Weltweit führt Tabakrauchen in jedem Jahr zu annähernd 4 Millionen vorzeitigen Todesfällen
[1]. In Deutschland rauchen derzeit 11,7 Millionen der Männer und 8 Millionen der Frauen
über 15 Jahren [2]. Die Hälfte von ihnen wird zwischen dem 35. - 69. Lebensjahr an tabakbedingten Krankheiten
sterben [3]. Auf Tabakkonsum waren in Deutschland 1997 110 000 - 140 000 Todesfälle zurückzuführen
[4]. Die direkten und indirekten Folgekosten der tabakassoziierten Erkrankungen betragen
in Deutschland jährlich 17 Millionen Euro. Eine deutliche Reduzierung der Raucherprävalenz
könnte einen signifikanten Rückgang der zukünftigen tabakbedingten Morbidität und
Mortalität zur Folge haben [5]. Nur die Raucherprävention und die Tabakentwöhnung führen zum Beispiel zur Risikoreduktion
des Bronchialkarzinoms und vorwiegend zur Verhütung der COPD [6]
[7]. Die Tabakabhängigkeit ist eine chronische Gesundheitsstörung, die durch Rückfälle
charakterisiert ist und ein Langzeitmanagement erfordert [8]. Die Nikotinsucht führt zu strukturellen und funktionellen neurophysiologischen
Veränderungen: diese schließen Zellrezeptor-Abnormitäten, neuronale Alterationen und
vermehrte dendritische Verbindungen ein.
Die Chronizität der Tabakabhängigkeit spiegelt sich in den Perioden von Rückfällen
und Remissionen wieder. Parallelen mit Asthma und anderen chronischen Krankheiten
sind offensichtlich, auch jene benötigen eine kompetente Beratung, geduldige Unterstützung
und entsprechende Medikation [9]
[10]
[11].
Raucher haben in Bezug auf ihre zukünftigen Abstinenzchancen häufig unrealistische
Vorstellungen. So glauben 80 % der Raucher unter 40 Jahren, dass sie innerhalb der
nächsten 20 Jahre eine dauerhafte Abstinenz erreichen könnten. Die Statistik zeigt
jedoch, dass mit 60 Jahren noch 46 % der früheren Raucher weiterrauchen [12]. Folglich wäre eine solide Beratung aller Raucher unbedingt erforderlich.
Die derzeit zur Verfügung stehenden, in Meta-Analysen als wirksam bestätigte Interventionen
sind kosteneffektiv, jedoch sind viele Raucher nicht bereit, an professionellen Tabakentwöhnungsprogrammen
teilzunehmen [8]
[13]
[14]. Diese Tatsache hat bedauerlicherweise zur Folge, dass solche Tabakentwöhnungsprogramme
in Deutschland bisher nur vereinzelt angeboten werden [15].
Die wichtige Voraussetzung einer erfolgreichen Therapie der Tabakabhängigkeit ist
die Identifizierung der Raucher und Dokumentation des Rauchstatus durch Befragung
aller Patienten im Rahmen einer der üblichen ärztlichen Konsultationen. Diese Daten
sollten nach internationalen Empfehlungen mindestens einmal jährlich auf den neuesten
Stand gebracht werden [10]. Immerhin konsultieren 70 % der Raucher jährlich mindestens einmal einen Arzt und
50 % einen Zahnarzt [16]
[17].
Alle Ärzte sollten jedem ihrer rauchenden Patienten den eindeutigen Rat zum Aufhören
erteilen. Bereits ein kurzer einfacher Rat des Arztes zur Abstinenz kann die Entwöhnungschance
des Patienten um 2 - 3 % erhöhen [10]
[18].
Sowohl eine Minimalintervention von 3 - 5 Minuten Zeitdauer als auch die Kurzintervention
mit 5 - 10 Minuten Zeitaufwand werden durch den ärztlichen Rat an den Patienten, mit
dem Rauchen aufzuhören, eingeleitet. Der Rat sollte klar, nachdrücklich und individuell
erfolgen. Wichtig ist hierbei, auf vorliegende Erkrankungen sowie die speziellen Beschwerden
und Krankheitskomplikationen des Rauchers Bezug zu nehmen. Verwiesen werden kann weiterhin
auf die individuellen sozialen Nachteile und Kosten des Rauchens sowie auf die Gefährdung
von Kindern und sonstigen Nichtrauchern in der Wohngemeinschaft und am Arbeitsplatz.
