuffizienter
Patienten inadäquat stimuliert. Zusätzlich ist eine Aktivierung des sympathischen
Nervensystems in verschiedenen experimentellen Untersuchungen belegt. Defekte an endogenen
Vasodilatatoren wie Stickstoffmonoxid sowie erhöhte Spiegel von Parathormon und Endothelin
scheinen ebenfalls eine pathogenetische Bedeutung bei der Hochdruckentstehung zu haben.
Der erhöhte Blutdruck ist nicht nur Folge und Symptom der chronischen Niereninsuffizienz,
vielmehr trägt er entscheidend zur Progression der renalen Schädigung bei. Jeder Verlust
von Nephronen führt unabhängig von der Ursache der Schädigung zur vermehrten Durchblutung
und damit Druckbelastung noch intakter Nephrone [4]. Der intraglomeruläre Druck ist unter physiologischen Bedingungen vom systemischen
Blutdruck weitgehend unabhängig und wird durch das Verhältnis des Gefäßtonus im Vas
afferens und Vas efferens reguliert. Diese im Organismus einmalige Situation einer
Kapillardurchblutung zwischen zwei Widerstandsgefäßen ermöglicht eine sehr genaue
Autoregulation des glomerulären Perfusionsdrucks.
Dieser Mechanismus ist bei chronischer Niereninsuffizienz gestört, sodass sich der
arterielle Hochdruck auf das glomeruläre Kapillarstromgebiet überträgt und zur progredienten
Nierenschädigung beiträgt [2]. Dementsprechend beeinflusst die antihypertensive Therapie unmittelbar die glomeruläre
Hämodynamik, was ihre Bedeutung für den langfristigen Erhalt der Nierenfunktion erklärt.
Zielblutdruckwerte
Zielblutdruckwerte
Die Frage ist daher, wie stark der arterielle Blutdruck bei Patienten mit chronischer
Niereninsuffizienz gesenkt werden sollte. Wichtige Erkenntnisse - auch im Hinblick
auf die aktuell gültigen Zielblutdruckwerte - erbrachte die MDRD[2]-Studie [13]. Hier wurden 840 Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz in unterschiedlicher
Intensität antihypertensiv behandelt. Als Zielblutdruck wurde für eine Patientengruppe
die obere Grenze des Normbereichs definiert, während für eine zweite Patientengruppe
eine darüber hinaus gehende Absenkung des Blutdrucks innerhalb des normotensiven Bereichs
angestrebt wurde. Die für die heutigen Therapieempfehlungen wichtigsten Aussagen dieser
Studie stammen aus einer Post-hoc-Analyse [21].
In der Gruppe der Patienten mit höhergradiger Niereninsuffizienz (berechnete glomeruläre
Filtrationsrate zwischen 13 und 24 ml/min) zeigte sich dann ein direkter Zusammenhang
zwischen dem Ausmaß des Nierenfunktionsverlusts und dem tatsächlich erreichten Blutdruck,
wenn die Proteinurie der Patienten über 1 g pro Tag lag. Bei diesen Patienten trug
eine Blutdrucksenkung auf ein Niveau von bis zu 125/75 mmHg (korrekt: Mitteldruck
von 92 mmHg) dazu bei, die Progression der chronischen Niereninsuffizienz positiv
zu beeinflussen. Bei Patienten mit einer Proteinurie unter 1g pro Tag war dagegen
kein sicherer Benefit zu dokumentieren.
Allerdings konnte im so genannten Arm A der Untersuchung an Patienten mit mittelgradig
eingeschränkter Nierenfunktion (berechnete glomeruläre Filtrationsrate zwischen 25
und 55 ml/min) auch bei geringerer Proteinurie zwischen 250 und 1000 mg pro Tag noch
ein positiver Effekt der Blutdrucksenkung bis auf ein Niveau von 130/80 mmHg (korrekt:
Mitteldruck von 96 mmHg) gezeigt werden. An diesen Studienergebnissen orientieren
sich bis heute gültige Therapieempfehlungen - auch die der deutschen Hochdruckliga
[Tab. 1].
