Die Beusingser Mühle ist eine Fachklinik zur stationären medizinischen Rehabilitation
Drogenabhängiger in Trägerschaft der Diakonie Hochsauerland-Soest e. V. Sie wurde
1973 gegründet und verfügt über 25 Therapieplätze für drogenabhängige Frauen und Männer
ab 18 Jahren. Im Rahmen des ganzheitlich-tiefenpsychologisch fundierten Therapiekonzepts
hat sich die Beusingser Mühle mit ihrem Angebot insbesondere auf die Rehabilitation
junger erwachsener Drogenabhängiger mit in der Regel polytoxikomanem Suchtmittelgebrauch
und die geschlechtsspezifische Behandlung einschließlich Paartherapie spezialisiert.
Außerdem berücksichtigt die Therapie die differenziellen Erfordernisse russlanddeutscher
Migranten.
Unser Interesse an innovativen Traumatherapie-Verfahren, wie der Psychodynamisch Imaginativen
Traumatherapie nach Reddemann [1]
[2] oder der von Francis Shapiro [3] entwickelten EMDR-Methode, resultierte auch aus einer intern durchgeführten Analyse
von Therapieabbrüchen und irregulären Entlassungen im Zuge von Rückfällen nach bereits
fortgeschrittener Therapiedauer. Dabei zeigte sich bei dieser Klientel, dass darunter
gehäuft polytoxikomane Patientinnen und Patienten mit den Symptomen einer komplexen
posttraumatischen Belastungsstörung [4] bzw. einer Störung im Sinne von DESNOS („Disorder of Extreme Stress Not Otherwise
Specified” [5]) waren. Dieser Zusammenhang wird durch klinische Forschung gestützt [6]
[7]. Es treten dabei Störungen in der Affekt- und Impulsregulierung, der eigenen Identität,
der Beziehungsgestaltung, Somatisierungsstörungen und Veränderungen in den bisher
tragenden Bedeutungssystemen auf.
Bei der Integration der neuen traumatherapeutischen Verfahren befassten wir uns mit
grundlegenden Widersprüchen zwischen Traumatherapie und „klassischer” stationärer
Drogentherapie in Bezug auf die therapeutischen Grundhaltungen und Prinzipien der
Behandlung [8]. Gleichwohl lassen sich auf dem Hintergrund der allgemeinen Ziele der stationären
medizinischen Suchtrehabilitation, der sozialen und beruflichen Reintegration und
langfristigen Suchtmittelabstinenz, gemeinsame Zielsetzungen für die integrative Behandlung
von Drogenpatientinnen und -patienten mit Traumafolgestörungen entwickeln. Im weiteren
Konzeptentwicklungsprozess erarbeiteten wir im interdisziplinären Klinikteam operationale
Ziele [9] für die entsprechenden Maßnahmen und Leistungen zur integrativen Behandlung von
Drogenabhängigkeit und Traumatisierung. Im Sinne einer integrativen Perspektive [10] ging es dabei nicht in erster Linie darum, einzelne zusätzliche Therapieangebote
zu installieren, sondern darum, im Querschnitt wesentliche traumatherapeutische Zielsetzungen
im gesamten medizinisch-therapeutischen Leistungsspektrum der Klinik zu verankern.
Grundsätzlich brauchen traumatisierte Patientinnen und Patienten mit ihren Erfahrungen
von Ohnmacht, Angst und Isolation durch körperliche und/oder sexuelle Gewalt, emotionale
Misshandlung und Vernachlässigung in der Lebensgeschichte die Erfahrung von äußerer
und innerer Sicherheit sowie Persönlichkeitsstärkung. Im Kliniksetting soll jede Art
potenzieller Retraumatisierung vermieden werden. Tab. [1] zeigt die bereichsbezogenen Ziele und Leistungen der Beusingser Mühle zur indikationsorientierten
Berücksichtigung von Drogenabhängigkeit und Traumatisierungen.
