Einleitung
Einleitung
Alveoläre Typ-II(ATII)-Zellen synthetisieren und sezernieren Surfactant und regenerieren
das alveoläre Epithel. Auf diese Weise gewährleisten sie die alveoläre Homöostase.
Mechanische Stimuli, wie zyklische Dehnung und Relaxation alveolärer Strukturen während
der Atmung, spielen bei der Regulation dieser Prozesse eine entscheidende Rolle [1 ]
[2 ]. In ATII-Zellen stimuliert mechanische Dehnung über kalziumabhängige Signaltransduktion
die Phospholipidsekretion [1 ] und die Expression von Surfactantproteinen [3 ]. Neben diesen physiologischen Effekten kann mechanische Dehnung von ATII-Zellen
auch schädigende Wirkungen entfalten. So führt starke mechanische Dehnung zu Apoptose
[4 ], zu Einrissen der Zellmembran [5 ] und konsekutivem nekrotischen Zelltod [6 ]
[7 ].
Solche starken mechanischen Dehnungen können beispielsweise im Zusammenhang mit mechanischer
Beatmung auftreten. Insbesondere Beatmung mit hohem Atemzugvolumen stellt einen Faktor
dar, der akute Lungenschädigung auslösen oder aggravieren kann. So verschlechtert
die Beatmung mit hohem im Vergleich zu niedrigem Atemzugvolumen die Prognose beim
ARDS (acute respiratory distress syndrome) [8 ]
[9 ]. Verschiedene experimentelle Ergebnisse können diese klinischen Befunde erklären:
So konnte gezeigt werden, dass mechanische Dehnung eine Reihe von schädigenden, proinflammatorischen
Prozessen, wie die Freisetzung von Prostanoiden und Zytokinen auslöst [2 ]
[5 ]
[10 ]
[11 ]. Während diese mechanisch induzierte Mediatorfreisetzung als Folge mechanisch induzierter
Regulationsprozesse verstanden werden kann, existieren auch experimentelle Daten,
die demonstrieren, dass die Einwirkung mechanischer Kräfte direkt zu nekrotischem
Zelltod führen kann [6 ]
[7 ]. Die damit verbundene Freisetzung von Bestandteilen des Zytosols zerstörter Zellen
kann wiederum eine inflammatorische Reaktion auslösen [10 ]
[12 ].
Apoptose ist der wesentliche Mechanismus, der den Untergang von ATII-Zellen im Zusammenhang
mit akuter Lungenschädigung erklärt [13 ]. Die verminderte Zahl von ATII-Zellen führt zu verminderter Surfactantproduktion
und -sekretion sowie zu einem gestörten Surfactantrecycling und ist eine Erklärung
für den bei akuter Lungenschädigung vorliegenden Surfactantmangel [14 ]. Daneben ist infolge verstärkter Apoptose von ATII-Zellen auch die Regeneration
des alveolären Epithels gestört.
In den bisherigen Arbeiten zu mechanisch induzierter Apoptose und Nekrose an ATII-Zellen
wurden einerseits nur unphysiologische Dehnungsmuster (3 Dehnungen/min) verwendet
[4 ], andererseits untersuchten diese Arbeiten nur einzelne Dehnungsmuster [15 ]
[16 ] oder untersuchen ATII-Zellen nach fünf Tagen in Kultur unter der Annahme, dass diese
Zellen dann eher alveoläre Typ-I-Zellen repräsentieren [6 ]
[7 ].
Ziel dieser Arbeit ist es, den Einfluss von Dehnungsfrequenz, Dehnungsamplitude und
Dauer der zyklischen Dehnung auf die Auslösung mechanisch induzierter Apoptose und
Nekrose zu charakterisieren. Weiterhin sollten Substanzen mit zu erwartenden antiapoptotischem
Effekt hinsichtlich ihrer Wirkung auf die mechanisch induzierte Apoptose und Nekrose
untersucht werden.
Methodik
Methodik
Präparation von ATII-Zellen
ATII-Zellen wurden mit der von Dobbs u. Mitarb. 1986 [17 ] entwickelten und in verschiedenen Vorarbeiten beschriebenen Methode [1 ]
[18 ]
[19 ] präpariert. Dabei werden ATII-Zellen aus den Lungen männlicher Sprague-Dawley-Ratten
(150 - 200 g) mittels Elastase-Verdau und selektiver Adhärenz auf IgG-beschichteten
Platten präpariert. Zum Zeitpunkt des Ausplattierens waren 89 ± 3,4 % der Zellen vitale
ATII-Zellen (nachgewiesen durch modifizierte Papanicolaou-Färbung).