Der Arzt sollte die positiven Zukunftsaspekte der Abstinenz unbedingt ansprechen.
Bei einem höheren Motivationsgrad sollte dem Rat zum Rauchstopp unmittelbar die Frage
folgen: „Könnten Sie sich vorstellen mit dem Rauchen in den nächsten 4 Wochen aufzuhören?”
Den Ärzten wird häufig nahegelegt, den Rat zum Rauchstopp anlässlich jedes regulären
Kontaktes mit dem Patienten zu wiederholen, aus der Überlegung heraus, dass wiederholte
Interventionen die Abstinenzchance begünstigen [19] oder sogar verdoppeln [20].
Tabakkonsumenten dürften in ihren Bestrebungen rauchfrei zu werden, nicht alleine
gelassen werden. Die meisten Ärzte sind inzwischen der Meinung, dass es ihre Aufgabe
sei, aufhörwilligen Rauchern behilflich zu sein [21]. Obwohl die Patienten die Beratung durch den Arzt sehr hoch einschätzen, wird diese
von vielen desillusionierten Ärzten nicht grundsätzlich durchgeführt [22]. In Deutschland wurde 2002 nur jeder zweite Patient von seinem Hausarzt auf die
Tabakentwöhnung angesprochen [23]
[24]. Als Gründe für ihr Verhalten brachten die Ärzte in der SNICAS-Studie unter anderem
folgende Argumente: „Die Patienten haben kein Interesse!”, „Verfahren nicht effektiv
genug”, „zu zeitaufwendig und schwierig abzurechnen”, „wenig spezifische übende Weiterbildungskurse”
[23]
[24].
Die Enttäuschung der Ärzte über die fehlende Motivation der Patienten entsteht zum
Teil durch fehlende diagnostische Erfassung der Motivationsphase, in der sich der
Patient befindet [25]. Mit Hilfe einer „strukturierten Raucheranamnese” ließe sich dieses Problem bereits
im Vorfeld des Arzt-Patienten-Gespräches anhand eines Fragebogens vermeiden [26]. Damit könnte der Verlauf der Patientenberatung in die richtigen Bahnen gelenkt
werden und der Arzt eine realistische Einschätzung über den zu erwartenden Behandlungserfolg
erzielen.
Der Umgang mit den rauchenden Patienten verlangt mehr als die Frage nach seinem Rauchstatus
und nach seiner Ermutigung zum Rauchfreiwerden. Wir Ärzte müssen dabei ebenso methodisch
und mit klinischer Sorgfalt vorgehen, wie bei der Behandlung sonstiger Erkrankungen.
Zusätzliche medikamentöse Unterstützung mit Nikotinersatzpräparaten und/oder Bupropion-SR
(Slow Released) können zu einer weiteren Steigerung der Langzeitabstinenzrate führen.
So erhöht zum Beispiel Bupropion die Abstinenzrate um das 2- bis 3fache des Plazebo-Effektes
bei motivierten und intensiv beratenen Patienten [10]
[27]
[28]
[29]
[30].
In der täglichen Praxis sind die Effekte der medikamentösen Unterstützung mit den
beiden First-line-Therapeutika niedriger als in wissenschaftlichen Untersuchungen
[31]. Noch niedriger sind sie allerdings, wenn entgegen der Empfehlungen der Hersteller
rezeptfreie Nikotinersatzpräparate ohne zumindest eine Kurzintervention Verwendung
finden [32].
