Einleitung
Nach den Resultaten des BundesGesundheitssurveys rauchen trotz eines moderat rückläufigen Trends noch immer über 35 % der männlichen
und knapp 27 % der weiblichen Bevölkerung in Deutschland regelmäßig (Zeitfenster: letzte 4 Wochen) Zigaretten bzw. andere Tabakprodukte . Fast alle Raucher
sind sich der rauchbedingten Gesundheitsrisiken bewusst, und ein Großteil unternimmt
meist mehrfach den Versuch, damit aufzuhören [4 ]. Das BZgA [5 ] ermittelte, dass 35 % der rauchenden Männer und 33 % der rauchenden Frauen in den
vorangegangenen 12 Monaten mindestens einen Aufhörversuch von mindestens einem Tag
unternommen hatten. Allerdings enden eigenständige Aufhörversuche nur selten langfristig
erfolgreich [6 ]. Die Abstinenzerwartung ohne Inanspruchnahme einer Therapie wurde in einer Metaanalyse bezogen auf die 12-Monats-Katamnese
auf durchschnittlich 6,4 % bestimmt [7 ]. Dennoch nehmen trotz der Verfügbarkeit effektiver Raucherentwöhnungstherapien
weniger als 5 % aller entwöhnungsbereiten Raucher professionelle Hilfsangebote in
Anspruch [4 ].
Allerdings variieren auch die Erfolgsquoten von strukturierten Raucherentwöhnungsinterventionen sehr stark [15 ]. Der Einsatz von Selbsthilfemanualen erzielt mit 15 % Abstinenz im 12-Monats-Zeitraum nur unwesentlich bessere Ergebnisse
als unsystematische Eigenversuche [16 ]. Nach einer Metaanalyse des US Department of Health and Human Services , die im Zusammenhang mit der Entwicklung der US Clinical Practice Guidelines durchgeführt wurde [17 ]
[18 ], erreichen professionell geleitete bzw. medikamentös unterstützte Entwöhnungsmaßnahmen demgenüber weit höhere Erfolge in der 1-Jahres-Katamnese, z. B. verhaltenstherapeutische
Gruppenprogramme (20-30 %), Nikotinersatzprodukte (21-27 %) und Bupropion (Zyban®,
23-38 %). Diese Erfolgsquoten lassen sich durch Kombination von VT-Strategien und einer Nikotinsubstitution oder
dem synchronen Einsatz zweier Substitutionsmethoden oder der Kombinationsbehandlung
von Bupropion plus Nikotinersatz z. T. noch deutlich steigern (35-50 %) .
Trotz der herausragenden gesundheitspolitischen Bedeutung des Tabakrauchens werden
derartige professionelle Hilfsangebote zur Raucherentwöhnung in der Hausarztpraxis
offenbar noch nicht hinreichend genutzt. Obwohl hierzu bislang aussagekräftige empirische
Daten fehlen, wird aufgrund klinischer Erfahrungen vermutet, dass Raucherentwöhnungstherapien
in der primärärztlichen Versorgungsrealität nur einen marginalen Stellenwert besitzen
[35 ]. Dies ist insofern verwunderlich, als Hausärzte, praktische Ärzte und Internisten
mit Primärarztfunktion potenziell eine zentrale Position für die Durchführung oder
Vermittlung von Raucherentwöhnungsbehandlungen besitzen. Die 68 000 Primärärzte spielen
im deutschen Gesundheitssystem nicht nur eine Schlüsselrolle („gate keeper ”) bei der Zugangssteuerung zu speziellen Versorgungsangeboten, sondern pflegen zudem
meist einen langjährigen kontinuierlichen Kontakt zu ihren Patienten, der ihnen eine
Thematisierung der Problematik und das Anbieten von Raucherentwöhnungsmaßnahmen wesentlich
erleichtern kann [36 ]
[37 ]. Wahrscheinlich wird dieses Einflusspotenzial im Rahmen der primärärztlichen Versorgung
bislang eklatant unterschätzt [38 ]. Schon der ärztliche Rat , mit dem Rauchen aufzuhören, besitzt nach neueren Studienergebnissen eine wichtige
Initialwirkung für die Rauchstoppmotivation, für Verhaltensänderungen (Entwöhnungsversuche)
und die tatsächliche Rauchabstinenz ihrer Patienten [39 ]. Immerhin jedem zehnten Patienten gelingt der Zigarettenentzug allein aufgrund einer
expliziten ärztlichen Empfehlung
[40 ]. Auch Kurzberatungen durch den Hausarzt (< 3 Min.) können nach den Ergebnissen einer neueren Metaanalyse
schon zu signifikanten Steigerungen der 12-Monats-Abstinenz auf 13,4 % (OR: 1.3; CI:
1.01-1.6) führen, die sich bei 3-10-minütiger Intervention auf 16,0 % (OR: 1.6; CI:
1.2-2.0) und bei über 10 Minuten Beratung sogar auf 22 % (OR: 2.3; CI: 2.0-2.7) steigern
lässt und damit fast den Wirkungsgrad verhaltenstherapeutischer Interventionen erreicht.