Nur wenige der aktuellen Studien zum Thema Hypertonie verfolgten das Ziel einer unterschiedlich
intensiven Blutdrucksenkung bei gleicher Medikation. Auch eine Blutdrucksenkung auf
unter 140 mmHg systolisch wurde nur selten erzielt [16]. Eine Ausnahme ist ALLHAT[3] [25], deren überraschende Ergebnisse vielfach diskutiert wurden: Über 60 % der Patienten
erreichten - je nach Studienarm - tatsächlich Blutdruckwerte zwischen 133,9 und 135,9
mmHg systolisch bzw. 74,6 und 75,4 mmHg diastolisch.
Sinnvolle Hochdrucktherapie
Sinnvolle Hochdrucktherapie
Bei der Interpretation von Studienergebnissen zur Hochdrucktherapie bei chronischer
Niereninsuffizienz und bei der Bewertung unterschiedlicher Klassen von Antihypertensiva
wird in der Regel zwischen Patienten mit und ohne diabetische Nephropathie unterschieden.
Bei Typ-1-Diabetikern mit Nephropathie - aber auch schon im Frühstadium der Mikroalbuminurie
- ist der Vorteil einer Blutdrucksenkung mit ACE-Hemmern eindeutig belegt. Es sei
hier nur auf die klassische Untersuchung von Lewis und Mitarbeitern verwiesen, die
vor nunmehr zehn Jahren publiziert wurde [13].
Interessanterweise zeigte eine Post-hoc-Analyse der Daten dieser wichtigen systematischen
Studie zur nephroprotektiven Wirkung von Captopril bei Patienten mit Typ-1-Diabetes,
dass der Vorteil der ACE-Hemmung von der Güte der Blutdruckeinstellung abhing: Je
besser die Blutdruckeinstellung gelang, desto geringer wurde der substanzspezifische
Vorteil des ACE-Hemmers [20]. Weidmann et al. konnten in einer Metaanalyse klinischer Studien diese Aussage eindrucksvoll
bestätigen [28]. Oberstes Ziel der antihypertensiven Therapie bei Patienten mit diabetischer Nephropathie
scheint daher zu sein, die Zielblutdruckwerte zu erreichen. Je besser dies gelingt,
desto weniger kommen vermutlich Vor- und Nachteile einzelner Substanzklassen zum Tragen.
Typ-2-Diabetiker sind heute, sofern es um die Verfahren der Nierenersatztherapie geht,
die größte Patientengruppe in der Nephrologie. Leider erfolgt die Zuweisung zum Nephrologen
auch heute noch vergleichsweise spät - obwohl die frühzeitige Mitbetreuung überaus
sinnvoll ist. Eine sehr ausführliche Analyse neuerer Studien zur Hochdrucktherapie
beim Typ-2-Diabetiker wurde kürzlich publiziert [30]. Die Zusammenfassung der vorhandenen Daten zum Vergleich einer intensiveren versus
einer weniger intensiven Therapie bzw. der aktiven versus Plazebotherapie zeigte einen
zumeist positiven Effekt der intensiveren Hochdrucktherapie auf die wichtigen Parameter
Albuminurie und Proteinurie. Hinsichtlich der Progression der chronischen Niereninsuffizienz
sind die Ergebnisse allerdings weniger eindeutig.
Medikamentenauswahl bei Typ-2-Diabetes
Bezüglich der Wahl geeigneter Antihypertensiva bei Typ-2-Diabetikern ist gesichert,
dass eine Therapie mit den Angiotensin-Rezeptor-Antagonisten Irbesartan [14] und Losartan [4] bei manifester Nephropathie die Progression der Niereninsuffizienz im Vergleich
zu Plazebo signifikant verzögern kann - die Differenz des systolischen Blutdrucks
in den entsprechenden Studien betrug allerdings 3-4 mmHg.
