US-Wissenschaftler der Universität Iowa haben die Aussagekraft der Nierenszintigraphie
bei 45 Kindern mit bilateralem vesikoureteralem Reflux, die für eine Operation vorgesehen
waren, im Vergleich mit der Kreatinin-Clearance bewertet. Nierenszintigraphien im
Verlauf von einer bis 3 Minuten nach Injektion eines radioaktiven Markers wurden im
Mittel 2,5 Monate vor der Operation und 16 Monate nach dem Eingriff vorgenommen. Während
der Operation wurden die Kinder beidseitig katheterisiert. Danach wurde im 24-Stunden-Sammelurin
lateralisiert für jede Niere die Kreatinin-Clearance gemessen (Urology 2003; 61: 816-819).
Wie die Autoren der Studie berichten, betrug die präoperativ per Scan beurteilte relative
Nierenfunktion 51 bis 94 % (im Mittel 61,3 %) einer gut funktionierenden Niere. Bei
der postoperativen Nierenfunktionsprüfung lagen die Werte bei 47 bis 90 % (im Mittel
60,5 %). Sowohl bei den prä- als auch postoperativ gemessenen Werten gab es eine enge
Korrelation zu den Werten der Kreatinin-Clearance.
Die Nierenfunktion ist ein wichtiger Parameter, um zu beurteilen, ob Kinder mit vesikoureteralem
Reflux operiert werden sollten, betonen die Autoren. Mit der Szintigraphie steht zur
Messung der Nierenfunktion eine nicht-invasive Methode zur Verfügung, die zuverlässige
Werte liefert. Auf die Katheterisierung der Kinder kann daher verzichtet werden.
Kommentar zur Studie
Kommentar zur Studie
Die Exaktheit der nuklearmedizinischen seitengetrennten Nierenfunktionsbestimmung
bei Kindern mit beidseitigem Reflux wurde durch die Studie bestätigt.
Seit nahezu 4 Jahrzehnten gilt die Bestimmung der seitengetrennten Nierenfunktion
mithilfe der Nierensequenzszintigraphie als ein allgemein anerkannt exaktes Verfahren.
In Deutschland wurde hierfür von Oberhausen der nach ihm benannte teilabgeschirmte
Ganzkörpermessplatz entwickelt, der später durch die Verwendung von Gammakameras mit
spezieller Software abgelöst wurde.
Die Exaktheit der nuklearmedizinischen seitengetrennten Nierenfunktionsbestimmung
bei Kindern mit beidseitigem Reflux wurde jetzt auch von Untersuchern aus Iowa bestätigt.
In der retrospektiven Untersuchung mit insgesamt 45 Kindern, bei denen teilweise präoperativ,
teilweise postoperativ und teilweise prä- und postoperativ eine nuklearmedizinische
Nierensequenzuntersuchung mit 2 verschiedenen Radiopharmaka erfolgt war, wurden die
Ergebnisse mit der seitengetrennten Kreatinin-Clearance verglichen und eine gute Korrelation
gefunden.
Auch wenn diese Arbeit zahlreiche methodische Mängel (z.B. falsche Beschreibung der
nuklearmedizinischen Verfahren) aufweist, so kommt sie dennoch zu 2, zwar nicht neuen,
aber dennoch wichtigen Aussagen:
-
Mithilfe der Nierensequenzszintigraphie kann die seitengetrennten Nierenfunktion auch
bei Kindern mit beidseitigem Reflux exakt bestimmt werden.
-
Für eine Nierenfunktionsuntersuchung ist kein Blasenkatheter erforderlich.
Hinzuzufügen ist allerdings, dass beide Aussagen, zumindest in Europa, nie angezweifelt
wurden.
Prof. Klaus Hahn, München
Kommentar zur Studie
Kommentar zur Studie
Der Goldstandard für die Detektion von Parenchymnarben ist derzeit der DMSA-Scan.
Beim vesikorenalen Reflux liefert er in ausgewählten Fällen durch die Darstellung
von Parenchymdefekten und die Bestimmung der seitengetrennten Nierenfunktionsanteile
wertvolle Entscheidungshilfen für die Therapie.
Durch einen recht aufwändigen Untersuchungsansatz mit prä- und postoperativer Szintigraphie
und seitengetrennter Kreatininclearance über bilaterale Ureterenkatheter ist die kinderurologische
Arbeitsgruppe in Iowa der Frage nachgegangen, ob die szintigraphische Nierenfunktionsmessung
durch einen vesikorenalen Reflux beeinflusst wird.
Wegen der relativ kleinen Fallzahl des heterogenen Patientenkollektivs, der Verwendung
unterschiedlicher Substanzen (Glucoheptonat und Dimercaptosuccinat) und der schwierigen
seitengetrennten Urinsammlung (mehrere Kinder mit Urinabflüssen > 25 % des Gesamturinvolumens
über die suprapubische Zystostomie mussten von der Studie ausgeschlossen werden, suprapubische
Urinverluste von bis zu 18 % der Sammelurinmenge wurden bei den eingeschlossenen Kindern
akzeptiert) sind die Ergebnisse vorsichtig zu interpretieren. Als Goldstandard für
die Nierenfunktion ist die Kreatininclearance im übrigen generell nicht unproblematisch.
Die Daten der Arbeitsgruppe sprechen jedoch dafür, dass das Vorhandensein eines vesikorenalen
Refluxes die szintigraphische Nierenfunktionsmessung nicht verfälscht. Insbesondere
die hohe Korrelation zwischen präoperativ und nach Refluxbeseitigung erhobenen Messwerten
stützen diese Hypothese. Die Autoren schlussfolgern, dass ein Blasenkatheter zur Verhinderung
des Refluxes während der Untersuchung, wie er in der Literatur gelegentlich gefordert
werde, nicht sinnvoll ist und dass die Szintigraphie bei VUR valide und seitengetrennte
Nierenfunktionswerte liefert.
Welche Konsequenzen ergeben sich für die Praxis?
Ein transurethraler Katheter gehört nicht zur Standardtechnik der szintigraphischen
Nierenfunktionsdiagnostik im Säuglings- und Kindesalter. Dies entspricht aktuellen
nuklearmedizinischen und kindernephrologischen Leitlinien. Für die Beurteilung der
seitengetrennten Nierenfunktion ist die szintigraphische seitengetrennte Nierenclearance
auch bei VUR geeignet. Es ist jedoch zweifelhaft, ob für die Therapieentscheidung
(operatives oder konservatives Vorgehen) mögliche refluxinduzierte Abweichungen der
szintigraphischen Messwerte von der tatsächlichen Funktion erhebliches Gewicht hätten.
Neben der seitengetrennten Nierenfunktion sind es vielmehr das Vorhandensein von (pyelonephritischen)
Parechnymdefekten, der Refluxgrad und die klinische Symptomatik, die das therapeutische
Vorgehen bestimmen.
PD Rolf Beetz, Mainz
Abb. 1 Refluxklassifikationen. Werden die Nieren mit einem vesikoureteralen Reflux szintigraphisch
untersucht, ist eine Katheterisierung nicht mehr notwendig. (a) Klassifikation nach
Heikel u. Parkkulainen (1966), (b) nach den Richtlinien der Internationalen Reflux
Study Group (1985) (Bild: Praxis der Urologie, Thieme 2003).