Allerdings muss zu diesen Befunden einschränkend angemerkt werden, dass sie vorwiegend
aus kontrollierten Wirksamkeitsstudien (efficacy ) stammen und nicht unter realen Versorgungsbedingungen (effectiveness ) gewonnen wurden.
Es stellt sich Frage, welche Gründe und Barrieren für die mangelnde Umsetzung der
hausärztlichen Einflusspotenziale auf die Raucherentwöhnung von Patienten verantwortlich
sind [41 ]. Da Indikations- und Interventionsentscheidungen des Arztes nicht nur von professionellem
Handlungswissen, strukturellen Gegebenheiten und gesundheitspolitischen Rahmenbedingungen
geprägt, sondern auch durch seine individuellen Einstellungsmuster und subjektiven
Ansichten beeinflusst werden, wurden diese im Rahmen des SNICAS-Projekts explizit
mit erhoben. In der Studie wurde im Einzelnen folgenden Fragestellungen nachgegangen:
Welchen Stellenwert (subjektive Valenz) messen Hausärzte der Raucherentwöhnung a) generell in der allgemeinärztlichen
Versorgung und b) für die eigene Praxis zu?
Wie hoch ist der Informations- und Kenntnisstand der Hausärzte in Bezug auf die Problematik Tabakkonsum und -abhängigkeit, bestehende
Hilfsangebote und die medikamentösen und nicht medikamentösen Interventionsmöglichkeiten?
Mit welchen Therapie-/Interventionsverfahren bei der Tabakentwöhnung haben Hausärzte
praktische Erfahrung? Welche werden von Ärzteseite als effektiv, welche als weniger nützlich beurteilt
und welche in der praktischen Anwendung präferiert ?
Welche spezifischen Barrieren bestehen ggf. gegenüber dem Einsatz von Raucherentwöhnungstherapien in der eigenen
Praxis?
Hinsichtlich welcher Aspekte der Raucherentwöhnung besteht auf Ärzteseite besonderer
Informations- und Unterstützungsbedarf ?
Methodik
Die Studie S moking and N icotine Dependence A wareness and S creening (SNICAS) stellt eine zweistufig angelegte epidemiologische Versorgungsstudie
zur Raucherentwöhnungstherapie in der hausärztlichen Praxis dar (vgl. Abb. [1 ]). Der erste Studienteil beinhaltete eine Punktprävalenzerhebung in Form einer repräsentativen
Stichtagsbefragung, die im zweiten Abschnitt um eine randomisiert-kontrollierte Interventionsstudie
im prospektiv-longitudinalen Design ergänzt wurde (zur detaillierten Beschreibung
von Methodik und Design dieser weltweit größten Studie ihrer Art vgl. [42 ]). Zur Studiendurchführung wurden zunächst auf Grundlage einer bundesrepräsentativen
Stichprobenziehung (1075 Hausarztpraxen) n = 889 teilnahmebereite Hausärzte einer
Vorbefragung mit einem ausführlichen Fragebogen („Praxiserhebungsbogen”) zu ihren
Einstellungen, ihrer Behandlungspraxis und ihren Therapiepräferenzen in Bezug auf
die Raucherentwöhnung unterzogen. Die Hausärzte wurden anschließend gebeten, alle
an einem festgelegten Stichtag (7. Mai 2002) in der Praxis vorstelligen PatientInnen
zu erfassen und nach ihrem Rauchstatus zu befragen (n = 32 926; auswertbar: 28 707).