Die ATII-Zellen werden auf die zentralen Bereiche (ca. 1,5 cm Durchmesser) der mit
Fibronectin beschichteten, dehnbaren Silikonmembranen (Bioflex®, Flexcell International,
Hillsborough, NC, USA) ausplattiert. Dabei werden auf 6-well-Platten 106 Zellen je Well in Dulbeccos modified Eagle's medium (DMEM) mit 10 % fetalem Kälberserum
(FCS), 1 % w/v Gentamicin und 1 % Glutamine ausplattiert. Nach einer Adhärenzperiode
von 22 h wird das Medium durch DMEM mit 2 % FCS ersetzt. Mit diesen Platten wurden
die Experimente durchgeführt.
Versuchsprotokoll
Die ATII-Zellen auf den Bioflex® Platten wurden mit einem FX 4000TTM Flexercell® Tension PlusTM System (Flexcell International, Hillsborough, NC, USA) zyklischer Dehnung ausgesetzt.
Eines von drei Dehnungsmustern wurde zufällig gewählt und über die gesamte Versuchszeit
von 24 h angewendet. Zellen und Überstände wurden zu den Zeiten t = 0 min (vor Beginn
der Dehnung - Ausgangswerte), t = 12 h, t = 18 h und t = 24 h gesammelt.
Die Dehnungsmuster wurden durch Frequenz und Amplitude (Oberflächenzunahme der kalibrierten
Silikonmembran) definiert. Die Membrandehnung wurde mit negativem Druck kalibriert
und während der gesamten Versuchsdauer überwacht.
Die von uns genannten Zahlen der Oberflächezunahme entsprechen nicht denen, die in
der Software des Dehnungsgerätes gewählt werden können, sondern der realen, tatsächlich
im Versuch durchgängig anhand des negativen Drucks während jeder Dehnung berechneten
Oberflächenänderungen der Membran. In dieser Berechnung wurden die Eigenschaften der
verwendeten Membranen ebenso wie die der jeweils verwendeten Grundplatte des Dehnungsgerätes
berücksichtigt.
ATII-Zellen auf identisch beschichteten Silikonmembranen wurden nicht zyklisch gedehnt
und dienten als Kontrollen (statische Kultur).
Dehnungsmuster
Die Dehnungsmuster wurden so definiert, dass in dem Modell der ATII-Zellen der Ratte
der Einfluss von Dehnungsfrequenz und -amplitude charakterisiert werden kann. In der
Rattenlunge kommt es zu einer Zunahme der Basalmembranoberfläche ab einer Inflation
von mehr als ca. 40 % TLC [20 ]. Veränderung des Volumens unterhalb dieser Größenordnung (d. h. unterhalb der funktionellen
Residualkapazität [FRC]) führen wahrscheinlich nur zu einer Entfaltung der Basalmembran
und/oder zu einer Eröffnung kollabierter Alveolen und nicht zur Dehnung der Basalmembran.
Um die Dehnungsamplitude festzulegen, orientierten wir uns an dem Zusammenhang zwischen
Veränderung der Basalmembranoberfläche und dem Lungenvolumen, wie er durch Tschumperlin
u. Mitarb. 1999 beschrieben wurde [20 ]. Dabei entsprechen Oberflächenänderungen der Basalmembran von 13 % und 30 % im Bezug
zur Oberfläche bei 42 % TLC etwa Lungenblähungen bis 75 und 100 % TLC (Funktion in
Abb. [3A ] [20 ]). Die so gewählten Dehnungsamplituden entsprechen also zum einen etwas mehr als
der Atmung mit normalem Atemzugvolumen und zum anderen ziemlich genau der maximalen
Inspiration. Um den Einfluss der Frequenz zu charakterisieren wurden 40 und 60 min- 1 gewählt. Aus technischen Gründen war es nicht möglich, eine Dehnungsfrequenz von
60 min- 1 mit einer Amplitude von 30 % zu verbinden. Daher nutzten wir drei Dehnungsmuster
[S], die durch Frequenz [min- 1 ] und Amplitude [% Oberflächenzunahme] definiert sind: S40 - 13, S60 - 13 und S40
- 30.
Abb. 1 LDH-Freisetzung. LDH-Konzentration in den Überständen zyklisch gedehnter Zellen (offene
Symbole) und statischer Kulturen (schwarze Punkte). Die Diagramme zeigen den Vergleich
der Versuchsgruppen S40 - 13, S60 - 13 und S40 - 30 mit den statischen Kulturen. *:
p < 0,05 im Vergleich zu statischen Kulturen; †: p < 0,05 im Vergleich zu statischen
Kulturen und zu den Gruppen S40 - 13 und S60 - 13.
