Suchttherapie 2003; 4: 1-2
DOI: 10.1055/s-2003-43287
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Editorial

EditorialJörg Gölz1 , Michael Krausz1
  • 1Praxiszentrum Kaiserdamm
Weitere Informationen

Jörg Gölz

Praxiszentrum Kaiserdamm

Kaiserdamm 24

14057 Berlin

Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
04. November 2003 (online)

Inhaltsübersicht

    Allgemeinmediziner und hausärztliche Internisten tragen die Hauptlast bei der Versorgung von Suchtpatienten. Dies gilt für alle Aspekte der Erkrankung und für alle Abhängigkeitsformen: für die Behandlung der toxikologischen Komplikationen ebenso wie für die psychiatrischen Störungen, für die somatischen Folgeerkrankungen und die zerstörten sozialen Beziehungen.

    Zur Bewältigung dieser Aufgabe muss eine Fülle medizinischer Fertigkeiten erlernt werden. Gleichzeitig ist eine komplexe Koordinationsaufgabe innerhalb eines Versorgungsnetzes mit einer Vielzahl unterschiedlicher Instanzen und Institutionen zu bewältigen. Die koordinierende Funktion selbst spielt sich in einem zersplitterten Hilfssystem ab, im dem die einzelnen Institutionen in großem Umfang wechselseitig lähmend agieren, da sie mit Hierarchiekämpfen, Problemen der Zuständigkeit und der Weisungsbefugnis beschäftigt sind. Ein Netz aus Verwaltungs- und Durchführungsvorschriften fesselt die Enfaltung der verbliebenen Aktivität. Jeder von uns kennt die Vielzahl absurder Interventionen, Atteste und Telefonate, die zum Beispiel dazu nötig sind, um ein Jugendamt mit einem Arbeitsamt zu einem Dialog zu bewegen, in dem die berufliche Eingliederung eines jugendlichen Drogenkonsumenten geplant wird. Die Fragebogen der Kostenträger für die Rehabilitation machen den Eindruck, als ob Argumente gesucht werden, um im Einzelfall von der Leistungspflicht Abstand nehmen zu können. Pointiert ausgedrückt: Das Versorgungssystem ist häufig genauso chaotisch wie die Lebenssituation der Abhängigen.

    Bei der Übernahme dieser medizinischen Verantwortung sind die suchtmedizinisch tätigen Hausärzte weit gehend allein gelassen worden. Beispielhaft belegt das die Geschichte der Opiatsubstitution von Heroinabhängigen in der Bundesrepublik. Weit über ein Jahrzehnt lang mussten sich die niedergelassenen Kollegen ihr Versorgungssystem für diese Therapieform gegen den gesellschaftlichen Widerstand erkämpfen. Erst in den letzten Jahren erfuhren sie Unterstützung durch Politik und Ärztekammern.

    Dieser lang dauernde Kampf trug insofern die Züge einer Groteske, da es während der ganzen Zeit nicht an feurigen Appellen von allen Seiten mangelte, dass die Hausärzte sich doch dieser Aufgabe widmen sollten, dass sie doch ein System einer flächendeckenden suchtmedizinischen Grundversorgung schaffen sollten, da sie ja diejenigen wären, die unter allen Ärzten den häufigsten Kontakt zu Abhängigen besäßen.

    Die ambulante Suchtmedizin leidet weiterhin unter Mangelerscheinungen: Eine unzureichende finanzielle Honorierung der zeitaufwändigen Tätigkeit führt eher zum Rückzug der Ärzte aus diesem Therapiesektor. Fehlende diagnostische und therapeutische Standards und die mangelhafte Begleitforschung lassen die ambulante Suchtmedizin oft nicht das Niveau einer „evidence-based medicine” erreichen. Das vielgestaltige paramedizinische Hilfssystem ist schlecht vernetzt und akzeptiert oft nicht die koordinierende Hand der Ärzte. Von der notwendigen Zusammenarbeit in Form eines „case managements” sind die einzelnen Protagonisten weit entfernt.

    Erstaunt haben wir am Beispiel der Erweiterung der Opiatsubstitution in den vergangenen Jahren miterlebt, welcher gesetzgeberische Aufwand nötig ist, um für eine neue Versorgungsform den sozial-, berufs- und leistungsrechtlichen Rahmen zu schaffen. Auch vergleichsweise geringfügige Neuerungen lösen einen komplizierten Abstimmungsprozess zwischen den gesellschaftlichen Institutionen und Korporationen aus. Als Ergebnis eines solch austarierten Abgleichungsprozesses entstehen dann Regelungen, die in dieser Form niemand gewollt hat. So klagen heute viele Kollegen über einzelne Durchführungsbestimmungen und Auflagen der BUB-Richtlinien zur Substitution, die schwer in den ärztlichen Alltag zu integrieren sind. Die Entstehungsgeschichte der Richtlinien als Kampfprodukt zwischen mehreren gesellschaftlichen Gruppierungen ist die Ursache dafür, dass mehrere Formulierungen und Festlegungen nicht auf ihre Alltagstauglichkeit hin überprüft worden sind. Dennoch dürfen wir nicht verkennen, dass in modernen Gesellschaften Veränderungen nie als Verwirklichung von Idealen, sondern immer nur in Form von Kompromissen zu erhalten sind.

    Damit die „vergessene” Mehrheit keine „schweigende” Mehrheit bleibt, widmet sich der 12. Suchtmedizinische Kongress der DGS in Berlin deshalb den selten artikulierten Fragen und Problemen dieser Behandlergruppe.

    Die Themenpalette erstreckt sich über die Einführung neuer Therapiemethoden, die Erarbeitung von Leitlinien, die Qualitätssicherung, das Disease-Management bis hin zur Bestimmung des Lehr- und Forschungsbedarfs, der Modelle integrierter Versorgung und der Plazierung der ambulanten Suchtmedizin innerhalb der medizinischen Disziplinen und des nicht medizinischen Versorgungssystems.

    Wir hoffen damit, den Kristallisationskern für eine neue Identität der ambulanten Suchtmedizin zu liefern.<!?breakb b16>

    Zum Gelingen des Kongresses haben neben vielen Personen auch pharmazeutische Firmen und Institutionen mit finanzieller Förderung beigetragen. Wir danken daher

    Aventis Pharma Deutschland GmbHAWD.pharma GmbH & Co KGBIO-RAD Laboratories GmbHBio-Vit-Institut, Praxisbedarf, Labordiagnostik und ZubehörBristol-Myers SquibbCompWare Medical GmbHEssex Pharma GmbHHoffmann La Roche AGHZ-Gruppe Heinz ZessinICN-Biomedicals GmbHMAHSAN Diagnostika Vertriebsgesellschaft mbHÖkomed GmbHSanofi-Synthelabo GmbHVon Minden GmbH

    Jörg Gölz

    Praxiszentrum Kaiserdamm

    Kaiserdamm 24

    14057 Berlin

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