Die identifizierten Raucher wurden dann mittels detaillierter Fragebogen sowie Arztratings
genauer untersucht. Die hier präsentieren Ergebnisse basieren auf der Vorerhebung.
Die zweite Phase (Interventionsstudie) wird an dieser Stelle nicht näher dargestellt.
Abb. 1 Design und Methodik der SNICAS-Studie (erster Abschnitt).
Die Stichprobe setzt sich aus Ärzten der Fachrichtungen Allgemeinarzt (60,0 %), Internist (24,6 %) und praktischer Arzt (15,6 %) zusammen.
Die einbezogenen Praxen verteilen sich geografisch relativ gleichmäßig auf Großstädte (37,7 %), Kleinstädte (30,3 %) und ländliche Gebiete
(32,0 %), wobei die Regionen Dresden (n = 97) und München (n = 80) mit zwei größeren
separaten Substichproben vertreten waren, welche für die anschließende Interventionsstudie
vorgesehen waren.
Ergebnisse
Einstellungen und generelle Informiertheit der Studienärzte zur Raucherentwöhnung
Relevanzbeurteilung der Problematik
Raucherentwöhnung (RE) besitzt für die meisten Primärärzte offenbar eine große Bedeutung:
Fast neun Zehntel (89,5 %) der Befragten halten diese für eher wichtig (59,9 %) oder
sehr wichtig (29,6 %). Nahezu identisch wird die Bedeutung der RE in Bezug auf die
Implementierung bzw. den Ausbau entsprechender Angebote für die eigene hausärztliche Praxis beurteilt (eher wichtig: 60,8 %; sehr wichtig: 23,1 %). In krassem Gegensatz zu diesem
hohen Stellenwert, den die meisten der befragten Primärärzte dem Problem zuschreiben,
schätzt eine knappe Zweidittelmehrheit (62,9 %) die konkreten Interventionsmöglichkeiten für die RE in der hausärztlichen Praxis schlecht ein (vgl. Abb. [2 ]). Dabei werden mangelnde Motivation und Compliance der Patienten nahezu einhellig als wichtigste Hürde für den Erfolg von RE-Maßnahmen
betrachtet: Zum einen wird als Hauptproblem bei der RE fast ausnahmslos (96,9 %) die
Non-Compliance der Patienten genannt (darunter 55,8 % volle Zustimmung). Umgekehrt
konstatieren fast alle Befragten (95,1 %), dass motivierten Patienten die RE auch
ohne ärztliche Hilfe gelinge. Andererseits unterstützt aber nur jeder dritte Arzt
(37,4 %) die Auffassung, dass Raucher an spezialisierte Einrichtungen überwiesen werden
sollten. Der überwältigenden Mehrheit der Befragten sind derartige Einrichtungen dabei
entweder nicht bekannt (80,8 %) oder sie glauben, diese wären in der Region nicht
vorhanden (88,3 %), so dass über die Hälfte (56,2 %) voll und weitere 27,7 % teilweise
überzeugt sind, in dieser Hinsicht selbst handeln zu müssen. Zusammenfassend deuten
diese Ergebnisse auf eine überwiegend pessimistische Einschätzung der professionellen
Therapieangebote zur RE hin, da zugleich die eigenen Therapiemöglichkeiten als schlecht
und spezialisierte Angebote als unbekannt oder nicht verfügbar wahrgenommen werden.
Abb. 2 Einstellungen der Hausärzte zu ausgewählten Aussagen zur Raucherentwöhnung.
Beurteilung der Wichtigkeit spezifischer ärztlicher Fähigkeiten und Fertigkeiten für
die Raucherentwöhnung
Die teilnehmenden Ärzte wurden um eine Einschätzung der Wichtigkeit einer Reihe von
spezifischen Fähigkeiten und Fertigkeiten für die RE in der hausärztlichen Praxis
gebeten, deren Ergebnisse in Abb. [3 ] zusammengefasst sind.
Abb. 3 Beurteilung der Wichtigkeit spezifischer Fähigkeiten und Fertigkeiten bei der Raucherentwöhnung.