Um auszuschließen, dass die dehnbaren Membranen durch Dehnung eine zytotoxische Verbindung
freisetzen, welche selbst Apoptose oder Nekrose auslösen könnte, wurde folgendermaßen
verfahren: Kulturmedium wurde auf Platten gegeben und ohne Zellen zyklischer Dehnung
über 24 h ausgesetzt (S40 - 30). Dieses Medium wurde dann auf Zellen in statischer
Kultur gegeben und mit dem Medium von statischen Membranen verglichen. Es ergab sich
kein Unterschied hinsichtlich der Induktion von Apoptose und Nekrose.
LDH-Messung
Die Konzentration der freigesetzten Laktatdehydrogenase (LDH) wurde in den Überständen
gemessen (Cytotoxicity Detection Kit [Roche Diagnostics GmbH, Mannheim, Germany]).
Die Eichkurve (Standard-LDH von Sigma-Aldrich GmbH, Deisenhofen, Germany) wurde zwischen
2 und 0,016 µg/ml gewählt.
Apoptose und Nekrose
Annexin-V-Bindung und PI-Färbung: Die Zellen wurden mit Trypsin von den dehnbaren Membranen gelöst. In die Analyse
wurden adhärente und nichtadhärente Zellen einbezogen. Die Zellen wurden mit FITC-konjugiertem
Annexin V und Propidiumiodid (PI) gefärbt (Apoptosis Detection Kit [R&D Systems, Minneapolis,
MN, USA]), und durchflusszytometrisch analysiert (Epics XL, Beckman-Coulter). Jeder
Datenpunkt repräsentiert n = 4 Versuche mit Dreifachmessung.
Anreicherung von Oligonucleosomen: In Überständen wurde die Anreicherung von Oligonucleosomen gemessen (Cell Death Detection
ELISA plus® [Roche, Mannheim, Germany]). Der Anleitung des Herstellers folgend wurde
ein Anreicherungsfaktor bestimmt, der die Relation zwischen gedehnten Zellen und statischen
Kontrollen angibt. Jeder Datenpunkt repräsentiert n = 3 Versuche mit Dreifachmessung.
Caspase-8-Aktivität: Im Zellhomogenat wurde die Aktivität der Caspase-8 kolorimetrisch bestimmt (R&D Systems,
Minneapolis, MN, USA). Rekombinante Caspase-8 (R&D systems) wurde als Standard verwendet.
Jeder Datenpunkt repräsentiert n = 3 Versuche mit Dreifachmessung.
Einfluss von Captopril und L-Arginin
In einer eigenständigen Gruppe von Experimenten wurden die Effekte des ACE-Hemmers
Captopril (CAP, Endkonzentration 50 ng/ml) und des Substrates der NO-Synthase L-Arginin
(LAR, Endkonzentration 1 mM) auf die mechanisch induzierte Apoptose und Nekrose charakterisiert.
In diesen Experimenten wurde das Dehnungsmuster verwendet, welches die höchste Rate
an apoptotischen Zellen erzielte. Als Kontrolle dienten statische Kulturen mit Zugabe
der zu testenden Substanzen und gedehnte Kulturen ohne diese Substanzen. Jeder Datenpunkt
repräsentiert n = 6 Versuche mit Dreifachmessung.
Angiotensin II ELISA
Die Überstände gedehnter Zellen (alle drei Dehnungsmuster) wurden nach 24 h auf Angiotensin
II analysiert (SpiBio, Massy, Cedex, France; n = 3 Zellpräparationen, Dreifachmessungen).
Statistik
Für die Vergleiche zwischen den Versuchsgruppen wurde der t-Test mit Bonferoni-Korrektur
für Mehrfachtestung verwendet. Die Ergebnisse sind als Mittelwert ± Standardabweichung
angegeben.
Ergebnisse
Ergebnisse
Laktatdehydrogenase
Die LDH-Konzentration wurde in den Überständen aller Versuchsgruppen gemessen (Abb.
[1 ]). In den Überständen der statischen Kontrollen stieg die LDH-Konzentration über
die Zeit leicht, auf ein Maximum von 0,050 ± 0,011 µg/ml nach 24 h, an. Die LDH-Freisetzung
in der S40 - 13 Gruppe (0,059 ± 0,011 µg/ml nach 24 h) unterschied sich nicht signifikant
von der in statischen Kulturen. Die LDH-Freisetzung in den Versuchsgruppen S60 - 13
und S40 - 30 war dagegen nach 12, 18 und 24 h signifikant höher als in den statischen
Kulturen (S60 - 13: 0,089 ± 0,014 µg/ml p < 0,0001 und S40 - 30: 0,177 ± 0,050 µg/ml,
p < 0,0001 nach 24 h). Am größten war die LDH-Freisetzung in der Versuchsgruppe mit
der großen Dehnungsamplitude (S40 - 30, p = 0,0002 gegenüber S40 - 13 und p = 0,031
gegenüber S60 - 13 nach 24 h).