Inzwischen sind auch verschiedene Antihypertensiva gegeneinander geprüft worden: Bezüglich
der Progression der Niereninsuffizienz war Irbesartan dem Kalziumantagonisten Amlodipin
überlegen [14], und Losartan reduzierte die Inzidenz einer manifesten Proteinurie stärker als der
Betablocker Atenolol [15]. Vier weitere Studien zum Vergleich von ACE-Hemmern mit Betablockern [26], Kalziumantagonisten mit Diuretika [5] und Kalziumantagonisten mit ACE-Hemmern [7]
[23] dokumentieren dagegen keine Unterschiede der eingesetzten Antihypertensiva hinsichtlich
ihres nephroprotektiven Effekts.
Zur Hochdrucktherapie bei Patienten mit nichtdiabetischer Nephropathie existiert eine
Metaanalyse aus elf randomisierten Studien, welche speziell die Therapie mit ACE-Hemmern
berücksichtigt [10]. In einer Reihe von Untersuchungen war zuvor gezeigt worden, dass ACE-Hemmer eine
antiproteinurische Wirkung haben, die über die diesbezügliche Wirkung anderer Antihypertensiva
hinausgeht [8]
[11].
Das Ausmaß der Proteinurie hat eine große Bedeutung für die Progredienz einer chronischen
Niereninsuffizienz. Denn die vermehrte Filtration und Rückresorption von Albumin und
anderen Proteinen führt vermutlich zur verstärkten Expression von Zytokinen und Chemokinen
und damit zur Aktivierung inflammatorischer Prozesse [6]
[22]. Die Proteinurie spielt demnach eine unmittelbare Rolle bei der Entstehung einer
chronischen Inflammation mit konsekutiver interstitieller Fibrose des Nierenparenchyms
[27]. Es besteht mithin ein enger Zusammenhang zwischen der antiproteinurischen Wirkung
von Antihypertensiva - und hier insbesondere Substanzen, die das Renin-Angiotensin-Aldosteron-System
blockieren - und ihrem Potenzial, die Progression einer begleitenden Niereninsuffizienz
zu verzögern.
Jafar et al. konnten in ihrer Metaanalyse zur Hochdrucktherapie bei nichtdiabetischer
Nephropathie zeigen, dass eine Blutdrucksenkung von durchschnittlich 144/87 mmHg auf
ein Niveau von 139/85 mmHg zu einer signifikanten Verzögerung der Nierenfunktionsverschlechterung
führte. Außerdem korrelierte die im Vergleich zur konventionellen Therapie eindeutig
günstigere Wirkung von ACE-Hemmern stark mit der Höhe der Proteinurie, auf deren pathophysiologische
und klinische Bedeutung damit nochmals hinzuweisen ist [Abb. 1].
Diskussion ist neu belebt
Zwei kürzlich publizierte große Hochdruckstudien, die ALLHAT[3]- [25] sowie die AASK[4]-Studie [29] haben die Diskussion über die sinnvolle Hochdrucktherapie bei Patienten mit chronischer
Niereninsuffizienz neu belebt. Denn in der AASK-Studie (1094 farbige Patienten mit
Nephrosklerose ohne große Proteinurie) war kein sicherer Effekt einer intensiveren
Blutdrucksenkung von durchschnittlich 141/85 mmHg auf 128/78 mmHg im Hinblick auf
die Progression der chronischen Niereninsuffizienz zu beobachten. Jedoch war auch
in der Kontrollgruppe der Verlust der glomerulären Filtrationsrate mit lediglich 2
ml/min/Jahr sehr gering, was den Nachweis günstiger Therapieeffekte in der Verumgruppe
erschwert.