Es zeigt sich, dass der Motivierung zum Rauchstopp der mit Abstand höchste Stellenwert beigemessen wird: 80,6 % der befragten Ärzte
urteilen hier mit „sehr wichtig” (weitere 18,3 % mit „eher wichtig”). Unter den nicht-medikamentösen
Interventionen rangieren die Fähigkeiten für konkrete Verhaltensanweisungen („sehr wichtig”: 60,1 %; „eher wichtig”: 34,6 %), den Einsatz verhaltenstherapeutischer Strategien („sehr wichtig”: 55,6 %; „eher wichtig”: 38,4 %) und das Erfragen der Rauchgewohnheiten („sehr wichtig”: 55,0 %; „eher wichtig”: 38,3 %) auf den mittleren Plätzen. Etwas
geringer wird die Relevanz der kommunikativen Kompetenzen für allgemeine Beratung/ärztliche Gespräche („sehr wichtig”: 49,2 %; „eher wichtig”: 43,3 %) eingestuft. Demgegenüber werden
ärztliche skills für den Einsatz von Techniken zur Rückfallprophylaxe nur von einer Minderheit als relevant angesehen („sehr wichtig”: 8,5 %; „eher wichtig”:
29,1 %; „eher unwichtig”: 56,8 %; „ganz unwichtig”: 10,7 %). Ähnlich verhält es sich
mit dem Aspekt erfolgreiche Überweisung zum Spezialisten , der von über einem Viertel der Befragten als völlig und von weiteren zwei Dritteln
als eher unwichtig beurteilt wird („sehr wichtig”: 2,0 %; „eher wichtig”: 9,7 %; „eher
unwichtig”: 61,4 %; „ganz unwichtig”: 27,0 %).
Bezogen auf die pharmakologischen Interventionsmöglichkeiten wird den ärztlichen Fertigkeiten
für die Behandlung mit Nikotinersatzpräparaten („sehr wichtig”: 61,5 %; „eher wichtig”: 34,6 %) ein weitaus größerer Stellenwert
eingeräumt als bei der Anwendung von Bupropion („sehr wichtig”: 16,9 %; „eher wichtig”: 55,0 %). Dies deutet darauf hin, dass beim
Einsatz von Nikotinsubstitutiva weitaus größere Handhabungsprobleme und damit höhere
Anforderungen an die ärztlichen Fähigkeiten wahrgenommen werden als bei der Anwendung
des oralen Medikaments.
Kenntnis und Einschätzungen der Wirksamkeit von pharmakologischen Raucherentwöhnungsinterventionen
Insgesamt haben fast alle Ärzte (95,7 %) nach Selbstangaben bereits Erfahrungen mit
Arzneimitteln zur Raucherentwöhnung sammeln können. Im Einzelnen wurde nach der Bekanntheit,
bisherigen praktischen Erfahrungen sowie der eingeschätzten Wirksamkeit von drei Nikotinpflasterpräparaten,
zwei Nikotinkaugummiprodukten, einem Nikotinnasalspray sowie dem Entzugsmedikament
Bupropion (Zyban®) gefragt. Dabei besitzt Bupropion den höchsten Bekanntheits- und Erfahrungsgrad (90,9 %), gefolgt von den Kaugummi- (24,4 %-67,3 %) und Pflasterprodukten (66,3 %-73,5
%). Am wenigsten Erfahrungen bestehen schließlich mit dem Nasenspray, das von weniger
als einem Drittel (29,2 %) der Ärzte ausprobiert worden und immerhin einem weiteren
Drittel überhaupt nicht bekannt ist (vgl. Abb. [4 ]).
Abb. 4 Erfahrungen der Studienärzte mit unterschiedlichen Präparaten zur Raucherentwöhnung
und Einschätzung ihrer therapeutischen Eignung (in absoluten Zahlen).
Wie in Abb. [2 ] ersichtlich, beurteilen fast alle befragten Ärzte die medikamentösen Möglichkeiten
zur RE generell als „sehr effektiv” (volle Zustimmung: 20,8 %, teilweise: 71,7 %).
Die Wirksamkeitsbeurteilung der einzelnen Präparate durch jeweils nur diejenigen Ärzte, die selbst praktische
Erfahrung damit gesammelt hatten, fällt dabei aber sehr differenziert aus (vgl. Abb.