Abb. 2 Annexin-V-Bindung und PI-Färbung. Durchflusszytometrische Daten von zyklisch gedehnten
Zellen (offene Symbole) und statischen Kulturen (schwarze Punkte). Die Diagramme zeigen
den Vergleich zwischen den Versuchsgruppen S40 - 13, S60 - 13, S40 - 30 und statischen
Kulturen. Reihe A zeigt den Prozentsatz vitaler Zellen, Reihe B den frühapoptotischer
Zellen, Reihe C den spätapoptotische/nekrotischer Zellen und Reihe D den nekrotischer
Zellen. *: p < 0,05 im Vergleich zu statischen Kulturen und zur Gruppe S40 - 13; †:
p < 0,05 im Vergleich zu statischen Kulturen und zu den Gruppen S40 - 13 und S60 -
13.
Annexin-V-Bindung und PI-Färbung
Die Ergebnisse der Durchflusszytometrie sind in Abb. [2 ] zusammengefasst. Annexin-V-negative/PI-negative Zellen (Abb. [2A ]) wurden als vitale Zellen betrachtet. Der Prozentsatz dieser Zellen unterschied
sich in den Versuchsgruppen S40 - 13 und S60 - 13 nicht signifikant von dem in statischer
Kultur. Ein signifikanter Rückgang der vitalen Zellen über die Versuchszeit konnte
dagegen unter dem Dehnungsmuster S40 - 30 beobachtet werden (55 ± 12 gegenüber 81
± 2,4 % p = 0,0002 nach 24 h). Diese Abnahme der Zahl vitaler Zellen konnte mit einer
Zunahme Annexin-V-negativer/PI-positiver (nekrotischer) Zellen und mit einer Zunahme
Annexin-V-positiver/PI-negativer (frühapoptotischer) sowie Annexin-V-positiver/PI-positiver
(spätapoptotischer/nekrotischer) Zellen erklärt werden (Abb. [2B - D ]).
Abb. 3 Freisetzung von Oligonucleosomen. Die Freisetzung von Oligonucleosomen in die Überstände
von Zellen während zyklischer Dehnung über 24 h wurde mit einem ELISA, welcher histonassoziierte
DNA erkennt, gemessen. Die Konzentration der histonassoziierten DNA in Überständen
gedehnter Zellen wurde zu den Konzentrationen statischer Kontrollen ins Verhältnis
gesetzt. Dieser Anreicherungsfaktor ist dargestellt (relative Einheiten). * p < 0,05
im Vergleich zu den Gruppen S60 - 13 und S40 - 13.
Im Vergleich zur statischen Kultur signifikant erhöht fand sich der Prozentsatz der
frühapoptotischen Zellen (Abb. [2B ]) sowohl in der Versuchsgruppe S60 - 13 (17 ± 3,5 % gegenüber 9,7 ± 1,4 %, p = 0,037
nach 24 h) als auch in der Versuchsgruppe S40 - 30 (21 ± 3,2 % gegenüber 13 ± 1,7
%, p = 0,035 nach 18 h und 23 ± 3,1 % gegenüber 9,7 ± 1,4 %, p = 0,0044 nach 24 h).
Der Prozentsatz der nekrotischen Zellen (Abb. [2D ]) unterschied sich zwischen statischen Kulturen und zyklisch gedehnten Zellen der
Versuchsgruppen S40 - 13 und S60 - 13 nicht signifikant. Unter dem Dehnungsmuster
mit hoher Amplitude (S40 - 30) dagegen war ein zweigipfeliger Anstieg der nekrotischen
Zellen mit einem frühen Gipfel nach12 h und einem zweiten Gipfel nach 24 h (18 ± 2,2
% gegenüber 6,6 ± 1,1 %, p = 0,0002 und 13 ± 2,4 % gegenüber 6,1 ± 0,9 %, p = 0,0034)
zu verzeichnen. Im Gegensatz dazu stieg der Prozentsatz frühapoptotischer Zellen beginnend
nach 18 h kontinuierlich an. Die Zahl der spätapoptotischen/nekrotischen Zellen (Abb.