In der Publikation von Bergmann u. Mitarb. in dieser Ausgabe der Pneumologie wird
über die Ergebnisse einer multizentrischen, nicht-plazebo-kontrollierten Studie referiert
[33]. Eingeschlossen in diese Untersuchung wurden Patienten, die vorher mit alleiniger
Hilfe von Nikotinersatz-Präparaten oder Bupropion einen erfolglosen Therapieversuch
unternommen hatten. In 62 Praxen, es waren auch pneumologische darunter, wurde lediglich
eine viermal wiederholte Intervention geringer Intensität durchgeführt. Die Ergebnisse
dieser Studie mit 11,5 % kontinuierlicher und 30,5 % Punktprävalenz-Abstinenzrate
nach sechs Monaten sind in Anbetracht der lediglich wenige Male wiederholten Kurzinterventionen
sehr positiv zu beurteilen. Leider können die Ergebnisse dieser Studie nur bedingt
mit denen der plazebokontrollierten Untersuchungen mit ähnlichem Design von Gonzales
u. Mitarb. verglichen werden [34]. Die Studie lässt darauf schließen, dass die Chancen in Praxen und Kliniken mit
einer Kurzintervention, einer medikamentösen Unterstützung und drei eventuell telefonisch
durchgeführter Follow-up-Kontakte ähnlich gut wären.
Wünschenswert wäre es, in Deutschland ein Netzwerk der Tabakentwöhner zu implementieren.
Hierbei würde den Hausärzten eine Schlüsselrolle zukommen, nachdem sie etwa von 70
% der Raucher jährlich konsultiert werden. Die Hausärzte würden die entwöhnungswilligen
Raucher identifizieren, ihnen zur Entwöhnung und eventuell zu einer medikamentösen
Unterstützung raten und, je nach Zeitbudget, sie über den Rauchstopptag hinaus begleiten.
Diejenigen Raucher, die in diesem Entwöhnungsversuch keinen Erfolg erzielen und jene
stark Abhängige, die trotz etlicher vorausgehender Abstinenzversuche erfolglos blieben,
sollten an spezialisierte Praxen überwiesen werden. Die Behandlung bzw. Weiterbehandlung
könnten auf diesem Gebiet auch niedergelassene Pneumologen übernehmen: mehr als 250
von ihnen sind in den letzten 3 Jahren in eintägigen Seminaren entsprechend geschult
worden [35].
Spezielle Rauchergruppen, wie Jugendliche, Schwangere oder solche mit einer psychiatrischen
Erkrankung wie auch andere Patienten, die in der spezialisierten Praxis nicht abstinent
wurden, könnten in einem Kompetenzzentrum für Tabakentwöhnung therapiert werden [9]. Die Kompetenzzentren sollen laut Empfehlungen der internationalen Leitlinien über
hauptamtliche Tabakentwöhner (Psychologen, Sozialpädagogen usw.) und über Erfahrung
sowohl in der Gruppen- als auch in der Einzeltherapie verfügen. Sie müssen auch in
der medikamentösen Unterstützung mit den First-line-Therapeutika Expertise besitzen
[9]
[10]. Wie in den internationalen und nationalen Leitlinien empfohlen bzw. gefordert und
im englischen Gesundheitswesen bereits mit Erfolg praktiziert, sollten Weiterbildung
der Ärzte und deren Teams wie auch deren Beratungs- und Entwöhnungstätigkeit von den
Krankenversicherungen finanziert werden. Dieses müsste auch für die Tätigkeit der
Kompetenzzentren und Beratungstelefone gelten. Die Beratungstelefone können sowohl
Beratungen als auch Entwöhnung in unterversorgten Regionen, wie auch die Weiterbetreuung
(Follow-up) für die Patienten der niedergelassenen und Klinikärzte übernehmen [36]
[37]. In England wird auch die Vergütung der medikamentösen Unterstützung für entwöhnungswillige
Patienten auf eine begrenzte Zeit gewährleistet.
Wie die Berechnungen des NHS in England zeigten, ist die landesweit organisierte Tabakentwöhnung
in der Reduktion der Raucherprävalenz erfolgreich und im Vergleich zu anderen Behandlungsmaßnahmen
erheblich kosteneffektiver [38]
[39].
Wir verfügen in Deutschland über gute Entwöhnungsprogramme, etliche geschulte niedergelassene
sowie noch mehr an der Tabakentwöhnung interessierte Ärztinnen und Ärzte, einige in
der Tabakentwöhnung mit gutem Erfolg bereits tätige Reha-Kliniken sowie ausbaufähige
Institute und Telefone für Raucherberatung. Wir Pneumologen müssen uns gemeinsam mit
Gleichgesinnten um die Schaffung entsprechender politischer und gesundheitspolitischer
Voraussetzungen und um die Schaffung eines Nichtraucher-freundlichen Umfeldes bemühen.