Tab. 1 Traumatherapeutische Zielsetzungen im medizinisch-therapeutischen Leistungsspektrum
der Fachklinik Beusingser Mühle
| Bereiche |
Ziele |
Leistungen/Maßnahmen |
| Rahmenbedingungen der Klinik |
- Vermittlung von Schutz und äußerer Sicherheit - Einladung zur Kooperation und Übernahme von Eigenverantwortung - Vermeidung von Retraumatisierung |
- spezifisches Empfangsritual - geschlechtsgetrennte Wohn- und Aufenthaltsbereiche - Hausordnung gestattet keine verbale, körperliche, sexualisierte Gewalt - Setting ermöglicht Rückzug, indiv. Vereinbarungen und Grenzsetzung |
Diagnostik und Behandlungsplanung |
- Differenzialdiagnostik, Klärung des biografischen Kontextes - Stabilisierung, Vermittlung von Kontrolle und Schutz - Förderung der Wahrnehmung eigener Ressourcen und Entwicklungspotenziale |
- spezifische Trauma-Diagnostik und Anamneseerhebung - Entwicklung individueller Ziele im interdisziplinären Team gemeinsam mit PatientIn - indikationsangepasster Therapievertrag |
| Medizin |
- Stabilisierung, Vermeidung von Retraumatisierung - Erkennen von Zusammenhängen zwischen Traumatisierungen und somato-psychischen Auswirkungen |
- traumasensible medizinische Untersuchungen - Beratung zu und Behandlung von psychosomatischen Begleiterkrankungen - fakultative Medikation |
| Arbeitsbezogene mediz. Rehabilitation |
- Förderung eigener beruflicher Zieldefinitionen - Steigerung der Leistungsfähigkeit und der Fähigkeit zur prakt. Lebensbewältigung - Förderung der Selbsteinschätzung bez. Ressourcen und Entwicklungspotenzialen - Verbesserung der sozialen Kompetenzen |
- Individuelle Arbeitstherapiediagnostik und Behandlungsplanung - indikationsbezogene Einzelgespräche und/oder modulare Gruppenangebote zur beruflichen
Perspektivenklärung - spezifische Projekte zu Frau und Arbeit/Beruf - Hirnleistungstraining |
| Psychotherapie |
- Erfahrung innerer Sicherheit und Kontrolle - Erkennen von Zusammenhängen zwischen Traumatisierungen, der Suchtgeschichte und
anderen seelisch-körperl. Auswirkungen - Erlernen von Achtsamkeit und Selbstfürsorge, bewusste Distanzierung von belastenden
Erfahrungen üben - Entwicklung einer flexiblen Beziehungsgestaltung, bewussten Umgang mit Nähe und
Distanz üben - heilsamen Umgang mit dem Körper erlernen, Erfahrung des eigenen (Körper-)Raums - beginnende Integration der traumatischen Erfahrungen in die eigene Lebensgeschichte |
- themenspezifische Psychoedukation - Einsatz traumaspezifischer Verfahren (kogn.-verhaltenstherap. und hypnotherap. Methoden,
Psychodynamisch Imaginative Psychotherapie, Ego-State-Therapy, EMDR) - regelmäßige Einzeltherapie - Frauen-/Männergruppe - Körperpsychotherapie geschlechtsgetrennt - Stabilisierungsgruppe - geschlechtsgetrennte intensivtherapeutische Projekte (Umgang mit Aggression und
Gewalt, Selbstbehauptung und Selbstverteidigung für Frauen etc.) |
| Sport/Freizeit |
- Aktivierung - Verbesserung des körperlichen Wohlbefindens und der Entspannungsfähigkeit |
- Sport geschlechtsgetrennt - Lauftraining - Sauna - Qi Gong, Feldenkrais |
| Diverses |
- ggf. Einleitung einer traumaspezifischen Therapie |
- Vernetzung mit niedergelassenen TherapeutInnen und Spezial-Kliniken |
Selbstverständlich bedeutet die Spezialisierung auf Traumatisierungen im Kontext der
medizinischen Drogenrehabilitation nicht, dass man sich dabei nicht auch auf schon
allgemein bewährte Behandlungsgrundlagen, wie sie in jeder klinischen Suchteinrichtung
gegeben sind, beziehen kann. Das gewählte methodische Vorgehen im Prozess der konzeptuellen
Veränderung ist aber geeignet, den spezifischen Entwicklungsbedarf herauszuarbeiten.