[2C ]) stieg nach 12 h an und erreichte ein Maximum nach 18 h.
Diese Ergebnisse legen nahe, dass in dieser Versuchsgruppe der Zelluntergang in zwei
Phasen abläuft. Einer frühen Phase nekrotischen Zelltods folgt eine Phase, die vor
allem durch apoptotischen Zelltod charakterisiert ist.
Anreicherung von Oligonucleosomen
Der Anreicherungsfaktor für Oligonucleosomen in den Überständen gedehnter Zellen im
Vergleich zu statischen Kulturen ist in Abb. [3 ] wiedergegeben. Die Versuchsgruppen mit niedriger Dehnungsamplitude (S40 - 13 und
S60 - 13) unterschieden sich in diesem Anreicherungsfaktor nicht voneinander. Im Vergleich
zu diesen beiden Versuchsgruppen kam es jedoch in den Versuchen mit hoher Dehnungsamplitude
(S40 - 13) zu einer signifikant stärkeren Anreicherung von Oligonucleosomen im Überstand.
Caspase-8-Aktivität
Die in den Zelllysaten gemessene Aktivität der Caspase-8 aller Versuchs- und Kontrollgruppen
ist in der Abb. [4 ] zusammengefasst. Nur in der Versuchsgruppe mit hoher Dehnungsamplitude wurde ein
signifikanter Unterschied zwischen den Experimenten mit gedehnten Zellen und statischen
Kulturen gefunden.
Abb. 4 Caspase-8-Aktivität. Die Aktivität der Caspase-8 wurde in den Lysaten der Zellen nach
24 h zyklischer (schwarze Säulen) Dehnung oder statischer Kultur (offene Säulen) gemessen
und als Mittelwert ± Standardfehler angegeben. *: p < 0,05 im Vergleich zur korrespondierenden
statischen Kontrollgruppe.
Angiotensin II
Mit dem verwendeten Assay (Angiotensin ELISA, SpiBio, Massy, Cedex, France) konnte
Angiotensin II nicht nachgewiesen werden.
Einfluss von Captopril und L-Arginin
Die Abb. [5 ] zeigt, wie Captopril und L-Arginin die mechanisch induzierte LDH-Freisetzung, Apoptose
und Nekrose in der Versuchsgruppe S40 - 30 beeinflussen. Beide Substanzen veränderten
die mechanisch induzierte LDH-Freisetzung und Nekrose nicht, verhinderten aber die
mechanisch induzierte Apoptose nahezu vollständig, so dass der Prozentsatz der frühapoptotischen
Zellen in den Versuchen mit diesen Verbindungen nahezu die Werte der Kontrollgruppen
erreichte (10,7 ± 2,2 % und 10,5 ± 2,5 % in den Gruppen CAP und LAR). Ebenso verringerten
Captopril und L-Arginin die Zahl der spätapoptotischen/nekrotischen Zellen fast auf
das Niveau der statischen Kulturen. Die Zahl der vitalen Zellen wurde durch Captopril
und L-Arginin dementsprechend deutlich gesteigert auf 77 ± 2,6 % und 76 ± 3,8 % nach
24 h (statische Kulturen: 82 ± 3 %).
Abb. 5 Effekte von Captopril and L-Arginin. Die Effekte von Captopril (CAP) und L-Arginin
(LAR) auf LDH-Freisetzung (A), vitale (B), frühapoptotische (C), spätapoptotische/nekrotische
(D) und nekrotische Zellen (E) sind zusammengefasst. Statische Kontrollen werden mit
zyklisch gedehnten ATII-Zellen (S40 - 30, 24 h) ohne oder mit Zusatz von 50 ng/ml
Captopril (CAP) oder 1mM L-Arginin (LAR) verglichen. * p < 0,05 im Vergleich zur statischen
Kontrolle.
Diskussion
Diskussion
Diese Studie untersucht an ATII-Zellen die Effekte zyklischer mechanischer Dehnung
auf LDH-Freisetzung, apoptotischen und nekrotischen Zelltod. Wir wählten zunächst
ein Dehnungsmuster, dass die mechanische Stimulation dieser Zellen unter physiologischer
Atmung simulieren sollte (S40 - 13). Eine Frequenz von 40/min entspricht der Atemfrequenz
der Ratte in Ruhe, und eine Oberflächenzunahme der Zellmembran von 13 % entspricht
ungefähr einer Inspiration von der FRC bis zu 75 % TLC [20 ]. Die unter diesem Dehnungsmuster freigesetzte LDH überschritt nicht die in statischen
Kontrollen freigesetzte und gewöhnlich in Zellkultur gefundene LDH-Freisetzung. Ebenso
fanden sich unter diesem Dehnungsmuster die Zahl vitaler, apoptotischer und nekrotischer
Zellen nicht verschieden von den Werten statischer Kulturen.