[4 ]): Die mit Abstand größte Effektivität wird der pharmakologischen Behandlung der
Nikotinentzugssymptomatik mittels Bupropion zugeschrieben, das von der großen Mehrheit
(85,1 %) der Ärzte als „eher gut geeignet” eingestuft wurde. (Zugleich stimmen allerdings
auch 93,8 % der Aussage zu, dass die Risiken von Bupropion unterschätzt würden.) Demgegenüber
zeigt sich nur jeder dritte Hausarzt von der Eignung der Nikotinsubstitution mittels
Pflastern (24,6 %-37,7 %) und und sogar nur ein Fünftel mittels Kaugummis (18,2 %-20,5
%) überzeugt. Das Nasalspray wird noch deutlich skeptischer beurteilt: Nur 16,4 %
der Ärzte, die dieses Präparat bereits verordnet hatten, halten es für geeignet.
Zusätzlich wurden die ehemaligen bzw. aktiven Raucher unter den Ärzten danach gefragt, welche RE-Strategien sie persönlich bei ihrer eigenen Entwöhnung als hilfreich erlebt hatten. Unter den teilnehmenden Hausärzten war zum Zeitpunkt der Befragung
mehr als die Hälfte (54,6 %) selbst Nichtraucher , fast ein Drittel (31,9 %) Exraucher und 11,9 % aktive Raucher . Unter den 346 Ärzten mit Rauchererfahrung („Jemalsraucher”) hatten es zum Befragungszeitpunkt
ca. drei Viertel geschafft, mit dem Rauchen aufzuhören. Knapp ein Drittel (30,1 %)
aller Ärzte mit Rauchergeschichte gab an, „einfach aufgehört” zu haben, während 63,9
% dafür hilfreiche Strategien oder Bedingungen benennen konnten: Unter diesen dominierte
mit weitem Abstand der „starke Wille ” (42,5 %), während Rat und Unterstützung demgegenüber nur von 11,9 % der nikotinerfahrenen Ärzte als nützlich beurteilt wurden.
Medikamentöse RE-Interventionen verordneten sich die Ärzte selbst lediglich in Ausnahmefällen:
Nur jeder 13. aufhörwillige Arzt (7,8 %) hat selbst Bupropion zum Nikotinentzug eingesetzt und sogar nur halb so viele (3,8 %) Nikotinsubstitution . Ebenfalls nur sehr wenige Ärzte (3,8 %) haben für die eigene Raucherentwöhnung selbst
an einem Kursprogramm teilgenommen oder Selbsthilfebücher (4,3 %) benutzt.
Barrieren und Unterstützugsbedarf gegenüber Raucherentwöhnungsmaßnahmen
Wahrgenommene Hinderungsgründe
Aus gesundheitspolitischer Perspektive interessierten besonders die „Barrieren”, die
Ärzte davon abhalten, RE-Therapien im Rahmen der Primärversorgung anzubieten. Die
von den Befragten genannten Gründe sind in Abb. [5 ] zusammengestellt (Mehrfachnennungen möglich).
Abb. 5 Perzipierte Barrieren gegenüber Raucherentwöhnungsmaßnahmen in der allgemeinärztlichen
Praxis.
Konsistent zu den eingangs dargestellten subjektiven Ansichten der Ärzte wird die
mangelnde Patientenmotivation als Hauptbarriere gegenüber RE-Maßnahmen genannt (55,4 %). An zweiter Stelle stehen
praktische Gründe: Fast jeder zweite Hausarzt (47,4 %) beurteilt die Raucherentwöhnungen
als „zu zeitaufwändig ”. Außerdem bildet für jeden dritten Hausarzt (32,5 %) die mangelnde Abrechenbarkeit einen gravierenden Grund, keine RE anzubieten. Explizite Ablehnung („ist nicht meine Aufgabe”) findet sich nur in 7,4 % der Fälle. Überraschenderweise
bewertet zudem über ein Drittel (37,3 %) der Ärzte RE-Maßnahmen als „nicht effektiv genug ”, um sie in der eigenen Praxis einzusetzen. Dies steht offensichtlich in Widerspruch
nicht nur zu der objektiven empirischen Befundlage, sondern auch zu der oben berichteten
hohen generellen Effektivitätsbeurteilung durch die befragten Ärzte, insbesondere
bzgl. der medikamentösen Verfahren.