Klar ist, dass in der Gruppentherapie ressourcenorientiert mehr am „Hier und Jetzt”
gearbeitet wird und die Bearbeitung traumatischer Erfahrungen der Patientinnen und
Patienten der kontinuierlich stattfindenden Einzeltherapie vorbehalten bleibt. In
diesem Zusammenhang wird in der Einzeltherapie dann vor dem differenziellen Einsatz
spezifischer traumatherapeutischer Methoden insbesondere an einer Verankerung von
persönlichen Kraftquellen und Möglichkeiten der Erfahrung innerer Sicherheit und Kontrolle
gearbeitet.
Teilweise geht es darum, einen indikationsorientierten Behandlungsfokus zu setzen.
So befasst sich die geschlechtsspezifische Körpertherapie in der Beusingser Mühle
zur Stützung und Stabilisierung mit einer übungszentrierten, nicht tiefenden Auseinandersetzung
mit dem eigenen Stand, dem eigenen (Körper-)Raum und den (Körper-)Grenzen etc. Außerdem
wurde zur Förderung der Entspannungsfähigkeit Qi Gong und Feldenkrais statt der bisher
durchgeführten Progressiven Muskelentspannung installiert. Die Progressive Muskelentspannung
scheint bei traumatisierten Menschen mit einer entsprechenden Angst- und Stresssymptomatik
problematisch zu sein [11]. In Ergänzung des klinischen Leistungsspektrums setzen wir in der diagnostischen
Phase spezifische Instrumente zur Trauma-Diagnostik ein und haben die Anamneseerhebung
derart gestaltet, dass bewusste Distanzierung und Kontrolle von traumatischen Erlebnisinhalten
gefördert wird. Weiterhin wurde eine drei Mal wöchentlich morgens stattfindende Stabilisierungsgruppe
eingerichtet zum Erlernen von Übungen zur Förderung von Selbstberuhigung und Selbstfürsorge.
Die Übungen, die mehrheitlich der Psychodynamisch-Imaginativen Traumatherapie nach
Reddemann [1] entstammen, wurden mit der Zeit immer besser in Sprache und Vorgehen einem Gruppensetting
mit zumeist jungen erwachsenen Drogenabhängigen angepasst.
Im Bereich der arbeitsbezogenen medizinischen Rehabilitation hat die interne Konzeptveränderung
vor allem dazu beigetragen, differenzielle Behandlungsstrategien zu den in diesem
Bereich besonders deutlich werdenden Störungen der sozialen Kompetenz bei den traumatisierten
Patientinnen und Patienten zu entwickeln. Das beschriebene Fallbeispiel mag exemplarisch
die traumaadaptierte Therapie drogenabhängiger Patienten in unserer Klinik verdeutlichen.
Fallbeispiel Herr P., 22 Jahre, Diagnose Polytoxikomanie und emotional instabile Persönlichkeitsstörung
vom impulsiven Typus. Erste stationäre Therapie.
Herr P. stammt aus Russland. In unserer Einrichtung griff Herr P. gerne das Angebot
auf, über seine Kindheit aus einer distanzierten Beobachterperspektive zu berichten.