Ein weiteres Dehnungsmuster wurde so gewählt, dass die Dehnungsamplitude (30 %) der
Oberflächen der Zellmembran bei maximaler Inspiration (100 % TLC) entspricht. Dieses
Dehnungsmuster führte - beginnend zu 12 h - zu einer signifikanten Zunahme der LDH-Freisetzung
und zu einem signifikanten Anstieg apoptotischer und nekrotischer Zellen. Entsprechend
sank die Zahl der vitalen Zellen über die Zeit. Der zeitliche Verlauf der LDH-Freisetzung,
der Marker für Apoptose und Nekrose lässt vermuten, dass zwei Mechanismen zu dem beobachteten
Rückgang der vitalen Zellen führen: Bereits nach 12 h kam es zu einem frühen Anstieg
nekrotischer Zellen, während die Zahl der apoptotischen Zellen zu diesem Zeitpunkt
nur moderat angestiegen war. Nach 18 und 24 h dagegen steigt die Anzahl der apoptotischen
Zellen deutlich an, während die Zahl der nekrotischen Zellen nach 18 h zurückgeht
- die erste Nekrose-Phase ist offensichtlich abgelaufen. Nach 24 h führt offensichtlich
die vermehrt ablaufende Apoptose zu einem zweiten Anstieg toter Zellen. Das Modell
des mechanisch induzierten „membrane stress failure” lässt sich mit unserer Beobachtung
gut in Einklang bringen: Zellen, die nach Einrissen der Zellmembran durch mechanische
Dehnung nicht suffizient verschließen und den mit dem Einriss verbundenen Kalziumeinstrom
kompensieren können, werden nekrotisch. In anderen Zellen, in denen nur kurzzeitig
mechanisch induzierte Einrisse der Zellmembran bestanden haben, können die dadurch
ausgelösten Signalprozesse zur Induktion von Apoptose führen.
Eine gesteigerte Dehnungsfrequenz (von 40 auf 60/min) war - verglichen mit einer gesteigerten
Amplitude - klar der weniger traumatische mechanische Stimulus. In dieser Versuchsgruppe
(S60 - 13) fanden wir die Zahl der vitalen Zellen nach 24 h nur gering, nicht signifikant
reduziert. Lediglich die Zahl der frühapoptotischen Zellen (gemessen als Annexin-V-Bindung)
war nach 24 h signifikant angestiegen, und die LDH-Freisetzung war im Vergleich zum
S40 - 13 Dehnungsmuster während aller Messpunkte erhöht. Mit dem zweiten, zum Nachweis
früher Apoptose eingesetzten Assay, der Bestimmung der Caspase-8-Aktivität, konnte
dieser Anstieg der Annexin-V-positiven/PI-negativen Zellen nach 24 h Stunden in dieser
Versuchsgruppe nicht reproduziert werden. Eine Erklärung für die abweichenden Ergebnisse
der beiden Tests kann eine geringere Empfindlichkeit der Caspase-8-Bestimmung sein,
da die Aktivität dieses Enzyms unabhängig von Apoptose reguliert wird [21 ]. Erwähnenswert ist, dass es unter dem Dehnungsmuster mit erhöhter Frequenz nicht
zu einem Anstieg der nekrotischen Zellen gekommen ist. Auch dieser Befund spricht
dafür, dass dehnungsinduzierte Membraneinrisse den wesentlichen schädigenden Mechanismus
darstellen.
Wie bereits dargestellt, entspricht eine Zunahme der Zellmembranoberfläche um 30 %
ungefähr einer Inspiration von der FRC bis zu 100 % TLC [20 ]. Dieses Ausmaß an alveolärer Dehnung kann erreicht und sogar überschritten werden
unter mechanischer Beatmung mit hohen Atemzugvolumina und bei schwerer akuter Lungenschädigung
selbst unter Beatmung mit niedrigen Atemzugvolumina, wenn Derekruitment großer Lungenanteile
die belüfteten Areale der Lunge deutlich reduziert hat. Die Freisetzung von Bestandteilen
des Zytosols aus nekrotischen Zellen kann proinflammatorisch wirken und dadurch den
Prozess der akuten Lungenschädigung unterhalten und verstärken [10 ]
[12 ]. Jedoch nicht nur Nekrose, sondern auch Apoptose von ATII-Zellen trägt zu akuter
Lungenschädigung bei. Durch intratracheal applizierte, Fas-aktivierende monoklonale
Antikörper hervorgerufene Apoptose führt bei Mäusen zu akuter Lungenschädigung [22 ]. Nekrose und Apoptose von ATII-Zellen scheint eine wesentliche Verbindung zwischen
mechanischem Stress und der Verstärkung akuter Lungenschädigung darzustellen.
