Die Tuberkulose ist weltweit eines der vordringlichen medizinischen und sozioökonomischen
Probleme und hat mit dem Beginn der HIV-Pandemie noch an Bedeutung gewonnen. Nach
Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation WHO leiden weltweit allein elf Millionen
Menschen an einer Doppelinfektion mit HIV und Mycobacterium tuberculosis. Nach der
Klassifikation der „Centers for Disease Control” (CDC) zählt die Tuberkulose zu den
AIDS-definierenden Erkrankungen [1]. Denn der fortschreitende zelluläre Immundefekt im Rahmen der HIV-Infektion begünstigt
die Reaktivierung einer Tuberkulose und bedingt einen schlechteren Verlauf der Erkrankung.
Eine Tuberkulose ihrerseits scheint sich zudem ungünstig auf den Verlauf der HIV-Infektion
auswirken zu können [2]
[5].
Mit Einführung der hoch aktiven antiretroviralen Therapie (HAART) sind AIDS-Manifestationen
insgesamt und auch die Tuberkulose zwar seltener geworden. Zudem konnte die HAART
eine deutliche Verbesserung der Prognose von HIV-Patienten mit einer Tuberkulose erzielen.
Trotz dieser Fortschritte kann es jedoch zu einer Manifestation der Tuberkulose kommen
- auch bei quantitativ noch verhältnismäßig gutem Immunstatus.
Zu berücksichtigen ist, dass zwischen den zur HAART eingesetzten Substanzen - insbesondere
den Proteaseinhibitoren (PI) und nichtnukleosidalen Hemmern der reversen Transkriptase
(NNRTI) - und den Tuberkulostatika vielfältige Wechselwirkungen bestehen [4]. Diese setzen zum einen die Wirksamkeit einzelner Substanzen herab, können aber
auch deren Toxizität erhöhen [6].
Fallbericht
Anamnese
Eine 38-jährige, aus Kenia stammende Patientin stellte sich erstmals im September
2000 in schlechtem Allgemeinzustand beim Hausarzt vor. Sie berichtete über anhaltendes
Fieber bis 40°C, Nachtschweiß, einen signifikanten Gewichtsverlust (8 kg/2 Wochen)
und diffuse abdominelle Schmerzen mit wässriger Diarrhö. Im Mai 2000 hatte die Patientin
bereits an einem thorakalen Herpes zoster gelitten.
Im Rahmen der stationären Abklärung in einem peripheren Krankenhaus fanden sich in
der Abdomensonografie freie Flüssigkeit, eine Splenomegalie sowie eine unklare zystische
Raumforderung im Unterbauch, die von den Adnexen nicht sicher abzugrenzen war. Eine
Röntgenübersicht des Abdomens zeigte Spiegel im Kolon, das Röntgenbild des Thorax
dokumentierte ausgedehnte Pleuraergüsse beidseits. Die Patientin wurde laparoskopiert,
wobei ein trüber Aszites nachzuweisen war, zudem imponierten peritoneale Granulome.
Daher wurde die Patientin an die Medizinische Klinik der Universität Bonn überweisen.
Aufnahmebefund
Die Patientin wurde im September 2000 in einem reduzierten Allgemein- und Ernährungszustand
(Körpergröße etwa 160 cm, Körpergewicht 49 kg) bei klarem Bewusstsein und adäquater
Psyche in die Klinik aufgenommen. Die Temperatur war mit 40°C - sublingual gemessen
- deutlich erhöht. Die Kopf- und Halsorgane waren unauffällig, insbesondere war kein
Soor und keine orale Haarleukoplakie zu sehen.
Die Herztöne waren rein und rhythmisch, pathologische Geräusche waren nicht zu verzeichnen.
Blutdruck und Herzfrequenz lagen im Normbereich (RR 110/70 mmHg, HF 130/min). Es zeigten
sich beidseits Pleuraergüsse, Rasselgeräusche über den Lungen waren nicht zu hören.
Im rechten Unterbauch war ein Druckschmerz festzustellen, Abwehrspannung oder tastbare
Resistenzen fanden sich nicht. Die Leber war nicht vergrößert, die Milz nicht tastbar,
das Nierenlager war klopfschmerzfrei. Zu sehen waren reizlose Narben bei Zustand nach
Laparoskopie.
Eine generalisierte Lymphknotenschwellung (< 1cm) wurde dokumentiert. Der Hautbefund
war unauffällig, Ödeme waren nicht zu sehen. Sowohl der knöcherne als auch der gelenkige
Bewegungsapparat waren unauffällig.
Wegweisende diagnostische Befunde waren:
-
die Lymphozytendifferenzierung: CD4-Lymphozyten 39/μl, 7 %; CD4/CD8-Ratio 0,12
-
die mikrobiologische Diagnostik: HIV1-IgG/IgM positiv, HIV-RNA (bDNA) > 500000 cps/ml;
mikroskopisch und kulturell kein Nachweis säurefester Stäbchen in Sputum, Magennüchternsaft,
Stuhl und Urin.