Danach habe „der Junge”, solange er zurückdenken könne, massive physische Gewalt,
Herabsetzung und Zurückweisung durch den alkoholkranken Vater erfahren. Die Mutter
habe nicht helfen können. Hilfreich sei gewesen, wenn „der Junge” sich auf einen Hügel
hinter das Haus zurückzog und alles aus der Ferne beobachtete. Die Migration nach
Deutschland mit 8 Jahren hat Herr P. als belastend erlebt, die Integration sei für
ihn schwierig gewesen. Schon in der Grundschule ist Herr P. durch häufige brutale
Schlägereien aufgefallen. Die von ihm ausgeübte Gewalt hatte schließlich auch jugendgerichtliche
und später strafrechtliche Konsequenzen zur Folge. Bereits mit 14 Jahren konsumierte
Herr P. Alkohol und Haschisch, mit 15 Jahren Heroin, mit 16 Jahren Übergang zum i.
v.-Konsum, auch zusammen mit Kokain.
In unserer Fachklinik konnte Herr P. in der Einzeltherapie nach und nach Zusammenhänge
zwischen seinen impulsiven Verhaltensweisen, der Suchtentwicklung und den innerfamiliär
erlittenen Traumatisierungen herstellen. Herr P. nahm in diesem Kontext gut stabilisierende
Übungen an, die an die in der Kindheit entwickelten Bewältigungsstrategien ankoppelten.
Dabei war es ihm möglich, seine tatsächlichen Bedürfnisse nach Geborgenheit und Anerkennung
zu benennen sowie dem verletzten kindlichen Persönlichkeitsanteil als der heute erwachsene
Mann Trost zu spenden. In der Stabilisierungsgruppe hatte Herr P. mehr Mühe, sich
auf die Übungen „vor den anderen” zu konzentrieren. Herr P. nahm von sich aus aktiv
an einem geschlechtsspezifischen Projekt zum Umgang mit Gewalt und Aggression teil
und profitierte insbesondere von körperbezogenen Interventionen zur Erfahrung von
Grenzen und der Arbeit an dem Zusammenhang von erfahrener Gewalt und ausgeübter Gewalt.
Darauf aufbauend gelang es Herrn P. besser, in seiner Bezugsgruppe Konflikte adäquat
zu bewältigen, seine Interessen zu äußern und die anderer zu respektieren. In der
Arbeitstherapie zeigte sich sein impulsives Verhalten und die daraus resultierenden
Leistungsschwankungen besonders deutlich. Nach der Arbeitstherapie-Diagnostik wurde
mit Herrn P. vereinbart, ausschließlich an der Verbesserung seiner sozialen Kompetenzen
zu arbeiten. In einer täglichen schriftlichen Reflexion zu seinem Befinden, den Hintergründen
und Auswirkungen auf sein Arbeitsverhalten sowie wöchentlichen Gesprächen mit dem
zuständigen Arbeitstherapeuten erreichte Herr P., ansatzweise mehr Selbstverantwortung
für einen konstruktiveren Umgang mit inneren Konflikten zu übernehmen und ein gleichbleibenderes
Arbeitsergebnis zu erzielen. Außerdem half ihm hier auch die weitere Bearbeitung in
der Einzeltherapie zu einem Verständnis der Reinszenierungen traumatischer Erfahrungen
gerade in den Anforderungssituationen der Arbeitstherapie zu gelangen.
Ausblick
Die Ausführungen zum Konzeptentwicklungsprozess der integrativen Behandlung von Drogenabhängigkeit
und Traumatisierung geben einen Zwischenstand wieder. Gerade die konkrete Umsetzung
von spezialisierten Therapiekonzepten fordert von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
eines Klinikteams, sich von Gewohnheiten und scheinbaren Sicherheiten zu verabschieden,
die gewählten Interventionen interdisziplinär kritisch zu reflektieren und aufeinander
abzustimmen. Hier befinden wir uns in einem kontinuierlichen fachlichen und persönlichen
Lernprozess mit Unterstützung von Supervision, vielfältigem Austausch mit externen
Kolleginnen und Kollegen und in lebendiger Auseinandersetzung mit Patientinnen und
Patienten.