In dieser Arbeit haben wir verschiedene Methoden eingesetzt, um die Vitalitätsparameter
von ATII-Zellen zu charakterisieren: Die durchflusszytometrische Messung von Annexin-V-Bindung
und PI-Färbung ist eine weit verbreitet angewendete Methode, um die Anzahl vitaler,
frühapoptotischer, spätapoptotischer/nekrotischer und nekrotischer Zellen zu quantifizieren.
Darüber hinaus wählten wir zwei zusätzliche Verfahren, um unsere durchflusszytometrischen
Daten zu unterstreichen: Die Bestimmung der Caspase-8-Aktivität wurde gewählt, weil
dieses Enzym sehr proximal in der Caspasen-Kaskade lokalisiert ist und daher ein frühes
Stadium der Apoptose anzeigt. Limitiert wird diese Methode, weil dieses Enzym durch
zahlreiche endogene regulatorische Proteine unabhängig von Apoptose beeinflusst wird
[21 ]. Die Anreicherung von Oligonucleosomen im Überstand kann das Ergebnis von prälytischer
DNA-Fragmentierung mit nachfolgender Freisetzung durch zelluläre Lysis in der späten
Phase der Apoptose sein. Allerdings kann sie auch das Ergebnis von postlytischer DNA-Fragmentierung
sein. Deshalb entspricht die Information dieser Messungen jener, die die Fraktion
der durchflusszytometrisch gemessenen Annexin-V-positiven/PI-positiven Zellen liefert.
Der mechanisch induzierte Anstieg an spätapoptotischen/nekrotischen und an frühapoptotischen
Zellen unter dem Dehnungsmuster S40 - 30 ist durch beide getesteten Pharmaka, durch
den ACE-Hemmer Captopril und das NOS-Substrat L-Arginin, nahezu vollständig inhibierbar.
Die Zahl der nekrotischen Zellen dagegen bleibt von der pharmakologischen Intervention
unbeeinflusst. Captopril und L-Arginin hemmen offensichtlich die mechanisch induzierte
Apoptose.
Der Prozentsatz apoptotischer Zellen war in unserer Arbeit höher als in einer vorausgegangenen
Arbeit, die ein ähnliches experimentelles Modell nutzt [16 ]. Neben zahlreichen experimentellen Faktoren kann vor allem die Zusammensetzung des
Mediums solche Unterschiede erklären. Die Autoren dieser Studie berichten ca. 5 %
apoptotische Zellen unter statischen Bedingungen. Apoptose wurde in dieser Studie
jedoch durch DNA-Kondensation mit dem Farbstoff Hoechst 33258, der eher späte Stadien
der Apoptose detektiert, nachgewiesen. Im Gegensatz dazu verwendeten wir mit Annexin-V-Bindung
einen Marker eines frühen Apoptosestadiums. Außerdem war in unseren Experimenten die
FCS-Konzentration wesentlich niedriger (2 gegenüber 10 %). Dies deckt sich gut mit
unserer Erfahrung, dass die FCS-Konzentration des Mediums sowohl in statischen Kontrollen
als auch in zyklisch gedehnten Kulturen das Ausmaß der Apoptose erheblich bestimmt
(Hammerschmidt, u. Mitarb. unpublizierte Daten). Der von Edwards u. Mitarb. [16 ] berichtete maximal dreifache Anstieg des Prozentsatzes apoptotischer Zellen unter
zyklischer Dehnung deckt sich sehr genau mit unseren Ergebnissen. Der relative Effekt
mechanischer Dehnung ist daher zwischen beiden Studien gut vergleichbar.
Zwischen 40 und 50 % nichtvitale Zellen nach nur einer Stunde zyklischer Dehnung (15/min,
25 % Zunahme der Zellmembranoberfläche) im Vergleich zu 5 bis 10 % unter statischen
Bedingungen werden von einer weiteren Studie berichtet [15 ]. Der offensichtliche Unterschied zu den Ergebnissen unserer Arbeit und den Ergebnissen
von Edwards u. Mitarb. [16 ] erklärt sich aus der Methode, mit der zwischen vitalen und nicht-vitalen Zellen
unterschieden wird. Tote Zellen wurden mit Ethidium-Homodimer-1, welches die intakte
Zellmembran lebender Zellen nicht passieren kann, detektiert. Allerdings kann dieser
Farbstoff in Zellen gelangen, deren Membran nur vorübergehend geschädigt war. Die
Zahl der so markierten Zellen kann die Zahl der nekrotischen Zellen, wie sie in unserer
Studie mit PI gemessen wurde, deutlich übersteigen.