Die Behandlung mit ACE-Hemmern war einer Behandlung mit Betablockern oder Kalziumantagonisten
signifikant überlegen - obwohl bislang eine verminderte Wirksamkeit von ACE-Hemmern
bei farbigen Patienten postuliert wurde [21]. Interessanterweise zeigte auch die AASK-Studie die Bedeutung der Proteinurie, obwohl
diese im Studienkollektiv insgesamt sehr niedrig war. Die Autoren betonen ausdrücklich
den tendenziellen Vorteil der intensiveren Blutdrucksenkung bei Patienten mit relativ
höherer Proteinurie.
Die ALLHAT-Studie (n > 33000) verglich bei überwiegend nierengesunden Patienten drei
verschiedene Antihypertensiva im Hinblick auf die kardiovaskuläre Morbidität: Chlorthalidon
versus Amlodipin versus Lisinopril - ein Studienarm mit Doxazosin war zuvor abgebrochen
worden. Überraschenderweise zeigte sich bei einer Analyse der Daten keine Überlegenheit
des ACE-Hemmers, hingegen sogar ein Vorteil einer Therapie mit Amlodipin im Hinblick
auf die Verschlechterung der Nierenfunktion bei Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz.
Die Aussagekraft der ALLHAT-Studie für nephrologische Patienten wird kontrovers diskutiert.
So wurden die untersuchten Antihypertensiva zum Erreichen der Blutdruckzielwerte mit
nur noch selten verwendeten Substanzen wie Reserpin kombiniert. Zu bedenken ist ferner
der hohe Anteil an farbigen Patienten, die unter Diuretikatherapie vor allem einen
niedrigeren systolischen Blutdruck aufwiesen. Häufig wurde die Therapie gewechselt
und Analysen der Daten dieser Patienten fehlen ebenso wie Angaben zur Höhe der Proteinurie
oder zur Ätiologie der Nierenerkrankung.
Dennoch: In ALLHAT wurden überdurchschnittlich niedrige Blutdruckwerte erzielt. Die
Ergebnisse im Bezug auf Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz zeigen am ehesten,
dass die Bedeutung substanzspezifischer Effekte einzelner Antihypertensiva mit zunehmender
Intensität der antihypertensiven Therapie relativiert wird.
Fazit
Fazit
Für die klinische Praxis ist die konsequente Blutdruckeinstellung bei Patienten mit
chronischer Niereninsuffizienz von größter Bedeutung. Sowohl die Progression der Niereninsuffizienz
als auch die Häufigkeit kardiovaskulärer Komplikationen lassen sich entscheidend beeinflussen.
Die Blockade des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems durch ACE-Hemmer oder Angiotensin-Rezeptor-Antagonisten
ist aufgrund der Ergebnisse vieler Studien besonders günstig im Hinblick auf den möglichst
langfristigen Erhalt der Nierenfunktion und sollte sowohl bei diabetischer wie nichtdiabetischer
Nephropathie als Initialtherapie gewählt werden. Allerdings muss das Erreichen der
Zielblutdruckwerte oberste Priorität haben. Damit ist jedoch immer eine Kombination
verschiedener Substanzen notwendig, was die Diskussion über substanzspezifische Vorteile
einzelner Antihypertensiva im klinischen Alltag sehr relativiert.
Die Proteinurie ist ein äußerst wichtiger Parameter mit pathophysiologischer Bedeutung
bei der Entstehung struktureller Schäden in der Niere. Ihre Höhe beziehungsweise die
Senkung im Rahmen der Hochdrucktherapie sind für den behandelnden Arzt wichtige Indikatoren
für den Therapieerfolg und die Prognose der renalen Erkrankung.
Abb. 1 Nephroprotektiver Effekt der Therapie mit ACE-Hemmern bei nichtdiabetischer Nephropathie
in Abhängigkeit von der Höhe der Proteinurie
Tab. 1 Zielblutdruckwerte
chronische Niereninsuffizienz: < 130/80 mmHg
chronische Niereninsuffizienz und Proteinurie > 1g pro Tag: < 125/75 mmHg |