Wunsch nach Hilfe und Unterstützung bei der Raucherentwöhnung
Als weitere mögliche Ursache für den unzureichenden Einsatz von RE-Maßnahmen kommen
Unsicherheiten bzw. fehlende Kenntnisse in Bezug auf spezifische Interventionsstrategien
infrage. Deshalb wurden die Studienärzte befragt, in welchen Bereichen sie sich besondere
Hilfe und Unterstützung für ihre Praxis wünschen (vgl. Abb. [6 ]).
Abb. 6 Bereiche, für die spezielle Hilfe bei der Raucherentwöhnung artikuliert werden.
Der größte Informations- bzw. Unterstützungsbedarf besteht interessanterweise bzgl.
der Behandlung mit Nikotinersatzpräparaten . Nahezu jeder zweite Hausarzt (44,5 %) fühlt sich offenbar bei der Anwendung von
Nikotinkaugummis, -pflastern oder -nasensprays unsicher oder überfordert. Jeder vierte
Arzt (26,2 %) äußert demgegenüber den Wunsch nach Unterstützung hinsichtlich des Einsatzes
von Bupropion . Obwohl mit weit größeren Nebenwirkungsrisiken behaftet, besteht offenbar weit weniger
Informations- und Unterstützungsbedarf bei der Anwendung des oralen Medikaments als
bei den technisch komplizierteren Applikationsformen der Nikotinersatzpräparate.
Standardisierte Kurzfragebogen und Screeninginstrumente zum Rauchverhalten sind vielen
Ärzten nicht ausreichend bekannt oder verfügbar. Obwohl das Erfragen der Rauchgewohnheiten im Vergleich zu den anderen Strategien relativ häufig durchgeführt wird (s. o.),
wünscht sich jeder dritte Hausarzt (32,6 %) hier weitere unterstützende Maßnahmen.
Ähnliches gilt für die Ernährungs- und Bewegungsberatung (31,2 %) und die allgemeine Beratung bzw. ärztliche Gesprächsführung (29,5 %). Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass besonders hinsichtlich der kommunikativen
Kompetenzen auf Ärzteseite noch Fort- und Weiterbildungsbedarf besteht. Dies wird
bestätigt durch die Quote von immerhin 67,1 % der Hausärzte, die gerne an einer Schulung
zum „Motivational Interviewing ” teilnehmen würden. Überraschenderweise der geringste Unterstützungsbedarf wird in
Bezug auf die psychologisch anspruchsvolleren Interventionen VT-Strategien (11,8 %), konkrete Verhalteninstruktionen (11,3 %) und Motivation zum Rauchstopp (10,3 %) artikuliert.
Zusammenfassung und Diskussion
Bilanzierend ist auf der Grundlage der Auswertungsergebnisse der Praxisvorerhebung
der SNICAS-Studie festzustellen, dass die befragten Primärärzte die Relevanz von Raucherentwöhnungsbehandlungen
hoch einschätzen, diese gleichzeitig aber relativ selten durchführen. Ein Grund für
diese Diskrepanz zwischen ausgeprägtem Problembewusstsein einerseits und mangelnder
Handlungsbereitschaft andererseits könnte in der überwiegend pessimistischen Einstellung
der Ärzte gegenüber der Machbarkeit von RE-Therapien in der Praxisroutine bestehen,
die von zwei Dritteln der Befragten geteilt wird. Offenbar wird das mittlerweile gut
belegte Einflusspotenzial von Hausärzten auf die RE massiv unterschätzt. Den meisten
Ärzten ist wahrscheinlich nicht bewusst, dass immerhin ein Teil ihrer rauchenden Patienten
bereits durch Minimalinterventionen (ärztliche Empfehlung, 3-Minuten-Beratung) zum
Rauchstopp bewegt werden könnte. In diesem Zusammenhang überraschen allerdings die
Ergebnisse bezüglich der Überweisungpraxis an spezialisierte Kollegen oder Einrichtungen:
Trotz der in der Wahrnehmung der Hausärzte begrenzten Möglichkeiten zur RE in der
eigenen Praxis ist nur gut ein Drittel (37 %) der Ansicht, dass entwöhnungsbereite
Raucher an spezialisierte Kollegen oder Einrichtungen überwiesen werden sollten. Die
Hauptursache dafür liegt wahrscheinlich in der geringen Versorgungsdichte bzw. fehlenden
Informationen bezüglich spezialisierter Einrichtungen oder Therapeuten. Hier scheint
ein eklatantes Versorgungs- und Informationsdefizit zu bestehen, da über 80 % der
Primärärzte keine spezialisierten RE-Anbieter in ihrer Region bekannt sind.