Stickstoffmonoxid (NO) ist ein bedeutender Bestandteil des extrazellulären Milieus,
der das Ausmaß an Apoptose in ATII-Zellen beeinflussen kann. Es wird sowohl mit pro-
als auch mit antiapoptotischen Effekten in Zusammenhang gebracht [23 ]. Edwards u. Mitarb. [16 ] konnten erstmalig nachweisen, dass ein NO-Donator (S-nitroso-N-acetyl-D,L-penicillamine
[SNAP]) mechanisch induzierte Apoptose in ATII-Zellen hemmt. Die Autoren sehen eine
physiologische Funktion von Alveolarmakrophagen darin, über die Freisetzung von NO
die ATII-Zellen vor mechanisch induzierter Apoptose zu schützen. Wir konnten belegen,
dass auch das physiologische Substrat der NOS, L-Arginin, mechanisch induzierte Apoptose
von ATII-Zellen in vergleichbarer Weise verhindert. Diese Beobachtung lässt vermuten,
dass NO in unseren Versuchen durch eine NOS der ATII-Zellen freigesetzt wurde. Die
myokardiale Caspase-3 wird durch endogenes NO inhibiert [24 ], so dass auch in unserem Modell Caspase-Inhibition durch NO einen möglichen Mechanismus
darstellt, der den antiapoptotischen Effekt von L-Arginin erklären könnte. Die induzierbare
NOS (iNOS), die durch inflammatorische Zytokine oder LPS induziert wird [25 ], könnte ebenso durch mechanische Dehnung induziert werden. Alveoläre Dehnung durch
mechanische Beatmung konnte in verschiedenen experimentellen Modellen mit alveolärer
NO-Freisetzung in Zusammenhang gebracht werden [26 ]
[27 ]. Auch klinische Daten von beatmeten Patienten mit akuter Lungenschädigung demonstrieren
einen Zusammenhang zwischen alveolärer Dehnung und NO-Freisetzung [28 ]. Insgesamt unterstützen diese Ergebnisse unsere Hypothese, dass starke Dehnung alveolärer
Strukturen ATII Zell-Apoptose induziert und gleichzeitig dazu, mit der Freisetzung
von NO, einen antiapoptotischen Mediator stimuliert.
Weitere Gruppen von Substanzen, deren antiapoptotische Wirkung auf ATII-Zellen nachgewiesen
ist, stellen die ACE-Hemmer und die Angiotensin-III-Rezeptorantagonisten dar. Beide
Substanzgruppen beeinflussen Apoptose beispielsweise an Herzmuskelzellen, renalen
Tubulsepithelien und vaskulären glatten Muskelzellen [29 ]
[30 ]
[31 ]. Sie inhibieren Fas-Ligand induzierte Apoptose von ATII-Zellen [32 ]. In unserem Modell inhibierte der ACE-Hemmer Captopril ebenso die mechanisch induzierte
Apoptose von ATII-Zellen. Da in den Überständen der gedehnten Zellen Angiotensin-II
nicht nachweisbar war, müssen wir vermuten, dass die Umwandlung von Angiotensin-I
zu Angiotensin-II an der Auslösung der mechanisch induzierten Apoptose nicht beteiligt
ist. Vielmehr könnte der ACE-Hemmer auch als Inhibitor anderer Serinproteasen wirken.
Außerdem könnten die antiapoptotischen Effekte von NO und ACE-Hemmern auch im Zusammenhang
stehen: Im kardiovaskulären System werden die Wirkungen von ACE-Hemmern zumindest
teilweise über die Verhinderung des enzymatischen Abbaus von Bradykinin vermittelt.
Bradykinin aktiviert in Endothelzellen die endotheliale NOS und kann dadurch zur NO-Freisetzung
führen [33 ].
Mit beiden von uns vorgenommenen pharmakologischen Interventionen konnte die mechanisch
induzierte Apoptose, nicht jedoch die Nekrose beeinflusst werden. Dies legt die Vermutung
nahe, dass Captopril und L-Arginin den Ablauf der Apoptose beeinflussen, ohne jedoch
effektiv zu sein, wenn die mechanisch induzierte Zellmembranschädigung einen kritischen
Punkt überschritten hat, was dann zu nekrotischem Zelltod führt.