-
die Histologie der peritonealen Granulome: granulomatöse, käsig-nekrotisierende Entzündung
mit Nachweis säurefester Stäbchen.
Diagnosen
Aufgrund der Befunde wurden eine HIV-Infektion (Erstdiagnose 09/00, Stadium CDC C3),
eine peritoneale Tuberkulose und ein Zustand nach Herpes zoster (05/00) diagnostiziert.
Therapie und Verlauf
Daraufhin wurden umgehend eine HAART und eine Vierfach-Tuberkulostase eingeleitet.
Die HAART wurde begonnen mit Saquinavir softgel (Fortovase®; zweimal 1000 mg täglich),
Ritonavir (Norvir®; zweimal 100 mg täglich), Lamivudin (Epivir®; zweimal 150 mg täglich),
Stavudin (Zerit®; zweimal 30 mg täglich). Die gleichzeitig eingeleitete tuberkulostatische
Behandlung bestand aus Isoniazid (einmal 300 mg täglich), Rifampicin (einmal 600 mg
täglich), Ethambutol (einmal 1500 mg täglich) und Pyrazinamid (einmal 2000 mg täglich).
Die Patientin vertrug die medikamentöse Behandlung gut, ihr Allgemeinzustand besserte
sich rasch. Daher konnte sie im Oktober 2000 in die ambulante Weiterbehandlung entlassen
werden. Die HAART wurde wie oben beschrieben fortgeführt. Hierunter sank die HI-Viruslast
kontinuierlich und lag nach etwa vier Monaten anhaltend unter der Nachweisgrenze von
50 cps/ml. Die CD4-Zellzahl stieg entsprechend kontinuierlich von initial 39/μl auf
474/μl im November 2002 an [Abb. 1].
Die tuberkulostatische Therapie wurde nach drei Monaten auf die Kombination aus Isoniazid
und Rifampicin reduziert und im Juli 2001 vollständig abgesetzt. Der Lokalbefund im
Bereich der Adnexe zeigte sich sonografisch seit Oktober 2000 langsam regredient,
freie Flüssigkeit wurde im Verlauf nicht mehr nachgewiesen. Das Röntgenbild des Thorax
stellte sich im Verlauf unauffällig dar. Auch nach Absetzen der Tuberkulostase im
Juli 2001 blieb der Verlauf klinisch und nach bildgebender Diagnostik unauffällig.
Weitere wichtige Laborwerte sind in [Tabelle 1] gezeigt.
Im September 2002 stellte sich die Patientin mit einem großen Abszess links axillär
ohne Allgemeinsymptome erneut vor, der daraufhin operativ geöffnet wurde. Aus dem
Abszessmaterial konnte Staphylococcus aureus kultiviert werden. Granulome oder säurefeste
Stäbchen jedoch fanden sich weder in der Histologie noch mikroskopisch oder in der
Kultur.
Der körperliche Untersuchungsbefund im Dezember 2002 war unauffällig und zeigt die
40-jährige Patientin in gutem Allgemeinzustand (etwa 160 cm, 76 kg).
Diskussion
Die initiale Standardtherapie der Tuberkulose ist die Vierfach-Kombination mit Isoniazid,
Rifampicin, Ethambutol und Pyrazinamid [2]. Liegt gleichzeitig eine HIV-Infektion vor, sind vielfältige Wechselwirkungen mit
den zur Behandlung dieser Infektion eingesetzten Substanzen zu berücksichtigen. So
induziert Rifampicin das Cytochrom-P450-Enzymsystem, das somit Proteaseinhibitoren
beschleunigt metabolisiert. Dies wiederum kann zu einem Verlust ihrer antiviralen
Effektivität und damit möglicherweise zu einem Therapieversagen und zur Resistenzentwicklung
führen. Eine gleichzeitige Gabe von HAART und Tuberkulostatika erfordert daher gegebenenfalls
Dosisanpassungen oder auch eine Umstellung der Therapie.
Ein wertvolles Instrument zum Therapiemanagement ist auch hier das therapeutische
Drug-Monitoring. Aufgrund der Problematik von Medikamenteninteraktionen kann es unter
Umständen ratsam sein, den Beginn einer HAART zu verzögern [3]. In dem vorliegenden Fall erschien aber angesichts des weit fortgeschrittenen Immundefektes
der Beginn der Behandlung unaufschiebbar - nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass
eine erfolgreiche Therapie der Tuberkulose nur mit einer Immunrekonstitution möglich
erscheint.
Ritonavir-geboosterte Proteinaseinhibitoren-Regime führen zu höheren und sichereren
Plasmaspiegeln, was eine höhere Barriere gegen die Resistenzentwicklung bei verbesserter
Einnahmefreundlichkeit bedeutet und hiermit zu einem dauerhaften Therapieerfolg beiträgt.
Für Saquinavir, verstärkt mit Ritonavir, konnte gezeigt werden, dass auch bei gleichzeitiger
Gabe von Rifampicin ausreichende Plasmaspiegel erreicht werden [7], weshalb es in diesem Falle trotz der hohen Pillenanzahl als Regime der Wahl erschien.