Das zentrale Problem für eine erfolgreiche RE liegt aus Ärzteperspektive in der mangelnden
Patientenmotivation zum Rauchstopp. Fast ausnahmslos (97 %) wird hier die Non-Compliance
der Patienten als Hauptproblem für eine erfolgreiche Entwöhnungsbehandlung benannt.
Außerdem wird die unzureichende Motivation der Patienten als wichtigste Barriere für
die Einführung von RE-Angeboten in der eigenen Praxis angesehen (55 %). Umgekehrt
halten fast ebenso viele Ärzte eine RE auch ohne professionelle Hilfe für erfolgversprechend,
sofern die Betroffenen nur ausreichend motiviert seien. Diese Einschätzungen widersprechen
z. T. nicht nur der empirischen Befundlage, sondern offenbaren eine gravierende Unterschätzung
des Abhängigkeitscharakters beim Tabakrauchen. Da jeder zweite regelmäßige Raucher
die streng gefassten DSM-IV-Kriterien für Substanzabhängigkeit erfüllt (vgl. [43 ]), ist für viele Betroffene die Aufhörmotivation eine zwar notwendige, aber keineswegs
hinreichende Bedingung für die langfristige Rauchabstinenz. Dies wird durch die klinische
Evidenz für die drastische Überlegenheit professionell geleiteter RE-Maßnahmen bestätigt.
In diesem Zusammenhang stimmt es nachdenklich, dass der überwiegenden Mehrheit der
Hausärzte die internationalen Diagnosekriterien für eine Abhängigkeitsstörung nicht
bekannt sind. Insbesondere hinsichtlich des Abhängigkeitsaspekts beim Tabakrauchen
ist erheblicher Aufklärungsbedarf auf Ärzteseite zu konstatieren.
Die Motivierung zum Rauchstopp nimmt auch den höchsten Stellenwert bei der Beurteilung
verschiedener Fähigkeiten und Fertigkeiten in der Raucherentwöhnung ein. Darüber hinaus wird vor allem den psychologisch-beraterischen Kompetenzen eine
vergleichsweise hohe Bedeutung zugesprochen. Offenbar sind sich die meisten Ärzte
bewusst, dass die RE in erster Linie durch professionelle Beratung und verhaltensnahe
Interventionen erfolgen muss, die durch medikamentöse Maßnahmen wirksam unterstützt
werden können. Inwieweit sich die Ärzte hinsichtlich der kommunikativen und psychologischen
Anforderungen ausreichend kompetent fühlen, ist nicht eindeutig zu beurteilen. Diesbezüglichen
Informations- und Unterstützungsbedarf äußert nur jeder dritte Befragte. Andererseits
möchten aber über zwei Drittel an einer spezifischen Fortbildung zum „Motivational Interviewing ” teilnehmen.
Kenntnisse und partielle Erfahrungen in der RE-Therapie sind in der Ärzteschaft zwar weit verbreitet, münden aber nur selten in routinemäßige
Versorgungsangebote im Rahmen der eigenen Praxis. Auf der einen Seite hat fast jeder
Arzt (96 %) bereits Erfahrungen mit RE-Medikamenten gesammelt und beurteilt die medikamentösen
Behandlungsmöglichkeiten generell als effektiv (93 %). Anderseits ist die Anzahl der
im Einzelfall tatsächlich behandelten Patienten eher klein. Praktische Erfahrungen
beim Einsatz von Nikotinersatzprodukten bestehen bei der Mehrheit der befragten Ärzte (je nach Präparat: bei 24-74 %). Bezogen
auf das letzte Quartal wurden diese aber nur von einem Drittel (33 %) auch verordnet.
Bupropion ist sogar über 90 % der Befragten bekannt und wurde von fast 70 % im letzten Quartal
eingesetzt (allerdings nur bei einer relativ kleinen Anzahl von Patienten). Die teilweise
mäßige Effektivitätsbeurteilung der einzelnen RE-Methoden könnte einen weiteren Grund für deren mangelnde Verbreitung in der Versorgungspraxis
darstellen. Als sehr wirksam (85 %) wird allein die Bupropion-Behandlung beurteilt,
die allerdings aus unterschiedlichen Gründen (Kontraindikationen, unerwünschte Arzneimittelwirkungen
und -risiken, Preis) für viele Patienten nicht infrage kommt. Weitaus skeptischer
fallen die Beurteilungen gegenüber den Nikotinsubstitutionspräparaten aus. Nur jeder
dritte bis fünfte Arzt, der bereits Erfahrungen mit Nikotinpflastern oder -kaugummis
gesammelt hat, ist von deren Nützlichkeit überzeugt (beim Nasalspray sogar nur 16
%). Möglicherweise ist diese Haltung in erster Linie auf Anwendungsprobleme zurückzuführen.
Den Kompetenzen beim Einsatz von Nikotinersatzpräparaten wird vermutlich deshalb ein vergleichsweise hoher Stellenwert zugesprochen, weil
sie technisch nicht einfach zu handhaben sind und ihre Anwendung den Patienten relativ
schwer zu erklären ist. Da hier auch der größte Informations- und Unterstützungsbedarf
artikuliert wird, ist davon auszugehen, dass auch auf Ärzteseite einige Unsicherheit
bei ihrer Anwendung besteht. Dies wird gestützt durch die relativ skeptische Beurteilung
der Eignung von Substitutionspräparaten für die RE. Während vier von fünf Studienärzten,
die bereits Erfahrungen mit Bupropion gemacht haben, sie als geeignet beurteilen, werden spezielle Kenntnisse oder Fertigkeiten
bei dieser Form der medikamentösen Behandlung nur von 16 % der Befragten als relevant
eingestuft. Dies ist vermutlich darauf zurückzuführen, dass die ärztlichen Anforderungen
beim Einsatz eines oralen Medikaments als wesentlich geringer eingeschätzt werden
als die für die Kaugummi- und Pflasterapplikationen erforderlichen Instruktionsfähigkeiten.
Damit werden die von den Ärzten wahrgenommenen Kompetenzerfordernisse eher auf technische
Handhabbarkeitsaspekte als auf die Wirkweise der Substanzen fokussiert, obwohl andererseits
von über 90 % der Befragten das Nebenwirkungsrisiko von Bupropion betont wird.
Neben der skeptischen Einschätzung der Praktikabilität von RE-Therapien in der eigenen
Praxis (unzureichende Therapiemotivation der Patienten, geringe Erfolgserwartungen
des Arztes an die verfügbaren Therapieoptionen) sind es aber auch strukturelle und
logistische Rahmenbedingungen , die eine Ausweitung des Therapieangebots im primärärztlichen Sektor behindern. Für
fast jeden zweiten Arzt (47 %) ist die RE in der Praxis zu zeitaufwändig, für jeden
dritten (33 %) zu schlecht abzurechnen und für über 37 % in der Eigenanwendung nicht
effektiv genug. Angesichts der Tatsache, dass deutsche Hausärzte mit durchschnittlich
70 persönlichen Patientenkontakten pro Tag im europäischen Vergleich eine fast doppelt
so hohe Patientenzahl versorgen wie ihre Kollegen in den Nachbarländern, verwundern
die praktischen Probleme bei der Durchführung zeitaufwändiger patientennaher Interventionen
wie der RE kaum. Wahrscheinlich lassen sich effektive RE-Angebote in der ambulanten
Versorgung deshalb nur auf der Basis angemessener Fallpauschalen realisieren. Der
Durchführung von RE-Therapien in der Hausarztpraxis stehen aber nicht nur diverse
Einstellungsbarrieren und praktische Hindernisse entgegen, sondern auch Defizite bez.
der erforderlichen Kompetenzen, vor allem auf Seiten der nicht medikamentösen Interventionen
(z. B. Psychoedukation, Beratung, Motivierung, Verhaltensinstruktionen). Insbesondere
die Vernetzung mit spezialisierten Einrichtungen und Therapeuten sowie die Verwendung
internationaler Assessments zur Anhängigkeitsproblematik und die Orientierung an Therapieleitlinien
zur RE scheinen dringend verbesserungsbedürftig.